Frank Schmolke, "Nachts im Paradies", Comicverlag Edition Moderne 2019, 352 Seiten, 29,80 Euro.
Zombies in Lederhosen und die dunkle Seite von München
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Der Zeichner Frank Schmolke verarbeitet in seiner Graphic Novel "Nachts im Paradies" seine eigenen Erfahrungen beim nächtlichen Taxifahren in München. Er zeigt die dunkle Kehrseite der Glitzer-Stadt und des Oktoberfestes.
Im Taxi kommen nicht nur freundliche Seiten von Menschen und Orten zum Vorschein, sondern auch die dunklen. Interessant ist das in einer Stadt, die in den Medien eigentlich nie so wirklich als Metropole mit düsteren Ecken wahrgenommen wird, nämlich München. Der Journalist Tobias Krone ist dort eine Runde mit dem Gelegenheitstaxifahrer und Grafiker Frank Schmolke gefahren. Er hat seine Erlebnisse in der Graphic Novel "Nacht im Paradies" verdichtet und erzählt von Zombie-Begegnungen der typisch Münchner Art.
Das Interview im Wortlaut:
Christine Watty: Was erlebt man als Taxifahrer in München, was man vielleicht in Berlin, in Hamburg oder auch in New York nicht erleben würde?
Tobias Krone: Für Taxifahrer – oder Taxler, wie man sie hier in München nennt - ist das vor allem der einschlägige Biertourismus, vor allem natürlich in der Oktoberfestzeit. Also, das was man bei Frank Schmolke in der Graphic Novel liest, das sind mehr oder weniger alles Erlebnisse, die er selbst im Taxi erlebt hat. Vincent ist das Alter Ego von ihm, ein ziemlich verwegener Taxifahrer, kantiges Gesicht, ziemlich schweigsam, also ein echter Comicheld, der eigentlich in jede Stadt passen würde. Aber sein Zeichner Frank Schmolke ist eben ein echter Münchner – und schwört auf seine Stadt – in allen architektonischen und geografischen Details.
Frank Schmolke: Ja weil ich nicht in New York oder London lebe, sondern in München und in München Taxi fahre. Da muss ich nicht recherchieren, da weiß ich, wie alles aussieht, da weiß ich, wie die Leute unterwegs sind. Und mein Aufhänger war natürlich auch die Wiesn. Und es geht eigentlich um die letzten drei Nächte in Vincents Taxikarriere. Vincent ist circa 50 Jahre alt, will nicht mehr Taxi fahren, hat aber auch keinen Plan, was er danach macht. Aber er erlebt dann in diesen drei Nächten so bizarre Sachen, dass ihn das in eine Lage bringt, wo er eigentlich gar nicht anders kann. Und muss etwas verändern. Und das war eigentlich so mein Aufhänger: Das Oktoberfest, München, die vermeintliche Glitzer-Stadt, die schöne Stadt. Es ist ja auch wirklich eine schöne Stadt. Aber – für einen Taxler ist es halt eine Stadt. Und nachts sind halt alle Katzen grau, oder?
Krone: Und dieses graue München in Frank Schmolkes Graphic Novel kann dann auch ziemlich eklig sein.
Der Bavaria-Filter
Watty: Ich weiß gar nicht, ob ich mir das alles vorstellen will. Das hört sich an, als ob man die eher besoffene Seite vom Oktoberfest geschildert bekommen, wie sie dann eben auch im Taxi landet.
Krone: Genau. Wir erleben eine ganze Reihe von abgestürzten Bierleichen, die da hinten drin sitzen: es gibt einen Blowjob auf der Rückbank, natürlich wird danach auch ordentlich ins Auto gekotzt. Auch wenn Frank Schmolke selber da für seine Taxifahrten eine Strategie hat, um die schlimmsten Oktoberfest-Leichen nachts so ein bisschen zu umgehen. Indem er sein Taxi immer oberhalb der Festwiese parkt, an der Bavaria-Statue – unter Taxlern wird das dann auch Bavaria-Filter genannt.
Schmolke: Wenn du von der Wiesn aus zur Bavaria hochkommen willst, musst du erstmal 80 Stufen bewältigen. Und die Bierzombies, die können das nicht mehr. Also, wenn du total voll bist, kommst du diese Treppen gar nicht mehr hoch. Und die, die oben ankommen, die kannst du quasi mitnehmen, das ist dann der Bavaria-Filter. Aber - ja, wenn man die ab und zu sieht, wenn sie einem vors Auto fallen: Das sind Zombies in Lederhosen. Also kann man schon sagen. (Anmerkung der Redaktion aufgrund einer nachträglichen Korrektur von Frank Schmolke: Aufgrund einer geänderten Verkehrführung in München funktioniert der "Zombie-Filter" heute nicht mehr so, wie hier beschrieben.)
Krone: Ja. Und das kostet die Graphic Novel dann auch mit ihrer expressiven Bildsprache voll aus. Also viel Sympathie fürs Oktoberfest bleibt da am Ende nicht übrig. Auch wenn natürlich die Wiesn das Eldorado für Taxifahrer und übrigens auch für Prostituierte in München ist, weil da das Geschäft boomt.
Früher war Taxifahren cool
Watty: Was ist Frank Schmolke für ein Taxifahrer? Tut er das, um Geld zu verdienen oder aus Leidenschaft?
Krone: Ich würde sagen, er sieht das Taxler-Dasein auch als einen wirklichen Lifestyle an – zumindest hat er das in seiner Anfangsphase getan.
Schmolke: Früher war das Taxifahren auch noch cool, also da war man dann Partygespräch und hatte immer irgendwelche Storys zu erzählen und in meinen jungen Jahren gab es dann auch mal eine nette Frau, die mich noch mal irgendwohin mitgenommen hat, das ist schon passiert. Es gibt sehr nette Begegnungen. Man konnte auch sagen, wenn man Taxifahrer war und heute hat sich das Bild vom Taxler auch irgendwie verändert. Der ist halt irgend so ein Dienstleister, der nix anderes kann, aber es ist immer gut, um schnelles Geld zu machen. Nicht nur, wenn du Künstler bist.
Krone: Schnelles Geld und Abenteuer, das ist glaube ich in dieser Mischung auch so das Motiv für den Taxifahrer Vincent im Comic, aber dann merkt er: Dieses unstete Leben bringt ihn dann auch in Berührung mit einer ziemlich undurchschaubaren Prostitutions-Mafia – das wird ihm dann am Ende irgendwie zu heiß.
Watty: Ich bin nicht so die Kennerin der Abgründe der Stadt München, aber München und Prostitution klingt so ein bisschen danach, als wäre dann vielleicht auch die Fantasie mit Frank Schmolcke so ein bisschen durchgegangen?
Krone: Ja, das das kennt man einfach nicht so von München. Aber tatsächlich hat er das in Ansätzen erlebt, vielleicht nicht mit diesem furiosen Finale. Aber insgesamt muss man sagen, schafft er das doch sehr authentisch rüberzubringen. Da ist ihm twirklich gelungen, so einen Film-Noir zu zeichnen – mit Tusche und Brush-Pen. Und dabei kommt die Stadt zwar sehr authentisch und manchmal auch mit dem Dialekt bayerisch rüber, aber eben überhaupt nicht in diesem so oft gezeigten lustigen Comedy-Sound, sondern vor allem melancholisch…
Schmolke: Ich mag auch düstere Filme, Dramen – es sollte schon ein Drama sein. Vielleicht sehe ich das falsch: Es passieren auch wirklich witzige Sachen im Comic.
Andere Lebensrealität als bei Kir Royal
Krone: Das würde ich dir auch gar nicht absprechen. Aber es hat schon eine Temperatur, die man von München gar nicht kennt. Man kennt ja eher Helmut Dietl, diese Kir-Royal-Sachen – immer so eine italienische Leichtigkeit. Dem setzt dein Comic mal ein ganz anderes München-Feeling entgegen.
Schmolke: Genau das war meine Intention. Weil ich bin ja nicht der Dietl und ich habe nicht Riesen-Produktionsgelder, sondern ich bin ein kleiner Comic-Fuzzi, der nebenbei noch Taxi fährt. Meine Lebensrealität ist eine andere wie es dem Herrn Dietl seine war. Der hat München toll eingefangen. Dieses München gibt es auch. Das sitzt auch ab und zu im Taxi. Aber eher selten. Weil das schon eher so eine Upper-Class ist. Denen geht es auch gut, das gibt es schon, weil in München eben im Sommer oft die Sonne scheint. Aber für einen Taxler, wie den Vincent, meinen Protagonisten, ist das nicht so.
Krone: Ist München zu selten mal in so einer alternativen Form dargestellt, das ist ja schon auch eine düstere Stadt durchaus?
Schmolke: Durch unsere Geschichte – Hitler und so weiter – ist das eine düstere Stadt. Und da ist viel Scheiße passiert auch. Klar – und passiert auch immer noch. Und es gibt genauso Probleme wie in jeder anderen Stadt. Ich würde sagen, sogar vielleicht mehr, weil die Schere zwischen denen, die haben und denen, die nichts haben und trotzdem in dieser Stadt leben wollen oder müssen, die ist unglaublich groß in München. Da gibt es wirklich das ganz große Geld und es gibt das ganz kleine Geld. Und das kleine Geld wird so in die Peripherie gedrängt. Dann wohnst halt am Rand irgendwo. Das sind halt die Seiten, die in so einem Film, wie Kir Royal hätte das in den Plot gar nicht reingepasst. Das passt aber bei mir wunderbar rein.
Krone: Also, man kriegt hier wirklich ein alternatives München-Bild zu sehen und zu lesen.
Watty: Noch mal kurz einen Switch, quasi in die aktuelle Situation für Taxifahrer und Taxifahrerinnen: Viele streiken heute gegen die neuen Regeln, die ja vor allem "Uber" das Geschäft erleichtern sollten – will Frank Schmolke auch streiken?
Krone: Nein. In München war der große Streik schon im März. Frank Schmolke war da nicht dabei, er fährt ja mittlerweile nur gelegentlich. Er kann sich aber sehr über "Uber" und auch über Verkehrsminister Andreas Scheuer, der mit diesem neuen Gesetz gerade um die Ecke kommt, über die kann er sich aufregen. Auch in der Graphic Novel gibt es eine kleine Szene dazu: Er sagt: alternative Dienstleister machen schon jetzt in München den Taxi-Markt kaputt.
Die Sendung "Kompressor" widmete sich heute in einem "Taxi-Special" vielen Themen rund um das Taxifahren.