Grimme-Preis

Urteil der Jury "bedeutet mir sehr viel"

Die Regisseurin Brigitte Maria Bertele freut sich am Dienstag (26.08.2008) in Berlin über den First Steps Award
Regisseurin Brigitte Maria Bertele © picture-alliance/ dpa / Jens Kalaene
Moderation: Hanns Ostermann |
Die Regisseurin Brigitte Bertele wird bei der Grimme-Preisverleihung für ihren Film "Grenzgang" ausgezeichnet. Das deutsche Fernsehprogramm zeichne sich nicht immer durch "bestmögliche Qualität" aus, kritisiert die 39-Jährige.
Hanns Ostermann: Es ist ein runder Geburtstag, der heute in Marl gefeiert wird. Zum 50. Mal werden die Grimme-Preise verliehen. Es ist der renommierteste Fernsehpreis in Deutschland. Er zeichnet Fernsehsendungen aus, so die offizielle Begründung, die für die Programmpraxis vorbildlich und modellhaft sind. Die Regisseurin Brigitte Maria Bertele erhält den Preis für den Fernsehfilm "Grenzgang". Ich habe sie zunächst gefragt: Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung ganz persönlich? Denn es ist ja nicht der erste Preis, den Sie gewonnen haben.
Brigitte Bertele: Ja, die Frage liegt auf der Hand, ist aber gar nicht so leicht zu beantworten. Mir bedeutet es sehr, sehr viel, weil es - das kann man, glaube ich, mit Fug und Recht sagen - die wichtigste Auszeichnung im deutschen Fernsehen ist, die wir haben, und sie wird von einer unabhängigen Jury vergeben, die alle eigentlich auch Experten zumindest des Feuilletons sind und auch der Medienkultur, würde ich sagen. Und die Menschen, die in der Jury sitzen, deren Urteil bedeutet mir persönlich einfach sehr viel.
Ostermann: Sie haben sich mit den Straßenkindern in Ghana beschäftigt, mit Afghanistan und den Problemen, die junge Bundeswehrsoldaten haben, die traumatisiert zurückkommen, "Die Nacht vor Augen" schildert die Folgen einer Vergewaltigung. Und jetzt "Grenzgang". Was hat Sie an diesem Roman von Stephan Thome gereizt?
Bertele: Vielleicht gerade die Stille und Unaufgeregtheit, mit der dort Menschen porträtiert werden, die, wenn man so möchte, vielleicht in einer Midlife-Crisis sind und so in der Lebensmitte vor der Frage stehen, welche Träume sind möglicherweise nicht in Erfüllung gegangen, von was muss ich mich verabschieden, aber welche neuen Türen hält das Leben für mich bereit. Und in dieser Feinheit und Klugheit hat mich der Roman unglaublich gereizt.
Ostermann: Und auch eigene Dinge angesprochen, selbst etwas berührt?
Bertele: Ja, ich glaube, genau eben diese feineren Fragen. In dem Roman sind die Figuren wahnsinnig genau und unglaublich klug beschrieben. Es gibt so lange innere Monologe, Gedanken, Assoziationsketten, die die Figuren haben in der Literaturvorlage, und das fand ich sehr bereichernd und inspirierend, in dieser Feinheit zu versuchen, filmisch auch diese Zwischentöne widerzuspiegeln.
Ostermann: In der Begründung der Jury heißt es, die große Kraft und Kunst dieses Films liegt in seiner Behutsamkeit und Zärtlichkeit, mit der er seine Geschichte unbeirrt erzählt. Behutsam und zärtlich - wie geht das, wenn Sie auch Spießer zeigen?
Bertele: Gute Frage. - Ja, vielleicht einfach, dass man dem Leben mehr vertraut, als es sonst üblich ist. In den Fernsehfilmen, die wir oft sehen, dominiert der Plot, der gebaute Handlungsverlauf. Es muss viel passieren innerhalb von 90 Minuten, …
Ostermann: Die überraschende Wende …
Die Frage nach Heimat und Verwurzelung
Bertele: Genau. Also möglichst atemberaubende Dinge, die den Zuschauer fesseln. Und ich habe es als große Herausforderung empfunden, mit leiseren, aber umso existenzielleren Fragen letzten Endes diese 90 Minuten zu füllen, die letzten Endes auch näher an meinem eigenen Leben dran sind, oder an den Fragen, die ich an mein eigenes Leben habe.
Ostermann: Und das Ländliche? Welche Rolle spielt das Ländliche für die beiden Hauptdarsteller?
Bertele: Ich würde sagen, vielleicht weniger das Ländliche als die Frage nach Heimat und die Frage nach Verwurzelung, und ich denke, das sind Fragen, mit denen kann sich jeder beschäftigen und identifizieren. Ich kenne das von meinen Wahlberliner Freunden zum Beispiel sehr stark, die Frage nach Heimat und nach Verwurzelung, und das waren Fragen, die mich auch selber persönlich sehr interessieren. Das kann was mit Land zu tun haben, es kann aber auch was mit Arbeitsmigration oder Wegzug aufgrund von Liebe zu tun haben.
Ostermann: Frau Bertele, Sie sind gelernte Schauspielerin. Erleichtert das Ihre Arbeit als Regisseurin?
Bertele: Für mich ist es eine große Hilfe, die andere Perspektive zu kennen, auch was wirklich vom Handwerk zu verstehen, von der Kunst, wirklich auch Figuren aufleben zu lassen. Das erleichtert einfach, glaube ich, meine Art, Regie zu führen und die Präzision der Regieanweisungen.
Ostermann: Der Film lief in der ARD zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr. Hat Sie das eigentlich überrascht?
Bertele: Mich hat der Mut des betreuenden Redakteurs überrascht, der sich für diese Vorlage entschieden hat, eben genau in dieser Stille und, was ich vielleicht noch sagen möchte, auch flächiger, in so einer flächigen Erzählweise, die mehr mäandert und auch Zeitsprünge versucht zu integrieren und eben nicht linear und handlungsgetrieben funktioniert. Und der Mut dieses speziellen Redakteurs, Michael André vom WDR, hat mich sehr beeindruckt.
Ostermann: Denn es ist ja schon festzustellen, dass anspruchsvolle Filme, oder auch Dokumentarfilme - Sie selbst haben auch Dokumentarfilme gemacht -, dass die in der Regel um Mitternacht oder später laufen, jedenfalls nicht zu einer Zeit, wo viele Menschen zuschauen. Fehlt den Programmmachern - Sie haben eine Ausnahme eben genannt - auch bei ARD und ZDF manchmal der Mut?
Bertele: Ja, in meiner Wahrnehmung gibt es ab und zu wirkliche echte Perlen. Da muss man schon ein bisschen auf der Lauer liegen oder nach Empfehlungen Ausschau halten. Die findet man dann oft beim Grimme-Preis tatsächlich wieder, oder es gibt ein Fernsehfilm-Festival in Baden-Baden, die jährlich immer so eine handverlesene kleine und feine Auswahl präsentieren, und da staune ich oft, was wir eigentlich für tolles Fernsehen potenziell haben, …
Ostermann: …, das aber wann läuft?
Bertele: …, das halt sporadisch schon auch 20:15 Uhr läuft, aber nicht jeden Abend, wenn man spontan einschaltet.
Ostermann: Trotzdem noch mal die Frage: Werden Minderheiten im deutschen Fernsehen ausreichend bedient?
Bertele: Wahrscheinlich nicht. Ich trauere natürlich auch immer darüber doch ein bisschen, dass es immer diese ... Na ja, der größte gemeinsame Nenner bedeutet eben nicht immer bestmögliche Qualität. Mir fällt da immer ein Ausspruch ein von meinem Hauptdarsteller Lars Eidinger, der sagte, viele Menschen lieben McDonalds, das heißt aber nicht, dass die Nahrung, die dort verkauft wird, deswegen für Qualität steht.
Ostermann: Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. - Brigitte Maria Bertele war das, die Regisseurin des Films "Grenzgang", der heute Abend mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wird. Danke für das Gespräch und Ihnen einen schönen Abend.
Bertele: Danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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