Vor allem eins: Dir selbst sei treu
Graphic Novel über die israelische Schauspielerin Channa Maron
Gezeichnet und getextet von Barbara Yelin und David Polonsky
Reprodukt Verlag, Berlin 2016
80 Seiten, 24 Euro
Erinnerung an die Tel-Aviver Theater-Königin
Bühnenlegende, Künstlerin, Friedensaktivistin: Während Channa Maron in Israel ein Star war, kennt sie Deutschland, wo sie geboren wurde, heute kaum noch jemand. Die Graphic Novel "Dir selbst sei treu" erinnert nun an die 2014 verstorbene Schauspielerin mit Berliner Wurzeln.
Berlin, 1931. Eine schlanke Frau mit schickem Hut und Mantel zieht ein kleines Mädchen durch die Straßen...
"Hannele, nun komm endlich!"
Vorbei an einem Blinden, der Streichhölzer und Bonbons verkauft – der, zwei Buchseiten weiter, gegen die Juden hetzt.
"Das Vorsprechen ist wichtig!"
Die beiden sind auf dem Weg ins Theater. Das Mädchen, ebenfalls hübsch angezogen, hat leuchtend rote Wangen und einen eigenwilligen Charakter. Das zeigt sich bereits in seinem Gesichtsausdruck.
"Gib allen höflich die Hand, hörst du? Und immer lächeln."
In Berlin ein Kinderstar
Das Mädchen heißt Hanna Meierzak – ein Kinderstar in Berlin. Bereits mit vier Jahren stand sie auf der Bühne, spielte den Däumling, das tapfere Schneiderlein, Rotkäppchen. Sie war Erich Kästners erstes "Pünktchen" und in der Eröffnungsszene von Fritz Langs Spielfilm "M" zu sehen.
Dann kam das Jahr 1933. Der Vater merkte schnell: Was sich in Deutschland zusammenbraute, würde nicht gut ausgehen. Er schlug seiner Frau vor, nach Israel auszuwandern.
"Wie? Weg von Berlin? In dieses Land, wo es nur Sand und Kamele gibt? Niemals! Ich geh hier nie fort."
Flucht über Paris nach Tel Aviv
Was Juden waren, wusste das kleine Hannele damals gar nicht so genau. Doch sie musste fliehen. Zuerst nach Paris. Zwei Jahre später nach Tel Aviv. Dort konnte sie endlich Kind sein. So flitzt sie in den Aquarellen der Graphic Novel in kurzen Hosen und mit wirrem Haar den anderen Kindern hinterher, vorbei an den Baustellen einer im Aufbau begriffenen Stadt, vorbei an Autos und Kutschen und ja, vorbei auch an einigen Kamelen.
Mit 17 Jahren besuchte sie dann die Schauspielschule des Habimah – des wichtigsten Theaters Tel Avivs, wo die Akteure nicht nur das Geschehen auf der Bühne diskutierten:
Mann 1: "Habt ihr schon gelesen?! Die Nazis haben Tobruk eingenommen."
Frau 1: "Furchtbare Nachrichten! Was, wenn sie bis zu uns kommen?"
Mann 2: "Es ist so weit, ich melde mich freiwillig, gleich morgen früh."
Mann 3: "Ist es nicht unsere Rolle, hier zu sein?"
Frau 2: "Ist das Theater nicht auch wichtig für unser Land?"
Frau 1: "Wenn die Deutschen uns alle umbringen, gibt es auch kein Theater mehr."
Mann 3: "Aber ich bin kein Soldat, ich bin Schauspieler..."
Frau 1: "Furchtbare Nachrichten! Was, wenn sie bis zu uns kommen?"
Mann 2: "Es ist so weit, ich melde mich freiwillig, gleich morgen früh."
Mann 3: "Ist es nicht unsere Rolle, hier zu sein?"
Frau 2: "Ist das Theater nicht auch wichtig für unser Land?"
Frau 1: "Wenn die Deutschen uns alle umbringen, gibt es auch kein Theater mehr."
Mann 3: "Aber ich bin kein Soldat, ich bin Schauspieler..."
Mitglied im Ensemble des Cameri-Theaters
Channa Maron, so ihr Künstlername, ließ sich von der britischen Armee rekrutieren, spielte vor verwundeten Soldaten, später vor Überlebende der Schoa. Nach der Gründung Israels ging sie ans Cameri-Theater in Tel Aviv. Sie lernte ihren dritten Ehemann, den Architekten Yaakov Rechter kennen, bekam drei Kinder. In ihrem Haus herrschte buntes Treiben: Jeden Freitag kamen Verwandte, Architekten, Künstler, Schriftsteller, Dichter:
Frau 1: "Shalom! Verzeiht die Verspätung. Wir haben deinen Bienenstich mitgebracht."
Frau 2: "Ah, der beste Kuchen von der besten Tante."
Mann 1: "Aber sie müssen verstehen, dass es falsch ist, in den Siedlungen zu bauen!"
Mann 2: "Absolut. Es ist eine verwirrende Zeit für Architekten."
Frau 3: "Habt ihr Nissim Alonis Adaption von Sophokles' 'Ödipus' gesehen?"
Mann 3: "Natürlich. Brilliant, oder?"
Frau 4: "Also ich gestehe, ich fand's furchtbar."
Frau 2: "Ah, der beste Kuchen von der besten Tante."
Mann 1: "Aber sie müssen verstehen, dass es falsch ist, in den Siedlungen zu bauen!"
Mann 2: "Absolut. Es ist eine verwirrende Zeit für Architekten."
Frau 3: "Habt ihr Nissim Alonis Adaption von Sophokles' 'Ödipus' gesehen?"
Mann 3: "Natürlich. Brilliant, oder?"
Frau 4: "Also ich gestehe, ich fand's furchtbar."
Der 10. Februar 1970 brennt sich besonders ein, in das Leben von Channa Maron. Am Flughafen in München wird sie Opfer eines Terroranschlags. Ein Palästinenser sprengte sich vor ihren Augen in die Luft. Maron verliert ein Bein und versinkt in tiefe Depressionen. Barbara Yelins Bild dazu ist stark: Die Schauspielerin liegt auf dem Boden, ist nur von hinten zu sehen. Ihr Blut fließt über in eine von Blau durchtränkte Seite: Die Rettung, das Erwachen, das Begreifen sind darin eingewebt wie diffuse Erinnerungsfetzen.
Doch Channa Maron schafft es, wieder aufzustehen – schafft es zurück auf die Bühne.
Marons Wegbegleiter kommen zu Wort
Die deutsche Zeichnerin Barbara Yelin erzählt die Lebensgeschichte von Channa Maron in schlammigen Erdtönen – tunkt die Szenerien in Braun, Beige, Grün, manchmal auch in Blau und Türkis. Und sie lässt verschiedene Wegbegleiter von Channa Maron zu Wort kommen: Kollegen vom Theater, Familienmitglieder und auch die Dokumentarfilmerin Anne Linsel, die über Maron einen Film gedreht hat und zur Freundin wurde:
"Oh, ich erinnere mich noch, als in Wuppertal, wo wir uns kennenlernten, einmal die berühmte Schwebebahn vorbeifuhr und wie Channa nach oben winkte – wie eine Königin."
Linsel erzählt auch vom politischen Engagement der israelischen Schauspielerin, die sich für eine Zweistaatenlösung einsetzte. Denn ein Künstler, so Channa Marons Überzeugung, müsse auch Bürger sein und sich politisch einmischen.
Schade nur, dass die einzelnen Stationen in Marons Leben eher fetzenhaft umrissen, als "auserzählt" sind. Dass Maron etwa bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen Rabin und Arafat in Washington dabei war, wird in lediglich drei Bildern erzählt – als Fakt, ohne dass der Leser etwa durch eine Anekdote mehr erfährt.
Texte und Fotografien als Ergänzung
Dennoch ist den Künstlern Barbara Yelin und David Polonsky ein facettenreiches Buch gelungen. Der israelische Zeichner steuert Einzelbilder mit den schauspielerischen Höhepunkten von Channa Maron bei und stellt diese der politischen Situation der entsprechenden Zeit gegenüber. Texte und Fotografien ergänzen die Zeichenkunst. Besonders gelungen ist Barbara Yelin der Abschied von Channa Maron: Mit ihrem Tod erwachen die Tontauben auf ihrem Fensterbrett zum Leben und fliegen als Friedenstauben in den Himmel.