"Zurzeit ist Deutschland die Blockade"
Kann ein drittes Hilfspaket Griechenland retten? Nur wenn es wachstumsgenerierende Maßnahmen enthält, meint der Finanzwissenschaftler Arne Heise. Doch ein solcher Kurswechsel scheitere an der starren Haltung Deutschlands.
Dass die bisherigen Bemühungen zur Rettung Griechenlands wenig erfolgversprechend waren, scheint inzwischen sogar dem IWF zu dämmern: Er macht Schuldenerleichterungen für das Land zur Bedingung für seine Beteiligung an einem dritten Hilfspaket.
Das wäre nach Ansicht Arne Heises, Professor für Finanzwirtschaft und Public Governance an der Universität Hamburg, nicht einmal notwendig: Griechenland sei nicht in dem Sinne insolvent, dass eine Staatsverschuldung von 180 Prozent nicht zu tragen wäre, sagt er. Auch die Zinsbelastung sei hoch, aber nicht exorbitant.
"Wir haben in der Vergangenheit schon mehrere Länder, auch Griechenland beispielsweise in der Vergangenheit schon gehabt, die entsprechend hohe Zinszahlungen als Anteil an ihren Staatsausgaben oder auch als Anteil an ihrem BIP zu finanzieren hatten. Das geht."
Allerdings könne Griechenland seine Schuldenlast nur dann tragen, wenn ein drittes Hilfspaket das Land wieder auf einen ökonomischen Wachstumspfad zurückführe. Ohne Investitionen, sowohl private als auch staatliche, könne es nicht zu einer ökonomischen Gesundung kommen und damit auch nicht zu einer finanziellen. Von Deutschland und einigen osteuropäischen Ländern abgesehen sei diese Haltung innerhalb der EU inzwischen konsensfähig. "Zurzeit ist Deutschland die Blockade."
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es gibt Organisationen, die haben es nicht einfach mit ihrem Ruf, und man muss gar nicht allzu weit links stehen, um beim Internationalen Währungsfonds, beim Klang dieser drei Buchstaben, IWF, so einen leichten Schauder der sozialen Kälte zu spüren. Der IWF hat an diesem Image kräftig gearbeitet, in früheren Krisenländern wie Argentinien oder auch Mexiko, mit harten Auflagen, mit Reformprogrammen, die, ich sage es mal pauschal, vor allem die Armen erst mal ärmer gemacht haben. Und es kommt nicht von ungefähr, dass Angela Merkel am Beginn der Euro- und Griechenland-Krise dem IWF wohl genau wegen dieser harten Hand unbedingt an Bord haben wollte. Jetzt sind sie an Bord, und siehe da, es ist der IWF, der eine zentrale Forderung der linken Regierung in Athen mit propagiert, einen Schuldenschnitt. Über diese verkehrte Welt spreche ich jetzt mit Arne Heise. Er ist Professor für Finanzwirtschaft und Public Governance an der Universität in Hamburg. Guten Morgen!
Arne Heise: Guten Morgen, Herr Frenzel.
Frenzel: Der stets neoliberal gescholtene IWF und die linke Syriza, wie kommen die auf einmal zusammen?
Heise: In diesem Fall kommen sie zusammen, weil sie beide eine ähnliche Vorstellung haben, eine ähnliche Forderung haben, nämlich die Schulden, die Griechenland angehäuft hat, entweder zu reduzieren, das ist aus Sicht des Schuldners natürlich sowieso verständlich, oder zumindest neu zu strukturieren, sodass sie dauerhaft besser tragbar werden, und das ist eben für den IWF das Bedeutungsvolle. Der IWF darf sich an Hilfsmaßnahmen, wie sie jetzt ja diskutiert werden, das dritte Hilfspaket, nur beteiligen, wenn die Finanzpolitik des entsprechenden Staates als nachhaltig einzuschätzen ist. Und aus Sicht des IWF ist die Finanzpolitik zurzeit so nicht nachhaltig.
Der wirtschaftspolitische Kurs des IWF hat sich nicht verändert
Frenzel: Das heißt also, gar keine große ideologische Wende, sondern eher sehr pragmatische Gründe?
Heise: Ja, ganz sicher. Es wird schon seit einiger Zeit diskutiert, ganz unabhängig von der Eurokrise oder der Griechenland-Krise, dass der IWF eine wirtschaftspolitische Orientierung einnimmt, die nicht mehr dieselbe sei wie in den 90er-Jahren oder vielleicht um die Jahrtausendwende. Das würde ich so, ehrlich gesagt, nicht sehen. Der sogenannte Washington-Consensus, glaube ich, hat immer noch Bestand, und wir sehen das eben auch in den Verhandlungen mit Griechenland.
Nein, genau, hier geht es einfach darum, dass Gläubiger und Schuldner eigentlich ähnliche Ziele vertreten, nämlich der eine möchte am Ende in der Lage sein, seine Schulden, die dann wohl reduziert werden sollten, zurückzahlen zu können, und der andere möchte seine Schulden zurückgezahlt bekommen. Und der Punkt ist ja dabei, der IWF kann natürlich selber bei so einem möglichen Schuldenschnitt als Gläubiger nicht beschnitten werden. Das lassen die Statuten des IWF auch wieder nicht zu. Also wenn, dann wären es andere Gläubiger, die da zurücktreten müssten.
Frenzel: Die Gläubigerstaaten wollen ohne den IWF nicht helfen, der IWF hilft aber nur, wenn die Eurostaaten den griechischen Staat tragfähig machen, also Schulden reduzieren, Sie haben das ja auch gerade dargestellt. Das wollen Merkel und Schäuble ja aber ganz ausdrücklich nicht. Bluffen da gerade alle ganz gewaltig, oder könnten die Verhandlungen um ein drittes Hilfspaket genau daran am Ende scheitern?
Heise: Sie könnten daran schon scheitern, formell, aber ich denke mal, eines muss klar sein: nach der Vorgeschichte dieser Tragödie um Griechenland ist es, glaube ich, klar, dass die Verhandlungen in dem Sinne erfolgreich sein müssen, dass es zu einem dritten Hilfsprogramm für Griechenland kommen muss. Also von daher glaube ich nicht, dass es auf ein Scheitern hinausläuft.
Deutschland hat genug "Grausamkeits"-Kompetenz gezeigt, dafür braucht man den IWF nicht
Ob am Ende der IWF wirklich dabei sein wird, ist fraglich. Der muss auch nicht dabei sein, wie Sie richtig sagten, war er im Wesentlichen auf Wunsch der europäischen Gläubiger, vermutlich vor allem auf Wunsch Deutschlands mit dabei, um ökonomische in Anführungszeichen "Kompetenz" einzubringen und vor allem auch einen gewissen Druck ausüben zu können, wo der IWF nun mal viel Erfahrung hat.
Aber ich glaube, gerade Deutschland, gerade Schäuble haben nachgewiesen, dass sie auch genügend "Kompetenz" in Anführungszeichen wirklich, vor allem aber auch genügend Grausamkeit in der Lage sind, auszusprechen, da braucht man den IWF nicht mehr wirklich.
Frenzel: Ob nun mit oder ohne IWF, macht denn ein drittes Hilfspaket ohne Schuldenschnitt Sinn?
Heise: Ja, ich denke schon. Ich bin zumindest der Meinung, dass Griechenland nicht in dem Sinne insolvent ist, dass nicht auch eine Staatsverschuldung von 180 Prozent noch zu tragen wäre. Die Zinsbelastung für Griechenland ist nicht exorbitant. Sie ist hoch, aber wir haben in der Vergangenheit schon mehrere Länder, auch Griechenland beispielsweise in der Vergangenheit schon gehabt, die entsprechend hohe Zinszahlungen als Anteil an ihren Staatsausgaben oder auch als Anteil an ihrem BIP zu finanzieren hatten. Das geht. Ich glaube nicht, dass Griechenland wirklich insolvent ist.
Allerdings, glaube ich, macht ein Hilfsprogramm wirklich nur dann Sinn, wenn es in der Lage ist, Griechenland wieder auf einen Wachstumspfad zurückzuführen. Und da habe ich meine Zweifel, dass mit der politischen Orientierung, die die sogenannte Troika oder die drei Institutionen da, vier sind es ja mittlerweile, da vertreten, dass das wirklich auf eine Politik hinausläuft, die Wachstum generiert und die dann eben eine Tragfähigkeit auf dieser hohen Staatsverschuldung erwarten lassen.
Ein Kurswechsel scheitert an Deutschlands "sehr starrer Position"
Frenzel: Warum ändert sich denn an diesem Kurs, den Sie da beschreiben, nichts? Es gibt ja genug politische Kräfte in Europa, wir haben den französischen Staatspräsidenten Hollande, wir haben den Italiener Matteo Renzi, die ja durchaus eine andere Politik wollen, das zumindest in ihrer Rhetorik immer wieder deutlich machen, aber am Ende setzt sich doch dieser alte, bekannte Kurs durch. Woran liegt das? Ist er alternativlos?
Heise: Nein, alternativlos ist er ganz sicherlich nicht. Es ist relativ einfach zu erklären, woran es scheitert. Es scheitert zurzeit einfach an der sehr starren Position, die Deutschland einnimmt. Und hinter Deutschland stehen dann vielleicht auch noch ein paar osteuropäische Länder, die die Auffassung vertreten, sie selber sind durch harte Stahlgewitter gegangen, und das müssten dann andere Staaten entsprechend auch – was natürlich unsinnig ist. Es geht ja nicht darum, dass Staaten durch Stahlgewitter gehen müssen, sondern es geht darum, dass Staaten wieder finanziell und ökonomisch auf die Beine kommen. Und wenn da ein Stahlgewitter eher nachteilig oder hinderlich ist, dann sollte man das eben nicht machen.
Frenzel: Sie nennen das den falschen Kurs. Gibt es denn einen richtigen Kurs, gibt es einen richtigen Kurs, der konsensfähig wäre in einer Europäischen Union?
Ohne wachstumsfördernde Maßnahmen wird Griechenland sich finanziell nicht erholen
Heise: Das ist schwer zu beurteilen, ob der konsensfähig wäre. Wie gesagt, zurzeit ist Deutschland die Blockade. Wenn Deutschland diese Blockade aufgeben würde, glaube ich, ist es mittlerweile konsensfähig, dass ohne mehr Investitionen, ohne mehr vor allem investive Nachfrage sowohl staatlicherseits, aber vor allem natürlich auch privater Investitionen, es einfach nicht zu einer ökonomischen Gesundung und dann eben auch nicht zu einer finanziellen Gesundung kommen kann. Und wenn man mal von Deutschland absieht, glaube ich, gibt es da mittlerweile immer mehr Verständnis für, dass es eine Kursänderung in diese Richtung einfach geben muss.
Frenzel: Das sind ja keine ganz neuen Rezepte. Das hören wir immer wieder von vielen Ökonomen, auch von Politikern, aber dennoch schaffen sie es ja nicht, diese Konzepte, den politischen Diskurs dann so zu bestimmen, dass sie auch zur Politik werden. Wenn wir das mal entgegenhalten: Der neoliberale Diskurs, der in den 70er-Jahren ein Minderheitendiskurs war, der hat das irgendwie geschafft. Warum klappt das jetzt in die andere Richtung nicht?
Heise: Ja, da bin ich auch ratlos. Die Frage kann ich nicht beantworten. Wenn ich sie beantworten könnte, wüsste ich, wie wir sozusagen den Schalter umlegen müssen.
Regularien der EU-Finanzpolitik inzwischen zu restriktiv
Frenzel: Ich bin leider wieder bei dem Wort alternativlos. Ist es möglicherweise ein Weltwirtschaftssystem, das wir haben, das nur so funktioniert, wie es zurzeit funktioniert?
Heise: Nein, das, wie gesagt, ganz sicherlich nicht. Wir beschreiben Alternativen. Wir haben etwas Probleme, dass wir zumindest in Europa, mittlerweile eben Regularien verfasst haben, die eine gewisse Ausrichtung zum Beispiel der Finanzpolitik vorschreiben, die dann eher als neoliberal oder zumindest in Situationen, wie wir sie jetzt erleben, als zu restriktiv angesehen werden müssen. Und da kommt man dann so ohne Weiteres nicht mehr raus, weil für eine Veränderung braucht man die Einstimmigkeit. Das ist allerdings bei 19 Eurozonenländern und noch mehr EU-Staaten relativ schwer. Ja, da haben wir uns eine gewisse Blockade eingebracht, das war allerdings auch immer so gewollt natürlich.
Frenzel: Arne Heise, Professor für Finanzwirtschaft und Public Governance an der Universität Hamburg. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Heise: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.