Alexis Tsipras bellt und beißt
Seinen markanten Worten im Wahlkampf lässt der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras Taten folgen, so wolle er bei der Umsetzung der Reformen nicht mehr mit der Troika zusammenarbeiten. Das könne nichts Gutes verheißen, meint Korrespondentin Annette Riedel.
Hunde, die bellen, beißen nicht. Wer, frei nach diesem Motto, geglaubt haben sollte, dass der "bellende" Wahlkämpfer Tsipras schon als Regierungschef nicht "beißen" werde, dem blieben nur Stunden, bis er sich eines Besseren belehrt sehen musste.
Der neue linke Regierungschef Griechenlands ist unverkennbar entschlossen, dicht an seiner Wahlkampfrhetorik entlang zu handeln. Das ist ja per se noch keine verwerfliche Sache. Aber nach dieser Woche kann man nicht mehr darauf wetten, dass Griechenland nicht doch – und sei es "aus Versehen" – aus dem Euro rutscht. Selbst wenn letztlich selbst in den Reihen der nun politisch Verantwortlichen in Athen kaum einer wirklich die Drachme wiederbeleben möchte. Es könnte aber trotzdem dazu kommen.
Tsipras' Worten und Taten wohnt zwar durchaus wohltuend die Kraft des Neuanfangs inne und die Anmutung eines jung-dynamischen Helden im Kampf für politische Selbstbestimmung und soziale Gerechtigkeit. Woran es ihm beklagenswert gebricht, ist allerdings die gesunde Beimischung selbst nur der geringsten Dosis Zurückhaltung.
Griechischer Alleingang
Das Anliegen, fast hyperaktiv, sozusagen von der Stunde null an, Duftnoten zu setzen, prägte die ersten Tage der neuen griechischen Regierung im Amt - auch und gerade gegenüber der EU. Dafür stand schon das unnötige, auf offener Bühne angestrengte Fingerhakeln um eine außenpolitische Erklärung der EU-Regierungen zu den Sanktionen gegen Russland. Und Athen setzte mit Verve noch eins drauf, indem es gestern ankündigte, die Zusammenarbeit mit der Troika bei der Umsetzung von Sparanstrengungen und Reformen einzustellen.
In Griechenland mögen das viele als weiteres Zeichen der neuen Distanz Athens vom Diktat Europas begrüßen. Schließlich wurde Syriza nicht zuletzt deswegen gewählt. Wenn das Land daraufhin in Kürze in Zahlungsschwierigkeiten schlitterte, könnte die Freude an dem Coup schnell in Frust umschlagen.
Wirklich überraschend ist das alles vielleicht nicht. Dass es aber keine Woche nach dem Amtsantritt so demonstrativ mit einem derartigen Paukenschlag daherkommt, dass dem "Bellen" so schnell das "Beißen" folgt, das überrascht dann schon.
Es kann nichts Gutes für Griechenland verheißen, wenn sich Tsipras gleich zu Anfang seiner Regierungszeit derart auf Konflikt mit der EU gebürstet gebärdet, als wäre er noch im Wahlkampf. Es wäre Griechenland zu wünschen gewesen, dass er sich seine Spucke gespart hätte und die Sache eine wenig abgehangener, überlegter, geschickter angegangen wäre.
Gängelung durch die verhasste Troika
Syrizas Anliegen, die weniger gut betuchten Teile der griechischen Bevölkerung zu entlasten, ist in der Sache legitim. Das Gleiche gilt für das Anliegen, endlich auch diejenigen Griechen zur Kasse zu bitten, die zwar über das große Geld verfügen, es im Zweifel aber lieber am Fiskus vorbei ausgeben – gern auch außerhalb der griechischen Staatsgrenzen.
Beides wäre im Zweifel auch der Unterstützung wert. Möglicherweise meint Griechenland, auf die Unterstützung der europäischen Partner verzichten zu können. Aber selbst wenn Athen die Finanzhilfen noch wollte – nur eben ohne Gängelung durch die verhasste Troika: die Neigung in den anderen Euro-Ländern dürfte überschaubar sein, sich als flexibel und spendabel zu erweisen, nachdem die Regierung in Athen gewissermaßen als erste Amtshandlung allen gleich mehrfach gezielt derart vors Schienbein getreten hat.
Wenn es ganz schlecht läuft, rasen da zwei Züge aufeinander zu, die keiner mehr bremsen mag oder kann, wenn er nicht als gegängelt oder gar als erpressbar dastehen will. Wer will das schon? Griechenland nicht. Aber die anderen 27 EU-Länder auch nicht. Zeigen sie sich unnachgiebig und Athen uneinsichtig, dann ist die Rutsch-Bewegung Griechenlands aus dem Euro fast programmiert.
Wenn es noch schlechter läuft, dann droht andererseits bei allzu großer Kulanz gegenüber Athen Ansteckungsgefahr. Ebenfalls wirtschaftlich schwer angeschlagene Süd-Länder wie Portugal, Spanien, Italien oder auch Frankreich, könnten auf die Idee kommen, dass sich beherzte Ausweichbewegungen gegenüber unangenehmen Spar- und Reformauflagen auszahlen. Sie könnten geneigt sein, dem griechischen Beispiel zu folgen. Dann hieße es wohl wirklich: Tschüss, Euro!