Griechenland

"Wir haben mittlerweile mehr Medikamente als das staatliche Krankenhaus"

Moderation: Julius Stucke |
Elias Tsolakidis hat in seiner griechischen Heimatstadt Katerini eine soziale Apotheke und Arztpraxis gegründet. Bedürftige können dort kostenfrei medizinisch versorgt werden. Ungefähr 400 Familien sind auf diese Hilfe angewiesen.
Julius Stucke: Wir stehen wieder auf eigenen Beinen. Ein historischer Tag. Große Worte vom griechischen Regierungschef Antonis Samaras am Wochenende. Woher die gute Stimmung? Nun, der griechische Haushalt wird 2013 laut Samaras zum ersten Mal seit Jahren mit einem kleinen, aber eben mit einem Plus das Jahr beenden.
Den Haushalt für 2014, den hat man auch beschlossen, mit weiteren Sparmaßnahmen will man diese Entwicklung fortsetzen. Alles also auf gutem Weg? Die Kontrolleure der Troika sehen es offenbar anders. Die halten Hilfszahlungen für Griechenland erst mal zurück, sind mit den Reformen also noch nicht zufrieden. Heute wird das Thema beim Treffen der Euro-Finanzminister sein, und wir thematisieren es jetzt, wollen aber nicht wissen, ob die Pläne die Troika zufriedenstellen, sondern was sie für die Menschen in Griechenland bedeuten, und einen Bereich, den schauen wir uns genauer an, das Gesundheitssystem. Auch dort soll weiter gespart werden.
Darüber spreche ich mit Elias Tsolakidis. Er hat eine europaweite Medikamentenkampagne für Griechenland gerade gegründet. Hallo, Herr Tsolakidis!
Elias Tsolakidis: Ich grüße Sie, guten Tag.
Stucke: Bevor wir darüber sprechen, wie diese Kampagne funktioniert – warum braucht es die denn überhaupt? Wo liegt das Problem?
Tsolakidis: Das Problem liegt daran, dass hier bei uns in der Stadt ungefähr 400 Familien nicht in der Lage sind, das Krankenhaus zu besuchen. Und wenn sie es besuchen, gehen sie mit leeren Händen nach Hause, weil das Krankenhaus ihnen keine Medikamente verschreiben kann. Es gibt keine Medikamente. Es gibt Menschen, die nicht versichert sind. Sie können nicht zum Arzt gehen. Und diese Zahl der Familien, die ohne medizinische Versorgung dastehen, nimmt jeden Tag zu. Das ist ein großes Problem in einer kleinen Stadt, Katerini, wo jeder jeden kennt. Stellen Sie sich vor, in der Großstadt ist das noch schlimmer.
Stucke: Das heißt, es ist nicht nur ein Problem in der Stadt, in der Sie das jetzt, Katerini, in Ihrer Heimatstadt, in der Sie das angestoßen haben, sondern es ist griechenlandweit ein Problem?
"In ganz Griechenland werden soziale Praxen gegründet"
Tsolakidis: Ja. Überall, in ganz Griechenland, werden soziale Praxen gegründet. Das sind freiwillige Ärzte mit Freiwilligen zusammen, also mit medizinischem Personal, gründen sie Apotheken und Arztpraxen, um halt diesen Menschen helfen zu können. Und das machen wir auch hier in unserer Stadt. Seit etwa drei Monaten haben wir unsere soziale Arztpraxis gegründet, und wir versorgen im Moment, also zurzeit, 400 Familien.
Stucke: Und jetzt, diese Medikamentenkampagne, wie funktioniert das? Wenn ich ein Medikament brauche in Ihrer Stadt, dann kann ich mich an Sie wenden, und Sie organisieren das?
Tsolakidis: Nein. Also, erst mal, man kann nicht von den Menschen, die sowieso stark belastet sind, das sind wie alle hier in Griechenland, man kann nicht von ihnen verlangen, dass sie zum Beispiel teure Medikamente oder Medikamente, die sie kaufen können, zu uns bringen. Wir gehen in die Öffentlichkeit, wir sprechen die Leute an und bitten sie, uns angebrochene Medikamente zu geben. Das heißt, wir haben hier vor zwei Monaten angefangen, wir sind an die Schulen gegangen, wir haben verschiedene Veranstaltungen organisiert, und die Menschen, statt Eintritt bringen sie ihre angebrochenen Medikamente.
Und so, mit diesen Medikamenten haben wir eine Apotheke, die soziale Apotheke gegründet. Und wir haben kürzlich auch eine europaweite Kampagne gegründet und bitten unsere europäischen Mitbürger, uns ihre Medikamente zu schicken. Das, was Sie in Ihrer Schublade haben, das, was sowieso im Müll irgendwann einmal landen wird. Hier brauchen es die Menschen.
Stucke: Das Ganze läuft gerade an. Wie gut oder wie schlecht, wie viel ist denn da schon zusammengekommen?
Tsolakidis: Also, wir haben, das ist die gute Nachricht, wir haben einen großen Raum, das ist ein Raum von etwa 25 Quadratmeter, das ist die Apotheke, die ist mittlerweile voll. Das heißt, wir haben mittlerweile mehr Medikamente, als das staatliche Krankenhaus. Das Gute dabei ist: Wir haben eine Datenbank eingerichtet, alle Medikamente wurden von Apothekern in diese Datenbank eingegeben, und Menschen in einer anderen Stadt, die Medikamente brauchen, können in dieser Datenbank recherchieren und gucken, ob sie das Medikament, das sie brauchen, bei uns vorliegt. Und mit einem Busunternehmen hier aus unserer Stadt haben wir eine Vereinbarung getroffen, dass, wenn andere Städte Medikamente brauchen, diese Medikamente vom Busunternehmen kostenlos transportiert werden können.
Wir versuchen also, ein Netzwerk zu gründen, sodass wir uns gegenseitig helfen können. Ich möchte noch mal darauf hinweisen, es kann sein, dass das, was in den Medien zu hören oder zu lesen war – es wurde so viel Negatives über Griechenland geschrieben – die Menschen hier haben von dem Geld, das Europa Griechenland gegeben hat, geliehen hat, haben die Menschen gar nichts gesehen. Gar nichts. Absolut nichts! Das haben wieder die Banken bekommen. Und die Banken wurden gerettet. Aber jetzt, jetzt wollen sie auch die Häuser. Also Zwangsversteigerungen fangen ab dem 1. Januar an. Das heißt, jemand, der seinen Kredit nicht bezahlen konnte, verliert sein Haus. 350.000 Familien in ganz Griechenland werden ihre Häuser verlieren.
Stucke: Bleiben wir mal bei Ihrer Kampagne. Wie sieht denn die Politik das Ganze? Gibt es da Reaktionen?
Tsolakidis: Die Politik ... die Politik sieht das Plus. Die Politik sieht nur die Zahlen. Aber hinter den Zahlen stehen Menschen. Und im Moment sieht das so aus, dass die Regierung, die interessiert sich nur für die Zahlen. Unsere Partner in Europa wollen Zahlen sehen. Sie fragen nicht danach, wie es den Menschen geht. Und das finde ich nicht gut. Weil hinter diesem Plus stehen Menschen, die allein in den letzten drei Jahren hat es viereinhalbtausend Selbstmorde in Griechenland gegeben. Jeden Tag sterben Menschen, weil sie sich nicht ernähren können.
Stucke: Da machen Sie jetzt mit Ihrer Initiative einen Anfang, da etwas dran zu ändern, etwas zu tun, zu helfen. Nun können Sie mit so einer Initiative zwar helfen, aber Sie können ja die Gesundheitspolitik nicht ersetzen und in gewissem Rahmen nur helfen. Was wünschen Sie sich im Großen und Ganzen von der Gesundheitspolitik?
"Wir wollen nicht den Staat ersetzen"

Tsolakidis: Nein. Um Gottes willen, wir wollen nicht den Staat ersetzen. Das ist die Pflicht des Staates, die Menschen zu versorgen, also Bildung, medizinische Versorgung, das ist das, was der Staat liefern muss. Aber auf der anderen Seite können wir unseren Mitmenschen, man kann nicht seine Nachbarn stehen lassen. Derjenige, der gerade krank ist, der keine Medikamente bekommt, der wird sterben. Und das Komische ist, ich lebe seit Jahren zwischen zwei Welten, mit einem Bein in Griechenland, mit dem anderen Bein in Deutschland – ich bin gezwungen, immer wieder diesen Vergleich zu machen, und das ist traurig. Es ist traurig, dass dieses Land so unter Druck gesetzt worden ist, dass jetzt die Menschen von diesem Druck sterben. Ich weiß, das hört sich so unrealistisch an. Aber so sieht die Wirklichkeit hier aus.
Stucke: Sagt Elias Tsolakidis. Er pendelt zwischen Köln und seiner Heimatstadt Katerini, und dort hat er eine Medikamentenkampagne ins Leben gerufen. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Tsolakidis: Ja, ich danke Ihnen!
Stucke:Und wenn Sie sich weiter informieren wollen über die Kampagne, oder wenn Sie Medikamente spenden wollen: Informationen und den Kontakt finden Sie im Netz unter www.kikaf.org.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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