Grit Poppe: "Verraten"
Dressler Verlag, 2020
336 Seiten, 12 Euro
Wie Jugendliche zu Stasispitzeln wurden
10:51 Minuten
Die Betroffenen haben aus Scham viele Jahre lang geschwiegen. Jetzt erzählt die Autorin Grit Poppe in ihrem Jugendroman "Verraten" die Geschichte von Jugendlichen, die von der DDR-Staatssicherheit rekrutiert wurden.
In ihrem Roman "Weggesperrt" hat Grit Poppe als eine der ersten Autorinnen über das Thema der Jugendwerkhöfe in der DDR und der bis heute schwer traumatisierten Menschen, die dort untergebracht wurden, geschrieben. Dabei kamen Betroffene fiktionalisiert zu Wort. Das Buch wurde vielfach ausgezeichnet und war Pflichtlektüre an Schulen.
Jetzt beleuchtet Poppe, 1964 im mecklenburgischen Ostseebad Boltenhagen geboren, mit "Verraten" ein weiteres düsteres Kapitel: Jugendliche, die von der Stasi als Spitzel (zwangs-)rekrutiert wurden.
Intensive Gespräche mit Zeitzeugen
Am Beispiel des 15-jährigen Sebastian beschreibt Poppe das perfide System, bei dem Lehrkräfte und Schulleitungen mithalfen. "Sebastian" hat ein reales Vorbild. Mit ihm hat Poppe ausführliche Gespräche geführt und auch mit weiteren Zeitzeugen und Betroffenen gesprochen. So ist ihr ein packendes Stück Literatur gelungen, das mit dokumentarischem Zusatzmaterial, etwa Auszügen aus Interviews, angereichert wurde.
Die Erfahrungen der damaligen Kinder und Jugendlichen wirkten bis heute fort, sagt Poppe, deren eigener Vater, der DDR-Bürgerrechtler Gerd Poppe, ebenfalls ins Fadenkreuz der Stasi geriet. "Es wird einem ja jetzt erst bewusst, wer da alles beteiligt war", so die Autorin. Nicht nur die Staatssicherheit direkt. "Viele werden auch in der Schule vom Direktor angesprochen." Dieser sei meist eingeweiht gewesen.
Schambesetztes Thema
Poppe geht regelmäßig für Lesungen und mit Zeitzeugen an Schulen. "Die Jugendlichen sind da sehr empathisch", ist ihre Erfahrung. Speziell wenn Zeitzeugen von ihren Erlebnissen in den gefängnisartigen Jugendwerkhöfen berichteten, "sind die Jugendlichen immer total fasziniert und begreifen erst dann richtig, dass das nicht einfach eine Geschichte ist, die sich jemand ausgedacht hat, sondern dass es die Menschen, die das erlebt haben, noch gibt, und dass eine Realität dahintersteckt".
Für die Betroffenen selbst sei es ein "schambesetztes" Thema, sagt Grit Poppe. Sie freue sich, wenn ihr Buch dazu beitrage, den ehemaligen IMs Mut zu machen, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.
(mkn)