Griechenland

Europas Intervention ignoriert Geschichte

Nach einer friedlichen Demonstration in Athen kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen von Autonomen.
Demonstration in Athen vor dem griechischen Parlament am Syntagma-Platz. © ORESTIS PANAGIOTOU / DPA
Von Constantin Fellner · 27.07.2016
Die Geschichte der Griechen wiederholt sich: Seit 1830 entzünde sich ihr Zorn immer wieder an nationalem Unvermögen gepaart mit ausländischer Einmischung, stellt der Journalist Constantin Fellner fest. Wäre die europäische Politik klug, würde sie dies berücksichtigen.
Die Deutschen unterschätzten die Griechen – damals 1941, als sie gemeinsam mit den Italienern am Ende des Balkanfeldzuges das Land besetzten und die Briten vertrieben. Sie wussten um die griechische Tapferkeit. Mit starkem Widerstand aber rechneten sie nicht – weder dem der Armee noch dem der Partisanen.
Wehrmacht und SS überzogen Griechenland mit einem brutalen Besatzungsregime. Gnadenlos wurden Güter requiriert, im ersten Besatzungswinter verhungerten schätzungsweise hunderttausend Griechen. Und Gegenwehr bekämpfen die Deutschen mit erbarmungslosen Repressalien.
120 Kommunen, die bis heute als Märtyrerdörfer in Erinnerung sind, wurden ausgelöscht, die berühmtesten unter ihnen: Kalavryta, Komneno, Distomo. Beinahe die ganze jüdische Bevölkerung Griechenlands fiel dem Holocaust zum Opfer, darunter die einst größte jüdische Gemeinde Europas in Saloniki.

Deutsche Besatzung politisierte Griechenland

Das Aufbegehren gegen Besatzung und Repression politisierte die Griechen. Mehrheitlich unterstützten sie den kommunistischen Widerstand, der nach und nach die ländlichen Regionen weitgehend kontrollierte. Seine Mitglieder verübten nicht nur Sabotageakte gegen die Wehrmacht, sondern bekämpften auch griechische Kollaborateure, die mit den Besatzern einträgliche Geschäfte machten und diese teilweise militärisch unterstützten.
Als sich die Deutschen zurückziehen mussten, steigerten sich die Feindseligkeiten zwischen Kommunisten und Royalisten zum erbitterten Bürgerkrieg. Er endete mit der Eingliederung Griechenlands ins westliche Bündnis. Dafür hatte sich besonders Winston Churchill stark gemacht, der Hellas nicht an den Stalin verlieren wollte.
Doch der von außen beeinflusste Regimewechsel hinterließ eine schwärende Wunde im Nationalbewusstsein, das sich von Briten und Amerikanern um seine eigene Heldengeschichte betrogen sah. Denn dieselben linksgerichteten Politiker und deren Parteigänger, die die Herrschaft der Nazis abgeschüttelt hatten, wurden jetzt erneut Opfer von Verfolgung und Unterdrückung.

Bürgerkrieg und Westbindung stabilisierten Klassensystem

Für die griechische Unter- und Mittelschicht setzte sich zudem das alte Klassensystem fort. Eine schmale Oberschicht aus Adel und Besitzenden regiert das Land seit seiner Neugründung 1830, damals noch unter dem Protektorat Englands und Frankreichs. Dabei herausgekommen waren immer wieder Staatspleiten und außenpolitische Niederlagen wie das Scheitern des Feldzuges gegen die Türkei 1922.
Fünfundsiebzig Jahre sind seit dem Bürgerkrieg vergangen – Jahre, in denen sich die verfeindeten gesellschaftlichen Lager nicht versöhnten – auch nicht, nachdem die Militärdiktatur von Demokratie und Mitgliedschaft in der EU abgelöst worden war.
Mehr noch: heute widerholt sich Geschichte. Der Wunsch, sich nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich zu befreien, geriet zum Desaster, an dem der Westen seinen Anteil hat, erst als großzügiger Kreditgeber, dann als drakonischer Gläubiger.

Europa muss den Zorn über ausländische Einmischung verstehen

Und wieder richtet sich der Zorn der Griechen gegen sich selbst, gegen den Staat und gegen die Einmischung von außen, vor allem gegen die Deutschen mit ihrer Austerity oder die Amerikaner mit ihrer Wallstreet. Man mag die ganze Schulden-Banken-und-Strukturkrise als selbstverschuldet ansehen oder auch als heilsam. Doch stiftet nichts mehr Unfrieden als das Déjà-vu des Gefühls, erneut fremdgesteuert zu werden.
Die europäische Idee verspricht, jede Nation mit ihrer eigenen Heldenerzählungen ernst zu nehmen. Das hieße auch, dass einflussreiche Partner von heute wie England, Frankreich und besonders Deutschland ihre unrühmliche Rolle in Griechenlands Geschichte nicht vergessen.
Kluge Politik ließe Athen deshalb seinen eigenen Weg aus der Krise finden. Und keinesfalls dürfte solidarische Hilfe oder eigennützige Strenge wie eine fremde Intervention daherkommen. Kluge Politik sollte die Griechen nicht unterschätzen, anders als es einst die nationalsozialistischen Deutschen taten.

Constantin Fellner, Jahrgang 1982, schloss 2009 das Studium in den Fächern Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin ab. Er arbeitet seit mehreren Jahren als freier Autor für Presse und Rundfunk.



Constantin Fellner
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