Debatte um Krieg und Literatur
Gilt als einer der größten Autoren, die je lebten: Leo Tolstoi. © Victor / Sputnik / dpa / picture alliance
Ist Tolstoi mit schuld am Ukraine-Krieg?
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Tragen die Werke Tolstois oder Turgenjews eine Mitschuld am Krieg Russlands gegen die Ukraine? Die ukrainische Autorin Oksana Sabuschko vertritt diese These. Schriftsteller Mathias Greffrath hält entschieden dagegen.
„Wir sind im Krieg, und da gehen die Emotionen hoch", sagt Schriftsteller Mathias Greffrath. "Und in diesem Fall sind die Emotionen sehr hochgegangen, mit Frau Sabuschko“, fügt er an. Die ukrainische Autorin hatte in der "Neuen Züricher Zeitung" der russischen Literatur eine Mitschuld am Ukraine-Krieg und den Grausamkeiten russischer Soldaten gegeben.
Sabuschko trete in ihrem Artikel die russische Literatur in toto in die Tonne, sagt Greffrath. Sinngemäß schreibe sie, diese Literatur sei Ausdruck eines brutalen Nationalcharakters. Wir müssten uns gar nicht wundern, dass da vergewaltigt und getötet werde und dass Kinder umgebracht würden.
„Es ist eigentlich dumm, was sie schreibt“
Der Schriftsteller kritisiert, dass Sabuschko Tolstois Satz „Es gibt keine Schuldigen auf der Welt“ aus dem Zusammenhang gerissen habe und eine Erzählung von Turgenjew als Beweis für die Brutalität des russischen Soldaten insgesamt nehme.
Turgenjews Schilderung schlimmer Verhältnisse werde in den Artikel „mit der Unterstützung oder geradezu mit der Produktion von schlimmen Verhältnissen identifiziert“. Dies sei erstens eine maßlose Überschätzung von Literatur, „und zweitens: Es ist einfach ungerecht." Greffrath weiter: "Es ist eigentlich dumm, was sie schreibt.“
Nach Ansicht von Greffrath sind Werke von Autoren wie Tolstoi, Dostojewski oder Tschechow europäische oder auch eurasische Literatur – und stehe zugleich für die "Sehnsucht, nach Europa zu kommen“. Die große Literatur Russlands habe immer mit dem Blick nach Westen geschrieben, so der Publizist.
Fehler der 50er-Jahre nicht wiederholen
Er hält nichts davon, wenn Theater aufgrund des Krieges russische Stücke auf der Bühne kommentieren. Tue man dies, „dann heißt das immer auch, wir tun es eigentlich mit ein bisschen schlechten Gewissen. Wir müssen uns erklären.“
Wenn man russische Stücke zeige, so solle man es auch mit Selbstbewusstsein tun, findet Greffrath. Er sagt: „Diese Dummheit, die wir gemacht haben, in der 50er-Jahren, Bertolt Brecht nicht zu spielen – obwohl wir sehr viel über uns und über die anderen hätten lernen können –, die wollen wir doch bitte nicht wiederholen.“
(tmk)