Griechenland-Einigung

CDU-Politiker: Ich kann diese Erfolgsmeldung nicht gut finden

Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras (l.) mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
Griechenland und seine internationalen Geldgeber haben sich auf eine Grundsatzvereinbarung für ein drittes Rettungspaket geeinigt. © dpa / picture-alliance / Julien Warnand
Die jüngste Nachricht über eine Einigung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern sieht Christian von Stetten skeptisch. Nach wie vor seien die wichtigen Fragen nicht geklärt, bemängelt der CDU-Bundestagsabgeordnete. Die Diskussion um Folgen für CDU-Abgeordnete, die gegen weitere Hilfen für Griechenland stimmten, hält von Stetten aber für abgeschlossen.
Er könne die Erfolgsmeldungen langsam nicht mehr hören, sagte von Stetten im Deutschlandradio Kultur. Denn nach wie vor sei in Griechenland gar nichts geklärt: "Auch heute Morgen wissen wir überhaupt nicht, wie das Gesamtkonzept aussieht, wir wissen nicht, was mit den griechischen Banken passiert, wir wissen nicht, wie die Privatisierungen tatsächlich umgesetzt werden."
Der CDU-Politiker Christian Freiherr von Stetten.
Der CDU-Politiker Christian Freiherr von Stetten.© imago / Müller-Stauffenberg
Gleichzeitig fehle nach wie vor ein Nachweis über Griechenlands Systemrelevanz für die Euro-Zone sowie die über die Schuldentragfähigkeit des Landes. "Deswegen kann ich die diese Erfolgsmeldung überhaupt nicht für gut befinden."
Die Diskussion um die Warnung des Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder wegen zahlreicher Nein-Stimmen bei der Abstimmung um weitere Griechenlandhilfen erklärte von Stetten für beendet. Die Fraktionsführung habe klar gestellt, dass kein Abgeordneter seine Ausschüsse verlassen müsse. Grundsätzlich habe sie das Recht, Loyalität von ihren Fraktionsträgern einzufordern. Für viele sei die Griechenlandhilfe aber nicht mit dem eigenen Gewissen vereinbar gewesen. "Wenn diese Einsicht jetzt in der Fraktion klar ist, dann ist das sicherlich ein klares Zeichen und Signal."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Dass Deutschland von der griechischen Schuldenkrise profitiert habe, das geistert schon eine Weile durch die Debatten, wenn auch eher als Meinungsäußerung denn als seriöse Information. Nun aber zeigt eine Studie eines seriösen Wirtschaftsinstituts, dass das tatsächlich stimmt, und diese Studie nennt auch konkrete Zahlen. Einzelheiten von Brigitte Scholtes.
Brigitte Scholtes über die neue Studie des Leibniz Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, die bedeutet, Deutschland habe seit 2010 100 Milliarden Euro an der griechischen Schuldenkrise verdient. Christian von Stetten sitzt für die CDU im Deutschen Bundestag, er ist unter anderem Mitglied des Finanzausschusses bereits seit 2002 und im Moment kein enger Freund des Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, denn auch er, von Stetten, hat mit Nein gestimmt, als es im Bundestag um weitere Hilfen für Griechenland ging. Darüber wollen wir aber erst am Ende unseres Gespräches reden. Wir wollen natürlich mit der aktuellen Studie anfangen, aber erstmal schönen guten Morgen, Herr von Stetten!
Christian Freiherr von Stetten: Guten Morgen!
Kassel: Brandneu ist das ja nicht, dass Deutschland auch verdient hat an der Schuldenkrise, aber wo jetzt diese Studie auch noch das so aktuell belegt, müssen Sie jetzt Ihre eigene Einstellung zur Griechenlandhilfe neu überdenken?
von Stetten: Nein, hier werden Äpfel mit Birnen verglichen, und ich bin auch schon etwas irritiert, dass ein an sich seriöses Institut das Sommerloch für solche Schlagzeilen hier nutzen möchte, denn es ist zwar richtig, dass das Zinsniveau momentan sehr niedrig ist und deshalb die Zinsausgaben des Bundesfinanzministers sinken, aber der Staat besteht ja nicht nur aus dem Bundesfinanzminister, denn auf der anderen Seite ist bei vielen Bürgern die Alterssicherung in Gefahr, die Menschen bekommen immer weniger Zinsen auf der Bank, Lebensversicherungen verdienen nichts mehr und Bausparverträge werden zwangsgekündigt. Und diese ganzen Einnahmen der Bürger zählen ja auch zum Staat dazu, und wenn Sie das dann hochrechnen, dann ist es sicherlich nicht so, dass wir die Griechenlandverluste schmerzhaft verkraften können.
Studie über Deutschlands Griechenland-Gewissen ist "Sommerlochthema"
Kassel: Was das Institut in Halle ja bezweifelt. Und man muss ja auch zugeben, man kann ja nicht beides haben – niedrige Zinsen für Staatsanleihen auf der einen Seite und hohe Zinsen für Geldanlagen auf der anderen.
von Stetten: So ist es, und deswegen gleicht sich das auch wieder aus, und wer das positiv findet, dass die EZB den Markt flutet mit billigem Geld, das wird sich später auch rächen, muss ja auch wieder zurückgezahlt werden in irgendeiner Form und Weise, und wenn Sie dann sagen, dann können Sie auch gleich zu unserem Nachbarstaat in die Schweiz gehen, der auch ganz niedrige Zinsen hat, wo sogar Negativzinsen bezahlt werden, die profitieren auch davon, haben aber keine Verbindlichkeiten bei Griechenland zu zahlen, dann müsste man diese Rechnung aufmachen. Also ich sehe das als Milchmädchenrechnung und ein Sommerlochthema.
Kassel: Das heißt, das Argument, das man ja auch immer wieder gehört hat, gerade in Deutschland, weitere Hilfen für Griechenland sind nicht möglich, weil wir das dem deutschen Steuerzahler nicht zumuten können, ist für Sie nicht hinfällig jetzt?
von Stetten: Na gut, der Staat kriegt jetzt schon weniger Zinsen auf Kosten seiner Bürger, und das ist auch das, was die Bürger bedrückt. Sie haben sich eine Alterssicherung aufgebaut, auch mit Zinseinnahmen, die sie kalkuliert haben, die kriegen sie jetzt nicht, davon profitiert der Staat. Aber wie gesagt, der Staat ist nicht nur der Bundesfinanzminister, sondern wir alle miteinander, und das sollte man unterscheiden, die niedrigen Zinsen und die Verbindlichkeiten, die eventuell für Griechenland gezahlt werden müssen.
Kassel: Aber Sie wissen schon, was Verschwörungstheoretiker jetzt daraus machen – das ist im Internet auch schon zu lesen auf gewissen nicht ganz so seriösen Blogs, da heißt es nämlich, der Bundesfinanzminister, die ganze Regierung habe gar kein Interesse daran, die griechische Krise zu beenden, weil man ja doch daran verdiene. Ich will mal ganz deutlich sagen, dass ich diesen Schluss nun zwar für Unsinn halte, aber müsste man nicht auch mit diesem positiven Effekt ein bisschen offensiver umgehen in der Regierung, gerade um sowas zu entkräften?
von Stetten: Ich glaube, der Bundesfinanzminister macht seit drei Jahren seine Hauptaufgabe, dieses Problem zu lösen, wäre sehr froh, wenn er es lösen könnte, auch wenn er dann in Zukunft etwas mehr Zinsen zahlen könnte. Dass in Deutschland das Zinsniveau so niedrig ist, hängt da auch damit zusammen, dass die Leute Vertrauen in die Bundesregierung haben, in unseren Staat, und da ist sicherlich der Finanzminister und auch die Bundeskanzlerin mit verantwortlich, und von daher machen die da einen guten Job.
Kassel: Aber wenn Sie sagen, das eine hebt das andere auf, ist das nicht auch eine Milchmädchenrechnung? Denn das, was das Institut ausgerechnet hat an Gewinnen, ist direkt auf Griechenland zurückzuführen, aber dass das Zinsniveau so niedrig ist, ist ja auch allgemein auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen.
von Stetten: Nein, in unserer Wirtschaftsgeschichte gab es immer wieder Niedrigzinsphasen und Hochzinsphasen, da gibt es verschiedene Effekte. Und ich glaube, wir könnten uns das sehr gut sparen, die Sorgen, die wir mit Griechenland hätten, da wären wir, glaube ich, besser bedient.
Neue Griechenland-Einigung ist keine Erfolgsmeldung
Kassel: Wir haben aber Sorgen mit Griechenland, und da gab es nun in der Nacht eine neue Entwicklung – Griechenland hat sich mit den internationalen Partnern auf neue konkrete Haushaltsziele geeinigt, und viele Beobachter sagen schon, damit sei jetzt der Weg frei für das dritte Hilfspaket. Teilen Sie diese Einschätzung?
von Stetten: Ich kann langsam die Erfolgsmeldungen, die jede Woche aus Brüssel kommen, fast nicht mehr hören, denn überhaupt nichts ist in Griechenland geklärt. Auch heute Morgen wissen wir überhaupt nicht, wie das Gesamtkonzept aussieht, wir wissen nicht, was mit den griechischen Banken passiert, wir wissen nicht, wie die Privatisierungen tatsächlich umgesetzt werden, und was das Entscheidende für ein neues Rettungspaket ist, Griechenland hat nach dem ESM Antrag gestellt auf neue Hilfen, da ist völlig klar geregelt, dass die Systemrelevanz von Griechenland für Europa nachgewiesen werden muss.
Das heißt, dass wenn Griechenland zusammenbricht, dass die ganze Eurozone in Schieflage geht, das ist bis heute nicht nachgewiesen worden. Und was noch viel wichtiger ist – es muss die Schuldentragfähigkeit hergestellt werden, das heißt, wenn der Bundestag entscheidet, weitere Milliarden nach Griechenland zu geben, muss klar sein, dass diese Schulden auch zurückgezahlt werden können, auch das ist bis heute nicht nachgewiesen worden, deswegen kann ich diese Erfolgsmeldung überhaupt nicht für gut finden.
Kassel: Aber wenn Sie sagen, Herr von Stetten, die Systemrelevanz von Griechenland für die Eurozone ist in Ihren Augen nicht bewiesen – das klingt mir ein bisschen nach, na ja, wir können auch ohne.
von Stetten: Ja, wir könnten auch ohne, denn der Vorschlag von Wolfgang Schäuble war ja der richtige, indem er gesagt hat, man macht einen Grexit auf Zeit, man lässt Griechenland für einige Jahre aus dem Euro heraus, dass Griechenland seine Wirtschaft auf Vordermann bringen kann, seinen Staat reformieren kann, und dann ihm die Chance geben kann, wieder zurückzukommen. Das hätte überhaupt keine Auswirkungen auf den Euro insgesamt, und deswegen wäre das der bessere Weg gewesen.
Kassel: Eine Alternative zumindest in Augen mancher auch Wirtschaftsexperten wäre ja ein Schuldenschnitt. Dagegen wehrt sich die Bundesregierung. Da kommen wir doch noch mal auf diese Studie zurück, da heißt es ja sogar, wenn wir auf die kompletten 90 Milliarden, rund, verzichten, haben wir immer noch 10 Milliarden Gewinn gemacht. Spricht das nicht für einen Schuldenschnitt?
von Stetten: Das hat aber nichts mit der Studie zu tun, das ist, wie gesagt, eine Milchmädchenrechnung, aber generell ist klar, dass Griechenland irgendwann einen Schuldenschnitt kriegen muss, denn sie werden die Zinsen nicht bezahlen können, sie werden die Schulden nicht zurückzahlen können. Das ist nach unseren jetzigen rechtlichen Möglichkeiten nicht da, und deswegen ist die Schuldentragfähigkeit auch nicht gegeben. Was man jetzt wahrscheinlich machen wird in den nächsten Tagen, um die Schuldentragfähigkeit wiederherzustellen, ist, man wird die jetzt laufenden Darlehen, die ja auf dem Jahr 2020 zurückgezahlt werden müssen, wird man um weitere 30 Jahre verlängern, sodass die ersten Darlehen tatsächlich dann im Jahr 2050 zurückgezahlt werden müssen und die letzten im Jahr 2084.
Damit könnte man künstlich den Schuldenstand wieder so herstellen, dass die Schuldentragfähigkeit gegeben wird, aber auch das ist natürlich ungedeckte Schecks in die Zukunft verschieben, der nächsten Generation vor die Füße werfen ist auch nicht seriös. Ich bin mir aber relativ sicher, dass man diesen Weg gehen wird, um die Schuldentragfähigkeit wiederherzustellen, weil einen offiziellen Schuldenschnitt, den Bürgern sagen, es ist Geld verloren, will man in Brüssel auch nicht riskieren.
Debatte um Warnungen des Fraktionsvorsitzenden ist beendet
Kassel: Ich habe vorhin erwähnt, dass Sie schon seit 2002 im Haushaltsausschuss sitzen. Ich könnte jetzt böse formulieren, vielleicht ja nicht mehr so lange, denn Ihr Fraktionsvorsitzender Volker Kauder hat ja gesagt, Menschen wie Sie gehören da nicht rein, Menschen, die mit Nein gestimmt haben bei der letzten Abstimmung zu weiteren Griechenlandhilfen. Mal ganz sachlich, wie erklären Sie sich diese Nervosität in dem Zusammenhang?
von Stetten: Ich bin im Finanzausschuss des Bundestages ...
Kassel: Entschuldigung, ja, ich habe Haushalt gesagt. Finanzausschuss! Entschuldigung.
von Stetten: Das macht mir aber auch keine Sorgen. Die Diskussion war sicherlich notwendig, weil sich der eine oder andere Kollege Gedanken macht, wie sein Abstimmungsverhalten, was für Auswirkungen geben wird, aber die Diskussion ist beendet, denn die Fraktion hat klargestellt, dass keiner seinen Ausschuss verlassen muss und jeder im Prinzip dann auch so abstimmen kann, wie er es für richtig hält. Der Fraktionsvorsitzende hat das klargestellt, und damit sollten wir jetzt zur Tagesordnung wieder übergehen und die inhaltlichen Themen diskutieren.
Kassel: Das heißt, der Einschüchterungsversuch ist misslungen?
von Stetten: Ich glaube, die Fraktionsführung hat das Recht, Loyalität von ihren Funktionsträgern einzufordern, aber eine kluge Fraktionsführung verlangt diese Geschlossenheit, die auch ab und zu notwendig ist, nur dann, wenn es den Abgeordneten auch möglich ist, mit ihrem Gewissen dies zu vereinbaren. Und bei der Aufforderung, die Griechenlandhilfe jetzt wieder umzusetzen, dabei vielleicht sogar europäische Verträge zu brechen oder den ESM zu missbrauchen, das wäre für viele Parlamentarier zu viel verlangt, und wenn diese Einsicht jetzt in der Fraktion klar ist, dann ist das sicherlich ein klares Zeichen und Signal, und von daher sollten wir jetzt die Geschlossenheit in der Fraktion und die gute Kameradschaft, die wir trotz aller Meinungsverschiedenheiten noch haben, auch nach vorne stellen.
Kassel: Sagt Christian von Stetten, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Finanzausschuss. Herr von Stetten, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
von Stetten: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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