Küchentheater in Athen
Die Krise hat auch Griechenlands Theatermacher hart getroffen. Manche wollen nun die Produktionskosten senken, indem sie die Aufführungen kurzerhand in die eigene Wohnung verlegen. Ein Hausbesuch in Athen.
Vor Vorstellungsbeginn packen alle Ensemblemitglieder mit an. Sie rücken Stühle und richten Requisiten zurecht. Außerdem müssen die Spuren des Alltags aus der Wohnküche eliminiert werden, denn die wird gleich als Bühne dienen.
Pünktlich um halb neun dann der Einlass. 18 Leute passen in die Wohnung. Sie mussten zuvor unter einer Handy-Nummer reservieren. Die Vorstellung hat etwas von einem Happening. Sie ist gratis, wer möchte und kann, wirft seinen Beitrag in ein Einmachglas am Eingang.
Mäntel und Taschen werden im Schlafzimmer deponiert wie bei einer Party, und der Regisseur und Gastgeber fungiert als Platzanweiser, bevor er sich hinter die Kulissen, sprich in die Abstellkammer, zurückzieht.
In der eigenwilligen Adaptation einer Gedichtsammlung des griechischen Lyrikers Miltos Sachtouris bewegen sich vier Frauen in einer Welt zwischen Liebe und Zerfall. Regisseur Vassilis Noulas, selbst Lyriker, arbeitet experimentell, und er verlangt seinen Zuschauern einiges ab.
"Sachtouris Dichtung hat etwas Adoleszentes. Diese intensiven Farben, die starken Emotionen. Liebe, Tod, Rot, Schwarz – bei Sachtouris ist alles absolut, und das passt genau zu unserer Zeit, wo nichts mehr lau ist. Alles ist heute intensiver, schmerzvoller geworden und extremer."
Die Küche wird erst zur Bühne, dann zum Foyer
Für das Publikum ist die Vorstellung ganz wörtlich genommen eine extreme Erfahrung. Denn die Bühne beginnt praktisch vor den Zehen der Zuschauer, womit auch der emotionale Sicherheitsabstand zum Geschehen fehlt; das Stück geht unter die Haut. Tuchfühlung dann auch nach der Vorstellung, als die Küche beziehungsweise die Bühne zum Foyer wird und das Publikum mit den Schauspielern ins Gespräch kommt.
Frau: "Wir fanden diese Idee, ein Theaterstück in einer Wohnung zu sehen, exzentrisch. Das war einer der Gründe, weshalb wir gekommen sind."
Mann: "Ich bin selbst Schauspieler, und ich muss sagen: Was wir gesehen haben, war bedeutend. Beeindruckend fand ich außerdem, wie eine Wohnung, also ein privater Raum, zur Bühne wird und damit zu einem Raum zwischen privat und öffentlich."
Kreativ die Not verwalten, könnte man das auch nennen. Theatersubventionen etwa sind zuletzt vor drei Jahren ausgeschrieben worden. Auch Vassilis Noulas wurden damals 30.000 Euro zugesagt. Ausbezahlt worden ist das Geld bis heute nicht. Nun soll er möglicherweise ein Viertel der Summe erhalten, bevor die Subventionen ganz eingestellt werden.
Wenn die Krise die Kreativität beflügelt
Als die letzten Zuschauer gegangen sind, wischt die Kostümbildnerin den Boden und macht Kassensturz. 43,50 Euro, aufzuteilen unter sechs Personen. Schon vor der Krise war es nicht einfach, von seiner Kunst in Griechenland zu leben, nun ist es ganz unmöglich, sagen die Ensemblemitglieder Antigoni Riga und Despoina Hatzipavlidou. Beide standen schon vor der Entscheidung: Theater - ja oder nein?
"In der Krise stellt sich uns allen irgendwann die Frage, ob es sich lohnt weiterzumachen und so zu leben. Wenn du aber zu dem Schluss kommst, dass das Theater wichtig ist in deinem Leben, dann spielt die Krise keine Rolle mehr, und du arbeitest mit noch mehr Entschlossenheit."
"Genau, denn wir können gerade so überleben. Selbst, wenn man also mal einen Job hat, der ein bisschen Geld bringt, man kann sich nie zurück lehnen. Man muss immer wach sein und künstlerisch auf der Suche."
Auch Vassilis Noulas fühlt sich durch die Krise in seiner Kreativität eher beflügelt. Dafür nimmt er auch gerne in Kauf, dass er seit mittlerweile zwei Jahren zwischen seinen Requisiten lebt.
"Die Performance bei mir in der Wohnung zu machen, hat auch etwas Politisches. Das Infragestellen des Privaten in schwierigen Zeiten, den eigenen Raum mit Fremden zu teilen, all das. Und es passte auch sehr gut zu dem Stück, in dem es um den Einbruch des Fremden ins Vertraute geht. Auf diese Weise ist die Performance außerdem viel mehr Teil meines Lebens geworden, als es sonst möglich gewesen wäre. Und ich muss sagen, mir gefällt die Idee, dass sich die Aufführung in die Wohnung einschreibt und Spuren hinterlässt, die auch später noch lesbar sein werden."