Griechenland

Individualismus statt Globalisierung

Statue des Platon in Athen
Statue des Platon in Athen - wie geht es weiter mit der Weisheit der großen Kulturnation? © picture alliance / dpa / Foto: D.P.P.I.
Vinzenz Brinkmann im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Griechen-Bashing ist leicht, doch es gibt auch andere Stimmen: Der Archäologe Vinzenz Brinkmann lobt den griechischen Hang zum Individualismus. Er fordert mehr Verständnis für die Eigenarten dieser großen Kulturnation.
Auf das derzeit beliebte Griechenland-Bashing hat der Archäologe Vinzenz Brinkmann von der Ruhr-Uni Bochum eine Antwort: Er fordert mehr Verständnis für die Eigenarten dieser großen Kulturnation. Viele der gegenwärtigen Probleme des Landes hätten sich auch durch einen sehr starken Individualismus der Griechen aufgebaut: Sie wehrten sich damit gegen zunehmende Globalisierung und den Druck der Konzerne und wollen lieber Tante-Emma-Läden statt großer Elektronik-Ketten.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute legt Athen die von der Troika und Brüssel lange erwartete Reformliste vor. Aber ob die die Wende bringt? Was Griechenland betrifft, da kann man ja manchmal hin und her gerissen sein. Denn eigentlich gilt die Erfahrung, dass man schlechtem Geld nicht noch gutes hinterherwerfen soll. Außerdem ist Griechenland auch der berühmte nackte Mann, dem man nicht in die Tasche fassen kann.
Aber woher kommt es, dieses andere Verhältnis zum Staat, das die Griechen offenbar haben. Da lohnt ein Blick in die Geschichte. Und genau die liefert uns ein Archäologe mit einer Ausstellung, die er vorbereitet. Professor Vinzenz Brinkmann von der Ruhr-Uni Bochum, der hat ein langes und inniges Verhältnis zu Griechenland, war schon als Student dort. Im gegenwärtigen Athen hat er eine Wohnung, im klassischen Griechenland ist er zu Hause. Er leitet nämlich im Frankfurter Liebig-Haus auch die Antikensammlung und soll, das habe ich gehört, sogar manchmal auf Griechisch träumen. Jetzt ist er am Telefon. Schönen guten Morgen!
Vinzenz Brinkmann: Guten Morgen!
von Billerbeck: Die Kritik an Griechenland, die reißt ja nicht ab, hat man das Gefühl. Nun könnte man ja platt fragen, warum machen die Griechen nicht einfach, was man ihnen sagt?
Brinkmann: Na ja, die haben nicht so einen großen Bewegungsspielraum, wie wir das hier annehmen. Tatsächlich gibt es natürlich wirkliche, echte Verwerfungen ökonomischer Art, dafür bin ich nicht der Spezialist. Aber es gibt einfach ein riesiges Gefälle zwischen einer Industrienation wie Deutschland und der Agrar- und Touristennation wie Griechenland. Und das muss irgendwie zusammenkommen, da muss man sich Gedanken machen, wie das alles zusammenpasst.
von Billerbeck: Aber wofür Sie Spezialist sind, das ist das Griechenland der klassischen Zeit als Wiege der europäischen Kultur. Was meinen Sie, wie konnte es so weit kommen, dass man jetzt dort derart massiv auf Hilfe angewiesen ist?
Das Sterben des Tante-Emma-Ladens
Brinkmann: Das hat natürlich mit der Antike nichts zu tun. Man muss die Dinge getrennt sehen, man muss die Gegenwart als Gegenwart sehen. Da groß die Wurzeln zu suchen eines wirtschaftlichen Problems, halte ich für schwierig. Die gegenwärtigen Probleme haben sich aufgebaut durch einen auch sehr starken Individualismus letztendlich der Griechen, die sich wehren gegen globale Entwicklungen und auch Entwicklungen letztendlich europäischer Natur.
Denken Sie einfach nur an das Sterben des Tante-Emma-Ladens. Dagegen wehren sich die Griechen noch. Sie wollen in dem Umfang nicht McDonalds, sie wollen nicht Media Markt oder Praktiker im Land haben. Aber da machen die Europäer Druck, da macht natürlich die westliche Welt Druck. Und da muss man einen Weg finden. Den Individualismus Griechenlands halten, damit auch seinen Charakter, die Schönheit des Landes, und andererseits auch noch die Interessen der deutschen oder französischen oder britischen Großindustrie, weil die hier ihren Markt erweitern wollen mit aller Macht. Die müssen das ja auch ständig unter Beweis stellen.
von Billerbeck: Nun sprechen wir ja von Griechenland immer als der Wiege der europäischen Kultur. Sie sind Archäologe. Trägt Griechenland diesen Titel zu Recht?
Brinkmann: Absolut. Da ist jedes Klischee berechtigt in Hinsicht auf Theater, Roman, Philosophie, Wissenschaften, Staatskonzepte – denken Sie nur an die Isonomie, sprich Demokratie. Da haben die Griechen die Weichen für die Moderne gestellt. Ein Hollywood wäre nicht denkbar ohne die Entdeckung der Bühne, des Theaters. Eine moderne Verfasstheit unserer Staaten wäre nicht denkbar ohne die Staatsphilosophie der Griechen. Die Griechen haben übernommen von Mesopotamien und Ägypten sehr viele Anregungen. Aber sie haben dann die Weichen gestellt. Sie haben dieses Material neu genutzt und damit unsere Gegenwart und auch unsere Zukunft definiert.
"Vor 30 Jahren war Griechenland ein Land voller Lebensfreude"
von Billerbeck: Wie haben Sie denn Griechenland erlebt? Sie waren ja schon vor 30 Jahren als Student dort und auch als Professor. Wie war das damals, wie hat es sich verändert?
Brinkmann: Na ja, Griechenland ist natürlich auch durch den Euro sehr erstarkt als Wirtschaftskraft. Da sind natürlich auch Dinge ausgegeben worden, die nicht eingenommen wurden. Die Griechen leben heute auf einem höheren Niveau. Früher, vor 30, 40 Jahren hat man gerne mal im Kafenion eine Männerrunde gesehen, die sich dann ein Bier für den Abend geteilt haben. Man kann das heute in der Krise dann plötzlich wiederentdecken.
Griechenland war aber auch vor 30 oder 40 Jahren ein Land voller Lebensfreude, voller Klarheit auch des Intellekts. Die griechische Sprache, auch die moderne griechische Sprache ist eine wunderbare Sprache, die letztendlich auch das Denken und die Argumentation fördert, dass war in der Antike so und das ist heute so. Das war für mich als Student eine grandiose Erfahrung, eine wunderschöne Erfahrung auch, in Athen zu leben, einer ganz lebendigen, intellektuellen und offenen Stadt. Und wir haben uns ja jetzt wieder eine kleine Wohnung gekauft und hoffen so ein bisschen und erleben das auch, dass man da wieder anschließt.
Auch ein Stück Solidarität steckt dahinter, denn die Griechen haben enorme Probleme zu lösen, sozialer Natur, intern, aber gucken Sie auf die Zahlen: Zuletzt haben sie allein dieses Jahr, 2015 haben sie 48.000 Flüchtlinge aufgenommen. Die erscheinen natürlich auch im Stadtbild Athens, die müssen in irgendeiner Weise in das Leben eingebettet werden, und da sind die Griechen eigentlich unkonventionell und häufig sehr tapfer.
Fehlgeleitete Infrastrukturmaßnahmen
von Billerbeck: Das taucht in den Berichten viel seltener auf, wenn man über Griechenland spricht, diese vielen Flüchtlinge.
Brinkmann: Ja, wir überlassen Griechenland ein enormes Problem. Wir überlassen Griechenland eine Menge anderer Probleme, um die wir uns nicht kümmern. Ich habe darauf ja auch mal verwiesen, man darf nicht vergessen, was die deutsche Großindustrie, auch die deutsche Rüstungsindustrie und auch andere Giganten letztendlich, indem sie Infrastrukturmaßnahmen lenken und leiten in so einem kleinen Land, die völlig überspannt sind.
Und die dann einem solchen Land unnütze, zum Teil wirklich völlig unnütze Infrastrukturmaßnahmen zurücklassen, für die sie dann auch noch die Wartung finanzieren müssen. Also, es gibt da Autobahnen durch den Peleponnes, da fragt man sich, hallo? – kommt hier mal ein Auto vorbei? Oder die komplexesten Ampelschaltanlagen mitten auf dem Land, ohne irgendeinen kreuzenden Verkehr. Das ist das Interesse Mitteleuropas oder der Großindustrie Europas, da einen Markt zu entwickeln. Aber es kümmert sich keiner darum, wie ein kleines Land wie Griechenland dann mit diesen Maßnahmen umgeht, mit den Folgekosten und so weiter.
Griechenland und die Wurzeln der Antike
von Billerbeck: Sie bereiten ja nun eine große Athen-Ausstellung vor für das nächste Jahr. Wird das Interesse daran derzeit eher gefördert durch die Lage oder behindert?
Brinkmann: Na ja, wir finden das ganz spannend, dass im Moment so viel über Griechenland und Athen geredet wird, und hoffen, dass in diesem Kontext die Neugierde steigt, dass sich die Menschen auch wieder fragen, warum setzen wir uns eigentlich so auseinander mit diesem kleinen Griechenland? Da ist doch irgendwas, da steckt doch irgendwas in unseren Knochen, das uns sagt, dass wir da eine Lösung finden müssen.
Und das hat etwas mit dieser Geschichte Griechenlands und vor allem Athens zu tun. Athen war in der Antike federführend. Man hat einen massiven Kulturimperialismus betrieben, man hat alles an sich gebunden, die Kunst, Intellektualität, und hat damit eine Marke produziert, einen Namen produziert, der ja heute noch extrem klangvoll ist, auch wenn man keine genaue Kenntnis hat, weiß man darum, da war doch was. Und um da ein bisschen nachzuhelfen, kommt diese Ausstellung.
von Billerbeck: Vinzenz Brinkmann war das, Archäologe, Griechenlandkenner und -liebhaber, der uns mit der Klassik erklärt hat, warum Griechenland so ist, wie es eben ist. Ich danke Ihnen!
Brinkmann: Danke, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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