Griechenland-Krise

"Deutsche Politik hat auf das falsche Pferd gesetzt"

Der frühere Bundesminister Erhard Eppler (SPD) nimmt am 15.05.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2015 teil.
Erhard Eppler (SPD): "Ich glaube, dass (...) die deutsche Europapolitik seit einigen Jahren nicht mehr auf der Spur ist." © picture alliance / dpa / Daniel Naupold
Erhard Eppler im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Der 88-jährige SPD-Politiker Erhard Eppler gilt als moralische Instanz der SPD. Er beklagt im Zuge der Griechenland-Krise einen deutschen Ansehensverlust in Europa. Früher sei man vorangegangen. Heute werde man eher "als Leute mit der Peitsche, die hinterherlaufen" empfunden.
Die deutsche Politik müsse begreifen, dass sie in der Bewältigung der Griechenlandkrise auf das falsche Pferd gesetzt habe, sagte Eppler im Deutschlandradio Kultur. Es müsse klar werden, dass man in Deutschland begriffen habe, was da vor sich ging und woran die Bundesregierung schuld sei. Wenn dies durch ein anderes Handeln und einen anderen Ton deutlich würde, dann könne man in einigen Jahren den entstandenen politischen Schaden reparieren.
Das Gefühl der Gemeinschaft in der EU wurde verletzt
"Es muss eine Zäsur erkennbar werden", sagte Eppler. "Ob diese Zäsur dadurch herbeigeführt wird, dass Schäuble, der ja wirklich seine Verdienste hat, sich nun aufs Altenteil zurückzieht oder wie immer man das macht." Der SPD-Politiker beklagte, dass jetzt zwar die "Apparate" immer noch liefen, aber das Gefühl der Zusammengehörigkeit in der EU sei verletzt worden - soweit es überhaupt noch existiere.
Politisches Kapital verspielt
Eppler stimmte der Kritik des Philosophen Jürgen Habermas grundsätzlich zu, die Bundesregierung habe das ganze politische Kapital verspielt, dass Deutschland in 50 Jahren aufgebaut habe. Er sprach von einem langen Vorlauf dieser Entwicklung: "Ich glaube, dass Europa, jedenfalls die deutsche Europapolitik seit einigen Jahren nicht mehr auf der Spur ist, in die sie Adenauer gesetzt hat und in der alle übrigen Kanzler die deutsche Politik gehalten haben." Es sei bei der Diskussion um die Eurobonds losgegangen, dass die Deutschen nicht mehr als "vorangehende, sondern als Leute mit der Peitsche, die hinterherlaufen" empfunden worden seien, sagte der 88-jährige Politiker.
Bestimmte Form der Solidarität kommt für Merkel nicht in Frage
Alle früheren Kanzler hätten den Willen der "schwächeren Länder", Eurobonds zu bekommen, sicher zum Motor für die europäische Einigung gemacht. "Frau Merkel hat genau das Gegenteil getan", sagte Eppler. "Sie hat sofort erklärt, mit mir nicht, solange ich lebe, wobei sie wohl unterstellt hat, dass sie Kanzlerin auf Lebenszeit ist." Merkel habe gleich klar gemacht, dass eine bestimmte Form der Solidarität für sie nicht in Frage kommt. "Von diesem Zeitpunkt an, wird der deutsche Anspruch auf eine gewisse Führung eben von den schwächeren Ländern als ein Anspruch auf Herrschaft empfunden und das hat sich nun in den letzten Wochen verdichtet und hat tiefe Spuren, vor allem in Südeuropa hinterlassen."
Entlastung für die SPD
Der SPD-Politiker nahm seine Parteigenossen gegen den Vorwurf in Schutz, als Koalitionspartner für diesen Kurs mitverantwortlich zu sein. "Die beiden, die den größten Anteil haben, sind Schäuble und Merkel", sagte er. "Bei den anderen, kann man darüber reden, warum sie nicht mehr getan haben, um die beiden zu bremsen."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute werden sie wieder in Athen erwartet, die Experten der Geldgeber Griechenlands, vier an der Zahl sind es inzwischen, und die Verhandlungen der Eurogruppe mit Griechenland, die zeigen ja, dass die Euphorie längst vorbei ist. Und auch wie sich die Europäische Union selbst versteht, das ist nicht mehr klar. Spätestens seit außer über einen Grexit mal eben auch locker mitdiskutiert wurde, ob Griechenland nicht gleich ganz aus der EU ausscheiden sollte. Deutschland wird in den Auseinandersetzung eine Führungsrolle zugeschrieben, ob allerdings die deutschen Politiker dem gewachsen sind, darüber habe ich mit dem SPD-Urgestein Erhard Eppler gesprochen. Inzwischen ist er 88 Jahre alt, er war von 1968 bis 74 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und in den 1980er-Jahren eine der führenden Persönlichkeiten innerhalb der Friedensbewegung. Herr Eppler, ich grüße Sie!
Erhard Eppler: Ich Sie auch!
von Billerbeck: Wenn wir die vergangenen Wochen vor unserem geistigen Auge vorbeiziehen lassen, wie es zuging während der Verhandlungen um und mit Griechenland, dann könnte man zusammengefasst sagen, beide Seiten fühlten sich erpresst – die Griechen und die anderen Europäer auf die eine oder andere Weise. Wie bewerten Sie die Verhandlungen um Griechenland, wenn man Europa in den Blick nimmt?
Eppler: Wir stellen ja fest, dass die Apparate immer noch laufen. Die Griechen beschließen, was sie für falsch halten, und die Europäer in Brüssel und vor allem wir Deutschen sind zufrieden. Die Schwierigkeit ist nur, dass das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Gemeinschaftsgefühl, das ja am Anfang der Europäischen Union stand, verletzt ist, soweit es überhaupt noch existiert. Und auf Dauer kann natürlich der Apparat nicht weiterlaufen, wenn nicht die Kräfte, die die Europäische Union gebaut haben, nach wie vor wirksam sind.
von Billerbeck: Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas, der hat ja scharfe Kritik an der Bundesregierung geübt, der hat gesagt, er fürchte, die Regierung habe in der jüngsten Gipfelnacht von Brüssel das ganze politische Kapital verspielt, das ein besseres Deutschland in 50 Jahren aufgebaut habe. Das gelte im übrigen auch für die Sozialdemokraten. Sehen Sie das auch so, Herr Eppler?
Eppler: Ja, ungefähr so, nur glaube ich, dass das, was wir jetzt erlebt haben und was Habermas so kritisiert, ja einen langen Vorlauf hat. Ich glaube, dass Europa – jedenfalls die deutsche Europapolitik – seit einigen Jahren nicht mehr auf der Spur ist, in die sie Adenauer gesetzt hat und in der alle übrigen Kanzler die deutsche Politik gehalten haben, bis hin zu Kohl und Schröder. Ich glaube, man kann sogar den Zeitpunkt feststellen, von dem aus es schiefgelaufen ist, von dem aus dann die Deutschen nicht mehr als Vorangehende, sondern als Leute mit der Peitsche, die hinterherlaufen, empfunden worden sind. Und das war die Diskussion um die Eurobonds.
Damals hätten alle früheren deutschen Kanzler etwa dasselbe gesagt, sie hätten gesagt, na ja, das ist eine interessante Idee, aber soweit sind wir noch lange nicht, und dann hätten sie eine Liste aufgestellt, was alles noch passieren muss, bis man an Eurobonds denken kann. Und sie hätten diesen Willen, vor allem der schwächeren Länder, Eurobonds zu bekommen, zum Motor für die europäische Einigung gemacht. Und Frau Merkel hat genau das Gegenteil getan, sie hat sofort erklärt, mit mir nicht, solange ich lebe, wobei sie wohl unterstellt hat, dass sie Kanzlerin auf Lebenszeit ist, und hat von vornherein klargemacht, dass eine bestimmte Form der Solidarität für sie nicht infrage kommt. Und ich glaube, von diesem Zeitpunkt an wird der deutsche Anspruch auf eine gewisse Führung eben von den schwächeren Ländern als ein Anspruch auf Herrschaft empfunden, und das hat sich nun in den letzten Wochen verdichtet und hat tiefe Spuren vor allem in Südeuropa hinterlassen.
Größten Anteil haben Merkel und Schäuble
von Billerbeck: Das heißt, es kritisiert nicht nur der Stammtisch Europa, sondern es wird jetzt weitergehen. Wir haben heftige Kritik auch im Straßburger Parlament an Europa, und Deutschland und insbesondere Frau Merkel und ja auch ihr Parteifreund Gabriel haben daran ihren Anteil?
Eppler: Ich glaube, die beiden, die den größten Anteil haben, sind Schäuble und Merkel. Bei den anderen kann man darüber reden, warum sie nicht mehr getan haben, um die beiden zu bremsen.
von Billerbeck: Das heißt, Sie kritisieren, dass Deutschland hier eine Politik betreibt, in der es um die eigene Vorherrschaft geht und nicht um das gemeinsame europäische Interesse?
Eppler: Nein, ich sage, dass sie eine Politik macht, die so interpretiert werden kann, vielleicht sogar interpretiert werden muss. Dass sie es so gemeint haben, behaupte ich nicht. Ich glaube, hier ist eine Generation am Werk, und das kann ich als 88-Jähriger vielleicht sagen, die eben das Jahr 1945 entweder gar nicht oder nicht als Erwachsener und voll fähiger Mensch erlebt hat und die gar nicht weiß, was da im Untergrund in Europa noch schwelt. Und ich hätte mir persönlich nie vorstellen können, dass es noch einmal eine solche Diskussion gibt, dass eine gegenwärtige Regierung der Bundesrepublik Deutschland in einen Kontext mit dem NS-Regime gestellt wird. Das ist natürlich irgendwo ungerecht, aber wer deutsche Politik machen will, der muss wissen, dass so etwas immer möglich ist, und der muss wissen, wie er das vermeidet.
Ökonomie ist immer auch Politik
von Billerbeck: Vieles, was in den letzten Wochen diskutiert wurde, das waren ja Wirtschafts- und Finanzfragen, ja, man hatte fast das Gefühl, dass es fast nur noch um Finanzfragen und Wirtschaftsfragen geht und gar nicht mehr um Europa, um das große Gebäude, um das, was Sie gerade so gekennzeichnet haben als so wichtig. Ist das auch ein Grund, diese Zuspitzung auf nur Wirtschaft, auf nur Finanzen, dass Europa sich auch selber bindet da und fast unmöglich macht, in der Welt politisch stärker tätig zu werden?
Eppler: Wer das Amt eines Bundeskanzlers bekleidet, der muss wissen, dass alles, was scheinbar nur Ökonomie ist, gleichzeitig auch Politik ist. Da gibt es, glaube ich, keine Ausrede.
von Billerbeck: Das klingt alles sehr pessimistisch, was Sie sagen über die Rolle, die die Bundesregierung spielt, und auch über Europa. Wie sehen Sie denn die Zukunft, wenn man all das im Hinterkopf hat, was wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben im Zusammenhang mit Griechenland?
Eppler: Ich glaube, die deutsche Politik muss begreifen, dass sie hier auf das falsche Pferd gesetzt hat, und es muss eine Zäsur erkennbar werden. Ob diese Zäsur dadurch herbeigeführt wird, dass Schäuble, der ja wirklich seine Verdienste hat, sich nun aufs Altenteil zurückzieht oder wie immer man das macht. Jedenfalls es muss klar sein, wir in Deutschland haben begriffen, was da vor sich ging, und wir haben auch begriffen, woran wir selber schuld sind. Ich glaube, wenn das deutlich wird – auch durch Handlungen, auch durch Konzessionen, auch durch einen anderen Ton –, dann kann es sein, dass in vielen Jahren das wieder repariert wird, was jetzt zerstört worden ist.
von Billerbeck: Der Sozialdemokrat Erhard Eppler mit seinen Einschätzungen nach den Verhandlungen mit Griechenland, was die Zukunft Europas betrifft und die Rolle der deutschen Bundesregierung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Eppler: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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