Stefano Ricci: Die Geschichte des Bären
aus dem Italienischen von Myriam Alfano
Avant Verlag, Berlin 2014
432 Seiten, 34,95 Euro
Mysteriöse Welt eines Bären
Der Comic "Die Geschichte des Bären" von Stefano Ricci handelt von einem Bären, der nach Deutschland einwandert, angeschossen und von Menschen gesund gepflegt wird. In den melancholischen Bildern geht es um Fremdheit, Schönheit und Gewalt.
Irritierend ist dieses Buch schon von außen. Es heißt "Die Geschichte des Bären", aber auf dem Umschlag ist ein Hase in einem Kittel zu sehen, der sich gerade Gummihandschuhe anzieht, und das vor einem blutig-roten Hintergrund, der nach außen immer dunkler wird. Verwirrend geht es weiter, in den ersten Texten des Buches ist wieder von einem Bären die Rede, aber diesmal sieht man den Umriss eines Menschen oder einen Kopf, der aussieht, als hätte ein Bernhardiner sich eine Panda-Maske übergestülpt.
Stefano Riccis "Geschichte des Bären" ist eines dieser besonderen Werke, die einen immer tiefer in eine Rätselwelt hineinziehen. Mysteriös wirken die tief melancholischen Bilder. Gegen alle Comic-Tradition füllen sie immer eine ganze Doppelseite fast bis an den Rand. In düsterem Schwarz-Weiß zeigen sie verhangene Szenen, Traumbilder, Fantasien. Die Farben sind schmutzig und schlierig, pastose Schichten stapeln sich wie bei einem Ölgemälde aufeinander. Die maskierte Bärengestalt wandert durch diese Bilder, riesige Pferde treten auf und als Rettungssanitäter arbeitende Affen. Dass man später einem Mann im Zwiegespräch mit einer Rotte von Wildschweinen begegnet, wundert einen dann auch nicht mehr.
Berichte aus dem italienischen Partisanenkampf
Ricci hat seine Bilder-Erzählung sehr lose an die Geschichte des "Problembären" Bruno angelehnt. Auch hier wandert ein Bär nach Deutschland ein und wird angeschossen. Für Riccis Bruno geht die Reise aber weiter, er kommt in den Nordosten Deutschlands, in die Nähe der Ostseeküste. Dort wird er von Menschen aufgenommen, gesundgepflegt und mit Trägerdiensten bedacht bis nach Hamburg geschickt.
In seine Geschichte eingewoben sind Briefe, die ein Italiener in Mecklenburg schreibt. Er erzählt darin von seiner Liebe zu der norddeutschen Landschaft, aber ebenso von seiner Zeit als Sanitäter in Italien oder auch von der Umwandlung der ostdeutschen Landwirtschaft nach 1989. Dazu kommen Berichte aus dem italienischen Partisanenkampf und über die Verfolgung von Mussolini-Faschisten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie die Bilder folgen auch die Texte des Buches einer traumhaften Logik, abrupt wechseln sie Schauplätze und Personen. Die Texte haben nur einen schmalen einzeiligen Platz über und unter den großen Doppelbildern, aber in ihrer Kürze schaffen sie immer wieder eine starke poetische Verdichtung. Ganz langsam schälen sich durchgehende Motive und Themen heraus: Fremdheit, Wanderschaft, Schönheit und Gewalt.
Bisher zwei Graphic Novels erschienen
Der Zeichner und Textautor Stefano Ricci wurde in Bologna geboren, seit 2005 lebt er in Hamburg. Er unterrichtet dort an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, als Lehrer hat er viel dafür getan, dass von Hamburg aus neue Künstler die deutsche Comicszene voranbringen. Marijpol und Simon Schwarz haben unter anderem bei Stefano Ricci studiert. Von Ricci selbst sind bisher nur zwei Graphic Novels auf Deutsch erschienen, "Tufo" und "Anita". Seine "Geschichte des Bären" ist zuerst in Frankreich herausgekommen, bevor sich der Berliner Avant Verlag an das aufwendige, erlesen gestaltete Buch herangewagt hat.
Der Erzähler in dieser "Geschichte des Bären" spricht einmal von den Straßen in Mecklenburg, die ihm als endlose Tunnel aus Bäumen erscheinen. Das Buch selbst hat auch etwas von einem Tunnel. Man geht widerstrebend hinein, am Anfang verwirrt von widersprüchlichen Signalen. Aber bald schon ist man gefangen im Sog dieses somnambulen Kunstwerks.