Gratismut oder: Feigheit vor dem Freund
Das Gedächtnis der Medien ist kurz, und plötzlich sind alle sich einig, dass Grass nicht nur ein epischer Erzähler ist, sondern eine nationale Institution, die mit oft schwer erträglichen Provokationen Deutschlands Kultur und Politik bereichert hat.
Vor Tisch klang das anders, aber da der 80. Geburtstag des Nobelpreisträgers mit dem 60-jährigen Jubiläum der "Gruppe 47" zusammentraf, fiel das milde Licht des Nachsommers, der die Konturen verwischt und Unvereinbares miteinander versöhnt, auch auf Martin Walser und Walter Jens – um nur diese Namen zu nennen. Beide stehen stellvertretend für eine Plejade tonangebender Schriftsteller, die ihre einstige Mitgliedschaft in der NSDAP jahrzehntelang verschwiegen oder - was noch bedenklicher ist - aus dem Bewusstsein verdrängt hatten. Entsprechend heftig, aggressiv und überreizt war die Reaktion der betroffenen Autoren, die sich zur verfolgten Unschuld erklärten und - nach dem stupiden Motto: Der Bote ist schuld an der Botschaft - den Überbringern der Nachricht unlautere Motive unterstellten oder pauschal das Recht absprachen, über eine Vergangenheit zu urteilen, die sie nicht selbst erlebt hätten. Dabei vergaßen sie, dass Geschichte in der Regel nicht von Zeitzeugen, sondern von Nachgeborenen geschrieben wird - ohne eine die Spreu vom Weizen trennende Quellenkritik ist der Beruf des Historikers obsolet.
Anders ausgedrückt: Man muss nicht in Bautzen oder in Buchenwald inhaftiert gewesen sein, um die Herabwürdigung des Menschen in der DDR oder die Massenmorde des NS-Staats zu be- und verurteilen. Das Ganze ist doppelt absurd, wenn man bedenkt, dass kein Kritiker den genannten Autoren vorgeworfen hat, an politischen Vergehen oder Verbrechen beteiligt gewesen zu sein - im Gegenteil: Selbst Günter Grass, der in einer SS-Division gedient hatte, hielt man seine jugendliche Unerfahrenheit zugute. Niemand brach den Stab über ehemalige Hitlerjungen, die den Verführungen der NS-Propaganda erlegen waren; statt dessen wurde die berechtigte Frage aufgeworfen, warum wortmächtige Intellektuelle wie Walser, Jens und Grass ihre Verstrickung entweder relativiert und bagatellisiert oder schlichtweg geleugnet haben. Der einzige, der sich diesen Fragen gestellt und sie nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet hat, war der frühere Wehrmachtoffizier und emeritierte Altgermanist Peter Wapnewski. An Selbstgerechtigkeit kaum zu überbieten hingegen ist die Haltung von Walter Jens, der in einem Fernsehinterview erklärte, wenn er die Wahl gehabt hätte zwischen Anpassung und Widerstand, hätte er sich genauso verhalten wie die Geschwister Scholl. Dass Jens in Tübingen promovierte und, angeblich gegen seinen Willen, der NSDAP beitrat, während die Geschwister Scholl hingerichtet wurden, kam in der geschönten Selbstdarstellung nicht vor.
Zur Entlastung dieser und anderer Autoren verweist man völlig zu Recht auf ihre Jugend: Walter Jens war bei Kriegsende 22, Grass und Walser gerade mal 18 Jahre alt. Ihre literarische Lebensleistung wird nicht geschmälert durch von außen zudiktierte Funktionen im untergehenden NS-Regime, das die Freiheit der Wahl durch staatlichen Zwang ersetzte. Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus, wenn man der Frage nachgeht, inwieweit ihr späteres Engagement der Kompensierung politischen Versagens oder ideologischer Anpassung diente, ein nachgeholter Antifaschismus, der, anders als der Widerstand gegen Hitler, nicht von besonderem Mut zeugt: Während Oppositionelle im Nazi-Reich und Dissidenten im Ostblock Kopf und Kragen riskierten, war und ist die Kritik an politischen und sozialen Missständen der Bundesrepublik vergleichsweise risikolos. Die Überschärfe dieser Kritik an der noch jungen und unvollkommenen westdeutschen Demokratie bei gleichzeitigem Wegschauen gegenüber Menschenrechtsverletzungen und Zensur im Polizeistaat DDR, laut Günter Grass eine "kommode Diktatur", lässt zwei Schlussfolgerungen zu: Erstens, dass damit Jugendsünden gleichsam überschrieen und eigenes Fehlverhalten kompensiert werden sollte; zweitens, dass das aus der NS-Propaganda stammende Feindbild "westliche Demokratie" ungebrochen weiterwirkte, wobei der Antiamerikanismus als ideologische Klammer zwischen rechts und links fungierte.
Trotzdem stimmt es nicht, dass die "Gruppe 47" antisemitisch war, wie neuerdings behauptet wird: Es genügt, an Marcel Reich-Ranicki, Erich Fried und Peter Weiss zu erinnern, jüdische Emigranten, die das Selbstverständnis der Gruppe prägten, um diesen Vorwurf zu entkräften. Dass Paul Celan mit seiner Lesung durchfiel, steht auf einem anderen Blatt.
Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der Gruppe 47. Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre verschaffte er sich Gehör als Herausgeber theoretischer Schriften, von Dokumentationen und Anthologien. Auch mit seinen Essays versuchte er, politisches und ästhetisches Engagement miteinander zu versöhnen. Erst 1984 erschien sein lang erwartetes Romandebüt: "Die Hochzeit von Port au Prince". Aus seinen Veröffentlichungen: "In Kafkas Schloß", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh". 2004 erschien "Tanzende Schatten".
Anders ausgedrückt: Man muss nicht in Bautzen oder in Buchenwald inhaftiert gewesen sein, um die Herabwürdigung des Menschen in der DDR oder die Massenmorde des NS-Staats zu be- und verurteilen. Das Ganze ist doppelt absurd, wenn man bedenkt, dass kein Kritiker den genannten Autoren vorgeworfen hat, an politischen Vergehen oder Verbrechen beteiligt gewesen zu sein - im Gegenteil: Selbst Günter Grass, der in einer SS-Division gedient hatte, hielt man seine jugendliche Unerfahrenheit zugute. Niemand brach den Stab über ehemalige Hitlerjungen, die den Verführungen der NS-Propaganda erlegen waren; statt dessen wurde die berechtigte Frage aufgeworfen, warum wortmächtige Intellektuelle wie Walser, Jens und Grass ihre Verstrickung entweder relativiert und bagatellisiert oder schlichtweg geleugnet haben. Der einzige, der sich diesen Fragen gestellt und sie nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet hat, war der frühere Wehrmachtoffizier und emeritierte Altgermanist Peter Wapnewski. An Selbstgerechtigkeit kaum zu überbieten hingegen ist die Haltung von Walter Jens, der in einem Fernsehinterview erklärte, wenn er die Wahl gehabt hätte zwischen Anpassung und Widerstand, hätte er sich genauso verhalten wie die Geschwister Scholl. Dass Jens in Tübingen promovierte und, angeblich gegen seinen Willen, der NSDAP beitrat, während die Geschwister Scholl hingerichtet wurden, kam in der geschönten Selbstdarstellung nicht vor.
Zur Entlastung dieser und anderer Autoren verweist man völlig zu Recht auf ihre Jugend: Walter Jens war bei Kriegsende 22, Grass und Walser gerade mal 18 Jahre alt. Ihre literarische Lebensleistung wird nicht geschmälert durch von außen zudiktierte Funktionen im untergehenden NS-Regime, das die Freiheit der Wahl durch staatlichen Zwang ersetzte. Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus, wenn man der Frage nachgeht, inwieweit ihr späteres Engagement der Kompensierung politischen Versagens oder ideologischer Anpassung diente, ein nachgeholter Antifaschismus, der, anders als der Widerstand gegen Hitler, nicht von besonderem Mut zeugt: Während Oppositionelle im Nazi-Reich und Dissidenten im Ostblock Kopf und Kragen riskierten, war und ist die Kritik an politischen und sozialen Missständen der Bundesrepublik vergleichsweise risikolos. Die Überschärfe dieser Kritik an der noch jungen und unvollkommenen westdeutschen Demokratie bei gleichzeitigem Wegschauen gegenüber Menschenrechtsverletzungen und Zensur im Polizeistaat DDR, laut Günter Grass eine "kommode Diktatur", lässt zwei Schlussfolgerungen zu: Erstens, dass damit Jugendsünden gleichsam überschrieen und eigenes Fehlverhalten kompensiert werden sollte; zweitens, dass das aus der NS-Propaganda stammende Feindbild "westliche Demokratie" ungebrochen weiterwirkte, wobei der Antiamerikanismus als ideologische Klammer zwischen rechts und links fungierte.
Trotzdem stimmt es nicht, dass die "Gruppe 47" antisemitisch war, wie neuerdings behauptet wird: Es genügt, an Marcel Reich-Ranicki, Erich Fried und Peter Weiss zu erinnern, jüdische Emigranten, die das Selbstverständnis der Gruppe prägten, um diesen Vorwurf zu entkräften. Dass Paul Celan mit seiner Lesung durchfiel, steht auf einem anderen Blatt.
Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der Gruppe 47. Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre verschaffte er sich Gehör als Herausgeber theoretischer Schriften, von Dokumentationen und Anthologien. Auch mit seinen Essays versuchte er, politisches und ästhetisches Engagement miteinander zu versöhnen. Erst 1984 erschien sein lang erwartetes Romandebüt: "Die Hochzeit von Port au Prince". Aus seinen Veröffentlichungen: "In Kafkas Schloß", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh". 2004 erschien "Tanzende Schatten".