Folgerichtige Abschottung oder unnütze Schikane?
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Sind Grenzschließungen vertretbar, um die Verbreitung von Coronaviren zu verhindern? Oder sind die Einschränkungen den Bewohnern der Grenzregionen nicht zuzumuten? Unsere Korrespondenten in Sachsen und Bayern haben dazu zwei Meinungen.
Pro Grenzschließung (Alexander Moritz)
Es müssen weniger Menschen aus Tschechien nach Sachsen kommen. Zumindest für eine Weile, weil wir jede Chance nutzen müssen, um eine mögliche dritte Welle zu verhindern.
Davor nämlich warnen Virologen: Während die Neuansteckungen zurzeit sinken, könnten im Hintergrund die wesentlich ansteckenderen Virusmutationen Anlauf nehmen. In den tschechischen Grenzregionen hat sich die britische Mutation schon weit verbreitet. Sie macht einen Großteil der Neuinfektionen aus. Mitte März könnte das Virus auch hier wieder in die Phase des exponentiellen Wachstums gehen, warnte kürzlich Dirk Brockmann vom Robert-Koch-Institut.
Schon während der Herbstwelle war offensichtlich, dass es in den grenznahen Regionen Sachsens besonders viele Neuansteckungen gab. In Tschechien und Polen kursierte das Virus, die Grenzen blieben offen. Daraus hat die Landesregierung offenbar gelernt.
Dass diese Entscheidung nicht leichtfällt, macht Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer immer wieder deutlich. Eine "furchtbare Grenze" nennt er die Linie durch das Erzgebirge. Doch bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 1000, bei der mehrere tschechische Regionen liegen, wäre auch bei jedem deutschen Landkreis Schluss. Eine Abschottung sei zwingend erforderlich, argumentiert Kretschmer. Er hat recht.
Das mag brachial wirken, auch unsolidarisch, weil Deutschland damit tschechischen Arbeitnehmerinnen das Leben schwerer macht, während gleichzeitig hier Grundschulen und Frisiersalons geöffnet werden. Doch es ist eine folgerichtige Entscheidung. Abschottung ist der Preis für Lockerungen.
Schnelltests können helfen, sind aber zu fehleranfällig. Zwar soll das aus Tschechien pendelnde Personal in Kliniken und Pflegeheimen nun jeden Tag getestet werden. Wenn dabei aber auch nur eine von zehn Infektionen nicht erkannt wird, reicht das, um gravierende Ausbrüche zu verursachen.
Über 50 Mutationsfälle sind in Sachsen bislang bekannt. Nicht bei allen ist klar, woher die Ansteckungen kommen. Die Mutationen sind also schon da. Die Beschränkung des Grenzverkehrs könnte immerhin helfen, das Virus zu verlangsamen, die Welle abzuschwächen und dadurch schließlich früher Lockerungen zu ermöglichen – eine Hoffnung für Menschen auf beiden Seiten der Grenze.
Contra Grenzschließung (Tobias Krone)
Es ist fast ein wenig beruhigend, Bundesinnenminister Horst Seehofer dabei zuzuhören, wie er Grenzkontrollen fordert. Man fühlt sich an die Jahre 2015 bis 2018 zurückversetzt, als die Bundesrepublik noch nicht mit einem globalen Virus kämpfte, sondern "nur" mit dem Rechtspopulismus – und einer CSU, die versuchte, die AfD zu Wahlkampfzwecken rechts zu überholen.
Ja, eine Brise Vor-Corona-Normalität scheint uns nun wieder einzuholen. Die Bundestagswahl rückt näher, deshalb hat die Vernunft im politischen Geschäft ab sofort wieder Pause. Grenzkontrollen also sollen uns schützen vor dem Virus, weil es auf einmal wieder vor allem aus dem Ausland kommen soll.
Ja, es ist richtig, wenn wir uns alle weiterhin vor Corona schützen, auch vor den mutierten Viren. Doch Kontrollen an Grenzen bringen wenig Positives außer Stau und viel bilateralen Frust. Denn sie bedienen nationalistische Impulse – und zwar nicht nur im eigenen Land, wo man sich vermeintlich sicher fühlen soll, sondern leider auch auf der anderen Seite, wo man mit Trotz reagiert. Gerade in Tirol scheint eine wirtschaftspolitische Lobby das Virus für erledigt erklärt zu haben. Sie dürfte die Signale an der Grenze als zusätzliche Schikane empfinden.
Ja, natürlich haben die höheren Inzidenzzahlen jenseits der Grenze auch mit den laxeren Maßnahmen dort zu tun. Doch haben wir nicht im Inland wirksame Maßnahmen, die auch im Supermarkt, im Krankenhaus oder im Pflegeheim auf der deutschen Seite der Grenze die Verbreitung aufhalten? Wenn man sich daran hält?
Es ist nun einmal die Realität in Grenzregionen, dass man den Austausch lebt und braucht, von Waren und von Arbeitskräften. Gerade für letztere, die seit Monaten Stammkunden bei Testzentren sind, dürften die zusätzlichen Staus ein weiteres Zeichen dafür sein, dass Deutschland ihnen misstraut.
Im Frühjahr waren die Grenzen für ein paar Wochen wirklich geschlossen. So weit traut sich Horst Seehofer nicht mehr. Deutschland braucht Europa, ganz besonders an der Grenze. Warum muss nun wieder deutsche Grenzpolizei diese Realität infrage stellen?