Greenpeace: Gas nicht einfach ausströmen lassen

Greenpeace verlangt von dem Energiekonzern Total Aufklärung darüber, wie viel Gas sich noch in dem Reservoir unterhalb der Nordseeplattform Elgin befindet. Das Risiko einer Explosion sei noch immer gegeben, sagte ihr Mitarbeiter Jörg Feddern.
Gabi Wuttke: Ein Problem in nur ein paar Tagen zu lösen, das ist gemeinhin schnell. Nicht aber, wenn es sich um ein Leck in einer Bohrinsel handelt, aus dem mindestens hochexplosives Gas strömt, und sich zudem ein Ölfilm auf der Wasseroberfläche weiter ausbreitet. Wie in der Nordsee, 240 Kilometer entfernt von der schottischen Küste. Das Leck ist lokalisiert, Gas strömt weiter aus. Am Telefon begrüße ich um 6:50 Uhr den Meeresbiologen Jörg Feddern von Greenpeace. Einen guten Morgen nach Hamburg!

Jörg Feddern: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Vier Kilometer tief sitzt das Leck. Wie ist da ranzukommen?

Feddern: Das ist jetzt die Entscheidung der Experten vor Ort, zu entscheiden, wie man an dieses Leck kommt. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die diskutiert werden: Die eine Möglichkeit ist, dass man versucht, dieses Bohrloch – oder diesen Bohrschacht, muss man besser sagen – von oben zu verstopfen mit Bohrschlamm, um dieses Leck zu schließen. Oder aber man versucht es mit einer Entlastungsbohrung wie bei der Deepwater Horizon von vor zwei Jahren, dass man von der Seite quasi unterhalb dieses Lecks an diesen Bohrschacht herangeht und ihn dann verschließt. Das sind zwei Optionen, die möglich sind. Es wird mit Sicherheit sehr, sehr schwierig werden. Wir sind erst mal froh, dass Total nach fast drei Tagen das Leck endlich gefunden hat. Jetzt gilt es, zügig dieses Leck zu stopfen, um eben den Austritt des Gases – das wurde im Beitrag ja eben erwähnt – zu stopfen. Denn – und das ist auch ein bisschen verwunderlich – auf dieser Plattform brennt immer noch eine Fackel. Diese Fackeln dienen dazu, überschüssiges Gas abzufackeln. Da man aber diese Bohrplattform aufgrund dieses Unfalles zügig verlassen musste, hat man diese Fackel nicht abgeschlossen und geschlossen, sodass eben immer noch eine Explosionsgefahr besteht.

Wuttke: Ja, unser Korrespondent in Großbritannien hat ja auch keine Antwort auf die Frage gefunden, warum sie noch an ist.

Feddern: Diese Abfackelungsanlage ist für die Sicherheit zuständig. Das heißt, bei der Förderung fallen viele, viele verschiedene Gase an und die muss man reinigen. Und das überschüssige Gas muss irgendwo bleiben. Und das lässt man über diese Abfackelungsanlage verbrennen. Und das dient auch für die Plattform als Sicherheit. Und es ist zu vermuten, entweder ist das Pflicht, dass man die Ventile offen lässt, damit das restliche Gas abgefackelt werden kann, oder aber man musste so schnell diese Plattform verlassen, dass man einfach keine Zeit mehr hatte, diese Fackel … oder mit dem überschüssigen Gas noch was anderes zu machen. Fakt bleibt: Wir sind gestern rübergeflogen, wir haben diese Fackel gesehen und das Risiko einer Explosion ist dadurch immer noch gegeben. Denn entscheidend ist auch: Niemand, niemand, auch Total, darf momentan auf diese Plattform. Es gilt für alle dieses Betretungsverbot, nicht nur für Nicht-Angehörige von Total, sondern auch Total darf zurzeit diese Plattform nicht betreten.

Wuttke: Das ist aber ein weiterer Hinweis darauf, dass das Problem, wie Total gestern noch gesagt hat, nicht in ein paar Tagen gelöst werden kann. Die Dauer, die es braucht, um dieses Leck zu verschließen, hat das was mit der Tiefe zu tun, in der es sitzt? Vielleicht können Sie uns mal sagen, wie tief saß das Leck denn bei der Deepwater Horizon? Kann man da irgendwas vergleichen?

Feddern: Bei der Deepwater Horizon ist der sogenannte Blow-out-Preventer, also ein Gerät kaputtgegangen, was verhindern sollte, dass das Öl und das Gas, was aus dem Bohrloch kommt, ungehindert austreten kann, und das war in 1500 Metern Meerestiefe, also direkt auf dem Meeresboden. Hier ist das Meer etwa 93 Meter tief. Und jetzt müssen Sie sich vorstellen, jetzt gehen Sie noch mal 4000 Meter in diesen Bohrschacht rein und nach 4000 Metern ist irgendwo in diesem Bohrschacht ein Leck, ein Loch, wie auch immer. Und da, aus diesem Loch strömt das Gas aus dem Boden, dann über den Bohrschacht nach oben und entweicht. So müssen wir das in etwa vorstellen.

Und das ist es ja, dieses Bohrloch, dieses Gasfeld war eigentlich schon aufgegeben, das heißt verlassen. Total hat letztlich dieses Gas, was da drin ist, abgeschöpft und hat es nicht mehr für wert betrachtet, den "Rest" – ich sage es mal in Anführungszeichen – des Gases noch abzubergen. Und nun stellt sich natürlich die Frage auch an Total: Wie viel Gas ist in diesem Reservoir denn noch drin? Also, Total spricht ja auch davon, dass man eventuell dieses Gas einfach ausströmen lassen kann und wartet, bis es vorbei ist. Und das kann es nicht sein, weil, damit wird die Umwelt beziehungsweise das Klima belastet. Wir fragen uns natürlich: Wie viel Gas ist drin und was unternimmt Total jetzt, damit dieses Gas aufhört zu strömen?

Wuttke: Der zuständige schottische Minister, auch er fordert von Total Transparenz. Wozu, Herr Feddern, sind denn die Betreiber in Europa verpflichtet?

Feddern: In erster Linie sind sie dazu verpflichtet, einen Notfallplan vorzulegen, den die Behörden genehmigen müssen in England, damit überhaupt gebohrt und gefördert werden darf. Dieser Notfallplan beschreibt im Prinzip, was passiert oder was das Unternehmen, was bohrt, unternehmen will, wenn es zu einem Unfall kommt. Und jetzt ist der Unfall da und deswegen wäre es für uns natürlich von großem Interesse zu sehen, wie diese Notfallpläne aussehen. Die sind nicht öffentlich. Das kritisieren wir schon seit Langem, es wäre gut, wenn diese Notfallpläne veröffentlicht werden, damit unabhängige Experten die bewerten können und eventuell Nachbesserungen fordern können. Das ist schon eine lange Forderung von uns, damit mehr Transparenz herrscht und damit man wirklich auch versuchen kann, nachzubessern.

Denn dieses Erdölfeld, was Total dort vor etwa 12 Jahren angestochen hat, ist ein sehr, sehr, wie soll man das sagen, schwieriges Ölfeld, dort unten herrschen extrem hohe Drücke, extrem hohe Temperaturen. Und Total sagt selbst: Dieses Erdölfeld ist ein Novum gewesen, es überhaupt zu erschließen, und es war eine sehr große technische Herausforderung, überhaupt an das Gas heranzukommen. Im Umkehrschluss muss das heißen: Dementsprechend müssen auch Notfallpläne aussehen, damit eben solch ein – ich sage es mal ruhig – gefährliches Ölfeld auch immer unter Kontrolle bleiben kann, was jetzt momentan nicht der Fall ist. Deswegen noch mal die Frage an Total: Was gedenken sie jetzt zu unternehmen, wie lange müssen wir noch mit diesem Gas rechnen und wie viel ist überhaupt noch drin?

Wuttke: Wir müssen uns ja mal vor Augen führen, dass Shell vor der Küste von Alaska nach Öl bohren darf, das geht also in Richtung USA. Aber das, was Sie schildern, heißt ja auch, nach der Explosion von Deepwater Horizon hat die Politik in Europa auch nichts gelernt und die Leine für die Ölkonzerne lang gelassen?

Feddern: Es sind Vorbereitungen getroffen in Europa, die Ölindustrie ein bisschen mehr in die Verantwortung zunehmen. Der zuständige Kommissar Oettinger hatte letztes Jahr neue Maßnahmen vorgestellt, die sind jetzt im politischen Prozess. Wie lange das dauert, wissen wir nicht. Wir haben damals gesagt und gefordert – zumindest bei Tiefseebohrungen –, dass es erst mal ein Moratorium geben darf. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen: In der Nordsee passieren Hunderte von Unfällen jedes Jahr. Dort treten durch den alleinigen normalen Betrieb über 10.000 Tonnen Öl in die Umwelt. Und es kommt eben immer wieder zu Unfällen. Der Deepwater-Horizon-Unfall war ein sehr großer Unfall, dieser Unfall dieser Gasplattform ebenfalls, und jetzt schielt die Ölindustrie nach Alaska beziehungsweise in die Arktis.

Und unsere Forderung ist ganz klar an die Politik, an die Nationen, die betroffen sind, die eben die Hoheit über die Arktis haben, dass die Öl- und Erdgasindustrie dort draußen bleiben muss. Wenn es nämlich dort zu einem Unfall kommt, dann sind die Folgen und die Schäden ungleich höher als im Golf von Mexiko oder jetzt in der Nordsee, weil die klimatischen Bedingungen und die Wetterbedingungen ganz, ganz andere sind als bei uns. Und ein Beispiel zeigt der Öltanker Exxon Valdez: Nach über 20 Jahren hat sich das Ökosystem immer noch nicht von diesem Unfall von 1989 erholt.

Wuttke: Die Bohrinsel Elgin in der Nordsee, dazu Einschätzung, Information und der Blick nach vorne und zurück von dem Meeresbiologen Jörg Feddern von Greenpeace im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Herr Feddern, besten Dank!

Feddern: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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