"Euphorisch war ich nicht"
25 Jahre nach der deutsch-deutschen Währungsunion blickt Linken-Fraktionschef Gregor Gysi zurück - und verweist auf die negativen Folgen. Erst seien heimische Produkte verschwunden, dann ganze Firmen.
Der Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, hat die Folgen der am 1.7.1990 geschlossenen Währungsunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR kritisiert.
"Natürlich geht es vielen Leuten besser. Und in mancher Hinsicht geht es sogar jedem besser, weil es mehr Freiheiten und vieles andere gibt. Aber das hat ja weniger mit der Währungsunion zu tun. Aber vielen Leuten ging es auch gar nicht gut."
"Natürlich geht es vielen Leuten besser. Und in mancher Hinsicht geht es sogar jedem besser, weil es mehr Freiheiten und vieles andere gibt. Aber das hat ja weniger mit der Währungsunion zu tun. Aber vielen Leuten ging es auch gar nicht gut."
Gysi verwies insbesondere auf die negativen Auswirkungen der Währungsunion für die ostdeutsche Wirtschaft. Er sei damals überhaupt nicht euphorisch gewesen, weil ihm schon früh klar gewesen sei, dass die DDR-Wirtschaft zusammenbrechen werde. Der politische Fehler dieser Zeit habe außerdem darin bestanden, dass man die wissenschaftlichen und künstlerischen Eliten nicht vereinigt habe, betonte Gysi:
"Ein Schlagersänger wie Frank Schöbel, der ja nicht schlechter war als westdeutsche Schlagersänger, hatte drei Jahre eben keine Chance und erst danach eine. Und das war die Schuld der Politik. Das hätte man anders machen und anders organisieren können. Und dann hätte es auch eine andere Zustimmung gegeben."
Die griechische Schuldenkrise
Gysi ging auch auf die griechische Schuldenkrise und eine mögliche Umstellung der griechischen Währung ein: "Das ist auch ein bisschen Ironie der Geschichte, gefährdet aber die europäische Idee." Er sei gegen den Weg der drei europäischen Institutionen und auch der Bundesregierung, weil dessen Risiken unkalkulierbar seien:
"Ich verstehe sie zwar politisch, dass sie eine linke Regierung nicht mögen. Das ist ja alles nachvollziehbar. Aber einen Crash-Kurs darf man nie in Kauf nehmen, weil man seine Folgen nicht abschätzen kann."
Im Augenblick bestünde eine "sehr gefährliche Situation", meinte Gysi. Wenn allerdings alle Länder wieder ihre nationalen Währungen einführen würden, dann seien weder der Franc, der Peso noch die Drachme etwas wert:
"Die deutsche Mark hat einen ganz hohen Wert. Das klingt ganz nett, weil dann unsere Sparguthaben wieder einen höheren Wert haben. Aber wir sind viel zu teuer. Und dann können wir so gut wie nichts exportieren. Dann kriegen wir Massenarbeitslosigkeit und sonstige Folgen. Gerade wir Deutschen brauchen den Euro am dringendsten."
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Und was macht der Deutsche, wenn er sich freut? Er trinkt Bier, wedelt Fähnchen und drückt auf die Tube, schrieb eine Kollegin mal so treffend Anfang Juli 1990. Der Satz stimmt irgendwie immer noch, aber vor 25 Jahren kam noch eine besondere Komponente hinzu: Der Deutsche – korrekterhalber müssen wir hier sagen, der DDR-Bürger, der er da noch war, schwenkte auch die neuen Scheine, nämlich die D-Mark. Am 1. Juli 1900 wurde die D-Mark in der DDR eingeführt:
O-Ton: Also das wird wohl das erste sein, was man sich zulegt, eine neue Waschmaschine, einen neuen Automaten. Das spricht schon an.
O-Ton: Also die Freude soll ja sein, aber man soll die Basis behalten, das Gefühl für die Realitäten. Es wird für uns sehr hart werden.
O-Ton: Schon am Montag waren die Preise so angestiegen, ich habe also die Verkäuferin, die Kellnerin gefragt, ob ihr Gehalt in gleicher Weise gestiegen ist. Natürlich nein.
O-Ton: Es ist doch Marktwirtschaft!
O-Ton de Maizière: Wir haben jetzt ein Geld, das uns in allen deutschen Landen reisen lässt.
O-Ton Kohl: Jetzt wird für die Menschen in Deutschland in wichtigen Bereichen ihres täglichen Lebens die Einheit erlebbare Wirklichkeit. Den Deutschen in der DDR kann ich sagen, was auch Ministerpräsident de Maizière betont hat: Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser.
25 Jahre - nach den Worten des damaligen Kanzlers Helmut Kohl spreche ich jetzt mit Gregor Gysi, 1990 Vorsitzender der PDS und jetzt noch Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag. Ich grüße Sie!
Gregor Gysi: lch grüße Sie, Frau Brink!
Brink: Wie klingen denn diese Kohl'schen Worte heute bei Ihnen?
Gysi: Na ja, es liegt eben schon 25 Jahre zurück. Aber es war damals falsch, und es ist partiell auch heute noch falsch. Natürlich geht es vielen Leuten besser, und in mancher Hinsicht geht es sogar jedem besser, weil es mehr Freiheiten und vieles andere gibt. Aber das hat ja weniger mit der Währungsunion zu tun.
Aber vielen Leuten ging es auch gar nicht gut: Wenn ich an die Rentnerinnen und Rentner denke, an die vielen Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger, an die vielen Menschen, die ihre Arbeit verloren hatten. Männer sind auch anders gestrickt als Frauen. Männer bewerten ihre Bedeutung ja eigentlich nur über ihre Arbeit.
Und wenn die dann ihre Bedeutung verlieren, dann sind auch Familien auseinandergegangen und vieles anderes mehr. Das ändert aber wiederum nichts an den großen Leistungen, die die gesamte deutsche Bevölkerung bei der Vereinigung vollbracht hat. Aber mit solchen Sätzen muss man eben sehr vorsichtig sein.
"Ich hatte auch ein paar Schwierigkeiten"
Brink: Für viele war ja dieser Tag, also dieser 1. Juli 1990, wie ein zweiter Mauerfall, das haben mir damals viele berichtet. War es das für Sie auch?
Gysi: Nein. Ich hatte auch ein paar Schwierigkeiten, überhaupt daran zu denken, dass ich mein Konto umtauschen musste und so weiter. Ich war damals so im Stress. Das habe ich schon hinbekommen. Und natürlich ist es wunderbar, plötzlich mal eine frei konvertierbare Währung zu haben, egal, wo man hinfährt, das Geld gilt. Das kannte man ja nun in der DDR überhaupt nicht. Dein Geld war ja draußen so gut wie nichts wert. Das ist schon sehr viel bequemer, sehr viel angenehmer, gerade im Urlaub, gerade, wenn man verreist. Aber natürlich hing damit auch eine Vielzahl von Problemen zusammen. Nur es war schwer, eine Sicht auf diese Probleme damals in der Bevölkerung zu gewinnen, obwohl ich mir ja in der Volkskammer Mühe gegeben habe. Aber es war trotzdem schwer.
Brink: Also keine Euphorie? Hätte man eigentlich denken können?
Gysi: Nein. Euphorisch war ich nicht, weil mir klar war, dass unsere Wirtschaft ja zusammenbrechen muss. Wenn du plötzlich eine andere Währung einführst, eine viel höherwertige Währung einführst, und bis dahin die Produkte gekauft wurden – damals gab es ja noch die Sowjetunion – von der Sowjetunion, von allen Nachbarländern in der DDR, war mir doch klar, die bezahlen dafür doch kein Westgeld. Also das ging nicht mehr. Und Folgendes: Nach einer Statistik ist es so, dass 80 Prozent der Unternehmen, die von Westdeutschen gekauft worden sind, in Insolvenz gegangen sind, aber nur 20 Prozent der Unternehmen, die von Ausländerinnen und Ausländern gekauft worden sind.
Und das lag natürlich nicht daran, dass die Westdeutschen nicht wollten oder nicht konnten, sondern das lag nur daran, dass viele Konkurrenzbetriebe aufkauften, um sie zu schließen. Ich werde Ihnen ein Beispiel schildern. Es gibt hier eine berühmte Batteriefabrik heute, und es gab eben auch eine Batteriefabrik in Ostberlin. Und die große Batteriefabrik sagte dann der Treuhandanstalt, sie sind an dieser Fabrik interessiert. Und dann sagten die, na, wunderbar, und dann bekamen die Einblick in alle Unterlagen, in die Kunden und so weiter.
Dann haben sie mitgeteilt, sie sind doch nicht interessiert und haben den Kunden dieser Berliner Fabrik angeboten, ihre Batterien zum halben Preis der Berliner Fabrik. Na, dann musste natürlich die Berliner Fabrik dicht machen, hatten keine Chance mehr. Dann haben sie die Preise erhöht. Und so was alles ist passiert, und das schürt dann eine Stimmung. Natürlich gab es auch ganz positive Übernahmen, wo sich die Unternehmerinnen und Unternehmer größte Mühe gegeben haben, das Ganze wirklich zu retten und so weiter. Aber es gab eben auch diese Fälle. Damals war das schon hart.
Brink: Aber man kann es ja auch andersherum denken. Sie haben es jetzt von Unternehmerseite, von Treuhand-Seite aus gedacht. Man könnte sich ja auch auf den Standpunkt stellen und sagen, na ja, auch die DDR-Bürger wollten diese Produkte plötzlich nicht mehr kaufen.
Gysi: Haben Sie völlig recht. Wir haben ja mal ein Plakat gemacht, "Ostprodukte kaufen sichert Arbeitsplätze" oder irgendwie so, auch ein bisschen problematisch, weil man muss ja auch Westprodukte kaufen dürfen, aber es war halt in der Anfangszeit. Und weil, das war psychologisch völlig erklärbar.
Wenn du immer unter einem Waren- und Dienstleistungsmangel gelitten hast, wie das in der DDR der Fall war, immer das, was man brauchte, gab es gerade nicht et cetera, dann hast du natürlich einen Drang nach einer anderen Qualität und nach anderen Produkten. Und es dauerte eine Weile, bis die Leute mitbekamen, dass die Tomaten oder die Säfte, die unmittelbar von hier kommen, natürlich besser schmecken als die aus Holland. So nach drei Jahren gab sich das, aber der politische Fehler bestand ja darin, dass man die Eliten nicht vereinigt hat.
Und damit meine ich jetzt nicht die politischen Eliten, sondern ich meine die wissenschaftlichen, die künstlerischen und so weiter. Wissen Sie, ein Schlagersänger wie Frank Schöbel, der ja nicht schlechter war als westdeutsche Schlagersänger, hatte drei Jahre eben keine Chance, und er danach eine. Und das war Schuld der Politik.
Das hätte man anders manchen und anders organisieren können und da hätte es auch eine andere Zustimmung gegeben. Aber Sie haben völlig recht. Wir Ossis haben natürlich den Fehler begangen, dass wir zunächst alles gern aus dem Westen kaufen wollten, bis uns dann plötzlich klar wurde, dass das zum Teil auch Blödsinn ist.
"Ein bisschen Ironie der Geschichte"
Brink: Wenn wir uns jetzt mal die Situation in Griechenland ansehen, dann könnte man ja denken, da passiert gerade der umgekehrte Fall, also der Fall von der starken Währung, also dem Euro, in die schwache Währung, in die Drachme - könnte passieren, das wissen wir ja noch nicht. Ist das Ironie der Geschichte oder wie sehen Sie das?
Gysi: Das ist auch ein bisschen Ironie der Geschichte, es gefährdet aber die europäische Idee. Wir dürfen das ja nicht unterschätzen. Wenn Griechenland wirklich aussteigt aus dem Euro, dann ist die Vorstellung, dass die mit uns den Wechselkurs Drachme-Euro vereinbaren, glaube ich, daneben. Das werden die nicht machen. Die werden dann nutzen, dass ihre Währung nichts wert ist, weil sie das, was sie herstellen, dann viel, viel billiger exportieren können.
Und unsere Exporte werden unbezahlbar in Griechenland. Die können wir dann einfach vergessen und einstellen. Aber das nächste Problem ist: Die griechischen Banken, die ja pleite gehen können, stecken ja auch in den bulgarischen und in anderen Banken. Dort werden ja auch Krisen ausgelöst. Das Ganze kann sich ausweiten über Portugal und Spanien auch in andere Länder.
Und das Risiko - deshalb bin ich so gegen den Weg der drei europäischen Institutionen und auch der Bundesregierung. Ich verstehe die zwar politisch, dass die eine linke Regierung nicht mögen und so weiter, das ist ja alles nachvollziehbar. Aber einen Crash-Kurs darf man nie in Kauf nehmen, weil man seine Folgen nicht abschätzen kann. Und deshalb sehe ich eine Gefährdung für die europäische Idee.
Und das ist das Letzte, was wir uns leisten können, weil die Europäische Union einen großen Vorteil hat, dass es zwischen den Mitgliedsländern keinen Krieg geben kann. Und deshalb darf die nicht aufgelöst werden. Und im Augenblick, tja, haben wir eine sehr gefährliche Situation.
Und übrigens, wenn alle die nationalen Währungen wieder bekommen: Darf ich Ihnen mal beschreiben, was dann passiert? Also, dann ist es so: Dann ist der Franc nichts wert, der Pesos nichts wert, die Drachme ist erst recht nichts wert. Die Deutsche Mark hat einen ganz hohen Wert. Das klingt ganz nett, weil dann unsere Sparguthaben wieder einen höheren Wert haben, aber wir sind viel zu teuer. Und dann können wir so gut wie nichts exportieren, dann kriegen wir Massenarbeitslosigkeit und sonstige Folgen. Gerade wir, wir Deutsche brauchen den Euro am dringendsten.
Brink: Jetzt haben wir ein wahres Währungskarussell hier in Gang gesetzt. Können Sie sich noch erinnern, wo Sie Ihre Ostmark getauscht haben am 1. Juli 1990?
Gysi: Ja, bei der Sparkasse, wie es sich gehört, direkt neben meiner Wohnung in Lichtenberg.
Brink: Gregor Gysi, vielen Dank! Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag. Dankeschön!
Gysi: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.