Grenzstädte Görlitz und Zgorzelec über PiS- Regierung

"Wir leben die Europastadt"

Der Fluss Neiße trennt die Stadt Görlitz in Sachsen (l) von der polnischen Stadt Zgorzelec, aufgenommen am 07.08.2014
Der Fluss Neiße trennt die Stadt Görlitz in Sachsen (l) von der polnischen Stadt Zgorzelec, aufgenommen am 07.08.2014 © picture alliance / ZB / Jens Wolf
Von Bastian Brandau |
Bis 1945 waren Görlitz und Zgorzelec eins. Seit 1990 wachsen die beiden Städte an den Ufern der Neiße wieder zusammen. Wie geht man in der Europastadt mit der neuen polnischen Regierung um, die das deutsch-polnische Verhältnis durch nationalistische Töne belastet?
Warme Luft strömt von Heizstrahlern unter der Decke im Restaurant Gut am See im Görlitzer Süden. Langsam füllt sich an diesem Abend der turnhallengroße Saal. Kellner reichen Getränke und Snacks. Am Ende des Raumes lockt das Buffet, zu dem der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege bei seinem Neujahrsempfang eingeladen hat.
Ansprache Oberbürgermeister: "Ja meine Damen und Herren, ich freu' mich erstmal, dass sie meine Einladung gefolgt sind, und hier im Gut am See persönlich erschienen sind."
Gekommen sind Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Feuerwehr, alle, die zum Zusammenleben in der 55.000-Einwohnerstadt beitragen. Networking auf lokaler Ebene, die hier aber immer international ist. Man hört fast ausschließlich deutsch, aber natürlich sind auch Vertreter der Nachbarstadt Zgorzelec anwesend, von der Görlitz nur durch die Neiße getrennt ist.
Oberbürgermeister Deinege stellt die Projekte und Planungen vor: Ausbau zu Wohnquartieren, eine bessere Anbindung zum aus einem ehemaligen Tagebau entstandenen See und die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Keine Rolle in seiner Ansprache spielt die neue polnische Regierung, die seit einigen Monaten das Verhältnis zwischen Warschau und Berlin durch nationalistische Töne belastet. Sie ist aber durchaus vorhanden in den Köpfen und Gesprächen.
Margrit Kempke hat in Görlitz für die evangelische Kirche gearbeitet, leitet außerdem zwei Stiftungen. Sie schwärmt von der Zusammenarbeit und Freundschaft über die Grenzen hinweg. Aber nun erlebt sie auch anderes.
"Ich habe vor kurzem eine E-Mail von einem polnischen Pfarrer bekommen, der in allen Tönen Herrn Kaszynski gelobt hat und dann mich bat, dazu Stellung zu nehmen. Was sagen Sie dann dazu? Sagen Sie, lieber Bruder, ich bin deiner Meinung, weil wir ja Glaubensgeschwister sind? Entgegnen dem, was Sie wirklich meinen? Sagen Sie was von im Sinne nee, das ist der größte Stuss, den ich je gehört habe? Was machen Sie da? Ein gutes Verhältnis belasten, ja oder nein? Gar nicht reagieren? Ich habe es gut, bisher lauter Leute getroffen, die gesagt haben, das haben wir nicht gewählt."
Keine PiS-Hochburg
Die Partei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS hat ihre Hochburgen im polnischen Osten, nicht hier an der polnisch-deutschen Grenze. In Zgorzelec hat sie nur einen von 21 Sitzen im Stadtrat. Auch der Oberbürgermeister und der ihn an diesem Abend vertretende Kulturbürgermeister Radoslaw Baranowksi sind nicht von der Kaszynski-Partei.
"Also das, was auf Regierungsebene passiert, das hat keine Auswirkungen auf die Kontakte, die hier vor Ort sind, hier in der Grenzregion, zwischen den Gemeinden. Das sieht man schon, wenn man zurückblickt auf die letzten 20 Jahre. Es gab auch Zeiten, in denen es schwierig war, Kontakte aufzunehmen oder zu pflegen. Aber das haben wir geschafft. Und unsere Kontakte sind so intakt, sind so zwischen uns geregelt, dass wir keinerlei Auswirkungen von der Regierung spüren. Es sei denn, es kommt zu außergewöhnlichen Entwicklungen. Aber ansonsten keine Auswirkungen."
Am Tag nach dem Neujahrsempfang: Oberbürgermeister Deinege sitzt in einer Filmkulisse, in seinem Amtszimmer aus dem 16. Jahrhundert. Deinege, parteilos und seit drei Jahren im Amt, erläutert die enge Zusammenarbeit zwischen Görlitz und Zgorzelec. Es gibt Verwaltungsteams, die sich monatlich treffen und gemeinschaftliche Projekte anschieben, einmal im Jahr tagen die Stadträte gemeinsam. Die Stadt, die bis 1945 eins war, wachse nach der Teilung im Kalten Krieg immer weiter zusammen, und daran könne auch eine Regierung in Warschau wenig ändern, sagt Deinege.
"Mit meinem polnischen Kollegen habe ich es diskutiert, aber das ist unsere Sache."
Wenig glücklich ist Deinege daher auch mit scharfen Worten auf deutscher Seite.
"Ich leb' das ja hier, ich muss mit den Menschen umgehen. Und die Polen sind noch sehr empfindlich, haben einen hohen Nationalstolz. Man erreicht eigentlich genau das Gegenteil: Menschen, die gerade ihre Zweifel haben, ob das alles so gut ist, fragen sich, was kommt der da und muss gerade der und der uns belehren? Wir diskutieren unter Freunden, wie es üblich ist, über die Situation und es gibt ein paar Sachen, die sind schon ziemlich extrem im Tempo und in der Umsetzung, aber darüber diskutiere ich mit den Freunden."
Gegenseitiger Respekt und Neugierde
Kaffee und Kuchen locken in einer Bäckerei im City Center, unweit des Rathauses. Um einen Tisch sitzen vier Frauen fortgeschrittenen Alters. Sie sind Teil der deutsch-polnischen Gruppe Interclub Femina, treffen sich regelmäßig und diskutieren dann auch über Politik. Anna Zawidski ging in den 80ern aus Warschau nach München und ist vor drei Jahren nach Görlitz gezogen. Hier fühlt sie sich wie ein Fisch im Wasser. Die Politik der PiS hält sie für eine Katastrophe.
"Juliane hat mal zu mir gesagt: Die Politiker machen von uns Feinde. Ohne Politik können wir hier wunderbar zusammenleben. Das ist wirklich wahr, ja."
Etwas anders sieht es Elsbeta Pochalska, Krankenschwester aus Zgorzelec.
"Ich bin der Meinung, dass die Politik der neuen Regierung einen Einfluss auf Europa haben wird. Ich finde auch, dass man der neuen Regierung ein bisschen Zeit geben muss, um zu sehen, was sie dann weiter macht."
Gegenseitiger Respekt und Neugierde, das ist für die Frauen Grundlage des Zusammenlebens. Marianne Christian ist 1929 in Görlitz geboren. Sie lernte auf der heute polnischen Seite Schwimmen, wurde Mutter und Großmutter in einer geteilten Stadt. Sie sieht die Dinge pragmatisch.
"Ich hoffe immer, dass Görlitz weiterhin zu weit im Osten für die Politik liegt und Zgorzelec zu weit im Westen liegt, so dass wir bequem unsere Europastadt leben können."
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