Green New Deal

Vom New Deal der 1930er-Jahre lernen

30:24 Minuten
Gruppenfoto von Franklin Roosevelt, weiteren Regierungsbeamten und Mitgliedern des Civilian Conservation Corps.
Roosevelts New Deal bedeutete für die US-Wirtschaft bis dahin ungekannte staatliche Eingriffe. © Getty Images
Von Martina Groß |
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Regulieren und reformieren: Die Verfechter eines Green New Deal fordern eine radikale sozial-ökologische Wende. Ihr Vorbild ist der New Deal, mit dem Präsident Franklin D. Roosevelt die USA aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre führte.
"Ich bin seit 2018 Aktivistin vor allem für den Green New Deal, weil ich glaube, dass das wirklich das einzige Konzept ist, mit dem wir eine realistische Chance haben, diese Herausforderung auch zu meistern."
Maike Wilhelm ist im Vorstand der paneuropäischen Bewegung "Demokratie für Europa - DIEM25". Die Organisation hat im Verbund mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen 2019 eine sogenannte Roadmap, einen Fahrplan auf 130 Seiten für eine sozial-ökologische Wende veröffentlicht: "Einen Green New Deal für ein zukunftsfähiges Europa."
"Wir müssen versuchen, ein realistisches Szenario zu zeichnen, mit dem wir am Ende des Jahrhunderts nicht vor einer Vollkatastrophe stehen", betont Wilhelm.

"Wir brauchen eine neue wirtschaftliche Vision"

Im Angesicht von Klimakrise, Artensterben und – trotz Wirtschaftswachstums – zunehmender sozialer Ungleichheit wird immer klarer: So wie es ist, wird es nicht weitergehen. Davon geht auch der US-Ökonom Jeremy Rifkin aus, dessen Buch "Der globale Green New Deal" ebenfalls 2019 erscheint.
"Wir brauchen eine neue wirtschaftliche Vision, sie muss überzeugend sein, sie muss schnell umgesetzt werden, sie muss sich in den Industrie- und Entwicklungsländern durchsetzen", sagt Rifkin. "Und wir müssen in spätestens zwanzig Jahren aus der fossil befeuerten Zivilisation ausgestiegen sein."
Seit der Finanzkrise 2008 wird über unterschiedliche New Green Deals diskutiert, aber erst 2019 erreichte die Diskussion eine größere Reichweite: Jeremy Rifkin und Naomi Klein veröffentlichten Bücher dazu, viele haben an komplexen Plänen und Visionen gearbeitet, Absichtserklärungen vorgestellt. Junge Klimaaktivisten marschierten mit selbstgemalten Plakaten für einen Green New Deal durch die Straßen Berlins, New Yorks oder Londons.
Das Besondere an den unterschiedlichen Green New Deals: Es wird zusammengedacht, was lange Zeit gegeneinander ausgespielt wurde. Soziale und ökonomische Gerechtigkeit oder Klimaschutz? Arbeitsplätze oder die Einhaltung des Klimaziels von Paris?
Alle Green New Deals eint ihr Bezug auf den amerikanischen New Deal der 1930er-Jahre. Ein massives staatliches Eingreifen, das die USA aus der Großen Depression führte, die Grundlage für die breiteste Mittelschicht legte und das Land bereit machte für die Anforderungen des 20. Jahrhunderts.
Alte Aufnahme einer Straße mit frisch erbauten kleinen Reihenäusern. Im Vordergrund ein kleiner Junge auf einem Dreirad.
Diese Siedlung in Greendale, Wisconsin, wurde im Zuge des New Deal errichtet. © imago / ZUMA / JT Vintage
Am 23. September 1932 umriss der demokratische Präsidentschaftskandidat Franklin D. Roosevelt sein Programm im Commonwealth Club in San Francisco:
"Unsere Aufgabe besteht jetzt nicht darin, neue natürliche Ressourcen zu entdecken oder auszubeuten oder mehr Güter zu produzieren. Es ist die nüchterne, weniger dramatische Aufgabe, die bereits vorhandenen Ressourcen und Pflanzen zu verwalten, (...) den Reichtum und die Produkte gerechter zu verteilen, die bestehende Wirtschaftsorganisation in den Dienst der Menschen zu stellen. Der Tag einer aufgeklärten Regierung ist gekommen." (*)
"Entscheidend war, dass er die Ehrlichkeit hatte zu sagen, auch ich weiß nicht, was uns in diese katastrophale Krise geführt hat, daher beginne ich bei den ganz konkreten Problemen", sagt der Wiener Ökonom und New-Deal-Kenner Stephan Schulmeister.
"Wir dürfen nicht vergessen, er ist sechs Wochen nach der Angelobung von Adolf Hitler als Präsident der USA inauguriert worden und hat in der schwersten Krise des Kapitalismus genau einen anderen Weg gewählt, nämlich den, auf zivile Weise den Menschen Hoffnung zu geben durch die klare Botschaft: So wie wir bisher Politik betrieben haben, kann es nicht weitergehen. Erste Botschaft. Zweite Botschaft: Damit wir Hoffnung schaffen, müssen wir rasch konkrete Projekte umsetzen, die sowohl den Unternehmern helfen als auch mehr Beschäftigung schaffen. Und zu diesem Zwecke müssen eben auch die Gut- und Besserverdiener höhere Beiträge leisten."

Zur Wirtschaftskrise kam eine ökologische Krise

In der Folge des Börsencrashs von 1929 und der Weltwirtschaftskrise hatten Millionen von Amerikanern alles verloren, ihre Ersparnisse und ihre Arbeit. Die Menschen hungerten.
Um während des Ersten Weltkriegs die Alliierten mit Getreide zu versorgen, hatten die amerikanischen Landwirte den Boden mit maximaler Produktion maximal ausgebeutet. Es gab eine Überproduktion. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise brachen die Exporte ein. Die Farmer mussten ihre Höfe verpfänden. Um die Preise zu stabilisieren, ließen sie die Ernte auf den Feldern verrotten oder vernichteten sie. Doch diese stabilisierten Preise konnte sich wiederum eine verarmte Bevölkerung nicht leisten.
Dazu kamen nach der Überproduktion - vor allem in der Großen Tiefebene - Dürresommer und später Stürme. Zur ökonomischen Krise gesellte sich als ökologische Katastrophe die Bodenerosion.
In der Folge konnten die Farmer ihre Hypotheken nicht mehr bedienen und verloren ihre Höfe. Die Bürger verloren das Vertrauen in ihre Institutionen und ihre Regierung. Banken gingen im Tagestakt pleite. Landesweite Proteste erschütterten die USA. Eine explosive soziale Mischung drohte die Gesellschaft zu spalten.

Massive Eingriffe des Staates

"Heute Abend werde ich über den New Deal sprechen und darüber, inwiefern er ein Modell für einen Green New Deal heute sein kann." Ende Oktober 2019 - 87 Jahre nach Franklin D. Roosevelt - ist Richard Walker, emeritierter Professor für Stadtplanung, im Commonwealth Club in San Francisco zu Gast.
"Es gab Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose mit menschenwürdigen Löhnen, Hilfszahlungen für verzweifelte Arbeiterfamilien, das heißt, für die untere Hälfte oder die unteren zwei Drittel der Bevölkerung. Mit hohen Staatsausgaben wurden die Räder des Aufschwungs geölt, obwohl Defizite damals eigentlich absolut verboten waren. Durch die Löhne und Renten wurde mehr Geld in die Hände der arbeitenden Menschen gespült."
Für die New Dealer gab es aus der Krise der Großen Depression nur die Flucht nach vorne. Innerhalb der ersten 100 Tage versuchte die Regierung mit einer Reihe von Programmen und Maßnahmen, die drängendsten Probleme anzugehen.
"Konkretes Problem Nummer eins war die Instabilität der Finanzmärkte. Ausgelöst und massivst verstärkt durch den Börsencrash von 1929", sagt Stephan Schulmeister.
"Daher hat er in Schritt 1 auf massivste Weise eingegriffen in die sogenannte Freiheit der Finanzmärkte, indem er etwa Spekulationsbanken, Investmentbanking entrang von den normalen Kundengeschäften der Banken, indem er die Möglichkeit der Banken eingeschränkt hat, exzessiv zu spekulieren."

Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik

Ohne genau zu wissen, was die Auslöser der großen Krise waren, bedeutete die Antwort der Regierung Roosevelt auf die große Depression einen Paradigmenwechsel in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Von politischem Willen getrieben brach man mit marktliberalen Dogmen. Zuallererst sollte die Wirtschaft den Menschen dienen. Kredite und Umschuldungen kamen Farmern und verschuldeten Bürgern direkt zugute.
"Zweitens gab es Programme für die Menschen", so Richard Walker. "Durch den CCC, die CWA, die WPA, die NYA - durch die ganze Buchstabensuppe - wurde Arbeit für Millionen geschaffen. Dabei ging es um mehr als Jobs. Es war lebensrettend und sinnstiftend."
Franklin Roosevelt steht am Rednerpult, im Hintergrund die Baustelle eines Staudamms.
Franklin Roosevelt besucht die Baustelle des Chickamauga Staudamms im Tennessee Valley. Das Projekt sollte nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch die Energieversorgung sichern.© Getty Images / Gamma-Keystone / Keystone-France
Der New Deal war im Grunde kein großer Plan. Er war vielmehr ein Flickenteppich verschiedenster Programme und Maßnahmen, die sich wechselseitig verstärkten. Dabei probierten die New Dealer aus, was an fortschrittlichen Ideen bereits in der Luft lag, und verwarfen ganz pragmatisch, was nicht funktionierte.
"Der dritte Bereich war dann eben Investitionsprogramme, bekannt ist aus den Schulbüchern etwa das große Stauwerkprojekt im Tennessee Valley", sagt Stephan Schulmeister. "Hier ging es nicht nur darum, Beschäftigung zu schaffen, sondern zum Beispiel auch der Landwirtschaft eine günstige Energieversorgung zu ermöglichen. "

Infrastrukturprojekte und soziale Absicherung

Der Staat wurde zum Energieversorger und unterstützte die Bürger mit langfristigen Krediten zur Gründung von Genossenschaften, die sich wiederum um den Leitungsausbau kümmerten. Wichtiger Teil des Staudammprojektes war wie in anderen Programmen auch die Wiederaufforstung.
Zentrale Institutionen wie die Public Works Administration vergaben öffentliche Aufträge an private Unternehmen, die investierten und neue Arbeitskräfte einstellten. Brücken wurden errichtet. Mehr als 1 Million Kilometer Straßen. 1.000 Flugplätze. Die Kanalisation und das Stromnetz wurden ausgebaut und unterentwickelte Landstriche angeschlossen. 1.500 Wasserkraftwerke und 70 Elektrizitätswerke entstanden. Wohnungen wurden gebaut. Schulen und Krankenhäuser. Nationalparks, Stadtparks und Spielplätze wurden angelegt oder modernisiert. Insgesamt entstanden über 125.000 neue öffentliche Gebäude. Künstler erhielten Aufträge.
Gleichzeitig wurden ein Mindestlohn eingeführt, die Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche begrenzt, Kinderarbeit verboten. Auch die Gewerkschaften wurden gestärkt: Höhere Löhne galten jetzt nicht mehr nur als Wachstumsbremse, sondern als Nachfragemotor.
"Und letzter wichtiger Bereich: Sozialstaat. Also Einführung von Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, also etwas zu tun, was in Europa zu diesem Zeitpunkt jedenfalls in Grundzügen bereits vorhanden war."
Ein Waldbrandpatrouillen-Auto vor brennenden Bäumen, dahinter schlagen Flammen hoch.
Immer wieder brennt in Kalifornien der Wald. Die Feuer entstehen auch durch Funkenflug oberirdischer Stromleitungen.© imago / ZUMA Press / David Crane
"Warum ist ein Green New Deal heute notwendig?", fragt Richard Walker. "Zunächst haben wir eine Klimakrise, die wie ein außer Kontrolle geratener Zug auf uns zurast. Der Klimawandel liegt nicht in der Zukunft, er ist wirklich im Hier und Jetzt. "
Während Richard Walker seinen Vortrag über den New Deal zum Green New Deal hält, brennen nördlich der San Francisco Bay die Wälder. In den Wintern fällt zu wenig Regen und Schnee. Die Sommer sind zu heiß. Gleichzeitig sind die Immobilien in den Städten begehrte Investitions- und Spekulationsobjekte, die hohe Renditen versprechen. Die Folge sind exorbitante Mieten, die sich in San Francisco immer weniger Menschen leisten können. Sie ziehen in immer abgelegenere Gegenden. Dorthin, wo Immobilien noch bezahlbar sind. Oftmals gibt es in den preiswert errichteten Siedlungen nur eine Durchgangsstraße. 2018 verbrannten Einwohner in Paradise auf der Flucht vor den Flammen im Stau.
Immer wieder entstehen die Feuer durch Funkenflug oberirdischer Stromleitungen, die trockene Blätter und Gräser in Brand setzen. Mitverantwortlich dafür sind fehlende Investitionen in Wartung und Pflege.
Diesmal hat PG&E, der größte US-amerikanische Energieversorger vorsichtshalber das Stromnetz für 2 Millionen Nutzer in der westlichen San Francisco Bay abgeschaltet. Das Unternehmen wird für Millionenschäden und über 80 Tote vergangener Feuer verantwortlich gemacht. Anfang 2019 meldete PG&E Insolvenz an. Es wird diskutiert, den Energieversorger zu verstaatlichen. Wie während des New Deals sind auch heute Finanzspekulationen, wirtschaftlicher Profit um jeden Preis und ökologische Krisen unmittelbar miteinander verbunden.

Umverteilung ohne Wachstum gab es im New Deal nicht

2018 fordern junge Klimaaktivisten des Sunrise Movements in den USA einen Green New Deal. Unterstützt werden sie unter anderen von der jungen demokratischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez. Gemeinsam mit progressiven Parteikollegen bringt sie im Januar 2019 eine Resolution für einen Green New Deal in den Kongress ein. Gefordert wird eine "nationale, soziale, industrielle und ökonomische Mobilisierung" wie während des Zweiten Weltkriegs.
Die Green New Dealer fordern, ebenso massiv auf die Herausforderungen von Klimakrise und sozialer Ungerechtigkeit zu reagieren: Energieproduktion, Verkehr, Wohnen, Stadtplanung – alles soll auf die erklärten Klimaziele von Paris ausgerichtet werden. Dazu kommen eine allgemeine Krankenversicherung, eine Jobgarantie und höhere Mindestlöhne. Wohnen und gesundes Essen. Bis 2030 soll der Green New Deal umgesetzt sein. Ein ambitionierter Plan.
Der New Deal schuf aber auch Probleme, mit denen wir heute zu kämpfen haben:
Die Infrastruktur für einen fossil angetriebenen Verkehr: Lkws, die Waren quer durch das ganze Land transportieren. Die Förderung des Individualverkehrs.
Und: Die Realpolitik Roosevelts fiel hinter dessen eigene Erkenntnisse zurück. Umverteilung ohne Wachstum und die Erschließung neuer Ressourcen gab es auch im New Deal nicht.
"Insofern war Roosevelt schon Pragmatiker, als klar war, wenn 25 Prozent der amerikanischen Arbeiter arbeitslos sind, wenn Hunderttausende Farmer in schwersten Schuldennöten sich befinden, dann kann es ohne einen Wirtschaftsaufschwung nicht gelingen", sagt Stephan Schulmeister.
40 Jahre wird die Politik des New Deals und eines regulierenden Staates selbst von republikanischen Regierungen nicht grundlegend infrage gestellt. Erst in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit der Regierung Ronald Reagans setzt sich der neoliberale Glaube an die selbstregulierenden Kräfte und das Primat des Marktes durch und dringt nach und nach in fast alle gesellschaftlichen Bereiche ein.
"Wir brauchen eine nationale Erneuerung und kollektive Ziele", sagt Richard Walker in seinem Vortrag. "Der Green New Deal ist kein linkes Hirngespinst. Er ist eine Notwendigkeit, oder wir gehen buchstäblich unter. Aber die gute Botschaft ist, wir haben es schon einmal geschafft. Wir können es wieder tun. So einfach ist das, wenn wir uns nur an unsere Geschichte erinnern.

Eine klimaneutrale, gerechte Welt für alle

Währenddessen auf der anderen Seiten des Atlantiks: In Berlin hat die Bewegung Extinction Rebellion zu einer Aktionswoche zivilen Ungehorsams zusammengefunden.
"Bekanntlich haben wir ja nicht nur eine Klimakatastrophe, die aktuell ist, sondern auch eine ökonomische Krise, Finanzkrise, Bankenkrise, Investitionskrise", sagt Sebastian Kaiser von der paneuropäischen Bewegung Diem25. "Wir haben auch eine soziale Krise, zunehmende Ungleichheit, mehr Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsproblematik."
Demonstranten halten ein Plakat mit Smileys und der Aufschrift "Green New Deal".
Seit der Finanzkrise 2008 wird über unterschiedliche New Green Deals diskutiert, aber seit 2019 erreicht die Diskussion eine größere Reichweite.© Getty Images / In Pictures / Mike Kemp
Grundlegend für den Green New Deal der europäischen Bewegungen ist die offensichtliche, aber dennoch erstaunlich folgenlose Beobachtung, dass Finanzsystem, Wirtschaft und Ökosystem eng miteinander verbunden sind. So wird wie im historischen New Deal vorgeschlagen, ein auf kurzfristige Gewinne ausgerichtetes Finanzsystem zu regulieren und zu begrenzen und Nachhaltigkeit zu fördern.
Die Roadmap der Bewegungen bietet einen Fahrplan für ein koordiniertes zivilgesellschaftliches Handeln, das in eine klimaneutrale, gerechtere Welt führen soll. In den Grenzen des Planeten. "Ein Green New Deal für alle!". Darin eingeschlossen sind Jobgarantien, faire Löhne und konkrete Schritte zu einer Erhöhung des Lebensstandards. Investitionen in Gesundheit und Bildung. Neue Mobilitätskonzepte. Globale Gerechtigkeit.

Ein wirklicher Systemwechsel - und zwar zügig

Für die Autoren führt ihr Green New Deal zu einem wirklichen Systemwechsel – zu mehr als "nur" unendlichem Grünem Wachstum.
Im Anblick der Klimakrise brauche es dafür schnelles Handeln. Und das, so die Autoren, könnten vor allem Staaten leisten. Sie allein seien in der Lage, zügig ins große Ganze einzugreifen, zu regulieren und umzulenken.
"Der GND for Europe hat im Prinzip drei große Bereiche, die er behandelt. Das eine ist Investitionen, das Zweite ist Gesetze, Regulierungen und das Dritte ist Institution", sagt Sebastian Kaiser.
"Der erste Punkt Investitionen ist auf jeden Fall ein Kernpunkt. Das war es bei dem New Deal und ist jetzt auch bei dem Green New Deal der Fall. Aber wir wollen natürlich nicht einfach Investitionen im Sinne von Geld in die Wirtschaft pumpen, damit der Laden wieder läuft, sondern gezielte Investitionen in nachhaltige, erneuerbare Energien, in gerechtes Wirtschaften, in soziale Wohnungspolitik. Das sind alles Bereiche, die gezielt unterstützt werden sollen."

Das "Internet der Dinge" als Kern des Konzepts

Wie im New Deal handelt es sich um Regulierungen, Reformen und verschiedenste Programme, die sich gegenseitig ergänzen und verstärken sollen.
Auch der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin setzt im Angesicht der Verhältnisse in den USA seine Hoffnung zunächst ganz auf Europa. Er stellt seinen eigenen Entwurf in seinem Buch "Der globale Green New Deal" vor. Rifkin schlägt die Kopplung dreier paralleler Netzwerke vor: das Internet, wie wir es kennen, sowie ein Strom- und ein Mobilitätsnetz. Alle drei laufen in einem sogenannten "Internet der Dinge" zusammen, einem digitalen "Nervensystem", das alles und jeden miteinander verbindet.
"Die Infrastruktur führt also das Internet zusammen, mit dem wir alle heute in der ganzen Welt kommunizieren. Anderthalb Milliarden Menschen. Und die digitale Kommunikation konvergiert mit einem Strom-Internet. Das ist unser Plan in Europa", betont Rifkin.
"Ein leistungsstarkes kontinentales Gleichstrom-Internet, das es Millionen von Menschen in Europa ermöglichen wird, ihre eigene Sonnen- und Windenergie zu produzieren. Wir haben 70 Millionen Mikronetze in Haushalten, Büros, Nachbarschaften und im Versorgungsbereich vor Augen. Und sie werden dann in der Lage sein, diesen Solar- und Windstrom zu teilen, indem sie die gleichen großen Daten und Analysen verwenden, um Energie zu teilen, die wir für den Austausch von Nachrichten, Wissen und Unterhaltung im Kommunikations-Internet verwenden.
Porträt von Jeremy Rifkin.
In seinem 2019 erschienenen Buch „Der globale Green New Deal“ legt der US-Ökonom Jeremy Rifkin dar, wieso wir eine neue wirtschaftliche Vision brauchen.© Getty Images / Corbis / Stephane Grangier
Rifkins Green New Deal Vision ist zuallererst getragen von einem, wie er es nennt, "techno-sozialem Band".
"Die beiden Internets, das Kommunikations-Internet und das im Entstehen begriffene Green New Deal Strom-Internet, laufen schließlich mit dem Internet, Mobilität und Logistik zusammen. Das besteht aus autonomen elektrischen Fahrzeugen. Und die werden mit Solar- und Windkraft aus dem sich entwickelnden kontinentalen Strom-Internet angetrieben."
Das "Internet der Dinge". Es ist das Herz von Rifkins Green New Deal. Aus ihm heraus sollen sich alle anderen gesellschaftlichen Veränderungen entwickeln. Aber anders als im New Deal soll das "Internet der Dinge" Dezentralität und Transparenz ermöglichen. Eine "Glokalisierung", so Rifkin, in der sich die Gesellschaft demokratisieren wird. Global vernetzt, aber über wirtschaftliche Entscheidungen wird zukünftig passgenau vor Ort entschieden:
"Es geht also um Macht für das Volk. Buchstäblich. Man muss es dort tun, wo man lebt und arbeitet, und in der Nachbarschaft. Dies ist also eine flache, dezentrale Revolution und sie sollte mit einem stärkeren, dezentralen Ansatz für unsere Internet-Kommunikation und unsere Mobilität und Logistik einhergehen."

"Es ist genug Geld da"

Sowohl der Green New Deal Rifkins als auch die Roadmap von Diem 25 und den Bewegungen sehen wie im New Deal die maßgebliche Rolle bei der öffentlichen Hand.
Gleichzeitig schlagen beide Green New Deals vor, dass über die Verwendung der Gelder für die Infrastrukturmaßnahmen auf regionaler, kommunaler und lokaler Ebene entschieden wird.
"Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, dass das nicht so ein Top-Down-Modell ist", so Sebastian Kaiser von Diem25. "Sondern dass das Geld eben wirklich auch dahin fließt, wo es gebraucht wird, und die Kommunen, die Bürgerinnen, sich daran beteiligen können."
Bei all dem Enthusiasmus, den Rifkin und die Verfechter des Green New Deals für Europa verbreiten – es bleiben Fragen. Beispielsweise: Wer soll das bezahlen?
Und da sind die New Green Dealer, so sehr sich ihre Konzepte unterscheiden, erstaunlich einig. "Geld ist genug da", so der Tenor. So geht Jeremy Rifkin davon aus, dass der Markt für fossile Energieträger innerhalb der nächsten zehn Jahre zusammenbrechen wird, weil erneuerbare Energien immer preiswerter und effizienter werden. Die Nachfrage nach grünen, nachhaltigen Anlagemöglichkeiten dagegen werde steigen. Als finanzielles Steuerungselement für einen Green New Deal setzt Rifkin unter anderem auf Pensionsfonds.
"Die suchen nach Investitionen in große Versorgungsinfrastrukturen in den Regionen Europas. Wir müssen also grüne Banken einrichten. Nicht nur die Europäische Investitionsbank, sondern in jeder Region Europas, und dann müssen wir grüne Anleihen ausgeben. Das ganze Geld, das aus der alten Infrastrukturwirtschaft herausströmt, ist an langfristigen Investitionen in Anleihen mit einer Laufzeit von 20 Jahren interessiert, die ihnen eine verlässliche Rendite für ihre Kunden bietet."

Grüne Anleihen analog der Staatsanleihenkäufe der EZB

Die Roadmap von Diem25, das Konzept des Zusammenschlusses der Bewegungen fordert 5 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts an jährlichen Investitionen für einen Green New Deal, so Maike Wilhelm. Das wären 800 Milliarden Euro. Jährlich. Eine hohe Summe, die den Herausforderungen der sozialökologischen Transformation entsprechen soll. Das Geld soll durch nachhaltige, grüne, Anleihenverkäufe der Europäischen Investitionsbank eingeholt werden.
"Da sagen wir jetzt, die EIB soll diese Anleihen ausgeben, und gleichzeitig bürgt die EZB dafür, dass sie im Zweifel die Anleihen über den Sekundärmarkt wieder aufkaufen würden. Im Prinzip machen sie das ja schon seit Jahren mit Staatsanleihen. Das ist ja auch ein bisschen eine umstrittene Grauzone, sage ich mal. Ich glaube aber, dass es Sinn macht, dieses Mandat der EZB zu nutzen und das hat ja auch Roosevelt zum Beispiel für sich getan, als er gesagt hat, die Zentralbank hat sich politischen Zielen unterzuordnen und sie kann dafür eingesetzt werden."
"Das Geld ist also da", so auch Jeremy Rifkin. "Jetzt erfordert es politischen Willen, und um das zu erreichen, müssen die Regionen Europas mit der Kommission und den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten."
Nach einem Jahr, in dem die Proteste von Fridays for Future unübersehbar und unüberhörbar geworden sind, stellt die frisch gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 12. Dezember 2019 auch einen Green Deal vor – einen für Europa. Bis 2050 soll "Europa der erste klimaneutrale Kontinent" werden. Von der Leyen erklärt das Vorhaben zu "Europas-Mann-auf-dem-Mond-Moment". Geplant ist ein kompletter Umbau von Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft – angelegt als neue grüne Wachstumsstrategie.
Demonstrierende mit einem Transparent "The Green New Deal For Europe"
Beim Klimastreik in Deutschland am 29.11.2019 fordern Demonstrierende einen Green New Deal für Europa.© imago / IPON
Für die Klimaaktivisten kommt eine Klimaneutralität bis 2050 viel zu spät.
Inzwischen hat der EU-Rat die Kommission ermächtigt, erstmalig gemeinschaftliche Anleihen an den Kapitalmärkten in Höhe von 750 Milliarden aufzunehmen. Sie sollen für den Corona-Aufbauplan und den Green New Deal verwendet werden. Ein hoffnungsvolles Zeichen? Wie der Green Deal für Europa konkret aussehen soll, darüber wird in diesen Tagen diskutiert.
Kern aller Green New Deals ist ein abgestimmtes massives Investitionsprogramm in eine neue CO2-neutrale Infrastruktur, deren Aufbau zugleich Millionen neuer Jobs schaffen und schließlich in eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft führen soll. Aber auch grünes Wachstum bleibt Wachstum auf einem endlichen Planeten. Für die komplette Umstellung der Stromproduktion auf Solarpanels, Windkraftanlagen, Bioenergie oder Hydroenergie bräuchte es riesige Mengen an Rohstoffen, seltenen Erden und Energie.
"Es ist definitiv so, dass in Zukunft, wenn die Zukunft erneuerbar sein soll, dass es weniger Energie geben wird. Da reichen auch nicht Effizienzmaßnahmen aus, um das aufzufangen, sondern wir brauchen auch Suffizienzmaßnahmen, also das Auskommen mit tatsächlich weniger Energieverbrauch. Und deswegen auch in Teilen weniger Wirtschaftsproduktion."
Der Postwachstumsforscher Matthias Schmelzer bezweifelt die Kernthese des Green New Deals, vor allem durch massive Investitionen in eine nachhaltige ökologische Infrastruktur, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Bisher hat sich die Hoffnung, Wirtschaftswachstum von Rohstoffverbrauch und Energieverbrennung zu entkoppeln, nicht erfüllt.
"Und deswegen argumentieren wir und auch viele andere, dass ein heutiger GND sich eigentlich von Wirtschaftswachstum lossagen müsste. Und investieren müsste in eine erneuerbare Zukunft, auch in erneuerbare Jobs, in diese Bereiche, aber gleichzeitig einen starken Fokus legen müsste auf das Zurückfahren der Teile der Ökonomie, die eben nicht zukunftsfähig sind."

Umverteilung statt Wachstum

Matthias Schmelzer schlägt eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und dem Wohlstand einer Gesellschaft vor.
"Dafür braucht es eigentlich nicht Wirtschaftswachstum, sondern Umverteilung, eine gerechte Verteilung der gesellschaftlichen vorhandenen Ressourcen ist ein viel effektiverer Weg als Wirtschaftswachstum, um eben soziale Gleichheit herzustellen und steigenden Wohlstand für alle zu ermöglichen."
Die Green New Deals haben nicht nur Beschränkung und Verzicht im Angebot, sie bieten durchaus positive Visionen, wie eine globale gerechtere und ökologische Zukunft aussehen könnte; eine andere Form von Wohlstand. In der Menschen frei von Existenzängsten leben. Darin knüpfen sie an Roosevelts New Deal an, hinter dessen Reformen ein Freiheitsbegriff stand, der soziale und ökonomische Sicherheit einschloss.
Auch wenn die Situation heute weitaus komplexer ist als 1933, als Franklin D. Roosevelt seine Antrittsrede als Präsident hielt, sein berühmter Satz seiner Inaugurationsrede gilt damals wie heute:
"Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst – die namenlose, blinde, sinnlose Angst, die die Anstrengungen lähmt, derer es bedarf, um den Rückzug in einen Vormarsch umzuwandeln."
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben eine inhaltliche Korrektur vorgenommen und einen Satz, der nicht die wörtliche Rede Roosevelts wiedergibt, gestrichen.

Die Erstsendung des Features von Martina Groß war am 3. November 2020.

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