Greifarme voll mit Korallen

Von Jens Wellhöner |
Um den Geheimnissen der Tiefsee auf die Spur zu kommen, hat das Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften einen Tiefseeroboter bauen lassen, den sogenannten ROV 6000. ROV steht für "Remotely Operated Vehicle", was so viel heißt wie "Ferngesteuertes Fahrzeug". Bis zu 6000 Meter tief kann er tauchen.
Der Tiefseeroboter ROV 6000 taucht ab. Ein über drei Meter langer und zwei Meter hoher Kasten, vollgestopft mit High-Tech. Auf dem Weg zum Meeresboden liegt um ihn herum nur Dunkelheit, selbst die hellen Scheinwerfer des Roboters können sie nicht durchdringen. Wie sein Name schon sagt, kann das Gerät bis zu 6000 Meter tief tauchen. Über ein Glasfaserkabel schickt es Videobilder zum Kontrollraum. Hier schaut Martin Pieper aufmerksam auf die Bildschirme:

"Dies ist ein Video aus der letzten Ausfahrt, die wir hatten. Dort sind wir aus einer Tiefseeebene von 5000 Metern eine Hangstruktur hochgeflogen. Und das ist jetzt ungefähr 1800, 1600 Meter."

Das Video vom Meeresgrund ist schon einige Monate alt. Und Martin Pieper sitzt an diesem Tag nicht auf einem Schiff sondern auf dem Gelände des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften, der Heimatbasis des Tiefseeroboters. Der Kontrollraum befindet sich dort in einem Schiffscontainer, ist aber voll funktionsfähig. Hier zeigt Martin Pieper das Video vom Mittelatlantischen Rücken, einem Unterwassergebirge mit Vulkanen, zwischen Europa und Nordamerika:

"Man sieht das Lavageröll, so vereinzelt Korallen. Das wird schon ein bisschen belebter, wenn man weiter runterkommt, ist der Bewuchs nicht mehr ganz so stark."

Wenn man auf die Videobildschirme im Kontrollraum schaut, kommt man sich wirklich so vor wie auf einem Forschungsschiff mitten auf dem Atlantik. Dabei befindet man sich an Land. Martin Pieper ist der technische Leiter des Projekts ROV 6000. Und führt nun vor, wie "sein" Roboter funktioniert.

Der steht in einer Halle, nur 20 Meter entfernt. Und reagiert auf jeden Befehl aus dem Kontrollraum. Martin Pieper bewegt zunächst zwei Miniatur-Greifarme vor sich am Kontrollpult. Die sehen haargenau so aus wie ihre großen Brüder draußen am Tiefseeroboter:

"Alle Gelenke, die an dem Arm unten sind, sind hier oben auch noch mal. Und je nach dem, wie wir hier oben das bewegen, bewegt sich der Arm unten nach und macht das, was wir wollen. Meistens."

Um zu hören und zu sehen, wie sich die großen Robotergreifarme bewegen, gehen wir in die große Halle gleich neben dem Kontrollraum. Dort steht der Tiefseeroboter auf dem Trockenen. Martin Pieper schaltet zunächst den Strom ein. Dann bewegen sich die beiden Greifarme an der Frontseite des Roboters. Mit seiner Klaue aus Stahl kann der Arm einen Korallenstock, einen Gesteinbrocken oder andere feste Gegenstände vom Meeresboden heben.

Gleich darauf fährt eine Schublade an der Unterseite des Roboters aus. Auf dem Meeresboden kann der Arm die Gesteinsprobe vorsichtig in der Schublade deponieren, die dann gleich darauf wieder unter dem Roboter verschwindet. Nach dieser Demonstration kehrt Martin Pieper wieder zurück in den Kontrollraum. Hier flimmern gleich mehrere Videobildschirme. Zwei davon sind besonders wichtig:

"Die beiden untern hier, das sind Touchscreens. Damit wird das gesamte Gerät kontrolliert. Also die Steuerung. Sieht auch so aus, wie man das aus einem Flugzeugcockpit kennt, mit künstlichem Horizont, einem Kompass. Die wichtigsten Daten sind hier abrufbar und sofort zu sehen. Also wie die Motoren arbeiten, wie viel Power wir brauchen. Und das können wir alles von hier oben aus steuern und überwachen."

Die anderen Bildschirme zeigen die Bilder vom Meeresgrund. Die drei Kameras des Roboters schwenken dafür nach allen Seiten und liefern einen Rundumblick. Kommt etwas Interessantes in Sicht, steuert Martin Pieper den Roboter direkt dorthin. Indem er zwei Joysticks bewegt:

"Zum einen haben wir hier die beiden Pucks. Das sind so eine Art Joysticks, wie am Rechner auch. Also wenn man nach vorne schiebt, dann fliegt das Gerät nach vorne. Wenn man nach hinten zieht, dann fliegt er nach hinten, seitwärts, man kann ihn drehen..Und mit diesem Hebel fliegt er hoch und runter."

Auf den Videobildern gleitet der Roboter langsam über den Meeresboden, fast so wie ein Flugzeug:

"Merkt man schon, dass es dem Fliegen näher ist als irgend etwas zu fahren."

Und so "fliegt" der Techniker seinen Roboter über den Meeresgrund. Und der liefert dabei gestochen scharfe Bilder. Fritz Abegg, dem wissenschaftlichen Teamleiter des Projekts ROV 6000, hat der Tiefseeroboter einen Wunschtraum erfüllt. Endlich, so sagt er, wird das Forschen in großen Tiefen leichter:

"Oh, erheblich. Sie können endlich gezielt Proben nehmen, unter Super-Videoüberwachung. Sie haben eine HD-Kameraauflösung, von der man sich vorher überhaupt nicht vorstellen konnte, damit am Meeresboden Bilder zu produzieren. Wenn man sich vorstellt, dass die Oberfläche des Mondes nach wie vor bekannter ist als der Meeresboden, sind wir hier mit einem Gerät ausgerüstet, mit dem wir endlich viele Rätsel aus der Tiefsee lösen können."

95 Prozent des Meersbodens kann der ROV 6000 erreichen. Und Meeresbiologen, Geologen oder Chemiker mit neuen Daten versorgen. Ohne, dass die Wissenschaftler selber in U-Booten abtauchen müssen. Das bedeutet, weniger Risiko und zudem eine erhebliche Kostenersparnis. Ein mögliches Einsatzfeld ist in Zukunft die Erdbebenforschung. Denn die Wissenschaftler wollen am Meeresgrund Erdbebenmessgeräte installieren.

Fritz Abegg: "Wenn man sich überlegt, dass in der Tiefsee Netzwerke verlegt werden sollen, mit Sensoren. Diese Sensoren müssen gewartet werden. Für diese Aufgaben werden ROVs eingesetzt werden müssen."

Im nächsten Frühjahr geht der Kieler Tiefseeroboter wieder auf große Fahrt, zum Mittelatlantischen Rücken. Bis dahin wird er noch einmal auf Herz und Nieren getestet. Damit auch alles klappt, in 6000 Metern Tiefe.