Griechenland-Krise

"Zick-Zack-Gabriel an Merkels Seite"

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel nach einem Sondertreffen der Partei- und Fraktionschefs zur Entwicklung in der griechischen Finanzkrise.
SPD-Chef Sigmar Gabriel an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Cem Özdemir im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Viele in Europa machten sich derzeit Sorgen über den Kurs Deutschlands, beklagt Cem Özdemir. Neben Finanzminister Wolfgang Schäuble sei dafür vor allem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verantwortlich, sagte der Grünen-Chef.
Normalerweise sei die Rolle der deutschen Sozialdemokratie immer so gewesen, dass sie pro-europäisch und internationalistisch agiert habe, sagte Özdemir im Deutschlandradio Kultur. Die Sozialdemokraten seien für nationalistische Stimmungen weniger anfällig gewesen. Dagegen handele es sich derzeit um eine ungünstige Ausgangsbasis mit einem Finanzminister im Machtrausch und einem sozialdemokratischen Vizekanzler, der nicht wisse, wo vorne und hinten ist.
Klage über Führungskrise der SPD
"Bei einer Angela Merkel steht gegenwärtig ein Zick-Zack-Gabriel an der Seite und das ist das, was mir große Sorgen bereitet", sagte Özdemir. "Gegenwärtig haben wir das Problem, dass die Führungskrise der Sozialdemokratie sich leider den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ausgesucht hat, um auszubrechen." Dabei sei in der Europa-Frage gerade ein klarer Kopf gefragt. Er habe noch in der Schule gelernt, dass ein "europäisches Deutschland" gefragt sei und kein "deutsches Europa". Özdemir beklagte eine "Situation des nationalen Rausches" in Deutschland. "Aber wie bei jedem kräftigen Rausch gibt es einen kräftigen Kater."
Das grüne Abstimmungsverhalten
Die Position der eigenen Partei erläuterte er so: "Die ist zu hundert Prozent klar gegen Grexit und zu hundert Prozent klar pro Europa." Bei der Abstimmung im Bundestag stelle sich heute die Frage, wie man das am besten ausdrücke. Özdemir sagte, er werde mit Ja stimmen, habe aber Verständnis für die Enthaltungen anderer grüner Abgeordnete. "Aber in der Kritik an dem Vorgehen von Herrn Schäuble unterscheide ich mich zu Null Komma Null Prozent von den Kollegen, die sich der Stimme enthalten werden."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Der Bundestag entscheidet heute, ob die Regierung das tun darf, was in Brüssel Anfang der Woche beschlossen wurde: ein neues, ein weiteres, ein drittes Hilfspaket für Griechenland zu verhandeln. Ein Ja ist ziemlich sicher, wozu hat man große Koalitionen, aber einige haben sich gewundert, warum ausgerechnet der Mann, der all das verhandelt hat, jetzt nach wie vor von einem möglichen Grexit spricht, nämlich Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister. Zum Beispiel wundert sich der Fraktionschef der Sozialdemokraten Thomas Oppermann:
O-Ton Thomas Oppermann: Solange der Gipfel noch offen war, war es sicher klug, auch einen Plan B in der Schublade zu haben. Jetzt aber ist die Entscheidung gefallen und ich will, dass dieser Plan auch gelingt. Und dazu muss auch Herr Schäuble beitragen.
Frenzel: Das ist noch vorsichtig formuliert, anders und sehr grundsätzlich klingt das bei Gregor Gysi:
O-Ton Gregor Gysi: Ich sage Ihnen, meine tiefe Überzeugung ist, dass Wolfgang Schäuble, Angela Merkel aus anderen Gründen, und auch Herr Gabriel im Augenblick den schwersten politischen Fehler ihrer politischen Laufbahn begehen.
Frenzel: Der Fraktionsvorsitzende der Linken.
((Musik))
Mächtig hat die Opposition draufgehauen, Linke und Grüne, nach dem Gipfel in Brüssel und der morgendlichen Einigung mit Griechenland, und zwar auf die Bundesregierung. Bei der Linken mag man das gewohnt sein, der scharfe grüne Ton in der Debatte war dagegen schon etwas überraschend: Merkel schadet Europa, das kam aus dem Munde des Fraktionsvorsitzenden Toni Hofreiter, der finanzpolitische Sprecher redet von einer antieuropäischen Geisterfahrt Schäubles. Heute nun entscheidet der Bundestag über diese so gescholtene Griechenland-Lösung und die Grünen wollen ... Ja, was wollen sie eigentlich? Fragen wir den Parteichef Cem Özdemir, guten Morgen!
Klar gegen Grexit
Cem Özdemir: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Özdemir, wenn ich mir Ihre Probeabstimmung von gestern Abend in der Fraktion anschaue: Manche Abgeordnete wollen mit Ja stimmen, ein Großteil mit Enthaltung, einer auch mit Nein. Ja, nein, vielleicht – ist das die grüne Position?
Özdemir: Nein, die ist zu hundert Prozent klar gegen Grexit, zu hundert Prozent pro Europa. Was man über die Kollegen der anderen Fraktionen ja nicht sagen kann. Die Frage ist nur, wie man das am besten ausdrückt, ob man das am besten dadurch ausdrückt, dass man jetzt zustimmt oder sich der Stimme enthält. In der Abstimmung geht es ja beispielsweise um die Brückenfinanzierung, die braucht man, damit es überhaupt noch was zu entscheiden gibt, was den Verbleib Griechenlands in der Eurozone angeht; aber ich verstehe auch die Kollegen in der Fraktion, die sagen, dass sie sich der Stimme enthalten wollen, weil nicht der Eindruck entstehen soll, dass wir im nachhinein das Verhalten dieser Bundesregierung, insbesondere von Herrn Schäuble richtig finden. Und er hat ja nicht aufgehört, er macht ja weiter, indem er nach wie vor vom Grexit spricht.
Frenzel: Herr Özdemir, Sie selber werden Ja sagen?
Özdemir: Ich gehöre zu denjenigen, die zustimmen werden. Ich war in Griechenland. Ich habe gesehen, wie die Griechen im Parlament mehrheitlich zugestimmt haben, und schließe daraus für mich die Konsequenz, ebenfalls zuzustimmen. Aber in der Kritik an dem Vorgehen, an Herrn Schäuble unterscheide ich mich zu Null Komma Null Prozent von den Kollegen, die sich der Stimme enthalten werden.
Frenzel: Ich nehme mal das Zitat von Anton Hofreiter, dem Fraktionschef: Merkel schadet Europa. Wenn Sie das mal gewichten müssen, Sie waren ja auch gerade in Griechenland, wer schadet aus Ihrer Sicht Europa mehr? In der Tat Merkel oder vielleicht doch Alexis Tsipras?
Özdemir: Also, Griechenland macht gerade mal 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Europäischen Union aus, Deutschland ist die führende Wirtschaftsmacht. Und ich habe noch gelernt in der Schule – übrigens vor allem von christdemokratischen Bundeskanzlern maßgeblich ausgelöst, dieses Denken –, wir brauchen ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa. Habermas schreibt heute im Guardian, dass wir genau in die andere Richtung marschieren. Praktisch alle Länder in der Europäischen Union sehen es anders, als wir es gerade sehen, das gilt auch für die Medien. Wir sind gerade in einer Situation des nationalen Rauschs: Das fühlt sich gut an, aber wie bei jedem kräftigen Rausch gibt es einen kräftigen Kater danach, wenn man aufwacht.
Ich will mal daran erinnern, wie das war, als wir damals – vielleicht ein Beispiel aus dem Fußball – mit Jogi Löw gegen Brasilien eine WM gespielt haben: Wir haben gemerkt, mit sieben zu eins in der ersten Halbzeit, was da los ist. Und dann ging Jogi Löw in die Kabine in der Halbzeit und hat gesagt, es reicht. Wir haben jetzt einen Finanzminister, der sagt, es reicht nicht, noch mal kräftig drauf und noch mal kräftig drauf! Dafür zahlt man einen Preis, mittel- und langfristig gesehen, was das Ansehen des Landes angeht. Und ich finde, das lohnt sich nicht, diesen Preis zu zahlen, Europa ist gut für unser Land, Europa hat unser Land stark gemacht. Und dieses Armdrücken gegen die Kleinen, das wird irgendwann dazu führen, dass es zurückkommt. Und davor fürchte ich mich.
Schäubles Grexit-Äußerungen schaden griechischer Wirtschaft
Frenzel: Herr Özdemir, Sie sagen Armdrücken gegen die Kleinen. Aber es gibt ja auch andere Kleine in der Europäischen Union, es gibt die Niederlande, es gibt die Finnen, es gibt die Balten. Man könnte ja auch sagen, diese Bundesregierung, auch Wolfgang Schäuble haben eine Mittlerposition eingenommen. Da gab es Länder, die wollten bei weitem nicht so weit gehen, wie weit man jetzt gegangen ist. Ist das nicht die eigentliche deutsche Rolle, muss man das nicht auch würdigen?
Özdemir: Also wenn es darum geht, dass man die griechische Regierung dazu bringt, dass sie Versprechen einhält, wenn es darum geht, dass notwendige Reformen durchgesetzt werden, die längst überfällig sind, nehmen Sie beispielsweise die Unabhängigkeit der Statistikbehörde – gut, das fordern wir seit Jahren als Bündnis 90/Die Grünen –, das ist doch nicht der Punkt. Sondern hier geht es doch darum, nicht nur was den Inhalt angeht, sondern was die Sprache angeht! Auch dass Herr Schäuble jetzt ja gar nicht aufhört, vom Grexit zu sprechen! Ich war ja in Griechenland, wenn man dort mit Leuten spricht in der Wirtschaft, die sagen mir: Herr Schäuble sagt übersetzt für jeden Unternehmer, legt keinen Cent in Griechenland an! Das ist das, wenn man heute immer noch vom Grexit spricht. Denn wer soll denn dort einen müden Cent anlegen, wenn er das Gefühl hat, dass Herr Schäuble jeden Augenblick den Stecker rausziehen könnte?
Frenzel: Wenn Herr Schäuble nicht vom Grexit gesprochen hätte, hätte es dann überhaupt eine Einigung in Brüssel gegeben? Wir hatten vorher das Nein aus Athen, jetzt haben wir ein Ja, das Sie ja selbst im Parlament dort miterlebt haben.
Özdemir: Na ja, jetzt vergessen Sie mal nicht, dass wir es mit einer Regierung zu tun haben, die davor vier Prozent hatte und in der radikalen Linken war und jetzt auf einmal quasi das Land führen muss, völlig unvorbereitet darauf war. Und warum ist diese Regierung gewählt worden, weil wir es davor mit mehr oder weniger korrupten Eliten zu tun hatten, auf die wir gesetzt haben, das wollen wir mal nicht vergessen. In Griechenland haben wir eine Situation, dass die demokratische Mitte weitgehend erodiert ist, und uns droht was Ähnliches zu passieren in Spanien. Was werden wir denn dann machen? In Spanien ist der Fall etwas größer gelagert, werden wir dann immer noch so vorgehen?
Also, was wir da gerade erleben, ist, dass eine Situation, die eigentlich ein relativ kleines Problem war – darauf habe ich ja vorher hingewiesen mit den 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes –, droht, außer Kontrolle zu geraten. Es ist ja nicht billiger geworden über die Jahre, seit wir die Krise mit Griechenland haben, sondern die Krise ist größer geworden, die Schulden sind höher geworden, die Kosten haben sich vermehrfacht. Ich könnte alte Aussagen von uns zu Rate ziehen, die alle sich bestätigt haben, ich stelle nüchtern fest: Die Rezepte dieser Bundesregierung habe die Griechenland-Krise verteuert, die Kosten für den deutschen Steuerzahler deutlich erhöht, die Kosten für Griechenland erhöht. Die Krise in Griechenland ist nicht gelöst, wenn man die Arbeitslosigkeit, Schuldensituation betrachtet.
Also frage ich mich, woher diese Bundesregierung das Selbstvertrauen nimmt, dass die Rezepte, die gescheitert sind, in Zukunft erfolgreich sein könnten! Das einzige, was ich sehe, ist, dass das deutsch-französische Verhältnis gerade infrage gestellt wird; wenn man den Brief des Sozialistenchefs Cambadélis von gestern nimmt und wenn ich dann noch höre, wie sich die Strobls dieser Welt äußern, dann weiß ich, was passiert, wenn die Spitze Stimmungen nicht mehr kontrolliert, sondern sogar selber aktiv bedient. Dann ist klar, was im Rest der Gesellschaft passiert, und genau das erleben wir gerade.
Sorge um Rolle der Sozialdemokratie
Frenzel: Herr Özdemir, bei aller Parteipolitik, bei aller Kritik in der Sache: Sind Sie nicht im Stillen auch manchmal heilfroh, dass diese Dinge zur Stunde eine sehr sachliche Angela Merkel verhandelt und nicht ein Gerhard Schröder, mit dem Sie jongliert haben? Oder perspektivisch gedacht: ein Sigmar Gabriel? Die hätten Tsipras wahrscheinlich irgendwann am Kragen gepackt und aus dem Verhandlungssaal geschmissen!
Özdemir: Also, beim Schröder gab es immer noch einen Fischer dabei, der aufgepasst hat, dass es mit Sachverstand zugeht. Und da haben Sie allerdings recht, bei Angela Merkel steht gegenwärtig ein Zick-Zack-Gabriel an der Seite, und das ist das, was mir große Sorgen bereitet. Normalerweise ist die Rolle der deutschen Sozialdemokratie immer diejenige gewesen, dass sie proeuropäisch, internationalistisch agieren und für nationale Stimmungen weniger anfällig sind. Gegenwärtig haben wir das Problem, dass die Führungskrise der Sozialdemokratie leider sich den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ausgesucht hat, um auszubrechen, nämlich die Situation, wo wir jetzt klaren Kopf bräuchten in der Europa-Frage. Das stimmt, das ist eine sehr ungünstige Ausgangsbasis. Ein Finanzminister, der gegenwärtig in einem Machtrausch ist, und ein sozialdemokratischer Vizekanzler, der nicht weiß, wo vorne ist und vorne und hinten ständig miteinander verwechselt, sind ungünstige Bedingungen für die größte Volkswirtschaft in Europa. Auch ein Grund, warum sich viele gegenwärtig in Europa Sorgen machen über den Kurs Deutschlands.
Frenzel: Also, die Grünen im europäischen Haus allein zu Haus, der Vorsitzende der Grünen Cem Özdemir, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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