Griechenland und der EU-Gipfel

Athen fordert ein halbes Jahr Zeit

Alexis Tsipras im Elysee-Palast in Paris. Er blickt ernst.
Für Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras ist es der erste EU-Gipfel © Xavier De Torres, dpa picture-alliance
Syriza-Politiker Giorgos Chondros im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Für den Syriza-Politiker Giorgos Chondros steht fest: Die bisherigen Kürzungsprogramme haben Athen in die soziale und wirtschaftliche Katastrophe geführt. Er bekräftigt die Forderung seiner Partei: Die Sparpolitik müsse ein Ende haben.
Unmittelbar vor dem EU-Gipfel in Brüssel hat der Syriza-Politiker Giorgos Chondros gefordert, dass mit der neuen griechischen Regierung ernsthaft über Alternativen zur bisherigen Sparpolitik verhandelt werde. Die Kürzungsprogramme der letzten Jahre hätten ihr Ziel "total verfehlt": Sie hätten in Griechenland zu einer sozialen Katstrophe geführt, die Wirtschaft kaputt gemacht und die Staatsschulden in die Höhe getrieben. "Wenn man Griechenland (...) aus dieser Schuldenfalle herausziehen möchte, muss man offen und ehrlich über Alternativen sprechen und über ein Ende dieser Politik", sagte Chondros.
Syriza fordert fünf bis sechs Monate für Verhandlungen
Der Politiker bekräftigte die Ziele Syrizas, stärker auf Investitionen zu setzen, den Staat effizienter zu machen, Korruption und Klientelwirtschaft zu beenden und über das Steuerrecht Reiche zur Kasse zu bitten. Dafür brauche man fünf bis sechs Monate Zeit. Gleichzeitig solle mit den Partnern über die Rückzahlung der Kredite verhandelt werden. Das sei "sicher keine einfache Aufgabe", räumte Chondros ein. Doch die griechische Regierung werde "alles daran setzen", das zu schaffen.
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Das Interview mit Giorgos Chondros im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Allein gegen alle, so war das gestern in Brüssel, als sich die europäischen Finanzminister getroffen haben, um über Griechenland zu reden. Das Ganze ist ausgegangen, wir wissen es, wie das Hornberger Schießen, ohne Ergebnis. Alles auf Anfang also. Was den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis nicht so besonders aufgeregt hat: Wir werden weiterreden, hat er gesagt, und das machen wir jetzt hier auch, und zwar mit Giorgos Chondros. Er ist Sprecher von Syriza für Umweltpolitik und in der Partei auch Mitglied des Sekretariats für Europapolitik und jetzt in Athen am Telefon. Schönen guten Morgen!
Giorgos Chondros: Ja, schönen guten Morgen auch nach Deutschland!
von Billerbeck: Heute treffen sich ja die europäischen Regierungschefs in Brüssel und der neue griechische Regierungschef Tsipras wird auch dabei sein. Was meinen Sie, wird Griechenland da auch der Außenseiter sein?
Chondros: Ich glaube, nicht. Und wenn man genauer hinschaut, in den letzten Wochen ist Griechenland ja in den Mittelpunkt, und nicht nur Griechenland, sondern auch die griechische Regierung und somit auch der Vorschlag, den die griechische Regierung ihren europäischen Partnern macht. Das heißt, diesen Kürzungsprogrammen, dieser Sparpolitik ein Ende zu setzen. Und wir haben das wirklich gesehen, auch in Deutschland wird sehr viel darüber diskutiert, nicht immer im positiven Sinne, aber Griechenland ist keineswegs ein Außenseiter mehr. Das heißt auch, der Ministerpräsident, der griechische, der neugewählte Ministerpräsident wird sich bei diesem Treffen eher im Mittelpunkt stehen.
von Billerbeck: Na ja, ich meinte das natürlich nicht räumlich, sondern thematisch. Bei diesem Treffen, da begegnen sich ja auch Merkel und Tsipras erstmal, treffen da aufeinander. Was erwarten die Griechen von der deutschen Kanzlerin, die ja so immer im Mittelpunkt des Ganzen steht. Und letztlich, was erwarten Sie von der Europäischen Union?
Chondros: Das Erste, was wir von der Europäischen Union und natürlich auch von der Frau Bundeskanzlerin, Frau Merkel uns erwarten, ist, dass vielem dieser Katastrophenpolitik wirklich auch ein Ende gesetzt wird. Weil das, was wir in Griechenland in den letzten fünf, sechs Jahren erlebt haben, ist das diese Kürzungsprogramme, dass diese Sparpolitik ihre Ziele fatal verfehlt hat. Das heißt, es ist nicht nur, dass sie hier zu einer sozialen Katastrophe geführt haben, dass sie die Wirtschaft kaputt gemacht haben, dass sie auch unsere Demokratie sehr eingeschränkt haben. Es sind auch unsere Staatsschulden enorm gestiegen. Das heißt, dieses Programm hat sein Ziel nicht erreicht. Insofern besteht wirklich kein Sinn, diese Programme weiterzuführen. Wenn man Griechenland, und nicht nur Griechenland, sondern Europa insgesamt aus dieser Schuldenfalle herausziehen möchte, muss man offen und ehrlich über Alternativen sprechen und über ein Ende dieser Politik.
"Der Korruption und der Klientelwirtschaft ein Ende setzen"
von Billerbeck: Was für Alternativen sehen Sie denn da?
Chondros: Auf jeden Fall, unser Vorschlag für Griechenland speziell ist, mehr auf Investitionen einzugehen, unseren Staat wirklich zu reformieren, effizienter zu machen, der Korruption und der Klientelwirtschaft ein Ende zu setzen, unser Steuerrecht so zu organisieren, dass diejenigen, die in den letzten Jahren, auch während der Krise sich Reichtum angehäuft haben, auch zur Kasse gebeten werden und somit aus dieser Krise rauskommen.
von Billerbeck: Das sind ja aber auch Dinge, die in Griechenland auch erledigt werden müssen. Man kann sich ja auch an dort die Menschen halten, die ihr Kapital im Ausland in Sicherheit gebracht haben. Aber meine Frage ist ja, für diese Forderungen, es war ja immer ein Wort, das der Finanzminister und auch Tsipras immer im Munde geführt haben, das hieß Time, also Zeit. Wie viel Zeit brauchen Sie denn, um das durchzuführen?
Chondros: Also, das was gestern bei unserem ersten Treffen, das heißt, das erste Treffen der neuen griechischen Regierung mit ihren Partnern auf europäischer Ebene ... – es wurde eine Überbrückungsvereinbarung verlangt von fünf, sechs Monaten, bis die neue Regierung eben alle diese Maßnahmen sozusagen in Gang setzen kann und dann auch diese Zeit auszunutzen, um mit unseren Partnern konkret zu verhandeln, wie es weitergeht mit unseren Krediten, das heißt, wie wir unsere Kredite ausbezahlen können. Also diese Zeit ist wirklich notwendig, wenn man gleich vor den Augen die Bedürfnisse unserer Bevölkerung hat. Weil, so weiterzugehen, die Menschen kaputt zu sparen, das Land kaputt zu sparen und die Wirtschaft kaputt zu sparen, führt zu keinem Ende.
von Billerbeck: Werden sie in diesen fünf bis sechs Monaten das denn schaffen, dieses Ziel zu erreichen?
Chondros: Wir werden natürlich alles daran setzen. Es ist sich keine einfache Aufgabe, und wenn wir hier auch die Unterstützung, die wahre Unterstützung von unseren Partnern haben, werden wir es sicher so weit bringen, dass wir die nötigen Mittel haben, auch die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken und natürlich unseren Pflichten nachzukommen. Wir wollen auf keinen Fall neue Kredite, wir wollen auf keinen Fall uns neue Gelder ausborgen. Wir wollen auf keinen Fall, unsere Staatsschulden noch höher machen. Und wenn das weitergemacht wird, was bis jetzt unser Partner verlangt, das heißt, das bestehende Programm weiterführen, wird da dramatisch unser Schuldenberg viel größer und die Katastrophe in Griechenland viel tiefer.
"Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ist bereit mitzumachen"
von Billerbeck: Was meinen Sie denn, könnte die Stimmung in Griechenland kippen, wenn Syriza es nicht schafft, diese eigenen Reformen, diese Dinge, die Sie gerade angesprochen haben, durchzusetzen. Denn es ist ja eine kurze Zeit, die Sie da vor Augen haben. Fünf Monate ist ja eigentlich gar nichts.
Chondros: Wir haben nach den Wahlen die Erfahrung jetzt gemacht, dass die Stimmung bei der Bevölkerung sich wirklich sehr geändert hat. Die Bevölkerung ist aus der tiefen Stimmung herausgekommen, steht voll und ganz hinter der neuen Regierung, steht voll und ganz hinter den Vorschlägen der neuen Regierung. Wir haben gestern Abend erlebt, in jeder griechischen Stadt haben sehr große Kundgebungen stattgefunden, auch in sehr vielen europäischen Städten, nicht zuletzt auch in Deutschland, wo die Leute es gezeigt haben: Sie stehen hinter der Regierung, sie stehen hinter den Forderungen dieser Regierung, sie wissen genau, wie schwer das sein wird, eben auch in kurzer Zeit alles in Gang zu setzen und all das zu ändern. Aber die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ist bereit dafür, mitzumachen.
von Billerbeck: Giorgos Chondros war das. Er ist Sprecher von Syriza für Umweltpolitik und im Europarat der Partei. Danke Ihnen für das Gespräch!
Chondros: Schönen Dank auch, schönen Gruß nach Deutschland!
von Billerbeck: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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