Griechenland nach der Sommerpause

Von Steffen Wurzel · 07.09.2010
Die Griechen bekommen die Schuldenlast ihres Landes nun direkt zu spüren und sparen. Die Wirtschaft des Landes schrumpft - und zwar deutlich. Die Gewerkschaften machen die Politiker für die Misere verantwortlich und kündigen Demonstrationen im Herbst an.
Die U-Bahn in Athen. Es geht eng und hektisch zu im Berufsverkehr. Viele der Passagiere fahren erst seit ein paar Monaten regelmäßig mit der U-Bahn, es ist wesentlich voller als früher. Die Regierung hat die Mineralölsteuer erhöht, Benzin ist in Griechenland deutlich teurer geworden in den vergangenen Monaten, um fast 50 Cent pro Liter. Immer mehr Athener lassen aus Spargründen ihr Auto stehen.

Während unter der Erde die U-Bahnwaggons voll sind, geht es oben, auf den Straßen der griechischen Hauptstadt, wesentlich ruhiger zu als noch vor ein paar Jahren. Das scheinbar rund um die Uhr mit Autos verstopfte Athen, das war einmal.

Es ist unbestritten eine der positiven Nebenwirkungen der griechischen Schuldenkrise: mehr direkte Lebensqualität in den großen Städten des Landes durch weniger Verkehr auf den Straßen. Die Taxifahrer kommen dadurch schneller voran. Allerdings haben sie weniger Kunden als noch vor einigen Monaten. Die Folge sind finanzielle Einbußen, erklärt der 30-jährige Fahrer Johannes.

"Noch bis vor ein paar Monaten kam es oft vor, dass man gar kein Taxi finden konnte. Jetzt findet man sofort eines. Die Leute haben finanzielle Probleme und nehmen die U-Bahn oder den Bus. Das hat uns die Krise gebracht."

Immer weniger Athener können oder wollen sich ein Taxi leisten. Die Taxiunternehmer haben in den vergangenen Monaten mehrfach die Preise erhöht. Johannes schätzt, dass er jeden Tag rund zwei Stunden länger als bisher arbeiten muss, um auf den gleichen Tageslohn wie noch vor einem Jahr zu kommen.

"Alle Fahrgäste, die bei mir einsteigen, schimpfen über die Politiker. Alle sagen: Die Politiker sind schuld an der Krise. Natürlich, auch wir als Bürger tragen einen Teil der Verantwortung. Aber das meiste kriegen die Politiker ab."

Die Taxifahrt endet in der Plaka, in der Altstadt von Athen. Kleine Gassen, gemütliche Tavernen vor denen liebevoll gedeckte Tische stehen, ab und zu hört man Musik. Hier scheint die typisch griechische Welt noch in Ordnung zu sein, könnte man meinen.

"Viel übrig bleibt uns nicht. Die Leute sollten bloß nicht glauben, dass wir hier das große Geld verdienen. Das war bisher nicht so, und jetzt, mit den neuen Maßnahmen, geht's noch weiter runter!"

So wie diesem Kellner bleibt fast allen Griechen am Monatsende weniger Geld zum Ausgeben als noch vor ein, zwei Jahren. Inzwischen bekommen die Griechen den enormen Schuldendruck, der auf ihrem Land lastet, direkt zu spüren.

Die Regierung unter Ministerpräsident Giorgios Papandreou hat drastische Sparmaßnahmen beschlossen und umgesetzt. Unter anderem hat sie mehr als 700.000 Staatsbediensteten die Bezüge gekürzt, außerdem bekommen die Rentner weniger Geld.

Auf den ersten Blick funktioniert das Sparprogramm. Das Haushaltsdefizit Griechenlands ist nach Angaben des Finanzministeriums in Athen um fast 40 Prozent zurückgegangen. Das ist mehr als geplant. Lob erntet Griechenlands Regierung dafür von der EU. "Beeindruckend" seien die ersten Ergebnisse der harten Sparpolitik, hieß es aus Brüssel.

Die logische Folge der Einschnitte im öffentlichen Sektor ist aber auch: Die Betroffenen müssen sparen, geben weniger Geld aus, und das fehlt plötzlich in der griechischen Wirtschaft. Zu spüren bekommen das vor allem die Inhaber von Geschäften, Kleinunternehmen und Restaurants.

"Diese ganze Sparpolitik ist falsch. Denn es wird nur gespart, damit wir unsere Schulden zurückzahlen können. Nur das zählt! Und das Wirtschaftswachstum? Interessiert keinen mehr. Da sehe ich noch kein Licht am Ende des Tunnels."

Tatsächlich kann in Griechenland von Wirtschaftswachstum zurzeit keine Rede sein. Im Gegenteil. Die Wirtschaft des Landes schrumpft, und zwar deutlich. Im zweiten Quartal des laufenden Jahres ist das Bruttoinlandsprodukt Griechenlands im Vergleich zum Quartal davor um 1,5 Prozent gesunken. Analysten hatten mit einem Minus von nur einem Prozent gerechnet. Dem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung des Landes steht gleichzeitig eine Inflation von 5,5 Prozent gegenüber. Die Teuerungsrate ist damit eine der höchsten in der Europäischen Union.

Fragt man in Griechenland, wer am Steigen der Preise schuld ist, hört man als Antwort fast immer: "die Troika". Das ist die gängige Bezeichnung für das Dreierteam aus Europäischer Zentralbank, der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds IWF. Dieses Dreierteam war es, das im Frühjahr die internationalen Hilfskredite für Griechenland auf den Weg gebracht und das Land so vor einer de facto Staatspleite bewahrt hat.

Doch das 110 Milliarden Euro schwere Rettungspaket gab es nicht einfach so als Blankoscheck. Die Bedingung der Troika: Ihre Finanzexperten überwachen künftig die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung. Vor allem zahlreiche linke Politiker, Aktivisten und die Gewerkschaften lehnen das entschieden ab. Ihr Vorwurf: Griechenland mache sich so abhängig und lege sich selbst an die Kette internationaler Finanzorganisationen. Der Präsident des griechischen Gewerkschaftsdachverbands GSEE, Giannis Panagopoulos:

"Der IWF hat vielleicht das technische Wissen, wie man Löhne beschneidet. Was sie uns aber nicht verraten haben: wie man die Preise runterdrückt! In Griechenland liegt das Preisniveau bei 93 Prozent des Euro-Raums, beim Lohnniveau liegen wir auf 63 Prozent!"

Und tatsächlich: Vor allem junge Griechen, Berufseinsteiger verdienen oft nicht mehr als 800, 900 Euro nach Steuern und Sozialabgaben pro Monat. In kleinen Orten, auf dem Land, mag das reichen. In einer Großstadt wie Athen jedoch, in der sich die Preise oft nicht von denen in Paris oder London unterscheiden, kann man davon kaum leben. So wie dieser 27-jährigen Studentin aus Athen geht es vielen Gleichaltrigen in der griechischen Hauptstadt.

"Wir haben kein Geld für persönliche Dinge mehr. Ins Kino oder in Kneipen gehen, ein Bier trinken - geht alles nicht mehr. Und: Wir werden entweder gefeuert oder finden erst gar keine Arbeit. Ich möchte zum Beispiel Lehrerin werden, das habe ich studiert. Aber ich weiß, dass es wahrscheinlich auf einen Kellner-Job hinauslaufen wird."

Bis Ende des Jahres könnte die Arbeitslosenquote in Griechenland auf bis zu 20 Prozent steigen, so die Prognosen. Besonders betroffen sind junge Leute. Kein Wunder, dass inzwischen mehr als zwei Drittel der jungen Akademiker in Griechenland darüber nachdenken, auszuwandern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage der griechischen Tageszeitung "To Vima". Von mehr als 5.000 befragten hoch qualifizierten Uni-Absolventen haben sich bereits 40 Prozent im Ausland beworben. Vor allem viele IT-Spezialisten und Ingenieure sehen für sich kaum noch Chancen, in Griechenland einen guten Job zu finden.

Ortswechsel. Eine knappe Flugstunde von Athen entfernt, in der Altstadt von Rhodos. Hier ist von der griechischen Schuldenkrise auf den ersten Blick nichts zu sehen. Zahlreiche Touristen, vor allem aus Deutschland, Skandinavien und den Beneluxstaaten wuseln durch die engen Gassen von Rhodos-Stadt. Zwei Niederländerinnen, Anfang Zwanzig, sitzen bepackt mit Strandutensilien in einem Café. Von der vielzitierten Krise haben die beiden bisher nichts mitbekommen.

"Die Leute hier sprechen überhaupt nicht über die Krise. Sie behalten das alles eher für sich. Sie wollen die Touristen nicht verschrecken, glaube ich. Wir sind gerade pleite, weil wir keinen funktionierenden Geldautomaten finden. Das ist gerade eine echte Krise für uns ..."

Auf den ersten Blick mag es für Touristen zwar nicht sofort zu sehen sein, doch auch auf den griechischen Urlaubsinseln haben sich die Zeiten geändert. Auch wenn die Zahl der Besucher nicht so sehr zurückgegangen ist wie befürchtet, vor allem die Besitzer kleiner Restaurants und Tourismus-Geschäfte müssen mit Einbußen kämpfen. Viele Geschäftsleute wollen die ständig steigenden Preise nicht eins zu eins an die Touristen weitergeben, um diese nicht endgültig zu verschrecken.

Denn skeptisch sind vor allem viele Touristen aus Deutschland, wenn sie nach Rhodos und auf die anderen Urlaubsinseln reisen. Die Berichte über gewaltsame Ausschreitungen, Hafenblockaden und ständige Streiks haben ein sehr negatives Bild vom früher ach so idyllischen Urlaubsziel Griechenland gezeichnet. Das hat auch Gaby Zouannou zu spüren bekommen. Sie arbeitet als Verkäuferin in einem Laden für Taschen und Lederjacken in der Altstadt von Rhodos.

Die gebürtige Münsteranerin lebt seit mehr als dreißig Jahren auf Rhodos. Sie hat ihren Freunden in den vergangenen Monaten viele Fragen beantworten müssen, sowohl den griechischen, als auch den deutschen in ihrer Heimat. Und meistens drehte es sich um Vorurteile über das jeweils andere Land. So musste Gaby Zouannou ihren deutschen Freunden immer wieder sagen, dass das Vorurteil, "der typischen Grieche" habe in den vergangenen Jahren in Saus und Braus gelebt, so nicht stimmt.

"Keiner weiß, wie viel Geld Griechen für ihre Kinder ausgeben müssen, wenn die Abitur machen wollen. Ich würde sagen: 500,- Euro im Monat auf jeden Fall. Ein Studienrat in Griechenland kriegt so wenig Geld, der kriegt etwa 1.200,- Euro im Monat. Der macht seinen Job, so wie er ihn gerade machen muss. Er macht aber nicht mehr. Nachmittags muss man den dann mit 60,- Euro pro Stunde extra bezahlen und dass weiß in Deutschland kein Mensch!"

Dass vor allem im Frühjahr Zehntausende Griechen ihrem Ärger über die Schuldenkrise Luft gemacht haben, mit Demonstrationen, Streiks und Protestaktionen, kann Gaby Zoannou verstehen. Auch wenn die ständigen Streiks dem Image des Reiseziels Griechenland nicht gerade gut getan haben. Insgesamt, so die Verkäuferin, könne sie den Frust der Leute nachvollziehen:

"Das, was die Leute jetzt so unheimlich aufregt ist: Es bezahlt wieder mal nur der kleine Mann. Es bezahlt der Rentner, der 600,- Euro im Monat kriegt. Die ganzen Rechtsanwälte, die Ärzte und die Leute, die mit dicken Autos in der Gegend herumfahren, die werden wieder nicht geschnappt."

Zurück in Athen. Den Vorwurf, der kleine Mann müsse die Zeche für die griechische Fast-Pleite zahlen, versuchen die PR-Experten im Finanzministerium zu zerstreuen. Auffällig oft haben die Steuerbehörden in den vergangenen Monaten über Erfolge ihrer Fahnder berichtet. Ein Beispiel: Steuerfahnder suchten mit Hilfe der Google-Software "Maps" nach möglichen nicht angemeldeten Luxus-Swimmingpools reicher Griechen, hieß es vor einigen Wochen. Vor kurzem hat Finanzminister Giorgos Papakonstantinou einen Video-Wettbewerb für junge Filmemacher gestartet: Mutmaßliche Steuersünder sollen mit Kurzfilmen zu mehr Ehrlichkeit bewegt werden. In Interviews und auf Pressekonferenzen lässt der Finanzminister keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass die griechischen Bürger langfristig von den harten Reformen im Land profitieren werden. Giorgos Papakonstantinou:

"Der Bürger soll das Gefühl bekommen, dass er das Geld, das ihm vom Staat weggenommen wird, wiederbekommt. Und zwar in Form von funktionierenden staatlichen Dienstleistungen: in der Gesundheit, in der Bildung und bei den Sozialleistungen. Die Wirtschaft soll wettbewerbsfähiger werden. Vor allem aber muss es gerecht zugehen."

Auch Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou versucht, die Bürger mit dem Argument der Nachhaltigkeit auf seine Seite zu ziehen. Nur ein grundlegend reformiertes Griechenland habe Zukunftschancen. Laut Umfragen sieht das eine Mehrheit der Griechen grundsätzlich genauso. Nur beim "wie" hat die Regierung das griechische Volk noch nicht wirklich überzeugt. Entsprechend wird Ministerpräsident Papandreou nicht müde, seine Argumente zu wiederholen, wie hier im Parlament:

"Wir wollen unser Vaterland komplett neu auf die Beine stellen. Entweder jetzt oder nie. Und ich bin zuversichtlich: Wir werden es schaffen."

Nur ein paar Gehminuten vom Parlament entfernt sitzt Ilias Iliopoulos im ersten Stock des ADEDY-Gebäudes. Hinter der Abkürzung ADEDY verbirgt sich die einflussreiche griechische Beamtengewerkschaft. Ilias Iliopoulos ist ihr Generalsekretär. Er hat mehr als ein Dutzend verschiedene Zeitungen auf seinem Schreibtisch ausgebreitet. In den meisten Artikeln geht es direkt oder indirekt um die Folgen der Schuldenkrise; die steigende Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Leuten, weiter steigende Preise und die neueste Hiobsbotschaft: das Ergebnis einer Umfrage der Athener Industrie- und Handelskammer. Demnach haben 86 Prozent der befragten Unternehmen in der Stadt Probleme, ihre laufenden Rechnungen zu bezahlen. Es drohen noch mehr Firmenpleiten, weitere Jobs stehen auf dem Spiel. Für die kommenden Wochen zeichnet Ilias Iliopoulos ein düsteres Bild.

"Bedenken Sie: Die Spar-Maßnahmen werden sich im Herbst so richtig bemerkbar machen. Anders gesagt: Der Durchschnittsarbeitnehmer hat noch gar nicht begriffen, was auf ihn zukommt. Jetzt, im Laufe des Septembers und im Oktober werden die Leute die harte Realität erkennen. Dass sie zum Beispiel die Miete nicht bezahlen können. Oder die Raten fürs Haus."

Der ADEDY-Generalsekretär formt seine rechte Hand zur Faust, während er spricht. Er sei Anhänger der konservativen Partei Nea Dimokratia, sagt Ilias Iliopoulos. Trotzdem klingt er wie ein Linker, wenn er über die zurückliegen Streiks und Protestaktionen der griechischen Beamten spricht. All das sei nur ein Anfang gewesen, betont er. Ja, viele Griechen hätten es in den Sommermonaten ein bisschen ruhiger angehen lassen. Doch das sei nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen, so der Gewerkschafter. Die Worte von Ilias Iliopoulos klingen fast schon wie eine Drohung.

"Im Herbst wird der Protest der Leute explosive Ausmaße annehmen. Das bisher war nur ein Versuch, der Regierung zu sagen: Wir lehnen diese falsche Politik ab! Unsere neue Nachricht heißt: Wir werden diese falsche Politik beseitigen! Das wird die Antwort sein."
Der griechische Premierminister Giorgos Papandreou spricht im Parlament in Athen.
Der griechische Premierminister Georgios Papandreou spricht im Parlament in Athen.© AP
Protestierende vor dem Staatsfernsehen ERT
Protestierende vor dem Staatsfernsehen ERT© AP
Vor dem Parlament in Athen kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizei.
Sorge vor neuerlichen Ausschreitungen: Demonstranten und Polizei vor dem Parlament in Athen.© AP
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