Gretha und Ernst Jünger: "Einer der Spiegel des anderen"
Herausgegeben von Anja Keith und Detlev Schöttker
Klett-Cotta, Stuttgart
720 Seiten, 40 Euro
Gretha und Ernst Jünger: "Einer der Spiegel des anderen"
Rechter Vordenker, Intellektueller, Käfersammler: der Schriftsteller Ernst Jünger an seinem Schreibtisch zu Hause in Wilfingen. © imago images / Sven Simon
Stahlgewitter und Mucketier
16:22 Minuten
Über kaum einen deutschen Schriftsteller ist wohl mehr debattiert worden als über Ernst Jünger. Nun kann man ihn neu entdecken: in einem Briefwechsel zwischen ihm und seiner Frau Gretha. Literarisch, wird klar, war das Paar auf Augenhöhe.
Ernst Jünger ("In Stahlgewittern") ist ohne Frage einer der umstrittensten deutschen Schriftsteller. 38 Jahre war er mit seiner Frau Gretha verheiratet. Während dieser Zeit haben die beiden sich viele Briefe geschrieben, die Jünger explizit zu seinem literarischen Werk zählte.
Die Briefe wurden nun zum ersten Mal wissenschaftlich aufgearbeitet und in einer Auswahl veröffentlicht. Herausgeberin von "Einer der Spiegel des anderen" ist die Literaturwissenschaftlerin Anja Keith und ihr Kollege Detlev Schöttker.
Die beiden mussten sich dafür durch jede Menge Material lesen, denn das Briefaufkommen war gewaltig. Vor allem, weil die Ehe der Jüngers am besten funktionierte, wenn sie räumlich getrennt waren, sagt Keith. Gretha habe sich sehr darum bemüht, dass Ernst das Haus verließ, um neue Impulse und neue Einflüsse aufzunehmen.
Remarque war Gretha Jünger zu pazifistisch
Das literarische Niveau der Briefe ist sehr hoch – auf beiden Seiten, wie Keith betont: "Gretha Jünger steht ihrem Mann literarisch in nichts nach. Ganz im Gegenteil. Sie fordert ihn mit ihrer Art zu formulieren, ihre innersten Verwerfungen auf das Briefpapier zu werfen."
Ähnlich wie ihr Mann hatte auch Gretha Jünger eine harte Seite. Während des Krieges, inmitten von Bombenangriffen, bezeichnete sie sich als kriegerische Braut, die einen Pazifisten wie Erich Maria Remarque ("Im Westen nichts Neues") niemals geheiratet hätte. Auch den deutschen Überfall auf Frankreich begrüßte sie.
Es gibt aber auch einen Briefverkehr aus der Zeit nach 1939, als Jünger mit "Auf den Marmorklippen" eine kaum verklausulierte Kritik am NS-Regime veröffentlicht hatte.
Aus diesem Briefwechsel gehe sehr deutlich hervor, "dass Ernst Jünger diesen Roman tatsächlich als Provokation angelegt hat", sagt Schöttker:
"Es ist also nicht nur ein Roman, der sozusagen allegorisch mit weiter Distanz die Ereignisse im Nazi-Deutschland schildert, sondern sehr konkret auf die Konzentrationslager und auf die Folterkeller der Gestapo reagiert. Das war natürlich für Jünger höchste Lebensgefahr."
Teil von Jüngers literarischem Gesamtwerk
Die Briefe von Gretha und Ernst Jünger seien auch für ein späteres Publikum geschrieben worden, beschreibt Schöttker die Intention des Paares. Es handele sich um lange Ausführungen und Erläuterungen. Passagen, die später in Tagebuchform veröffentlicht wurden, wurden in den Briefen vorformuliert.
Für Keith haben sich bei der Recherche ganz neue Facetten des Autors gezeigt. So zeige sich Jünger in den Briefen als Privatmensch, als Familienvater. Ein verletzlicher Mann, der von seiner Frau die Spitznamen "Schneckentier" und "Mucketier" bekam.