Die Zeit der Experimente scheint vorbei
Mit dem Grimme Online Award wurden acht herausragende Netz-Angebote geehrt. Aber die Jury mahnte mehr Mut zu neuen Experimenten an, wie der Vorsitzende Kai Heddergott erläutert. Keinen Preis gab es in der Kategorie Information.
Er gilt als wichtigster deutscher Preis für Online-Angebote: Der Grimme Online Award geht dieses Jahr unter anderem an die Chemikerin und Youtuberin Nguyen-Kim mit "maiLab". Aber es gab auch mahnende Worte der Jury, wie deren Vorsitzender Kai Heddergott im Deutschlandfunk Kultur erläuterte. "Mut zu Experimenten hat aus unserer Sicht bedeutet, es fehlt so ein bisschen der Spaß, auch das Netz mal multimedial auszuprobieren", sagte Heddergott. Die Jury habe ein bisschen vermisst, "da so ein bisschen Drive reinzubringen". Alles sei durchaus solide gewesen. "Ich selbst bin seit 18 Jahren beim Preis dabei, und das kann nächstes Jahr wieder ganz anders kommen."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Sie haben es gerade bei uns in den Nachrichten gehört, die Grimme-Online-Awards sind verliehen worden, Gelegenheit, möchte man meinen, die Erfolge der Branche zu feiern und auf Erfolge zurückzublicken. In Köln gab es jedoch auch mahnende Worte der Jury. Die Branche befindet sich aktuell in einer Phase der Konsolidierung, und die Zeit der Experimente scheint vorbei, hat es da geheißen. Was das genau bedeutet, das kann ich jetzt besprechen mit Kai Heddergott, Vorsitzender der Jury in diesem Jahr. Guten Morgen!
Kai Heddergott: Ich grüße Sie, Frau Welty!
Welty: Was haben Sie denn vermisst bei der diesjährigen Auswahl?
Heddergott: Mut zu Experimenten hat aus unserer Sicht bedeutet, es fehlt so ein bisschen der Spaß, auch das Netz mal multimedial auszuprobieren. Wir reden an anderer Stelle über Virtual Reality, 360-Grad-Videos, und wir haben bei den publizistischen Angeboten, und um die geht es ja immer bei Grimme online, ein bisschen vermisst, da so ein bisschen Drive reinzubringen. Alles war aber durchaus solide. Insofern war das mehr ein Wunsch als was Mahnendes vielleicht.
Welty: Es muss bis zum nächsten Jahr besser werden tatsächlich nur die Form, oder auch der Inhalt?
Heddergott: Beides. Allerdings, mit "Konsolidierungsphase" haben wir auch festgestellt, es gibt immer mal so Wellentäler und auch wieder Wellenkämme. Ich selbst bin seit 18 Jahren beim Preis dabei, und das kann nächstes Jahr wieder ganz anders kommen. Wir haben da auch Hoffnung. Wir haben einfach nur den Status quo feststellen wollen.
Kein Preis in der Kategorie Information
Welty: In der Kategorie "Information" wurde kein Preis verliehen. Gerade in Zeiten von Fake News ist das doch eher ein beunruhigendes Zeichen, oder?
Heddergott: Das müsste man mit dem Statut eigentlich besser erklären. Das ist immer so ein Problem von solchen Preisen, die sich selbst Regeln auferlegen. Tatsächlich haben wir nur acht Preise zu vergeben. Und die Jury ist so unabhängig, dass sie das komplett ohne Beachtung der Kategorien macht. Wir haben also keine Quote für die Kategorien. Und wir haben acht Preise vergeben, und wir haben am Ende gemerkt, in diesem Ranking, das wir aus den 28 Nominierten erstellt haben, keiner dabei aus der Kategorie Information.
Wir haben es natürlich als Problem auch selber gesehen. Wir haben aber in den anderen Kategorien durchaus Angebote dabei, die durchaus auf das Thema, nehmen wir mal Fake News und Hate Speech einwirken. Insofern, inhaltlich ist das bei den Preisträgern abgebildet. Wir diskutieren vielleicht in Zukunft mal über die Kategorienbildung, das hat der gestrige Abend gezeigt.
Welty: Dann ändere ich einfach meine Spielregeln, wenn ich den Regeln nicht mehr entsprechen kann oder will?
Heddergott: Ja, das ist ein bisschen so, dieses Unabhängigkeitsprinzip der Jury und das Statut, da merkt man, dass man vielleicht mal auch was anfassen muss, und wir haben die Unabhängigkeit komplett ausgenutzt. Das gab es schon mal vor drei Jahren. In der Kategorie "Spezial" gab es auch keinen Preis. Das fällt natürlich nur weniger auf bei Spezial, wo sich alles sammeln kann, als bei "Information".
Welty: Was ist denn das Beispiel oder der Preisträger, wo Sie sagen, der kommt am ehesten in die Nähe von Information und setzt sich eben mit diesem allgegenwärtigen Thema im Netz, mit Fake News auseinander?
Heddergott: Das war das Angebot "Deutschland spricht" von "Zeit online". Die haben vor der Bundestagswahl auf Basis von Algorithmen und Recherche Paare, echte Paare zusammengebracht mit höchst unterschiedlichen Positionen der Bundestagswahl und haben die in echte Gespräche gebracht und die aufgezeichnet und zu Artikeln gemacht.
Also wo Leute mit extremen Positionen, die im Netz wahrscheinlich aufeinander losgegangen wären, festgestellt haben, wenn ich so mit ihnen rede, dann kann ich vielleicht sogar ihrer Position zu einem Teil was abgewinnen. Also eigentlich ein Beitrag in der Hate-Speech-Debatte, über so ein Projekt mal Ruhe in die Diskussion zu bringen.
Literaturgeschichte mit Play Mobil
Welty: Außerdem wurde ausgezeichnet "Sommers Weltliteratur to go". Auf diesem YouTube-Kanal werden Klassiker der Literaturgeschichte mit Playmobil-Figuren nachgestellt. Warum das? Warum der Preis für "Sommers Weltliteratur to go"?
Heddergott: Na, jetzt komme ich natürlich doch wieder mit den Kategorien, die ich eben im Prinzip so ein bisschen beiseite geschoben habe. Es gibt eine Kategorie "Kultur und Unterhaltung", und es gibt "Wissen und Bildung". Und was Herr Sommer da gemacht hat, das ist natürlich Kultur. Indem er uns, so wie wir früher diese kleinen Zusammenfassungen vor der Deutsch-Leistungskursklausur gut gebraucht haben, kriegen wir da eine Viertelstunde Shakespeare mit Playmobil dargestellt.
Ein sehr cleverer Ansatz, um tatsächlich Literatur zu vermitteln, zeitgemäß über YouTube, für alle Zielgruppen. Und was der Preis auch immer macht, ist, wenn jemand einzelnes eine ganz tolle Initiative und Engagement gezeigt hat, ist das preiswürdig. Insofern passt er klassisch in die Kategorie rein, und diese Einzelleistung war es einfach wert, einen Preis zu bekommen.
Welty: Macht es sich die Branche insgesamt zu leicht, und wagt sie sich nicht an die wirklichen Herausforderungen heran?
Heddergott: Das würde ich nicht sagen. Und die Frage ist ja auch immer, was für Einreichungen bekommen wir, und ist die Branche auch durch die Einreichung komplett repräsentiert, oder ist da auch schon ein Filter passiert? Ich denke schon, dass die Branche sich an die Themen ranwagt, aber wir sehen es gerade bei diesen Diskussionen –, wie führen wir Debatten künftig öffentlich? Sind klassische Medienhäuser, sind klassische Onlineanbieter oft durch die Vehemenz der Diskussion überfordert? Da müssen wir, glaube ich, alle noch einen Weg finden, um da ein Packende zu bekommen.
Nutzer-Feedback als Herausforderung
Welty: Haben Sie dafür eine Idee?
Heddergott: Das, was die "Zeit" gemacht hat, die Menschen ruhig, strukturiert aufeinander zu führen und die Debatte sich nicht aufheizen zu lassen, sondern eine Versachlichung reinzubringen. Und Fragen zu stellen. Ich denke mal, das Letztere ist viel wichtiger, und weniger mit Vorwürfen zu arbeiten. Ich habe Hoffnung, dass das noch funktionieren kann.
Welty: Wodurch unterscheidet sich das Onlinegeschäft, sage ich jetzt mal, überhaupt noch von den klassischen Medien? Hat da nicht eine große Annäherung stattgefunden?
Heddergott: In der Produktion und in der Denke, das crossmedial alles zu spielen und zu verarbeiten, auf jeden Fall. Aber in der Geschwindigkeit, in der die Feedbacks der Nutzer, der Leser, der Zuschauer in die Kanäle zurückkommen, und auf die man auch reagieren muss, das ist immer noch was Neues, und das fordert auch ein bisschen andere Kompetenzen in den Redaktionen und bei den Anbietern.
Welty: Jetzt dürfen Sie es ja sagen, weil die Preisverleihung ist ja nun vorbei – hatten Sie einen Lieblingspreisträger in diesem Jahr?
Heddergott: Das ist wirklich immer schwierig zu sagen. Richtig ein Schatz war für mich tatsächlich Michael Sommer, gelernter Dramaturg mit seinen Playmobil-Figuren, weil so viel Liebe drin steckt und alle sofort ihren Nutzen sehen konnten: Hätte ich das vor 25 Jahren vor meinem Abi benutzt – aber ich kann es jetzt meinen Kindern zeigen. Das war einfach ein Liebling, weil da so viel Engagement drin steckte.
Welty: Die Grimme Online Awards 2018, analysiert im Gespräch mit Kai Heddergott, Vorsitzender der Jury in diesem Jahr. Ich sage herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.