Graphic Novel

Eine atemlose Fantasiereise

Buchcover: Vincent Froissard / Étienne Le Roux, Humboldts letzte Reise
Buchcover: Vincent Froissard / Étienne Le Roux, Humboldts letzte Reise © Knesebeck Verlag
Von Eva Hepper |
In "Humboldts letzte Reise" fabulieren Comicautor und Zeichner, Vincent Froissard und Étienne Le Roux, über die Erlebnisse des großen Forschers. Schiffbruch, Revolution, Gefangennahme und Verrat - eine sagenhafte Geschichte in sagenhaften Bildern.
Die Bildergeschichte beginnt grau in grau. Müde und gebrechlich wirkt der weltberühmte Naturforscher auf den ersten Seiten. Sie zeigen ihn inmitten von Büchern und Globen in seinem Berliner Salon im Alter von über 80 Jahren. Die ruhmreichen Südamerika-Reisen sind längst Vergangenheit, der Alltag ist farblos.
Erst als sich Alexander von Humboldt in das Reise-Tagebuch seines früheren Gefährten Aimé Bonpland vertieft – Luisa, eine seltsame Besucherin hat es überbracht – , ändert sich die Tonalität der Bilder. Humboldts Salon vergilbt wie eine alte Landkarte. Das blasse Gelb kriecht buchstäblich aus dem Buch heraus und zieht den Forscher – und mit ihm den Leser – in eine andere, farbige Welt. Eine bestechende Bildidee.
Auf den folgenden Seiten entfaltet sich die Atmosphäre des südamerikanischen Dschungels; mit üppig wuchernden Pflanzen, fremdartigen Tieren und faszinierenden Landschaftspanoramen. Sie erzählen von Bonplands Amazonas-Expedition, die ihn, so seine Aufzeichnungen, den Urstoff allen Lebens finden ließ, und von der er nicht zurückkehrte. Begeistert von der Lektüre im nun wieder grau werdenden Salon beschließen Humboldt und Luisa, ihn zu suchen. So spektakulär beginnt "Humboldts letzte Reise", eine Graphic Novel, die Vincent Froissard und Étienne Le Roux in Szene gesetzt haben. In Frankreich in zwei Teilen erschienen, liegt sie nun als opulenter Gesamt-Band auf deutsch vor.
Ein Abenteuer jagt das nächste
Es ist eine fantastische Reise, die Humboldt, Luisa und ihr Verfolger Carl Ritter, ein Abgesandter der Akademie der Wissenschaften, unternehmen. Étienne Le Roux spinnt sie aus verschiedenen Perspektiven und verwebt die Erzählstimmen so kunstvoll miteinander, dass der Leser schon nach wenigen Seiten höllisch aufpassen muss, nicht die Orientierung zu verlieren. Die Handlung wechselt übergangslos mit Träumen und Halluzinationen und logische Entwicklungen, kausale Zusammenhänge und folgerichtige Anschlüsse sind nirgends zu finden. Zudem jagt ein Abenteuer das nächste: Schiffbruch, Revolution, Gefangennahme, Verrat, Dschungelmärsche und am Ende steht – nach einem gigantischen Sturz in endlose Tiefen – für jeden der drei Helden die Begegnung mit sich selbst.
Was für eine sagenhafte Geschichte! Was für hinreißende Zeichnungen! Es ist nicht zuletzt den poetischen Bildern Vincent Froissards zu verdanken, dass der Leser dieser Tour de Force (mit Anleihen übrigens bei Jules Vernes, Jonathan Swift, Lewis Caroll, Joseph Conrad und der Grals-Geschichte) 160 Seiten lang atemlos folgt. Selten wurde eine Graphic Novel so variationsreich gezeichnet. Ob im Format der klassischen Panelfolge oder als einzelne Szene über die gesamte Seite hinweg, ob naturalistisch oder abstrakt, ob scharf konturiert oder verwischt, ob mit Kreiden oder Zeichenstift auf Papier oder Karton geworfen – Froissards Bilder sind durchweg Meisterwerke.
Sie bilden das adäquate Pendant zu Le Roux' übersprudelnder Fabulierlust und geben der Fantasiereise Humboldts die perfekte Form. Schade, dass nach 160 Seiten Schluss ist.

Vincent Froissard / Étienne Le Roux: Humboldts letzte Reise
Aus dem Französischen von Anja Kootz, 160 Seiten, Knesebeck Verlag, 2015, 24,95 Euro

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