"Zum Sein gehört der Widerstand"
Griechenland brauche politische Reformen und einen politischen Wandel, meint Costas Douzinas. Die gegenwärtige EU-Politik sei ungeeignet, um diese Ziele zu erreichen. Der Philosoph zeigt am Beispiel Griechenland, wie Proteste die politische Landschaft verändern können.
Stephan Karkowsky: Am 25. Mai ist Europawahl, zeitgleich gibt es Kommunalwahlen in zehn Bundesländern und auch in Griechenland. Die deutschen Urlauber haben den griechischen Radikalen ihre Merkel-Hitler-Vergleiche längst verziehen. 2012 hatten noch viele ihren Urlaub gecancelt, 2014 aber wird der Besucherrekord des Vorjahres noch übertroffen werden. Über den Umgang Europas mit seiner kriselnden griechischen Heimat wollen wir uns mit dem Menschenrechtsphilosophen Costas Douzinas unterhalten, dem Direktor des Institute for the Humanities an der Birkbeck University London. Seit 2010 veröffentlicht Douzinas EU-kritische Texte zum Umgang mit seiner Heimat. Die 2012 überarbeiteten Versionen können Sie nun auf Deutsch lesen in seinem Buch "Philosophie und Widerstand in der Krise". Herr Douzinas, willkommen im "Radiofeuilleton"!
Costas Douzinas: Thank you very much, thank you for inviting me!
Karkowsky: Verstehen Sie denn, dass die Griechenlandkritiker im Ausland das griechische Problem als hausgemacht ansehen, also als Folge griechischer Politik und nicht erst als Folge des Eingreifens der EU?
Douzinas: Ja, natürlich kann ich das verstehen, und ich verstehe auch, dass ein gewisser Groll bei den Deutschen besteht angesichts dieser berühmten Rettungspakete, die an Griechenland ausgereicht werden. Aber man muss auch sagen: Es ist einer derartigen Krise meist das Leichteste und das Naheliegendste, sich zurück zu besinnen auf die Nation, auf das eigene Land, das kann bis hin zur Fremdenfeindlichkeit oder gar Rassismus gehen, und ich glaube, das findet man auf beiden Seiten. Und ganz sicher wurden insbesondere aufseiten der Rechtsradikalen bei den Griechen völlig unannehmbare Dinge gesagt, und ich glaube, auf der anderen Seite ebenso. Aber man muss doch auch sehen: Wenn es hier Spannungen gibt, dann bestehen die nicht zwischen dem deutschen Volk und dem griechischen Volk, sondern zwischen den jeweiligen arbeitenden Bevölkerungen der Länder und dem politischen System, einem politischen System, das mittlerweile vollkommen unmenschlich geworden ist. Nun, die zweite Begründung zu diesen hausgemachten griechischen Problemrn: Ich lebe ja in Großbritannien und ich sehe doch, dass es auch hier Probleme mit dem politischen System gibt, wie es wohl auch hier in Deutschland wohl Probleme mit dem politischen System gibt.
Was aber häufig übersehen wird, ist, dass in Griechenland über 40 oder 50 Jahre im Grunde eine dynastische Politik betrieben wurde. Zwei oder drei Familienverbände haben im Grunde das Land zusammen mit den Wirtschaftsführern und den Medien geleitet und regiert, über 40, 50 Jahre war das der tonangebende Strang in der Politik. Da gab es sicher Korruption, ja, da wurden Steuern nicht eingezogen, die Steuern wurden von den wirklich Reichen nicht bezahlt, von den Reedern, von den großen Wirtschaftsbossen. Alles das hat auch zu einer gewissen klientelistischen Politik geführt. Man musste bestimmte Leute kennen und konnte dann schnell einen Job im öffentlichen Sektor bekommen. Ja, das gab es alles, das leugne ich ja gar nicht. Aber all das, dieses Steuerhinterziehen war eine Sache der Reichen. Der gewöhnliche griechische Arbeiter hatte doch gar nicht die Möglichkeit, Steuern zu hinterziehen. Ihm wurde doch die Steuer gleich an der Quelle einbehalten. Die reichen Leute haben von diesem System profitiert. Mittlerweile gibt es Listen mit hunderten, ja, tausenden von Namen von reichen Griechen, die riesige Bankguthaben auf Schweizer Banken angehäuft haben. All dies gebietet natürlich eingreifende Reformen. Wir brauchen diese Reformen, und dazu ist die gegenwärtige politische Klasse unfähig. Sie ist nicht imstande, sich gegen sich selbst zu wenden. Die Schlussfolgerung daraus ist: Ja, wir brauchen in Griechenland politische Reformen, wir brauchen den politischen Wandel. Aber die gegenwärtige EU-Politik ist vollkommen ungeeignet, um diese Ziele zu erreichen.
Macht wird durch Disziplinierung ausgeübt
Karkowsky: Sie hören den griechischen Philosophen Costas Douzinas zu seinem Buch "Philosophie und Widerstand in der Krise". Herr Douzinas, in Ihren Texten schreiben Sie starke Worte, um die Situation zu analysieren, unter anderem lese ich da, dass aus Griechenland ein biopolitisches Versuchslabor gemacht wurde für eine postapokalyptische Menschheit. Wie haben Sie das gemeint?
Douzinas: Na ja, dazu bräuchte ich wohl eine halbe Stunde, um das angemessen zu erklären. Fassen wir es ganz knapp zusammen: Biopolitik ist ein theoretisch-philosophisches Konzept, das davon ausgeht, dass Macht nicht nur über Ideen, Gedanken und Ratio sich verkörpert über die letzten 50 Jahre, sondern dass sie eben auch ausgeübt wird durch eine Disziplinierung, durch eine Steuerung der einzelnen Menschen, durch eine Verhaltenskontrolle, insbesondere durch das Bestreben, Glück, Gesundheit und Erfolg zu erlangen. Die Art, wie Glück, Gesundheit und Erfolg erlangt werden kann, soll dann durch die Macht gesteuert werden. Das haben wir wirklich ganz umfänglich erlebt, dass man versucht, durch politische Heilserwartungen derartige Kontrolle über die Menschen auszuüben. Wir sehen das in den verschiedenen Maßnahmen, die auf die Bevölkerung auferlegt werden zum Thema Gesundheit, Hygiene, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Man soll ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch werden, Wohlstand wird angestrebt. Das haben wir in allen EU-Ländern, in Griechenland, aber auch in Großbritannien gesehen. Konsum ist angesagt. Man appelliert an die Wünsche und Bestrebungen, an das Lustverlangen der Menschen, kaufe, leihe Geld und du wirst glücklich werden.
Das ist die Parole in Zeiten der Hochkonjunktur. Jetzt sehen wir seit Einführung der Sparpolitik die genaue Umkehrung dieses früheren Heilsversprechens: Während man früher Lust, Verlangen und Erfolg verkündet hat, wird heute das Gegenteil verkündet. Man soll jetzt darauf Verzicht leisten, man soll, um das Ganze zu retten, um die Nation, die Wirtschaft, ja, um das Erbgut der Bevölkerung zu retten, verzichten darauf. Und man wird gewissermaßen nach Verwendungsfähigkeit eingeteilt, die Menschen werden nach Alter, nach Erwerbsfähigkeit, manchmal sogar nach Rasse unterteilt. Und das alles wurde mit äußerster Wucht den Gesellschaften auferlegt, nicht nur in Griechenland, sondern in allen europäischen Ländern können wir das beobachten, dieser Mechanismus der Macht, insbesondere in Griechenland ist das deutlich hervorgetreten. Noch im Jahr 2008 bekam jeder Mensch doch mindestens zehn Telefonanrufe pro Tag, kaufe dies, du bekommst eine neue Kreditkarte, nimm einen Kredit auf, um dir das und das leisten zu können. All das wurde wirklich massivst auf die Menschen niedergeregnet und wir haben das in verschiedensten Ländern gesehen, dass das bis zum Äußersten getrieben wurde. Das frühere Kauf- und Glücksgebot wurde geradezu gewaltsam jetzt umgedreht und man führt die Menschen zurück in die andere Extremposition des äußersten Verzichts, mit dem die Macht versucht, auf den Gesellschaftskörper einzuwirken.
"Widerstand ein Grundbestandteil der Menschennatur"
Karkowsky: Ein weiterer Begriff Ihrer Philosophie ist der Widerstand, der griechische Straßenkampf, der Widerstand gegen die Sparmaßnahmen. Das ist etwas, was Ihnen höchsten Respekt abringt. Was haben denn die Demonstrationen Ihrer Ansicht nach erreicht, also was für einen Wert hat im Nachhinein der Widerstand gehabt?
Douzinas: Ja, ich habe von Anfang an herausgestellt, dass Widerstand ein Grundbestandteil der Menschennatur ist. Sie wissen ja, Adam und Eva haben das Paradies aus freien Stücken verlassen, Prometheus stahl das Feuer von den Göttern und so entstand die Philosophie und griechische Politik. Also zum Sein gehört auch Widerstand gegen das Gesetz, das heißt, Aktion und Reaktion gehören zusammen. Das ist Teil des Menschlichen, nicht nur in der Politik, sondern ganz grundlegend. Und ich habe es auch gesagt, dass wir jetzt in dieser Zeit wirklich eine Art universales Aufspringen des Widerstandes erleben. Wir haben den arabischen Frühling gesehen, wir haben die Proteste in Spanien, in Griechenland, in der Türkei und in Brasilien gesehen. Es ist eine richtige Protestwoge, die Madrid, Kairo, Athen und Rio de Janeiro verbindet. Und was haben diese Protestbewegungen erreicht? Nun, ich denke, sie haben mindestens das Kräftegleichgewicht verändert. Die gesamte Verteilung der Macht ist nicht mehr dieselbe wie noch vor zwei oder drei Jahren. Es entstehen neue Koalitionen und Kombinationen innerhalb des politischen Systems, und während man noch vor nicht allzu langer Zeit Angst bei den Menschen sah, ob sie den Euro verlassen müssen, ob sie ihre Arbeitsplätze verlieren würden, ob die Gesundheitsvorsorge zusammenbrechen würde, sehen wir jetzt Angst auf der anderen Seite ebenfalls.
Das heißt, die Dinge haben sich sehr verändert gegenüber dem Zustand von vor drei oder vor 20 Jahren. Und ganz besonders ist hervorzuheben, dass ein Großteil dieser Protestierenden nicht die üblichen Verdächtigen waren, die Linken oder die Ökos oder die Postanarchisten, sondern viele waren zum ersten Mal auf die Straße gegangen. Ganz normale Bürger, die früher vielleicht auch eher zur Rechten neigten, die sind jetzt durch diese Proteste verändert worden, sie sind zu neuen Persönlichkeiten geworden. Vor allem aber haben sie auf eine kleine, früher bei vier Prozent ruhende Partei Zugriff genommen, sie haben sie groß gemacht und adoptiert, sodass diese Partei jetzt vielleicht sogar die Regierung übernehmen wird. Wir haben also eine ganz entscheidende Wandlung gesehen. Ob das nun wirklich in eine bestimmte Richtung führt? Von philosophisch-theoretischer Seite aus würde ich sagen: Man weiß es nie so genau. Eines ist sicher: Die Situation ist wesentlich besser als noch vor 30 Jahren. Die EU sieht sich jetzt einer ganz entscheidenden Alternative gegenüber. Man fährt fort mit dieser Sparpolitik, die die Hoffnungen auf das Glück von ganzen Generationen zu zerstören droht. Man geht weiter auf dieser Straße der Orthodoxie, die häufig auch Neoliberalismus genannt wird, worüber man aber lange streiten könnte, die jedenfalls im Süden Europas eine verheerende Wirkung gehabt hat mit all diesen Minijobs ja hier auch bei Ihnen und mit dem Rückzug des Sozialstaates.
Karkowsky: Sie hörten den griechischen Rechtsphilosophen Costas Douzinas, sein Buch "Philosophie und Widerstand in der Krise" ist soeben auf Deutsch erschienen im Verlag LAIKATheorie. Übersetzt hat dieses Gespräch Johannes Hampel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.