Gregor Gysi: "Ein Leben ist zu wenig"
Aufbau-Verlag 2017
583 Seiten, 24 Euro
"Da sollen sie mich mal kennenlernen!"
Vom Aufwachsen mit Hauspersonal bis zu seinen Tricks als Rechtsanwalt in der DDR - auf dem blauen Sofa präsentierte sich Gregor Gysi gewohnt schlagfertig und eloquent. Und er verriet uns auch, was er sich für sein Alter vorgenommen hat.
"Ein Leben ist zu wenig" - so heißt die Autobiografie von Gregor Gysi. Nein, er sei nicht plötzlich Buddhist geworden, sagte Gysi im Gespräch mit Moderatorin Susanne Biedenkopf auf unserem "blauen Sofa". Aber beim Schreiben habe er festgestellt, dass er im Grunde mehrere Leben gelebt habe: Zunächst die Kindheit und Jugend in der DDR, wo er als Sohn des DDR-Kulturministers und Staatssekretärs für Kirchenfragen, Klaus Gysi, heranwuchs. In einem offenen Haushalt, in dem Besucher aus aller Welt ein- und ausgingen, und in dem es für Gregor und seine Schwester sogar ein Kindermädchen gab: "So was von ungewöhnlich in der DDR!", sagt Gysi. "Vielleicht hatten 200 Familien so etwas wie ein Kindermädchen."
Die wirklichen Interessen des Gegners kennen
Als zweites Leben bezeichnet Gysi sein Studium in der DDR, das er mit viel Glück gut zu Ende gebracht hat. Das dritte Leben dann führte er als Rechtsanwalt in der DDR, wo er seit 1971 auch Systemkritiker wie Robert Havemann oder Bärbel Bohley vertrat.
"Die DDR hat sich im Laufe der Jahrzehnte verrechtlicht, sodass du mit Rechtspositionen mehr Erfolge erzielen konntest. Es gab allerdings eine Ausnahme: wenn es wirklich oder vermeintlich um politische Machtfragen geht", so Gysi. "Und deshalb habe ich den Kontakt hergestellt zur Abteilung Staat und Recht des ZK der SED."
Denn als Anwalt habe er gelernt, dass man nicht nur die Interessen seines Mandanten kennen müsse, sondern auch sehr gut die des Gegenübers. "Das habe ich eben gelernt, und das prägt mich bis heute."
Wie das chinesische Regime aus Ai Weiwei einen Weltstar machte
Zum Beispiel habe er im vergangenen Jahr mit einem Vizeminister des ZK über die unterschiedlichen Strategien der DDR und der Bundesrepublik im Umgang mit Oppositionellen gesprochen: "Die DDR hat die Oppositionellen immer eingesperrt. Vorher kannte den Maler kein Mensch, die Sängerin kannte auch kein Mensch – danach waren sie dann weltberühmt. Und der andere deutsche Staat sagte, lass die doch quatschen, was sie wollen, die kennt ja doch keiner", erzählt Gysi.
"Wollen Sie mir damit sagen, dass wir aus Ai Weiwei einen Weltstar gemacht haben?", habe ihm der chinesische Vertreter entgegnet. "Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass sie ihre eigenen Interessen verletzen. Darüber denken sie dann nach. Und das ist so eine Methode von mir geworden, und damit kannst du dann gelegentlich auch Erfolg haben."
Auch seine Zeit im wiedervereinigten Deutschland teilt Gysi in zwei Leben ein: das erste sei "sehr unangenehm" gewesen, weil die Mehrheit der Politiker und Journalisten ihn abgelehnt hätten. Über viele Jahre hätte er dann um eine "Rufänderung" gekämpft.
"Das war eine harte Arbeit und nun habe ich einen Grad der Akzeptanz erreicht, dass das Leben in der Bundesrepublik Deutschland für mich jetzt anders aussieht", so Gysi. "Und nun kommt ja irgendwann wieder ein neuer Lebensabschnitt. Und den bringe ich in meinem Epilog zum Ausdruck und sage: Ich bin wild entschlossen, das Alter zu genießen. Da sollen sie mich mal kennenlernen!" (uko)