Grenzüberschreitende Rettungshilfe

Verständigen mit Händen, Füßen und Fax

Tschechische und bayerische Rettungskräfte während einer Übung kurz vor der deutschen Grenze im tschechischen Rozvadov.
Tschechische und bayerische Rettungskräfte während einer Übung kurz vor der deutschen Grenze im tschechischen Rozvadov. © Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer
Von Susanne Lettenbauer · 20.06.2018
Die Sprachbarriere ist nur ein Problem beim grenzüberschreitenden Rettungsdienst zwischen Deutschland und Tschechien. Weitere Hürden: Rein rechtlich gesehen müsste die eine Seite erst ein Fax schicken mit der offiziellen Bitte um Amtshilfe.
Die Stimmung ist angespannt an diesem Morgen an der tschechisch-bayerischen Grenze. Ein LKW ist auf einem Autorastplatz der A6 zwischen dem tschechischen Pilsen und dem deutschen Vohenstrauss im Bayerischen Wald in zwei Fahrzeuge gerast. Menschen wurden verletzt. Irgendjemand hat die auch in Tschechien gültige Notrufnummer 112 gewählt. Feuerwehren mit tschechischen Kennzeichen stehen neben Feuerwehrwagen mit deutschen Kennzeichen. Sirenen künden die Ankunft der tschechischen Polizei an. Wenig später ist auch das Martinshorn der deutschen Sanitäter zu hören: Ein Helfer in gelber Warnweste kniet neben einer Frau auf dem Asphalt. Auf seinem Rücken die Aufschrift "ADAC-Luftrettung":
"Wir machen hier eine Intubation, ein Monitoring und transportieren dann die Patientin wahrscheinlich nach Bayreuth."
"Sie sind doch aber jetzt auf tschechischem Gebiet?"
"Ja, wir kommen aus Bayreuth, wurden angefordert und werden wahrscheinlich - wir klären das noch mit dem Einsatzleiter ab - wieder nach Bayreuth fliegen."

Wenn der Dolmetscher nicht erreichbar ist

Die Patientin ist eine Frau aus Tschechien. Im Ernstfall würde sie trotzdem in ein deutsches Krankenhaus geflogen werden, aus Zeitgründen. Nach Weiden in der Oberpfalz, Viechtach, Bogen, Amberg, Hof oder eben Bayreuth. Denn auf tschechischer Seite ist das nächste Notfallkrankenhaus in Pilsen rund 70 Kilometer Autobahn entfernt. Denkbar wäre auch ein Lufttransport, wenn der einzige Hubschrauber jenseits der Grenze, ein Militärhubschrauber, nicht anderswo im Einsatz ist. Umständlich versucht der ADAC-Helfer dem tschechischen Einsatzleiter seinen Plan zu erklären, auf Englisch und Deutsch, der Dolmetscher ist gerade nicht greifbar. Die Verständigung - funktioniert sie dennoch?
"Teilweise. Also es funktioniert nicht immer, aber es funktioniert. Und zur Not auch mit Händen und Füßen."
"Wie ist es mit Ihren Tschechisch-Kenntnissen?"
"Gar keine."
"Wäre das mal eine Idee?"
"Ja, das wäre eine Möglichkeit."
Das Szenario könnte echt sein. Das letzte Mal, als tatsächlich ein vollbesetzter Reisebus von der Autobahn in Grenznähe abkam, ist erst ein Jahr her, erzählen die Rettungssanitäter. Mit vereinten Kräften konnten die Verletzten damals gut versorgt werden. Nur die Koordination stimmte nicht, stellte man hinterher fest. Zu viele Fragen, zu wenige Antworten. Vieles improvisiert. Auch deshalb machen wir diese Übung dieses Mal auf dem Autobahnrastplatz bei Rozvadov, erklärt der tschechische Notarzt Jiri Ruzicka:
"Normalerweise würde die tschechische Rettungsleitstelle alarmiert werden, aber wenn es ein großer Unfall ist, wie wir es dieses Mal bei der Übung annehmen, dann bittet unsere Seite bei der bayerischen Rettungsleitstelle um Hilfe."

Viele Einsätze im Bäderdreieck

Rund 400 Einsätze pro Jahr fahren die Rettungskräfte hier in der Region, dem sogenannten böhmischen Bäderdreieck zwischen Marienbad, Karlsbad und Franzensbad. Nicht nur Autounfälle, auch Notfälle wie Herzinfarkt, Arm- und Beinbruch, Rauchvergiftungen, Sportunfälle. Rein rechtlich gesehen müssten Patienten, unabhängig von der Schwere der Verletzung, derzeit an der Grenze umgeladen werden, das heißt mit vereinten Kräften raus aus dem deutschen Sanka rein zu den tschechischen Kollegen. Oder umgekehrt. Ein Anachronismus, kritisiert Notarzt Jiri Ruzicka.
"Wir wollen überhaupt nicht umladen, das ist doch nicht unsere Aufgabe. Aber so lautet die Auslegung des tschechischen Ministerium, dass wir nicht rüberfahren dürfen mit dem Patienten, das sind die Probleme."
Seine deutsche Kollegin, Notärztin Gudrun Graf, kann die Regelung, zumal zwischen zwei EU-Staaten ebenfalls nicht nachvollziehen.
"Das Problem ist halt bisher nach wie vor, dass zum Beispiel auch der Hubschrauber nicht reinfliegen darf nach Tschechien. Außer die Patienten werden wortwörtlich an der Grenze übergeben, von einem Sanka raus in den anderen Sanka eingeladen. Unsere Leitstellen disponieren zwar gemeinsam, die sprechen sich auch ab mit den tschechischen Kollegen drüben, aber nach wie vor findet eine Patientenübergabe im Grenzgebiet statt."
Laut der deutsch-tschechischen, politischen Vereinbarung von 2013 darf ein deutscher Rettungswagen fünf Kilometer weit nach Tschechien hineinfahren. Praktisch ist das unrealistisch. Man fahre bei Notfällen schon auch zehn oder zwanzig Kilometer ins Landesinnere, wenn nötig, erklärt Robert Konrad, Projektleiter des Bayerischen Roten Kreuzes für den grenzüberschreitenden Rettungsdienst auf deutscher Seite.
"Es kommt sehr oft vor, dass wir tschechische Patienten, die auf bayerischem Gebiet verunfallen, gerade jetzt auf der Straße, auf der B20, was jetzt von Cham Richtung Pilsen durchfährt, da kommt es ja fast täglich zu Verkehrsunfällen mit tschechischen Staatsbürgern, also da wird es auch so gehandhabt, dass der Patient nicht in ein bayerisches Krankenhaus transportiert wird, wenn es möglich ist, sondern in ein tschechisches und das ist nun mal 20 Kilometer auf der tschechischen Seite und auch da wird regelmäßig hingefahren."

Eine Webplattform für die Kommunikation

Der grenzüberschreitende Rettungsdienst betreut gut 250 Kilometer Grenze zwischen Hof und Passau auf deutscher und Eger und Krumau auf tschechischer Seite. Die Koordination der Einsätze erfolgt über Rettungsleitstellen – drei auf tschechischer, sechs auf deutscher Seite. Notrufe treffen bei allen parallel ein. Dachov, der nächste Rettungsstandort in Böhmen, liegt 20 Kilometer von der Grenze weg, Waidhaus und Lohma in Bayern 4 Kilometer. Klar, wer da zuerst am Unfallort sein kann. Rein rechtlich gesehen müsste die eine Seite ein Fax schicken mit der offiziellen Bitte um Amtshilfe. Das würde in Tschechien an das Prager Gesundheitsministerium weitergeleitet werden, das offiziell die Freigabe erteilt. Doch die Helfer winken ab. Prag ist weit weg:
"Das ist in der Kooperationsvereinbarung so niedergeschrieben, dass durch das Fax zu kommunizieren ist. Es können aber auch andere Kommunikationsmittel genommen werden. Wir haben jetzt unser eigenes Kommunikationsmittel kreiert mit den Kollegen in Pilsen und eine Webplattform entworfen, die eigens angepasst ist für den grenzüberschreitenden Rettungsdienst, mit Einbindung von Karten, mit speziellen point of interests, was wir brauchen, und auch die Möglichkeit, eine Einsatznachverfolgung zu machen, eine Dokumentation zu machen, dass jetzt alles auch auf dem neuesten Stand ist. Zurzeit hakt es an den Rechtsfragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Die Formulierung der Vereinbarung erleichtert uns die Zusammenarbeit nicht direkt."

Wer bezahlt die Einsätze?

Ein weiteres Problem: Die Kosten der Einsätze. Momentan können sie nicht abgerechnet werden. Sobald ein deutscher Rettungswagen also auf tschechisches Gebiet fährt, macht er das umsonst, beschreibt Konrad die derzeitige Rechtslage:
"Würde jetzt ein bayerisches Fahrzeug nach Tschechien fahren und dort einen Patienten betreuen, egal ob deutsch oder tschechisch, würde laut Vereinbarung ein Kostenverzicht im Raum stehen, also man würde dafür nichts verlangen, die Kosten würden gedeckt werden."
Während in Bayern die Rettungskräfte überwiegend ehrenamtlich arbeiten und in kurzer Zeit viele Einsatzkräfte mobilisieren können, funktioniert der tschechische Rettungsdienst generell nur über festangestellte Mitarbeiter. Die Folge: Im Ernstfall wären zwar rund 30 Krankenwagen im Grenzgebiet einsatzfähig, allein das Personal fehlt, gibt Konrad zu bedenken. Bei der Rettungsübung auf dem Autobahnrastplatz bei Rozvadov hetzen Männer mit schwarzen Hosen, gelben Helmen und orange-gelben Warnwesten zu den Verletzten, auf dem Rücken die Aufschrift "Hasici", die tschechische Feuerwehr. Die deutsche Notärztin Gudrun Graf steht etwas verloren zwischen den wuselnden Menschen, die Stimme des tschechischen Einsatzleiters wird immer lauter. Es hilft nur eines, sagt Pavel Hrůša hinterher:
"Üben, üben, gemeinsam üben. Regelmäßig üben. Nicht nur einmal im Jahr gemeinsam eine große Übung machen, sondern regelmäßig, und das müsste in unsere Unterlagen für die Schulungen einfließen. Mein Eindruck von dieser Übung: Es wird immer irgendwie klappen. Wir schaffen das irgendwie, die Kommunikation schaffen wir, mit den Händen, mit den Füßen, das hat man heute gesehen. Es wird schon irgendwie werden."
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