Gregor Sander über sein Buch "Alles richtig gemacht"

"Die 90er in Berlin waren besonders"

09:56 Minuten
Gregor Sander steht am Meer und lächelt in die Kamera.
"Ein DDR-Kapitel konnte ich mir nicht verkneifen", erzählt Gregor Sander. © Thorsten Futh
Moderation: Andrea Gerk |
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Die Eltern nicht zu Hause, man selbst ist Teenager und hat auch noch Zugang zum Weinkeller. So fühlten sich die 90er-Jahre in Berlin an, meint Gregor Sander. "Alles richtig gemacht" heißt sein Roman über die Zeit vor und nach der Wende.
Andrea Gerk: Zwei Jungs wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten – der angepasste Thomas, der später Rechtsanwalt wird, und der Außenseiter Daniel. Die beiden lernen sich im Rostock der Vorwendezeit auf dem Schulhof kennen und werden Freunde fürs Leben. Nach 1989 betreiben sie in Berlin eine Bar. Ständig ist einer verliebt. Schließlich landen sie einen Coup mit gefälschter Kunst, der alles durcheinander und aus dem Gleichgewicht bringt.
Obwohl also vieles schiefgeht, hat Gregor Sander seinem neuen Roman den Titel gegeben "Alles richtig gemacht". Ich muss gestehen, ich habe dieses Buch dermaßen gern gelesen. Es sind tolle Figuren, die Geschichte packt total, es steckt ganz viel deutsch-deutsche Geschichte bis in den bröckelnden Putz hinein drin. Es ist in einem tollen Ton erzählt. Eigentlich gibt es gar nicht mehr viel dazu zu sagen.
Gregor Sander: Das wäre aber schade.
Gerk: Ist das ein gutes Kompliment für einen Autor oder ist es doch schöner, wenn viel gefragt wird?
Sander: Ach, wenn die Leserin oder der Leser so ganz zufrieden sind, dann habe ich auch nichts gegen, wenn danach überhaupt keine Frage mehr offen ist. Das ist eine gute Frage, ob das dann eigentlich gut ist. Aber wir sollten uns doch hier ein bisschen mehr Mühe geben.
Gerk: Auf jeden Fall. Der Zeitraum, in dem die Geschichte spielt, reicht von den 80ern bis in die Jetztzeit. Da steckt Thomas, dieser Anwalt, in einer totalen Krise. Die Frau und die Kinder sind zumindest vorübergehend weg, da taucht dann Daniel wieder auf und auch die Vergangenheit. Ist das eine Situation, die man eher fürchtet oder herbeisehnt, wenn noch mal alles auf Anfang steht wie bei ihm?

Ungleiche Freunde

Sander: Beides vielleicht tatsächlich. Unterschwellig wünscht man sich das auch, gerade wenn irgendwie alles schiefläuft, dass man von irgendwo aus anderer Richtung Hilfe bekommt. Aber ob der Daniel, der wiederkehrende Daniel – nach über zehn Jahren taucht er plötzlich wieder auf –, ob der wirklich eine große Hilfe ist, das stellt sich erst noch raus.
Gerk: Das sind wirklich zwei vollkommen unterschiedliche Männer. Ist das auch so ein bisschen Voraussetzung, um überhaupt gute Freunde zu werden?
Sander: Man hat das oft, dass man sich fragt, warum sind die beiden eigentlich miteinander befreundet. Die sind so unterschiedlich, aber gleichzeitig auch untrennbar. Ich habe auch so ein paar Freunde, die, glaube ich, nicht unbedingt genauso sind wie ich. Das ist natürlich auch erzählerisch ein großer Reiz, wenn man so zwei verschiedene Typen hat, die auf Situationen anders reagieren.
Der eine ist mal ein bisschen feige, der andere hat seine Zunge permanent nicht im Zaum. Da entsteht natürlich was Spannendes draus, da kann man schön erzählen.
Gerk: Und wer ist Ihnen näher, Thomas oder Daniel?
Sander: Ach, ich mag die beide schon. Natürlich, der Daniel, das ist so ein Haudrauf, der läuft wie so eine Katze jedem Wollknäuel hinterher. Das macht natürlich Spaß, so auf Dauer geht der einem auch ein bisschen auf die Nerven.

"Ich hatte große Lust auf dieses Nachwendige"

Gerk: Es ist auch wie schon in den früheren Romanen und Erzählungen ein Buch über Deutschland, die Zeit vor und auch nach der Wende. Das vergegenwärtigen Sie sehr atmosphärisch dicht und irgendwie packend. Was lässt Sie denn an diesem Zeitraum, der auch unser Leben ist, was lässt Sie daran nicht los?
Sander: Ich glaube, dass das unser Leben ist. Dieses Mal hatte ich große Lust auf dieses Nachwendige. Also ein DDR-Kapitel konnte ich mir nicht verkneifen, aber alle anderen 15 Kapitel spielen nach dem Mauerfall bis in die heutige Zeit.
Sowas wie Rostock-Lichtenhagen oder auch manchmal nur irgendein Musiksong, der für die Jungs prägend war, dazwischen bewegt sich das, und so ist auch das Leben von vielen Menschen. Das sind manchmal Banalitäten, die einen prägen, und manchmal ist es auch die große Historie.
Gerk: Und wo holen Sie das her? Es kommt einem tatsächlich sehr nah, auch diese Zeit nach '89. Die ist nun auch schon eine Weile her. Da muss man gar nicht mehr in die DDR zurückgehen, aber, wie gesagt, das ist so genau beschrieben, dass ich mich gefragt habe, haben Sie das noch so parat oder müssen Sie da auch noch mal recherchieren?
Sander: Teils, teils. Ich bin kein großer Aufheber. Ich sammle nicht und ich schreibe auch kein Tagebuch. Aber einige Sachen sind tatsächlich so einprägsam, dass ich mich sehr gut dran erinnere. Dann gehe ich auch immer auf eine Reise. Das ist das Spannende an so einem Buch, wo man irgendwie denkt, es kommt zum Beispiel Tschernobyl kurz drin vor, dass es Anfang der 90er-Jahre wieder hochgefahren wurde.
Immer, wenn ich das wieder später beim Korrekturlesen gelesen habe, musste ich nachgucken, ob das wirklich stimmt. Aber solche Sachen findet man dann. Andere Sachen lasse ich mir manchmal auch erzählen. Ich lese Bücher, ich gucke Filme, ich begebe mich in die Zeit, auch in die Sprache der Zeit.
Gerk: Aber die Figuren bleiben. Deren private Geschichte ist eigentlich schon das, was im Vordergrund steht.
Sander: Absolut.

"Ich möchte mit dieser Geschichte berühren"

Gerk: Sie machen das ganz elegant, dass die Geschichte immer so beiläufig erzählt wird. Dann erfahren die beiden, kriegen auch mit, wie diese Ausländerheime direkt nach der Wende angegriffen werden. Das ist Ihnen auch wichtig, dass das nicht so ein Geschichtsbuch wird.
Sander: Nein, absolut. Also die Amerikaner nennen das so schön Fiction und die Sachbücher Non-Fiction. Das, finde ich, ist klar getrennt, und ich bin ganz klar im Fiction und möchte eine Geschichte erzählen und eine sehr menschliche Geschichte erzählen und möchte mit dieser Geschichte auch berühren.
Die Figuren sollen den Leserinnen und Lesern auch nahekommen, sie sollen in das Leben dieser Jungs eintauchen. Wir reden immer nur über die Jungs hier, aber es gibt auch noch Kerstin ...
Gerk: Es gibt auch tolle Frauen.
Sander: Genau. Zwei wirklich sehr wichtige Frauen, die auch eine große Rolle in dem Roman spielen. Auch sich da einzufühlen in diese weibliche Seele und die zu beschreiben, das macht mir schon großen Spaß.
Gerk: Jetzt war die Wendezeit offenbar, auch so wie Sie es noch mal vergegenwärtigen, ein ganz offenes Feld, in der auch wirklich schier alles möglich schien. Da macht man einfach mal eine Bar auf und legt los oder kommt auf irgendwelche verrückten Ideen und malt irgendein Kunstwerk und verkauft es. Was war das für eine Energie damals?
Sander: Diese 90er-Jahre, besonders in Berlin, die waren schon besonders. Das war so ein bisschen, als wenn die Eltern nicht zu Hause sind und man selber ist 16 und hat Zugang auch zum Weinkeller. So benehmen sich die Jungs und alle um sie herum auch.
Es war überhaupt nicht international, so wie Berlin heute ist. Man hat kaum, noch nicht mal Englisch gehört, also sehr selten. Dann war sehr viel Platz da, alles war relativ billig, und dann kommt man auf so Ideen wie die Jungs, die dann die Makrelenbar in einem alten Uhrengeschäft eröffnen und es jeden Donnerstag betreiben. Davon gab es x solcher illegalen oder halblegalen Bars.

"Da stehen einige Pfosten im Weg"

Gerk: Ist auch ein bisschen schade, dass diese Energie so weg ist, oder?
Sander: Ja, aber das gehört, glaube ich, einfach auch dazu. Sowas hält nur eine Weile. Dann wurde Berlin irgendwann interessant und auch für Spekulationen interessant und geschäftlich interessant. Dann wird sowas natürlich ganz schnell an den Rand gedrückt, obwohl es erst natürlich genau die Leute anlockt.
Gerk: Jetzt heißt der Roman "Alles richtig gemacht". Das machen die beiden natürlich gar nicht. Es ist auch ironisch gemeint. Es wäre auch langweilig, wenn man im Leben alles richtig machen würde.
Sander: Ja, ich glaube, manchmal versucht man es und es geht dann doch schief. Manchmal kann man dem Menschen gar keinen Vorwurf machen. Dann geht es doch. Im Fußball steht dann der Pfosten im Weg, und so geht es den Jungs auch. Da stehen einige Pfosten im Weg, aber einige Sachen machen sie auch gerade raus und nutzen ihre Gelegenheit teilweise auch und versuchen, mit dem Leben und mit sich klarzukommen. Aber es gelingt dann doch nicht immer.
Gerk: Also ich mochte die beiden sehr, sehr gern, und am Schluss ist es mir richtig schwergefallen, als der Roman zu Ende war. Geht Ihnen das dann auch so, wenn Sie die dann so loslassen müssen, sind jetzt so im Leben?
Sander: Nein, kann ich gut. Nein, die Figuren, das ist immer ein bisschen wie Familie. Die sind einem schon wahnsinnig nah. Ich habe fünf Jahre an dem Roman gearbeitet, weil ich parallel noch an einem Drehbuch geschrieben habe. Wenn das dann vorbei ist, ich lasse die auch echt gern gehen dann.

Eine ziemlich männliche Geschichte

Gerk: Dieses Drehbuch, da wollte ich Sie auch drauf ansprechen, das kommt im November ins Kino, von Ihrem letzten Roman "Was gewesen wäre" die Verfilmung, unter anderem mit Christiane Paul. Wie ist das, wenn sowas parallel läuft? Wirkt sich das dann auch auf das Schreiben am Roman aus?
Sander: Gute Frage, müsste man mal hinterher … Ich kann das gar nicht …, weil ich so drin war. Ich habe beim Drehbuchschreiben gemerkt, meinen eigenen Roman als Drehbuch zu schreiben, dann entstehen so große Pausen durch die Finanzierung und so weiter, das kann ich jetzt hier nicht an einem Stück machen, dann werde ich irre.
Dann habe ich angefangen, den Roman zu schreiben. "Was gewesen wäre" ist eher ein Roman aus der Sicht einer Frau. "Alles richtig gemacht" ist eine ziemlich männliche Geschichte. Dann hatte ich immer wieder die Schwierigkeit, dann musste ich immer wieder in diese Frauenwelt zurück, dann musste ich wieder zu den Jungs rüber.
Da habe ich dann oft eine Woche gebraucht, um überhaupt wieder reinzukommen. Gleichzeitig hat es mich aber auch ein bisschen – also es waren eigentlich zu viele Bälle in der Luft, ganz klar, ich war überfordert auch ein bisschen –, aber das hat eine ganz gute Energie gekriegt. Das war ein bisschen vielleicht wie Berlin in den 90er-Jahren.
Gerk: Jetzt kann man sich diesen Roman "Alles richtig gemacht" auch sehr gut als Film vorstellen. Wer würde denn die zwei Hauptrollen spielen?
Sander: Ach, das wäre schwer. Wir bräuchten jüngere, so wie bei "Was gewesen wäre", die Christiane Paul spielt die Hauptrolle, und die junge Astrid, die wird gespielt von Mercedes Müller. Die beiden teilen sich die Rolle, und machen das ganz wunderbar. Die sehen sich ähnlich, aber sie bewegen sich auch ähnlich. Das ist schon ein großes Glück, wenn man dann zwei so Figuren kriegt. Das heißt, für Daniel und Thomas bräuchte ich dann schon vier. Da müsste ich noch mal mit einer Casterin reden.
Gerk: Denken wir erst mal drüber nach und lesen erst noch mal Ihren Roman!
Sander: Genau!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Außerdem haben wir Gregor Sander nach seinem "Buch des Lebens" befragt. Seine Antwort: "Jahrestage" von Uwe Johnson. Warum, erklärt er hier:
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