Griechische Fabrik Viome in Arbeiterhand

Stell dir vor, die Firma macht dicht und keiner geht heim

Besetzen, Widerstehen, Produzieren steht in englischer Sprache an ein Fabriktor gesprüht
Graffito am Fabriktor von Viome: Besetzen, Widerstehen, Produzieren. © Ilir Tsouko
Von Lena von Holt |
In Thessaloniki haben Arbeiter 2011 ihre Fabrik besetzt und organisieren seither den Betrieb selber. Trotz aller Schwierigkeiten erhalten sie so ihre Jobs – und wollen nun mehr: Ein Gesetz, das ihre Selbsthilfe wie in anderen Ländern legalisiert.
Dichter Zigarettendunst sammelt sich im grellen Licht der Neonröhren. Der mit Stein geflieste Flur ist gerade einmal zwei Meter breit. Hier, im zweiten Stock des Gerichtsgebäudes von Thessaloniki stehen etwa 30 Arbeiter und warten. Weiter dürfen und können sie nicht – sieben Polizisten versperren ihnen den Weg. Es ist Freitag, 11 Uhr. Wie jeden Tag hätten die Arbeiter auch heute in der Fabrik stehen sollen, Seife produzieren. Aber heute gibt es Wichtigeres zu tun: Sie wollen ihre Fabrik retten. Wollen verhindern, dass sie zwangsversteigert wird. Das, was sie über Jahre hinweg aufgebaut haben, bewahren.
Alekos Sideridis hat die Arme vor der Brust verschränkt. Er beobachtet die Tür am Ende des Flurs. Dort liegt eine Liste aus, in der sich interessierte Käufer der Fabrik eintragen können. Alekos, 51 Jahre alt, das T-Shirt spannt über seinem Bauch, die dichten Brauen über den Augen verleihen seinem Blick etwas Ernsthaftes.

Feiner weißer Staub überall

24 Stunden vorher: Arbeitsroutine vertreibt die Nervosität vor dem morgigen Termin: Alekos hält einen Eisenstab in der Hand. Mit großen, ausholenden Bewegungen rührt er die weiße Seifenmasse um, die in einem 90-Grad heißen Wasserbad steht. Wasserdampf steigt ihm ins Gesicht.
Ein griechischer Arbeiter rührt Seife in einem Kessel um
Einer, der wie alle Alles machen: Alekos Sideridis © Ilir Tsouko
Alekos trägt einen schwarzen Pullover, dunkelblaue Jeans und schwarze Turnschuhe. Seine Sonnenbrille steckt vorne an der Brust in seinem Pullover. Arbeitskleidung trägt hier keiner, auch wenn die vergilbten Schilder an der Wand das so vorschreiben. Ein Wasserschlauch liegt quer auf dem grauen Betonboden. Aus den weißen, unverputzten Wänden ragen Rohre und Leitungen. In den Ecken: Regale, in denen Kanister mit Palmöl und Plastiksäcke mit Talg lagern. Alles ist bedeckt von einer fein weißen Staubschicht. Damals wurde hier noch Fliesenkleber produziert. Und Alekos fuhr Gabelstapler. Bis 2011 der Mutterkonzern Philkeram-Johnson bankrott ging und Viome mit in die Insolvenz reißt.
"Das Unternehmen existierte seit 1960. Weil viele Menschen von hier aus in den Ruhestand gegangen sind, haben wir Mitarbeiter, egal ob jung oder alt, nie daran geglaubt, dass ein Moment kommen würde, in dem sie ihren Job in der Fabrik verlieren würden. Das, woran keiner geglaubt hat, ist in der Tat passiert. Dass die Chefs Fabriken wie unsere von einem Tag auf den anderen in die Luft gehen lassen. Man verliert den Boden unter seinen Füßen."

Tsipras' falsches Versprechen

Eine neue Arbeit zu finden, ist für Alekos und seine 15 Kolleginnen und Kollegen damals kaum möglich. Von der Arbeitslosenhilfe können sie kaum leben. Sie liegt bei gerade mal 360 Euro – begrenzt auf 400 Tage. Die Arbeiter sehen also keine bessere Lösung, als einfach zu bleiben. Weiter zu produzieren. Auf die Unterstützung vom Staat hoffen sie längst nicht mehr. Zwar hat Alexis Tsipras vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten die Menschen in der Fabrik besucht und ihnen versprochen, sich für die Legalisierung der Besetzung einzusetzen. Passiert ist seitdem nichts. In der Belegschaft sagt man: Es waren nicht die Konservativen, die uns hintergangen haben, sondern die Linken.
"In Griechenland gibt es ein riesiges politisches Problem mit dem linken Spektrum. Die sogenannten progressiven Kräfte haben uns nicht unterstützt, im Gegenteil. Und wenn die linke Politik nichts unternimmt, sind wir dazu gezwungen, selbst aktiv zu werden und die Fabrik zu besetzen."
Alekos muss jetzt los, zur Besprechung. In einem kleinen Raum neben der Produktionshalle sitzen zehn Personen mit müden Gesichtern in einem Stuhlkreis. Alle starren auf einen Röhrenfernseher, auf dem eine Frau die Morgennachrichten vorliest. Alekos nimmt sich einen Kaffee und setzt sich dazu.
Seit es keinen Chef mehr gibt, organisieren die Arbeiter ihre Produktion selbst. Bürojobs, Bestellungen, Seifen-Herstellung. Aufgaben, die nun alle übernehmen müssen. Jeden Morgen werden sie neu verteilt. Heute muss die Bestellung nach Deutschland dringend raus. Zumindest gibt es darüber hier heute keine langatmigen Diskussionen. Dennoch zieht sich die Besprechung noch zwei zähe Stunden. Selbstverwaltung – das haben die Arbeiter in der Seifenfabrik längst gelernt – ist anstrengend.

Die Gemeinschaft als Familienersatz

Mittlerweile ist es fast zwölf Uhr. Alekos steht draußen auf dem großen Platz vor dem Besprechungsraum. Mit einem Hammer zerkleinert er alte Holzpaletten – ein Überbleibsel der alten Fabrik. Nacheinander wirft er das Brennholz auf den Grill, auf dem wenig später die Souvlakispieße liegen werden. Dazu gibt es Brot, Öl und Tsiporo – einen Raki aus der Region. Jeden Mittag wird zusammen gegessen. Für viele ist die Gemeinschaft eine Art Familienersatz. Wenn sich morgen vor Gericht ein Käufer finden sollte, würde dieser Zusammenhalt wohl zerbrechen.
In der Lagerhalle der Fabrik sitzt Alekos Frau Eugenia, wartet auf ihren Mann. Er muss sie gleich ins nahegelegene Einkaufszentrum bringen. Dort putzt sie für drei Euro die Stunde. Abends, nach Schichtende, holt Alekos sie dann wieder ab. Beide müssen arbeiten. Denn in der Fabrik verdient Alekos nur 400 Euro im Monat.
"Als Mutter und Frau ist es schwierig. Wir unterstützen die ganze Sache als Familie, es ist aber wirklich schwierig. Ich möchte auch kündigen, wo ich gerade arbeite, aber wenn man über 50 ist, will niemand einen haben, du bekommst keine Stelle."
Alte Maschinen, auf denen eine Staubschicht liegt
Feiner weißer Staub überall: früher wurde hier Kleber hergestellt© Ilir Tsouko
Für Alekos und seine Frau hätte der Zeitpunkt der Insolvenz nicht schlechter sein können: beide hatten gerade einen Kredit für ihr Haus aufgenommen, dazu kam das Studium ihrer zwei Töchter.
Während Alekos seine Frau zur Arbeit zu bringt, steigt Dimitris Koym vorsichtig die steilen Eisenstufen der ehemaligen Produktionshalle hinauf. Davor reihen sich Einkaufszentrum, Möbelgeschäft und Freizeitpark aneinander. Vor ihm ragt noch immer der Schriftzug des Mutterkonzerns in die Luft. Einige Buchstaben fehlen.
"Alles, was man hier sieht, gehört zum Mutterkonzern Philkeram-Johnson und dem Tochterunternehmen Viome. Was man dort sieht, sind alles Ruinen. Philkeram Johnson ist Pleite gegangen, es gibt keine Mitarbeiter mehr, nur noch zwei Wachmänner, die auf das Gebäude aufpassen."

Mit der Eurokrise kam die Insolvenz

Vor über zehn Jahren zählte das Unternehmen noch zu den größten Keramik- und Bauunternehmen in Griechenland. 1961 am Stadtrand von Thessaloniki eröffnet, sind in den 80er Jahren schon über 350 Mitarbeiter bei der Firma angestellt, ein Fünftel von ihnen stellt für die Tochterfirma Viome den Klebstoff für Fliesen her. Etwa ein Drittel der Produkte werden ins Ausland exportiert – in fast 30 Länder. Doch dann kam die Eurokrise. Und mit ihr im Mai 2011 die Insolvenz.
"Als wir unsere Fabrik schließen sollten, sind wir einfach nicht weggegangen, sondern hiergeblieben. So hatten wir die Möglichkeit etwas Neues anzufangen und selbst etwas zu produzieren. Dieses Mal ohne Chefs. Nur so konnten wir überleben. Von 2011 bis heute hat unsere Kooperative funktioniert. Wir arbeiten zusammen, werden zusammen bezahlt und natürlich ist es diese Solidarität, die uns alle zusammenhält."
Dimitris stützt sich mit seinen Unterarmen auf das gelbe Geländer und lässt seinen Blick über die Dächer der alten Fabrik schweifen. Sein Blick bleibt an einem kahlen Betonbau hängen – einem Nachbargebäude, gleich hinter der Lagerhalle von Viome. Hier wurden vor der Krise Auspuffe hergestellt.
Blick auf die Produktionshalle der Seifenfabrik
Insel der Hoffnung inmitten stillgelegter Fabriken: Die Seifenfabrik Viome© Ilir Tsouko
"Im westlichen Teil von Thessaloniki gibt es viele Fabriken, deren Chefs einfach abgehauen sind, und wo die Arbeiter draußen vor der Fabrik noch immer darauf warten, dass sie ihr Geld bekommen. Wir sagen ihnen 'Geht rein und findet euren Weg, so wie wir ihn gefunden haben. Um aus dem Nichts etwas zu produzieren. Es sind eure Hände, ihr habt das Know-how, habt schon vorher produziert, ihr wisst, wie es geht'."

Ein Raum für Utopien

Allein 2011 sind etwa 111.000 griechische Unternehmen Bankrott gegangen, rund ein Drittel der Griechen haben ihre Arbeit verloren. Inmitten all der leerstehenden Ruinen wirkt Viome da wie eine Insel der Hoffnung. Die Arbeiter haben sich nicht nur Arbeitslosigkeit und Armut widersetzt. Sie haben auch einen Raum für Utopien geschaffen. Selbst wenn das, was sie tun, illegal ist. Denn: die Arbeiter dürfen sich zwar in der Fabrik aufhalten – produzieren dürfen sie aber eigentlich nichts. Weil aber niemand zu Schaden kommt, wird die Seifenproduktion toleriert. Mit der Zwangsversteigerung aber droht nun das Aus.
Makis, ein weiterer Arbeiter, steht in der hinteren Produktionshalle. Mit einem Mixstab, der am Ende einer Bormaschine steckt, vermischt er die Seifenmasse zu einer homogenen Flüssigkeit. Die Luft ist warm und feucht, es riecht stechend. Makis kocht Seife ab, um die Bakterien zu töten. Neben ihm türmen sich hinter einer durchsichtigen Plane große Wannen mit Seife in einem Regal. An ihrer Oberfläche hat sich die Seife wie Elefantenhaut zusammengezogen. 15 Tage lang muss sie hier lagern, ehe sie reif ist.
"Alles, was wir hier in der Fabrik tun, haben wir uns selber beigebracht. Wir haben im Internet und in Büchern recherchiert, wie man das macht und dann haben wir angefangen zu produzieren. Wenn ich in einer normalen Firma arbeiten würde, würde ich nicht recherchieren, wie man Seife herstellt. Sie hätten mir gesagt, was ich tun soll, und ich hätte es gemacht. So wie wir es hier damals gemacht haben."
In den letzten fünf Jahren hat sich viel verändert. Die Arbeiter müssen ständig improvisieren, Maschinen selbst reparieren und anfangs überhaupt erstmal lernen, wie man Seife herstellt. Am Anfang organisieren sie ein Festival, sammeln dort 4000 Euro. Geld, mit dem sie ihr erstes Rohmaterial kaufen. Auf die Idee, Seife zu machen, kamen die Arbeiter, weil diese günstiger zu produzieren ist als Fliesenkleber.

40 Prozent Umsatz im Ausland

Nicole Logotheti posiert für ein Pressefoto. Sie ist für die Öffentlichkeitsarbeit bei Viome zuständig und führt einen Journalisten durch die Fabrik. Ganz in schwarz gekleidet mit pink lackierten Fingernägeln sitzt sie mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem dunkelgrünen Sessel in der ehemaligen Produktionshalle. Durch die Lüftung im Dach der Halle fällt ein Lichtspalt und macht den Staub, der durch die Luft wirbelt, sichtbar. Ein tolles Motiv für den Fotografen, der vor ihr auf dem dreckigen Beton-Boden kniet. Nicoles Blick wandert umher, sie versucht einen Punkt zu fixieren, um nicht in die Kamera zu gucken. Als das Bild endlich im Kasten ist, springt Nicole erleichtert auf und zündet sich eine Zigarette an. Die Führung kann weiter gehen.
Nicole ist eigentlich Chemikerin. Sie führt aber immer häufiger Journalisten und andere Besucher durch die Fabrik. Das ist überlebenswichtig, denn Viome lebt vor allem durch den Verkauf der Seife ins Ausland. 2017 nahm die Kooperative 120.000 Euro ein, 2018 etwas mehr. 40 Prozent davon allein über einen Online-Handel nach Frankreich und Deutschland. Interessierte und Unterstützer kommen aber auch aus Argentinien oder der Türkei.
Frisch geschnittenen Seifenstücke in der Fabrik
Viome stellt Bio-Seife her und verkauft die vor allem ins Ausland © Ilir Tsouko
Inzwischen ist die Sozialkooperative zum Vorbild vieler Griechen geworden. Nicole findet, dass die Solidarität innerhalb der Gesellschaft in der Krise gestiegen ist. Das erkenne man an den zahlreichen sozialen Kliniken und offenen Märkte, die im ganzen Land entstanden sind.

Der politischen Überzeugung wegen im Job

Nicole, eine Transfrau, arbeitet erst seit zwei Jahren in der Fabrik mit und gehört damit zu den wenigen Arbeiterinnen und Arbeitern, die nach der Übernahme der Fabrik zum Projekt dazu gestoßen sind. Von den Arbeitern wird sie akzeptiert. Geht es denen in erster Linie um ihre Existenzsicherung, wird Nicole von Anfang an durch ihre politische Überzeugung angetrieben. Sie macht den Kapitalismus für die Krise verantwortlich.
"Es ist nichts Neues, was in Griechenland passiert ist, sondern etwas Globales. Die Krise ist Bestandteil des kapitalistischen Systems. Ohne diese Krisen, könnte sich der Kapitalismus nicht recyclen, soziale und politische Probleme recyclen. Wenn das System weiter existieren wird, dann werden immer wieder Krisen entstehen, nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen Ländern."
Draußen, vor der alten Produktionshalle, in der Nicole den Journalisten herumführt, arbeitet Giorgos Deligianis. Er sitzt mit drei Kollegen auf Plastikstühlen um eine Abfüllanalage herum. Die Männer füllen nacheinander eine violette Flüssigkeit in Plastikflaschen um. Diese versehen sie anschließend mit einem Etikett. Damit ist die Seife bereit für den Versand. Auf einem langen Holztisch reihen sich braune Kartons nebeneinander. Die Lieferung geht nach Frankreich, dort kooperiert Viome mit einem Supermarkt. Aber auch Freunde und Bekannte kaufen hier ihre Seife – die lokalen Bestellungen räumt Giorgios in orangefarbenen Plastiktüten. Dann bringt er sie in den weißen Transporter, den Makis gerade draußen vor der Halle parkt, um sie später selbst zu den Kunden zu bringen.

Die Regale sind leer

Giorgos trägt randlose Brille, seine Hände versteckt er in den zu langen Ärmeln seines Pullovers. Beim Gehen kippen seine Schulten nach vorne. Sein Leben lang musste er viel tragen. 1995 hat Giorgos angefangen, für Viome zu arbeiten und auch im alten Unternehmen schon Bestellungen fertig gemacht – damals noch mit Kleber statt Seife. Vor der Übernahme der Arbeiter sei die Halle bis unters Dach voll mit Bestellungen gewesen. Viele seiner Wege hat er deshalb mit dem Gabelstapler zurückgelegt. Heute braucht er den nur noch selten: die hohen Regale sind fast alle leer. Er kann sich noch heute genau an den Moment erinnern, als ihm klar wurde, dass die Chefs sich aus dem Staub gemacht hatten:
"Wenn man in der Fabrik ankommt und sieht, dass das Buchhaltungsbüro geschlossen ist, dass der Kassierer weg ist, dann weißt du, was los ist. Und es hat sich natürlich herumgesprochen. Es muss nicht erst der Chef gehen, es reicht schon, wenn die Buchhaltung weg ist, weil man dann nichts mehr bestellen kann. Das passierte alles ganz plötzlich. Wir haben immer gehört, dass es uns nicht gut geht, wir wusste aber nicht, dass es so schlimm ist."
Ein Arbeiter bedient eine Seilwinde
Für eine Handvoll Euro: Alle Mitarbeiter verdienen nur knapp 400 Euro im Monat© Ilir Tsouko
Von einen auf den anderen Tag ließ die Besitzerin der Fabrik, Christina Philippou, die Arbeiter zurück – ohne Vorankündigung und ohne ihnen die Löhne für die letzten drei Monate ausgezahlt zu haben. Die Schulden in Höhe von 70.000 Euro sind bis heute offen. Die Arbeiter werfen ihrer ehemaligen Chefin vor, sich mit dem Geld aus dem Staub gemacht haben, als sie die Krise gewittert habe. Auch dem Staat blieb die Firma damals Unternehmenssteuern im Wert von 5 Millionen Euro schuldig. Philippou wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Später wurde die Strafe in Sozialstunden umgewandelt.
Obwohl die Chefs damals nicht wieder kamen, sind die Arbeiter weiter in die Fabrik gegangen. Zuerst nur, um die Maschinen zu warten. Damit sie jederzeit wieder mit der Arbeit hätten beginnen können. Dann kam die Idee, Seife statt Fliesenkleber selbst zu produzieren. Auch weil das viel billiger ist.
"Am Anfang war es schwierig, weil wir Industriearbeiter sind. Wir hatten klare Hierarchien: die Chefs, der Manager, jemand der geregelt hat, wie und wann wir bezahlt werden. Jetzt ist das anders. Es war riskant den nächsten Schritt zugehen, weil wir nicht wussten, was auf uns zu kommt. Es ist nicht leicht, nochmal bei Null zu beginnen, vor allem in unserem Alter."

Die Belegschaft ist zerstritten

Makis, der zuvor noch die Seife gekocht hat, steht nun mitten auf dem Hof vor Barrikaden aus blauen Chemiefässern. Sie blockieren die Zufahrtsstraße zum Mutterkonzern Philkeram-Johnson. Die Barrikaden sind entstanden, als die Arbeiter sich entschlossen haben, die Fabrik zu besetzen. Seither stehen sie für den Konflikt zwischen der Belegschaft von Viome und Philkeram-Johnson.
"Die Kollegen und vor allem die Gewerkschaft sind zum Diener der Chefs geworden, obwohl wir seit langem versucht haben, ihnen näherzukommen. Es war nicht möglich, uns zu einigen. Deshalb mussten wir uns trennen. Es gab hier einen Spruch, alles werde von den Zigeunern geklaut. Größere Zigeuner als die Chefs gibt es nicht. Sie haben ihren Arbeitern den Auftrag gegeben, die Materialien aus der Fabrik zu klauen. Wir mussten uns schützen, uns bewachen, und das haben wir auch getan."
Noch heute existiert dieser Streit: Nur, dass er nun vor Gericht ausgetragen wird. Die Arbeiter des Mutterkonzerns stehen nach wie vor auf Seiten der Chefs und machen sich für das Insolvenzverfahren stark. Ihnen steht am Ende eine Entschädigung von sechs Monaten Lohn zu, die von dem Gewinn gezahlt wird, der durch die Versteigerung eingebracht wird. Den Arbeitern von Viome dagegen steht keine Entschädigung zu, da die Firma selbst kein Eigentum besitzt.
Verschiedene linke Gruppen und Arbeitnehmergruppen haben für heute in der Innenstadt von Thessaloniki zu einem Streik aufgerufen. Auch die Arbeiterinnen und Arbeiter von Viome wollen daran teilnehmen. Männer und Frauen flanieren entlang der Hafenpromenade, ein Touristenboot fährt vorbei, zwei Angler werfen ihre Routen aus. Alles macht den Anschein, als habe sich das Land erholt. Aber das Bild trügt. Zwar hat Griechenland im August dieses Jahres das Europäische Hilfsprogramm verlassen, die Lebensverhältnisse der Menschen haben sich bisher aber kaum verbessert. Noch immer liegt die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent, die Einkommen und Renten sind weiterhin niedrig. Viele Menschen sind auf der Straße gelandet. Die Folgen der Krise – sie werden Griechenland noch Jahre begleiten.

"Viome ist Aktion"

"Höhere Gehälter, richtige Arbeitsverträge" steht auf großen Plakaten. Die Viome-Arbeiter haben sich unter die anderen Demonstranten gemischt, die nun die Hauptstraße entlang ziehen. In Folge der Sparpakete, die die griechische Regierung ab 2010 verabschiedet hat, wurden auch die lang erkämpften Arbeitnehmerrechte aufgeweicht: der Kündigungsschutz gelockert, Mindestlöhne gesenkt, Stellen befristet, Überstunden sind oft die Regel. Neben Spyros, Makis und Nicole sind auch einige Unterstützer aus der Solidaritätsinitiative von Viome mitgekommen. Einer von ihnen ist Alex, ein schmächtiger Student mit schwarzen Haaren. In den vergangenen Monaten ist er immer wieder bei Aktionen von Viome dabei gewesen. Er ist fasziniert von der Energie, die von Viome ausgeht:
"Viome ist Aktion. Viome hat etwas getan, das sich niemand in Griechenland hätte vorstellen können. Menschen in Argentinien hätten es vielleicht getan, oder Leute in Frankreich – aber nicht hier in Griechenland. Im Oktober hat Viome zusammen mit anderen Arbeitern ein Festival organisiert. Viome war es, das alles initiiert hat und dazu beigetragen hat, dass die Einzelnen miteinander reden und sich vernetzen. Das Festival hat dafür gesorgt, dass man näher zusammengerückt ist. Und das wiederum kann Voraussetzung für weitere Dinge sein. Deshalb ist es gut, was passiert ist."
Zwei Arbeiter in der Werkstatt 
Viel Improvisation: Zwei Arbeiter in der Werkstatt © Ilir Tsouko
Der nächste Tag – der Tag. Morgens, vor dem Gerichtstermin. Die Anwälte Olga Chapriodu und Christos Bakellas sitzen in ihrem Büro im 2. Stock eines 50er Jahre Baus unweit des Gerichtsgebäudes. Beide treffen die letzten Vorbereitungen. Seit fünf Jahren kämpft das Anwalts-Gespann dafür, dass die Arbeiter von Viome eine Entschädigung erhalten. Aber: es geht ihnen um mehr:
"Ich denke, was wichtig ist, ist, dass es bei der Insolvenz der Arbeitnehmer und auch auf juristischer Ebene nicht allein darum geht, das Geld zurückzubekommen. Wir kämpfen vor allem darum, dass es ein Gesetz gibt, das es erlaubt, Unternehmen, die entweder Bankrott gegangen oder verlassen worden sind, in die Hände der Arbeitnehmer übergeben werden können."

Die Arbeiter dürfen in der Fabrik auf die Maschinen aufpassen – etwas produzieren dürfen sie dort aber eigentlich nicht. Weil die Fabrik ihnen nicht gehört, können sie sie auch nicht als Hauptsitz ihrer Genossenschaft anmelden. Die Arbeiter sehen sich dennoch im Recht: Ihre Vorgesetzen schulden ihnen noch immer ihren Lohn. Daher sei es nur fair, wenn sie dafür in der Fabrik produzieren dürften.

Die Legalität der Kooperative

"Nach dem Gesetz kann die derzeitige Produktionsstelle von Viome nicht als Hauptsitz verwendet werden. Daher gibt es derzeit kein Gesetz, um sie zu schützen. Wir müssen zwischen Gesetz und Recht unterscheiden. Da wir wissen, dass es nicht legal ist, dass es kein Gesetz gibt, das es erlaubt, dass die Mitarbeiter die Fabrik besetzen und die Produktion weiterführen, haben wir Gesetzesänderungen beantragt. Und wir fordern eine Gesetzesänderung."
Die Anwälte kämpfen also nicht nur dafür, dass bei Viome in Zukunft legal produziert werden darf. Sie wollen auch eine rechtliche Grundlage dafür schaffen. Ein Gesetz, dass es legal macht, sich selbst zu helfen.
Vorbilder, die zeigen, dass so ein Gesetz helfen könnte, gebe es genug, sagen die Anwälte. In Italien zum Beispiel. Dort wurde bereits vor 30 Jahren ein Gesetz verabschiedet, das Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, die Produktion des Unternehmens nach einem Bankrott als Kooperative weiterzuführen. Über 9000 Betriebe konnten auf diese Weise gerettet werden.
Aber bisher gibt es solch ein Gesetz in Griechenland nicht. Deshalb bleibt den Arbeitern nur die Hoffnung, dass sich im Gericht von Thessaloniki, das keine zehn Minuten Fußweg vom Büro der Anwälte entfernt liegt, heute kein Käufer finden lässt.
Arbeiter der besetzten Fabrik Viome im April 2015 bei einer Protestkundgebung gegen die Sparpolitik der Regierung in Athen.
Arbeiter der besetzten Fabrik Viome bei einer Protestkundgebung in Athen.© imago stock&people
12 Uhr mittags. Es ist so weit, der große Moment ist da. Vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes – ein grauer Verwaltungsbau aus den 60er Jahren – haben die Arbeiter ein weißes Stoff-Plakat aufgehängt: "Viome wird nicht verkauft. Alle vor Gericht, um die Zwangsversteigerung zu blockieren."
Alekos geht den Gang im zweiten Stock des Gerichtsgebäudes unruhig auf und ab. Es ist schon der dritte Versteigerungstermin, trotzdem ist er nervös. Jedes Mal könnte das letzte Mal sein. Mittlerweile ist der Einstiegspreis von 31 Millionen Euro um die Hälfte gefallen. Schon seit fast zwei Stunden ist der Viome-Anwalt hinter der Tür verschwunden, die die Arbeiter seitdem nicht mehr aus den Augen lassen. Doch dann tut sich etwas: Anwalt Bakellas tritt mit einem breiten Lächeln aus der Tür. Die Arbeiter lachen, siegesgewiss fallen sie ihrem Anwalt in die Arme. Und der kostet die Situation nochmal so richtig aus:
"Leider ist keiner erschienen. Was soll ich Armer da noch machen? Ich tue, was ich kann."

Ein Sieg ohne Garantie

Alekos und die anderen sind erleichtert. Sie fallen ihrem Anwalt in die Arme. Dann folgen sie ihm singend die Treppenstufen des Gerichtgebäudes hinunter: "Bullen, Richter, hört gut zu, Viome bleibt in Arbeiterhänden!" Doch selbst wenn der Sieg ihnen heute gewiss ist – gewonnen ist damit noch nichts: In den kommenden Monaten werden weitere Gerichtstermine folgen. Und der Mindestbetrag für die Versteigerung wird weiter fallen.
Ein Tag nach dem Sieg vor Gericht fährt Makis mit seinem Auto den Schotterweg entlang auf den Hof der Fabrik. Es ist Samstag, heute wird nicht produziert. Frei hat Makis trotzdem nicht. Er sitzt mit einer Dose Bier in der Hand im Büro vor einem Bildschirm, auf dem sich zwei schwarz-weiß Bilder abwechseln. Beide zeigen den Eingang der Fabrik. Diesen muss Makis bewachen.
Am Wochenende und nachts muss immer jemand da sein, um die Fabrik vor Plünderungen und der Polizei zu beschützen. Dafür nehmen Makis und seine Kollegen auch eine Sechs-Tage-Woche in Kauf. Später wird er dann mit einem Hubwagen das Granulat in die Lagerhalle fahren, damit nächste Woche die Produktion weiter gehen kann. Für den Moment, so scheint es, ist in der Seifenfabrik erst einmal alles wie immer.
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