Grenzwanderungen
Ob innerdeutsche Grenze oder Landesgrenze - Grenzen fordern ihre Anwohner immer dazu heraus, sie zu überwinden. Sollte man meinen.
Im ersten Teil des Länderreports erzählt Michael Hollenbach die Geschichte eines Doppeldorfes – die eine Hälfte in Niedersachsen, die andere in Sachsen-Anhalt, hier sollte nach der Wende zusammenwachsen, was zusammengehört. Denn vier Jahrzehnte lang trennte die deutsch-deutsche Grenze Zicherie von Böckwitz und umgekehrt. Zicherie lag in der alten Bundesrepublik, Böckwitz in der DDR; dazwischen Mauer und Stacheldraht. Seit 17 Jahren ist das Doppeldorf zwischen Salzwedel und Wolfsburg wieder vereint und bleibt doch getrennt.
Zicherie-Böckwitz – ein kleines Dorf wie jedes andere. 17 Jahre nach der Öffnung der Grenze erinnert auf den ersten Blick nichts mehr an den ehemaligen Todesstreifen. Dort, wo früher der Stacheldraht war, wo der Turm stand, ist heute mitten im Ort eine große Wiese.
Doch ein Mann stemmt sich gegen das Vergessen in Zicherie-Böckwitz: Willi Schütte. Er wurde Mitte der 50er Jahre mit seiner Familie aus dem Ostteil des Doppeldorfes zwangsversetzt, später konnten die Schüttes in den Westen fliehen. Den alten Hof seiner Eltern erhielt er 1991 zurück und verwirklichte dort die Idee eines Grenzmuseums. Er wollte die Relikte der Teilung und des Todesstreifens erhalten:
"Wir wollten ja den Turm hier im Dorf stehen lassen, dann sagten mir die Leute (...) du hast nicht 30 Jahre hinter der Mauer gelebt, du weißt nicht, wie das ist, ich sag: ich kann euch verstehen, aber ich seh zu, dass bei mir auf dem Acker ein Stück stehen bleibt."
Und das hat er geschafft. Wenigstens auf seinem Grundstück rund einen Kilometer südlich des Dorfes sind die alten Grenzanlagen erhalten. Der Stacheldraht, der Graben, der Todesstreifen und eben der Turm:
Die Aktion der Jugendlichen hat dem ambitionierten Rentner gezeigt, dass der alte Wachturm in dem Dorf viele Gegner hat. Ein alter Böckwitzer habe ihm mal unverhohlen gedroht: Wenn er Dynamit hätte, würde er das Ding in die Luft jagen.
"Dies war jetzt die Etage, wo vier Betten standen, Schießscharten, Vögel .. Jungvögel gehen kaputt, ... vor die Schießscharten gemacht."
Willi Schütte will auf jeden Fall die Symbole der Trennung erhalten:
"Und hier kann man jetzt noch sehen, wo die Kabel ankamen, der Tisch war runtergeklappt, Modell, zeigte ganze Grenze, da konnte man genau erkennen (....) wenn jemand am Zaun gefasst hat, leuchtete die Lampe auf ... dann ging's da hin."
Einer der wenigen alten Böckwitzer, die die Erinnerungsarbeit unterstützen, ist Alwin Bock. Er war 30 Jahre im Gemeinderat von Böckwitz und in den achtziger Jahren Bürgermeister. Nach dem Krieg – so erzählt der 73-Jährige – habe es noch viele Gemeinsamkeiten gegeben. Man kannte sich ja:
"Das ist unsere Schule hier, da gingen beide Dörfer früher in die Schule, (....) Man hat sich täglich gesehen, das Sich-Kennen war ja früher viel intensiver, nicht mal die Jugend lernt sich heute kennen. Früher war das viel intensiver, und dann wird auch nie wieder so werden wie es mal war. Das ist nun mal so die Gegebenheit."
Eine Abordnung des Schützenvereins Zicherie-Böckwitz ist zum sogenannten Mückenfrühstück in den benachbarten Ort Kaiserwinkel gefahren. Auf die Schützen setzen einige wie Bernd Grunau ihre Hoffnung auf ost-westliche Annäherungsversuche, denn der Schützenverein ist die einzige verbindende und grenzüberschreitende Organisation des Doppel-Dorfes.
"Das gilt besonders für die jungen Leute. Die älteren Leute haben sich wiedergefunden. (...) für die jungen Leute ist es wichtig, dass man sich einige Male über den Verein in den Orten trifft, weil da dauert es noch einige Jahre, bis sich die Leute zusammentun.
Das Ganze muss zusammenwachsen, das kann man nicht zusammen kitten, das ist ein ganz normaler Prozess durch Feiern wieder zusammenwachsen, das kann nicht anders sein."
Ist der 49-Jährige Schützenbruder überzeugt, der bis 1990 als Zöllner in Zicherie an der Grenze gearbeitet hat.
"Die Privatfeiern - das muss man einfach so sagen - laufen zum großen Teil noch getrennt, aber auch das wird zusammenwachsen. Das ist ein Generationenthema. (...) das ist ein organischer Prozess."
"Wie denn?"
Wendet der Böckwitzer Bock ein.
"Es geht gar nicht, weil man nicht mehr so nahe kommt und sich nicht mehr so oft sieht."
Obwohl jeder Tourist und jeder Durchreisende denken muss, Böckwitz-Zicherie, das ist doch ein Dorf, verläuft die Grenze nach wie vor mitten durch den Ort. Der Westen gehört zu Niedersachsen und zum Landkreis Gifhorn, der Osten zu Sachsen-Anhalt und zum Kreis Salzwedel. Die Kinder von Zicherie und von Böckwitz besuchen verschiedene Kindergärten und Schulen, die Jugendlichen treffen sich höchstens mal zufällig in der Disko im 30 Kilometer entfernten Wolfsburg. Selbst die Feuerwehr ist wegen der Landesgrenze zweigeteilt. Auch Rino Hablitz, der im Ostteil des Doppeldorfes wohnt, hat zu jungen Gleichaltrigen aus dem Westdorf kaum Kontakt.
"Hallo, guten Tag und fertig, aber dass das jetzt eine innige Beziehung ist, in meinem Fall, auf keinem Fall.
Wir in Böckwitz haben mehr Bezug nach Jahrstedt, von früher her, wir konnten nur in die Richtung, und von daher ist da unser Bezugspunkt."
Früher – bis Anfang der 50er Jahre – war das alles ganz anders. In dem kleinen Grenzmuseum von Willi Schütte dokumentieren Fotos, wie es nach dem Krieg an der Grenze aussah:
"Das ist Zicherie, das ist Böckwitz, und hier geht die hannoversche-preussische Grenze durch, der Stall der Gastwirtschaft war im Westen, die Toilette der Gastwirtschaft war im Westen, die Gastwirtschaft selber war im Osten, der ganze Komplex der Gastwirtschaft, das war ja ein Haus, Stallungen, ein großer Saal (...) das ist alles weggerissen worden, und genauso die Schmiede, alles was zur Schmiede gehörte, ist alles weggerissen worden."
Hannelore Schulze aus Zicherie ist sogar Anfang der fünfziger Jahre noch zum Vergnügen in den Osten des Dorfes gegangen. Das war allerdings nur möglich, weil die Gastwirtschaft genau an der Grenze lag:
"Wir sind ja noch rübergegangen zum Tanzen, und dann bei Tante Anneliese wieder durchs Fenster und raus. (...) Der Schweinestall, der war ja hier Grenze, und da waren ja an der Seite noch Türen, und Onkel Walter, der hat uns immer reingelassen, und manchmal mussten wir auch durchs Fenster, dass wir nicht wieder rauskamen."
Doch Mitte der 50er Jahre war Schluss mit lustig – und seit 1961 – dem Bau der Mauer, war gar kein Kontakt mehr möglich. Dann vor 17 Jahren, am 18. November 1989, wurde in Böckwitz-Zicherie die Grenze geöffnet. In den ersten Tagen strömten Zehntausende durch das kleine Dorf; alte Bekannte und Wildfremde lagen sich in den Armen, erzählt die Lehrerin Elisabeth Bradtke:
"Bei mir persönlich war das so, dass ich krank war, und die ganze Woche konnte ich nicht zur Schule, zur Arbeit, und da habe ich mir gesagt: und wenn ich hinkrieche (...), das musst du miterleben (..) und dann bin ich auch hin, (...) und in Böckwitz, wir haben uns umarmt mit allen Menschen, die wir so getroffen haben, so war die Freude groß, die Schüler hatten alle frei, hier bei uns und drüben aus, die haben gesagt, das ist Geschichte zum Anfassen, das müssen wir miterleben, (...) ich das Arkordeon genommen, und dann hieß es: alle Menschen dürfen jetzt für eine Stunde rüber (...), das war ein Schrei und ich dann vorneweg, so ein Tag, so wunderschön wie heute, und alle Menschen haben mitgesungen (...) also das war eine Freude, wir konnten das überhaupt nicht fassen."
Ewige Freundschaft schworen sich die Bürger aus Zicherie und Böckwitz. Und heute? Vertraulicher würde es höchstens, wenn die Zicherieer einen über den Durst getrunken hätten, meint die Böckwitzerin Viola Knoll:
"Die Leute kennen einen nur, wenn sie drei auf nen Kessel haben und nächsten Tag kennen sie dich nicht mehr."
Und auch Willi Schütte, der nach 1989 vom Westen wieder nach Böckwitz gezogen war, zweifelt an einer gemeinsamen Perspektive des Doppel-Dorfes:
"Das verstehe ich nicht, früher war das ganz anders. Die müssen erst wieder zusammenwachsen, aber wenn ich dies jetzt im Augenblick sehe, dann würde ich eher sagen, wir wachsen eher auseinander als zusammen. Das ist nicht schön."
Auch der Schützenverein, die einzige dorfumfassende Organisation, ist nicht besonders anziehend für die Böckwitzer. Das sah nach der Wende noch anders aus:
"Früher, am Anfang, 24 Böckwitzer waren mit im Schützenverein, heute sind wir noch acht, die sind alle wieder rausgegangen, das Geld fehlt."
Meint Willi Schütte. Viele Böckwitzer seien arbeitslos und hätten kein Geld übrig für den Mitgliedsbeitrag. Rino Hablitz geht es nicht um das Geld, aber er hat keine Lust auf den Schützenverein.
"Es waren mal mehr, aber hat auch mit dem Verein zu tun, dass die sich selbst Probleme bereiten untereinander und wenn du merkst, das funktioniert nicht, dann gehst du da auch nicht hin."
Währenddessen mischen die Schützen aus Zicherie kräftig mit beim Mückenfest im Nachbarort Kaiserwinkel. Aus Böckwitz ist keiner gekommen. Das hat seinen Grund, weiß der Zicherieer Bernd Grunau:
"In Böckwitz ist es traditionell, auch während der DDR-Zeit immer am 1. Mai, mit dem Maibaum. (...) deswegen sind die Kameraden jetzt beim Maibaumpflanzen und heute nicht hier."
So wird das wohl nichts mehr mit der Annäherung der Bürger in dem Doppeldorf Böckwitz-Zicherie.
Brandenburg - Mecklenburg-Vorpommern
Von Almuth Knigge
Eigentlich wollen viele Menschen weg aus Mecklenburg-Vorpommern. Vor allem die im Ostteil des Bundeslandes. Die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich hoch, das Pro-Kopf-Einkommen extrem niedrig. Doch für zwei Dörfer aus dem benachbarten Brandenburg scheinen die Verhältnisse in Vorpommern besser als in der Uckermark. Sie wollen wechseln - weil das Wasser billiger ist, der Arzt näher und der Schulweg kürzer. Manch Mecklenburger reibt sich verwundert die Augen: Wer sagt denn, dass der Arzt bleibt oder die Schule nicht geschlossen wird?
Das Kulturhaus der kleinen Stadt Strasburg., ganz im Südosten Mecklenburg-Vorpommerns, an der Grenze zu Brandenburg ist, zumindest von außen, ein Schmuckstück. Regelmäßig treffen sich hier die Vereine der 6000-Einwohner-Stadt, heute ist es der Seniorenverein der pensionierten Beamten. Der Bürgermeister soll einen Vortrag über die Stadtentwicklung der letzten 15 Jahre halten. Der Saal ist voll.
Norbert Raulin ist ein umtriebiger Mann, der fast jeden mit Vornamen kennt. Schon zu DDR-Zeiten war er Bürgermeister in Strasburg. Er hat viele Bilder dabei, von Häusern und Straßenzügen – gestern und heute. Keine Frage – da hat sich was getan. Ein Existenzgründerzentrum gibt es – zu 60 Prozent ausgelastet. Das Rathaus ist saniert, das Museum über die Grenzen der Region bekannt. Strasburg ist die einzige mecklenburgische Stadt in der Uckermark. So steht es auf dem Ortsschild und das macht Bürgermeister Raulin ein bisschen stolz. Das – und die 100 Jahre alte Strohuhr im Heimatmuseum, die sogar in Amerika berühmt ist.
Außerdem gibt es 80 Vereine in der kleinen Stadt, die meisten sind allerdings Kleingartenvereine. Aber das ist nicht der Grund, wieso seit einiger Zeit zwei Nachbardörfer aus Brandenburg unbedingt zu seiner Stadt dazugehören wollen.
"Ja warum wollen die Dörfer nach Strasburg, ist hier die Frage, die ist richtig."
Und warum gehören die kleinen Dörfer Wismar und Hansfelde überhaupt zu Brandenburg. Schon auf der Landkarte bohren sie sich wie eine lange schmale Nase auf das mecklenburgische Gebiet und wirken wie ein Fremdkörper.
"Strasburg hat in einem Bürgerentscheid die Bürger befragt, wo sie dann hin möchten, und im Ergebnis der Befragung wurde mehrheitlich dem Verbleib Strasburgs in Mecklenburg-Vorpommern zugestimmt."
Dieser Bürgerentscheid war 1992. Doch auch auf dem Seniorennachmittag 2007 sind Wismar und Hansfelde Thema. Am Rande. Ansonsten geht es um die Ungerechtigkeit Ost-West im Allgemeinen und die Rentenungerechtigkeit im Besonderen. Karl-Heinz Stamm ist pensionierter Gymnasiallehrer. In seiner gestochen scharfen Lehrerschrift macht er sich Notizen.
"Ich meine, ich bin auch erstaunt, dass das jetzt so intensiv hochkommt, muss ich ehrlich sagen ... und es gibt einen einfachen Grund, man kümmert sich ja nicht um die Belange der Leute, um Nachbarort so sehr so stark ist man ja nicht mit denen verbunden."
Der alte Lehrer erinnert sich.
"Damals ist sehr viel hier richtig Bambule gemacht worden, die haben Autokorsos gemacht und mit wehenden Fahnen und Lautsprechern, wo die Leute hier auch in Strasburg angesprochen worden sind, und in den Dörfern ist das gleiche gemacht worden … ich kann mir vorstellen, dass viele gesagt haben, na wenn die so um uns werben."
Er zuckt mit den Schultern. Eine richtige Brandenburg-Bürgerinitiative hat es gegeben. Damals. Der erste Bürgerentscheid in Strasburg ist dann auch für Brandenburg ausgegangen. Und da wollten die Wismarer auch zu Brandenburg gehören. Der Bürgerentscheid von Strasburg wurde aber für ungültig erklärt. Warum weiß heute keiner mehr. Aber da hatte sich Wismar mit einer Stimme Mehrheit schon für Brandenburg entschieden.
"Ich weiß bloß aus privaten Diskussionen in der Familie, dass die geglaubt haben, wenn man nach Brandenburg geht, dann kommt man näher an Berlin und näher an wirtschaftlichen Wohlstand, weil sich bei uns ja mit dem Verfall der Landwirtschaft frühzeitig abgezeichnet hat, dass die Wende bei uns ziemlich hart einschlägt."
Hüben öder drüben – beide Landkreise, Uckermark und Ückerrandow lagen bei der kürzlich veröffentlichten Zukunftsstudie Prognos unter den letzten zehn. Wobei der brandenburgische Landkreis immerhin sechs Plätze besser war als der Vorpommersche. Das Ergebnis ist das gleiche – hohe Zukunftsrisiken, hohe Abwanderung. Warum also wollen die Wismarer dem Heimatland Brandenburg den Rücken kehren?
"Problematisch wird die Sache dadurch, dass durch die praktizierte Kleinstaaterei wir gehalten sind, alles auf Brandenburg auszurichten ... Und dass wir mit unseren Bedürfnissen medizinisch zu Prenzlau zählen und der medizinische Dienst aus Strasburg nicht mehr für uns zuständig ist und vielleicht nach alter Sitte bringt er gleich den Priester mit, falls der inzwischen das Zeitliche gesegnet hat."
Der Bürgermeister von Wismar, Brandenburg, Dieter Ludwig, erklärt zum 100. Mal den Reportern aus ganz Deutschland sein Anliegen. Das Fass zum Überlaufen brachte aber – das Wasser.
"Jahr und Tag kriegen wir unser Wasser von Strasburg, warum jetzt von Prenzlau?"
Opa Gehrke steht am Gartenzaun und macht seinem Ärger Luft.
"Um den doppelten Preis? Dat gleiche Wasser - das ist doch Horror, was die mit uns machen. Mein Hausarzt? Über 16 Jahre bin ich schon bei dem. Im Strasburg, der darf mich jetzt nachmittags nicht mehr besuchen, wenn was ist, ne? Ich bin herzkrank und alles, Schwerbehindert ... wat nützt mir ein Arzt von Prenzlau, der kennt mich ja nicht mal, der findet mich ja nicht mal."
Anfang des Jahres übernahm der Norduckermärkische Wasser und Abwasserverband aus Prenzlau die Versorgung von Wismar und Hansfelde. Ganz offiziell. Vorher hatten die Dörfer, inoffiziell, ihr Wasser aus Strasburg in Mecklenburg bekommen. Jeder Haushalt zahlt nun rund 150 Euro mehr im Jahr als beim Strasburger Versorger. 32 Euro pro Monat anstatt 16. Doch die Leitung, aus der das Wasser gepumpt wird, ist dieselbe, die Gruben, aus denen das Abwasser gepumpt wird auch. Das, sagt die Uckerländer Bürgermeisterin Monika Becker, ist wirklich doof. Aber ansonsten werden die beiden Dörfer, die zu ihrem Amtsbezirk gehören, nicht schlechter behandelt als die anderen. Drei Gemeindevertretersitzungen hat es gegeben, aber keiner ist gekommen.
"Sie werden auch in Mecklenburg eine Grenzgemeinde sein und sie sind es jetzt in Brandenburg auch. Wir haben Wismar nie als letzten Zipfel angesehen, sondern wir haben wirklich investiert und werden auch weiter investieren. Wir können auch nichts dafür, dass der ärztliche Bereitschaftsdienst nicht mehr über Ländergrenzen hinaus soll, obwohl wir da genügend Korrespondenz geführt haben, sogar bis zur Bundesministerin hoch, aber leider noch keine Antwort hatten."
Bürokratie, die kassenärztlichen Vereinigungen können sich nicht einigen. Und auch einen Gastschülervertrag gibt es nicht. Also werden die Kinder entweder 14 km entfernt auf die Schule geschickt, an der Strasburger Schule vorbei, oder die Eltern müssen die 400 Euro Schulgeld pro Jahr aus eigener Tasche bezahlen.
"Das sind alles Dinge, die in Strasburg auch nicht anders sind, da wird auch erst versucht, die Stadt zu bedienen und dann kommt das Land."
Das sieht Amtskollege Raulin aus MeckPom ganz anders.
"Also bei der Abwägung der Bedingungen, die gegenwärtig herrschen in Wismar und Hansfelde, ist ja durch die BI in Hansfelde gesagt worden, dass die gegenwärtig untersuchten Bedingungen in der ärztlichen Versorgung, im Schulwesen, bei den Kindertagesstätten bei der Feuerwehr und so weiter, dass die Bedingungen, die gegenwärtig in Strasburg herrschen, wesentlich günstiger für sie sind, als sie von Brandenburg geboten werden können."
Noch – aber – wie sieht es in zehn Jahren aus?
"Ich hab da gar keine Not, dass wir hier einen Ärztenotstand kriegen, das halte ich für übertrieben, ob dann der körperliche Zustand der Leute das noch zulässt zum Arzt zu fahren, dass wäre dann ne andere Frage, die zu beleuchten wäre."
"So und in der Zukunft ist es so na ja, wenn ich so weit prognostizieren könnte, dann würde ich sicher in Berlin sitzen und Wahrsager sein."
Wahr allerdings ist, dass die Wismarer und Hansfelder bei einem Länderwechsel vom Regen in die Traufe kämen. Wenn man die beiden Haushalte Strasburg und Uckerland gegenüber stellt, schneidet Strasburg viel schlechter ab. Mehr Schulden und weniger Geld zur Tilgung der Kredite Aber das interessiert hier keinen.
"Das hat was damit zu tun, dass wir zur Stadt wollen. Die Stadt ist drei Kilometer entfernt, und das ist das entscheidende. Wenn Strasburg Brandenburg wäre, wäre das auch egal. Und wenn es Bayern wäre auch, Stadt, das ist das entscheidende."
"Also mir ist das egal, ich meine, ich bin vorher auch mit Brandenburg, ich halt mich da raus, ich meine, ist ja nicht alles schlecht in Brandenburg, wer weiß, was da noch auf uns wieder drauf zu kommt und so viel Geld ist auch nicht vorhanden, also ne, ich halt mich da raus, das ist bloß Leute verrückt machen, wer weiß, was das noch alles wird."
Zicherie-Böckwitz – ein kleines Dorf wie jedes andere. 17 Jahre nach der Öffnung der Grenze erinnert auf den ersten Blick nichts mehr an den ehemaligen Todesstreifen. Dort, wo früher der Stacheldraht war, wo der Turm stand, ist heute mitten im Ort eine große Wiese.
Doch ein Mann stemmt sich gegen das Vergessen in Zicherie-Böckwitz: Willi Schütte. Er wurde Mitte der 50er Jahre mit seiner Familie aus dem Ostteil des Doppeldorfes zwangsversetzt, später konnten die Schüttes in den Westen fliehen. Den alten Hof seiner Eltern erhielt er 1991 zurück und verwirklichte dort die Idee eines Grenzmuseums. Er wollte die Relikte der Teilung und des Todesstreifens erhalten:
"Wir wollten ja den Turm hier im Dorf stehen lassen, dann sagten mir die Leute (...) du hast nicht 30 Jahre hinter der Mauer gelebt, du weißt nicht, wie das ist, ich sag: ich kann euch verstehen, aber ich seh zu, dass bei mir auf dem Acker ein Stück stehen bleibt."
Und das hat er geschafft. Wenigstens auf seinem Grundstück rund einen Kilometer südlich des Dorfes sind die alten Grenzanlagen erhalten. Der Stacheldraht, der Graben, der Todesstreifen und eben der Turm:
Die Aktion der Jugendlichen hat dem ambitionierten Rentner gezeigt, dass der alte Wachturm in dem Dorf viele Gegner hat. Ein alter Böckwitzer habe ihm mal unverhohlen gedroht: Wenn er Dynamit hätte, würde er das Ding in die Luft jagen.
"Dies war jetzt die Etage, wo vier Betten standen, Schießscharten, Vögel .. Jungvögel gehen kaputt, ... vor die Schießscharten gemacht."
Willi Schütte will auf jeden Fall die Symbole der Trennung erhalten:
"Und hier kann man jetzt noch sehen, wo die Kabel ankamen, der Tisch war runtergeklappt, Modell, zeigte ganze Grenze, da konnte man genau erkennen (....) wenn jemand am Zaun gefasst hat, leuchtete die Lampe auf ... dann ging's da hin."
Einer der wenigen alten Böckwitzer, die die Erinnerungsarbeit unterstützen, ist Alwin Bock. Er war 30 Jahre im Gemeinderat von Böckwitz und in den achtziger Jahren Bürgermeister. Nach dem Krieg – so erzählt der 73-Jährige – habe es noch viele Gemeinsamkeiten gegeben. Man kannte sich ja:
"Das ist unsere Schule hier, da gingen beide Dörfer früher in die Schule, (....) Man hat sich täglich gesehen, das Sich-Kennen war ja früher viel intensiver, nicht mal die Jugend lernt sich heute kennen. Früher war das viel intensiver, und dann wird auch nie wieder so werden wie es mal war. Das ist nun mal so die Gegebenheit."
Eine Abordnung des Schützenvereins Zicherie-Böckwitz ist zum sogenannten Mückenfrühstück in den benachbarten Ort Kaiserwinkel gefahren. Auf die Schützen setzen einige wie Bernd Grunau ihre Hoffnung auf ost-westliche Annäherungsversuche, denn der Schützenverein ist die einzige verbindende und grenzüberschreitende Organisation des Doppel-Dorfes.
"Das gilt besonders für die jungen Leute. Die älteren Leute haben sich wiedergefunden. (...) für die jungen Leute ist es wichtig, dass man sich einige Male über den Verein in den Orten trifft, weil da dauert es noch einige Jahre, bis sich die Leute zusammentun.
Das Ganze muss zusammenwachsen, das kann man nicht zusammen kitten, das ist ein ganz normaler Prozess durch Feiern wieder zusammenwachsen, das kann nicht anders sein."
Ist der 49-Jährige Schützenbruder überzeugt, der bis 1990 als Zöllner in Zicherie an der Grenze gearbeitet hat.
"Die Privatfeiern - das muss man einfach so sagen - laufen zum großen Teil noch getrennt, aber auch das wird zusammenwachsen. Das ist ein Generationenthema. (...) das ist ein organischer Prozess."
"Wie denn?"
Wendet der Böckwitzer Bock ein.
"Es geht gar nicht, weil man nicht mehr so nahe kommt und sich nicht mehr so oft sieht."
Obwohl jeder Tourist und jeder Durchreisende denken muss, Böckwitz-Zicherie, das ist doch ein Dorf, verläuft die Grenze nach wie vor mitten durch den Ort. Der Westen gehört zu Niedersachsen und zum Landkreis Gifhorn, der Osten zu Sachsen-Anhalt und zum Kreis Salzwedel. Die Kinder von Zicherie und von Böckwitz besuchen verschiedene Kindergärten und Schulen, die Jugendlichen treffen sich höchstens mal zufällig in der Disko im 30 Kilometer entfernten Wolfsburg. Selbst die Feuerwehr ist wegen der Landesgrenze zweigeteilt. Auch Rino Hablitz, der im Ostteil des Doppeldorfes wohnt, hat zu jungen Gleichaltrigen aus dem Westdorf kaum Kontakt.
"Hallo, guten Tag und fertig, aber dass das jetzt eine innige Beziehung ist, in meinem Fall, auf keinem Fall.
Wir in Böckwitz haben mehr Bezug nach Jahrstedt, von früher her, wir konnten nur in die Richtung, und von daher ist da unser Bezugspunkt."
Früher – bis Anfang der 50er Jahre – war das alles ganz anders. In dem kleinen Grenzmuseum von Willi Schütte dokumentieren Fotos, wie es nach dem Krieg an der Grenze aussah:
"Das ist Zicherie, das ist Böckwitz, und hier geht die hannoversche-preussische Grenze durch, der Stall der Gastwirtschaft war im Westen, die Toilette der Gastwirtschaft war im Westen, die Gastwirtschaft selber war im Osten, der ganze Komplex der Gastwirtschaft, das war ja ein Haus, Stallungen, ein großer Saal (...) das ist alles weggerissen worden, und genauso die Schmiede, alles was zur Schmiede gehörte, ist alles weggerissen worden."
Hannelore Schulze aus Zicherie ist sogar Anfang der fünfziger Jahre noch zum Vergnügen in den Osten des Dorfes gegangen. Das war allerdings nur möglich, weil die Gastwirtschaft genau an der Grenze lag:
"Wir sind ja noch rübergegangen zum Tanzen, und dann bei Tante Anneliese wieder durchs Fenster und raus. (...) Der Schweinestall, der war ja hier Grenze, und da waren ja an der Seite noch Türen, und Onkel Walter, der hat uns immer reingelassen, und manchmal mussten wir auch durchs Fenster, dass wir nicht wieder rauskamen."
Doch Mitte der 50er Jahre war Schluss mit lustig – und seit 1961 – dem Bau der Mauer, war gar kein Kontakt mehr möglich. Dann vor 17 Jahren, am 18. November 1989, wurde in Böckwitz-Zicherie die Grenze geöffnet. In den ersten Tagen strömten Zehntausende durch das kleine Dorf; alte Bekannte und Wildfremde lagen sich in den Armen, erzählt die Lehrerin Elisabeth Bradtke:
"Bei mir persönlich war das so, dass ich krank war, und die ganze Woche konnte ich nicht zur Schule, zur Arbeit, und da habe ich mir gesagt: und wenn ich hinkrieche (...), das musst du miterleben (..) und dann bin ich auch hin, (...) und in Böckwitz, wir haben uns umarmt mit allen Menschen, die wir so getroffen haben, so war die Freude groß, die Schüler hatten alle frei, hier bei uns und drüben aus, die haben gesagt, das ist Geschichte zum Anfassen, das müssen wir miterleben, (...) ich das Arkordeon genommen, und dann hieß es: alle Menschen dürfen jetzt für eine Stunde rüber (...), das war ein Schrei und ich dann vorneweg, so ein Tag, so wunderschön wie heute, und alle Menschen haben mitgesungen (...) also das war eine Freude, wir konnten das überhaupt nicht fassen."
Ewige Freundschaft schworen sich die Bürger aus Zicherie und Böckwitz. Und heute? Vertraulicher würde es höchstens, wenn die Zicherieer einen über den Durst getrunken hätten, meint die Böckwitzerin Viola Knoll:
"Die Leute kennen einen nur, wenn sie drei auf nen Kessel haben und nächsten Tag kennen sie dich nicht mehr."
Und auch Willi Schütte, der nach 1989 vom Westen wieder nach Böckwitz gezogen war, zweifelt an einer gemeinsamen Perspektive des Doppel-Dorfes:
"Das verstehe ich nicht, früher war das ganz anders. Die müssen erst wieder zusammenwachsen, aber wenn ich dies jetzt im Augenblick sehe, dann würde ich eher sagen, wir wachsen eher auseinander als zusammen. Das ist nicht schön."
Auch der Schützenverein, die einzige dorfumfassende Organisation, ist nicht besonders anziehend für die Böckwitzer. Das sah nach der Wende noch anders aus:
"Früher, am Anfang, 24 Böckwitzer waren mit im Schützenverein, heute sind wir noch acht, die sind alle wieder rausgegangen, das Geld fehlt."
Meint Willi Schütte. Viele Böckwitzer seien arbeitslos und hätten kein Geld übrig für den Mitgliedsbeitrag. Rino Hablitz geht es nicht um das Geld, aber er hat keine Lust auf den Schützenverein.
"Es waren mal mehr, aber hat auch mit dem Verein zu tun, dass die sich selbst Probleme bereiten untereinander und wenn du merkst, das funktioniert nicht, dann gehst du da auch nicht hin."
Währenddessen mischen die Schützen aus Zicherie kräftig mit beim Mückenfest im Nachbarort Kaiserwinkel. Aus Böckwitz ist keiner gekommen. Das hat seinen Grund, weiß der Zicherieer Bernd Grunau:
"In Böckwitz ist es traditionell, auch während der DDR-Zeit immer am 1. Mai, mit dem Maibaum. (...) deswegen sind die Kameraden jetzt beim Maibaumpflanzen und heute nicht hier."
So wird das wohl nichts mehr mit der Annäherung der Bürger in dem Doppeldorf Böckwitz-Zicherie.
Brandenburg - Mecklenburg-Vorpommern
Von Almuth Knigge
Eigentlich wollen viele Menschen weg aus Mecklenburg-Vorpommern. Vor allem die im Ostteil des Bundeslandes. Die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich hoch, das Pro-Kopf-Einkommen extrem niedrig. Doch für zwei Dörfer aus dem benachbarten Brandenburg scheinen die Verhältnisse in Vorpommern besser als in der Uckermark. Sie wollen wechseln - weil das Wasser billiger ist, der Arzt näher und der Schulweg kürzer. Manch Mecklenburger reibt sich verwundert die Augen: Wer sagt denn, dass der Arzt bleibt oder die Schule nicht geschlossen wird?
Das Kulturhaus der kleinen Stadt Strasburg., ganz im Südosten Mecklenburg-Vorpommerns, an der Grenze zu Brandenburg ist, zumindest von außen, ein Schmuckstück. Regelmäßig treffen sich hier die Vereine der 6000-Einwohner-Stadt, heute ist es der Seniorenverein der pensionierten Beamten. Der Bürgermeister soll einen Vortrag über die Stadtentwicklung der letzten 15 Jahre halten. Der Saal ist voll.
Norbert Raulin ist ein umtriebiger Mann, der fast jeden mit Vornamen kennt. Schon zu DDR-Zeiten war er Bürgermeister in Strasburg. Er hat viele Bilder dabei, von Häusern und Straßenzügen – gestern und heute. Keine Frage – da hat sich was getan. Ein Existenzgründerzentrum gibt es – zu 60 Prozent ausgelastet. Das Rathaus ist saniert, das Museum über die Grenzen der Region bekannt. Strasburg ist die einzige mecklenburgische Stadt in der Uckermark. So steht es auf dem Ortsschild und das macht Bürgermeister Raulin ein bisschen stolz. Das – und die 100 Jahre alte Strohuhr im Heimatmuseum, die sogar in Amerika berühmt ist.
Außerdem gibt es 80 Vereine in der kleinen Stadt, die meisten sind allerdings Kleingartenvereine. Aber das ist nicht der Grund, wieso seit einiger Zeit zwei Nachbardörfer aus Brandenburg unbedingt zu seiner Stadt dazugehören wollen.
"Ja warum wollen die Dörfer nach Strasburg, ist hier die Frage, die ist richtig."
Und warum gehören die kleinen Dörfer Wismar und Hansfelde überhaupt zu Brandenburg. Schon auf der Landkarte bohren sie sich wie eine lange schmale Nase auf das mecklenburgische Gebiet und wirken wie ein Fremdkörper.
"Strasburg hat in einem Bürgerentscheid die Bürger befragt, wo sie dann hin möchten, und im Ergebnis der Befragung wurde mehrheitlich dem Verbleib Strasburgs in Mecklenburg-Vorpommern zugestimmt."
Dieser Bürgerentscheid war 1992. Doch auch auf dem Seniorennachmittag 2007 sind Wismar und Hansfelde Thema. Am Rande. Ansonsten geht es um die Ungerechtigkeit Ost-West im Allgemeinen und die Rentenungerechtigkeit im Besonderen. Karl-Heinz Stamm ist pensionierter Gymnasiallehrer. In seiner gestochen scharfen Lehrerschrift macht er sich Notizen.
"Ich meine, ich bin auch erstaunt, dass das jetzt so intensiv hochkommt, muss ich ehrlich sagen ... und es gibt einen einfachen Grund, man kümmert sich ja nicht um die Belange der Leute, um Nachbarort so sehr so stark ist man ja nicht mit denen verbunden."
Der alte Lehrer erinnert sich.
"Damals ist sehr viel hier richtig Bambule gemacht worden, die haben Autokorsos gemacht und mit wehenden Fahnen und Lautsprechern, wo die Leute hier auch in Strasburg angesprochen worden sind, und in den Dörfern ist das gleiche gemacht worden … ich kann mir vorstellen, dass viele gesagt haben, na wenn die so um uns werben."
Er zuckt mit den Schultern. Eine richtige Brandenburg-Bürgerinitiative hat es gegeben. Damals. Der erste Bürgerentscheid in Strasburg ist dann auch für Brandenburg ausgegangen. Und da wollten die Wismarer auch zu Brandenburg gehören. Der Bürgerentscheid von Strasburg wurde aber für ungültig erklärt. Warum weiß heute keiner mehr. Aber da hatte sich Wismar mit einer Stimme Mehrheit schon für Brandenburg entschieden.
"Ich weiß bloß aus privaten Diskussionen in der Familie, dass die geglaubt haben, wenn man nach Brandenburg geht, dann kommt man näher an Berlin und näher an wirtschaftlichen Wohlstand, weil sich bei uns ja mit dem Verfall der Landwirtschaft frühzeitig abgezeichnet hat, dass die Wende bei uns ziemlich hart einschlägt."
Hüben öder drüben – beide Landkreise, Uckermark und Ückerrandow lagen bei der kürzlich veröffentlichten Zukunftsstudie Prognos unter den letzten zehn. Wobei der brandenburgische Landkreis immerhin sechs Plätze besser war als der Vorpommersche. Das Ergebnis ist das gleiche – hohe Zukunftsrisiken, hohe Abwanderung. Warum also wollen die Wismarer dem Heimatland Brandenburg den Rücken kehren?
"Problematisch wird die Sache dadurch, dass durch die praktizierte Kleinstaaterei wir gehalten sind, alles auf Brandenburg auszurichten ... Und dass wir mit unseren Bedürfnissen medizinisch zu Prenzlau zählen und der medizinische Dienst aus Strasburg nicht mehr für uns zuständig ist und vielleicht nach alter Sitte bringt er gleich den Priester mit, falls der inzwischen das Zeitliche gesegnet hat."
Der Bürgermeister von Wismar, Brandenburg, Dieter Ludwig, erklärt zum 100. Mal den Reportern aus ganz Deutschland sein Anliegen. Das Fass zum Überlaufen brachte aber – das Wasser.
"Jahr und Tag kriegen wir unser Wasser von Strasburg, warum jetzt von Prenzlau?"
Opa Gehrke steht am Gartenzaun und macht seinem Ärger Luft.
"Um den doppelten Preis? Dat gleiche Wasser - das ist doch Horror, was die mit uns machen. Mein Hausarzt? Über 16 Jahre bin ich schon bei dem. Im Strasburg, der darf mich jetzt nachmittags nicht mehr besuchen, wenn was ist, ne? Ich bin herzkrank und alles, Schwerbehindert ... wat nützt mir ein Arzt von Prenzlau, der kennt mich ja nicht mal, der findet mich ja nicht mal."
Anfang des Jahres übernahm der Norduckermärkische Wasser und Abwasserverband aus Prenzlau die Versorgung von Wismar und Hansfelde. Ganz offiziell. Vorher hatten die Dörfer, inoffiziell, ihr Wasser aus Strasburg in Mecklenburg bekommen. Jeder Haushalt zahlt nun rund 150 Euro mehr im Jahr als beim Strasburger Versorger. 32 Euro pro Monat anstatt 16. Doch die Leitung, aus der das Wasser gepumpt wird, ist dieselbe, die Gruben, aus denen das Abwasser gepumpt wird auch. Das, sagt die Uckerländer Bürgermeisterin Monika Becker, ist wirklich doof. Aber ansonsten werden die beiden Dörfer, die zu ihrem Amtsbezirk gehören, nicht schlechter behandelt als die anderen. Drei Gemeindevertretersitzungen hat es gegeben, aber keiner ist gekommen.
"Sie werden auch in Mecklenburg eine Grenzgemeinde sein und sie sind es jetzt in Brandenburg auch. Wir haben Wismar nie als letzten Zipfel angesehen, sondern wir haben wirklich investiert und werden auch weiter investieren. Wir können auch nichts dafür, dass der ärztliche Bereitschaftsdienst nicht mehr über Ländergrenzen hinaus soll, obwohl wir da genügend Korrespondenz geführt haben, sogar bis zur Bundesministerin hoch, aber leider noch keine Antwort hatten."
Bürokratie, die kassenärztlichen Vereinigungen können sich nicht einigen. Und auch einen Gastschülervertrag gibt es nicht. Also werden die Kinder entweder 14 km entfernt auf die Schule geschickt, an der Strasburger Schule vorbei, oder die Eltern müssen die 400 Euro Schulgeld pro Jahr aus eigener Tasche bezahlen.
"Das sind alles Dinge, die in Strasburg auch nicht anders sind, da wird auch erst versucht, die Stadt zu bedienen und dann kommt das Land."
Das sieht Amtskollege Raulin aus MeckPom ganz anders.
"Also bei der Abwägung der Bedingungen, die gegenwärtig herrschen in Wismar und Hansfelde, ist ja durch die BI in Hansfelde gesagt worden, dass die gegenwärtig untersuchten Bedingungen in der ärztlichen Versorgung, im Schulwesen, bei den Kindertagesstätten bei der Feuerwehr und so weiter, dass die Bedingungen, die gegenwärtig in Strasburg herrschen, wesentlich günstiger für sie sind, als sie von Brandenburg geboten werden können."
Noch – aber – wie sieht es in zehn Jahren aus?
"Ich hab da gar keine Not, dass wir hier einen Ärztenotstand kriegen, das halte ich für übertrieben, ob dann der körperliche Zustand der Leute das noch zulässt zum Arzt zu fahren, dass wäre dann ne andere Frage, die zu beleuchten wäre."
"So und in der Zukunft ist es so na ja, wenn ich so weit prognostizieren könnte, dann würde ich sicher in Berlin sitzen und Wahrsager sein."
Wahr allerdings ist, dass die Wismarer und Hansfelder bei einem Länderwechsel vom Regen in die Traufe kämen. Wenn man die beiden Haushalte Strasburg und Uckerland gegenüber stellt, schneidet Strasburg viel schlechter ab. Mehr Schulden und weniger Geld zur Tilgung der Kredite Aber das interessiert hier keinen.
"Das hat was damit zu tun, dass wir zur Stadt wollen. Die Stadt ist drei Kilometer entfernt, und das ist das entscheidende. Wenn Strasburg Brandenburg wäre, wäre das auch egal. Und wenn es Bayern wäre auch, Stadt, das ist das entscheidende."
"Also mir ist das egal, ich meine, ich bin vorher auch mit Brandenburg, ich halt mich da raus, ich meine, ist ja nicht alles schlecht in Brandenburg, wer weiß, was da noch auf uns wieder drauf zu kommt und so viel Geld ist auch nicht vorhanden, also ne, ich halt mich da raus, das ist bloß Leute verrückt machen, wer weiß, was das noch alles wird."