Kunsthalle Mannheim öffnet, um zu schließen
Die Stararchitekten von gmp haben Mannheim den größten Museums-Neubau Deutschlands beschert. Manet und Van Goh, Dix und Beckmann, Rodin und Moore, Kiefer und Horn – auch die Sammlung ist voller Schwergewichte. Zur Schlüsselübergabe bleibt das Haus allerdings fast leer - und schließt auch gleich wieder.
Draußen werden Platten verlegt, drinnen wuseln Installateure und Techniker. Am Entree der Superlative wird bis zum letzten Moment gearbeitet. 22 Meter hoch ist das lichtdurchflutete Atrium im Neubau der Kunsthalle Mannheim. Mit imposanten 700 Quadratmetern unter einem Glas-Flachdach soll dieser umbaute Marktplatz mit Betonboden erster und kostenlos zu besichtigender Anlaufpunkt für Interessierte sein. Gleichzeitig das programmatische Herzstück für den größten Kunst-Neubau in Deutschland.
Die Kunsthalle – eine Stadt in der Stadt
"Ja, und man erlebt es heute mit der Sonne besonders schön, es ist ein ungewöhnlich offener Bau, der eine Stadt in der Stadt ist, wie wir das nennen."
Mit Plätzen, Brücken und Treppen zwischen sieben Schau-Häusern, die sich um den überdachten Lichthof gruppieren, erläutert Ulrike Lorenz, Direktorin der Kunsthalle. Fünf, sechs Meter hohe Ausstellungskuben füllen die offenen Häuser auf drei Ebenen. Lichtdecken, Alarmtechnik, Vollklimatisierung mit Überdruck: Das moderne Kunstmuseum ist eine Maschine, seufzt Lorenz, sie hochzufahren, dauert.
"Die Integration dieser technischen Systeme – das haben wir ein Stückweit unterschätzt", räumt die Kunsthallen-Direktorin ein.
Warten auf das "Grand Opening"
Die große Eröffnung kommt ein halbes Jahr später als geplant, im Juni 2018. Umso lebhafter die öffentliche Diskussion darüber, dass Mannheim, die kurfürstliche Residenzstadt auf Quadrat-Raster, mit der Kunsthalle einige Quadrate dazu bekommt. Der Oberbürgermeister hat seinen Amtssitz im Alten Rathaus am Südrand von Quadrat G, nur einen Kilometer entfernt. Den neuen Museumsbau hält der Sozialdemokrat für den großen Wurf. Peter Kurz blickt zurück auf die Ursprünge, auf die Jugendstil-Halle, auf deren Erbauer Hermann Billing und den Gründungsdirektor Fritz Wichert.
"Man kann sagen, es ist jetzt nach hundert Jahren das erreicht worden, was man sich bei der Gründung der Kunsthalle vorgestellt hat. Es sollte ja einen großen Erweiterungsbau geben. Der alte Billing-Bau war ja nur eine Eingangspforte für die große Gartenbau- und Kunstausstellung des Jahres 1907. Die Vorstellung konnte dann nicht realisiert werden im Ersten Weltkrieg."
Und der inzwischen abgerissene 1980er-Jahre-Bau von Hans Mitzlaw, so findet der Oberbürgermeister, spiegelte den Anspruch der hochkarätigen Kollektion nicht wieder.
Höhepunkte der klassischen Moderne
Gemälde von Manet und Van Goh, Dix und Beckmann, Skulpturen von Lehmbruck, Rodin und Moore markieren Höhepunkte der klassischen Moderne, gesammelt nicht von irgendeinem Potentaten, das ist Verena Eisenlohr wichtig. Sie sitzt dem Förderkreis vor, der in den vergangenen vier Jahrzehnten 230 Werke angekauft hat. Der Fundus der Dauerleihgaben dieses Vereins reicht bis in die zeitgenössische Kunst. Im Unterschied zu privaten Leihgaben ist er zu hundert Prozent verlässlich.
"Die Kunsthalle ist schon durch bürgerschaftliches Engagement entstanden, damals 1907 ...", erzählt die Förderkreis-Chefin.
"... und so geht es auch weiter. Also, es ist nicht irgendwie etwas was von einem Fürsten, sondern es ist aus der Bürgerschaft finanziert worden und initiiert worden, und damit ist auch eine hohe Identifikation da. Und jetzt auch gerade der Neubau, das wird bestimmt ein Leuchtturm. Es ist auch umstritten mit der Konzeption, aber ich finde die Architektur gut gelungen."
"Parkhaus", spotten manche
Laut Umfrage der Zeitung "Mannheimer Morgen" sind da jedoch über 70 Prozent der Befragten anderer Meinung, zumindest was die Fassade angeht. Nur noch selten treffen sich die Mitglieder der kleinen Bürgerinitiative, die ein paar tausend Unterschriften für die Altbau-Sanierung zusammentrug. Den Neubau hat sie mit zwei Petitionen im Stuttgarter Landtag nur verzögern, nicht schrumpfen können.
An diesem Spätnachmittag schallt der Baulärm von der Kunsthalle bis zum Italiener in einem der nahen Arkadenhäuser. Dort bleibt den Kritikern nur, ihren Frust darüber auszutauschen, dass die Stiftung Kunsthalle Mannheim als Bauherr einen massiven Quader in die ansonsten reich gegliederte Randbebauung des Friedrichsplatzes klotzen ließ. Direkt gegenüber dem Wasserturm als Mannheimer Wahrzeichen schmerzt das die Mitglieder der gescheiterten Bürgerinitiative besonders. Der Friedrichsplatz mit den Wasserspielen gilt als einer der schönsten Plätze in Deutschland. Doch anders als versprochen fügt sich der neue kantige Museums-Bau nicht ein in das Ensemble aus Neobarock geprägtem Jugendstil und rotem Sandstein. Das bemängelt jedenfalls Alice Motoi.
"Zum Glück wurden die Bäume erhalten, und mein Trost ist es, dass diese Hülle Frühjahr, Sommer, Herbst von Bäumen verdeckt wird, dass das Gebäude nicht so wuchtig wirkt."
Mit "Hülle" meint die Ingenieurin und Künstlerin die Außenhaut aus Metallgewebe, neudeutsch Mesh.
"Kunst hinter Gittern"? Auf den "Bildchen" sah es besser aus
"Kunst hinter Gittern", spotten Kritiker über den Vorhang aus Drähten und Röhren. Auf den Fotos des Hamburger Architektenbüros gmp schimmert das Gebäude wie eingehüllt in einen transparenten Licht-Nebel.
"Als Designer nennen wir so was Beschiss-Bildchen", konstatiert der Industriedesigner Wolfgang Fabian. Statt bronzefarben-transparent changiert der neue Trakt eher in fahlen Gelb-Tönen. Wie kommt die verschuldete Industrie- und Arbeiterstadt Mannheim überhaupt zu einem gigantischen Edelbau mit 13.000 Quadratmetern Nutzfläche, entworfen vom Hamburger Büro Gerkan, Marg und Partner? Gmp - für Mannheim eine Nummer zu groß, findet Fabian.
"Die bauen in China ganze Städte, und die arbeiten eigentlich mehr wie eine Fabrik, und hier hätte man einen guten Handwerker als Architekten benutzen müssen."
Doch der Gemeinderat entschied sich 2012 für den überarbeiteten Wettbewerbsentwurf von gmp, Mannheim kann sich die Star-Architekten leisten.
Das relativ "arme" Mannheim hat reiche Mäzene
Obwohl die Kommune unter den relativ reichen Städten Baden-Württembergs zu den ärmsten gehört, mit höchstem Schuldenstand. Doch die badische Metropole hat finanzkräftige Kunst-Mäzene. Allen voran das Ehepaar Hector. Der Mathematiker Hans-Werner Hector hatte seine Karriere bei IBM in Mannheim begonnen und Anfang der 70er-Jahre das Softwareunternehmen SAP mitgegründet.
Der Kunstfreund im Rentenalter steuerte gemeinsam mit seiner Frau 50 Millionen Euro zum Neubau bei. Wer deshalb behauptet, ein Super-Reicher lenke Mannheims Kunstleben, dem hält der Oberbürgermeister entgegen:
"Hier hat kein Mäzen mit Geld die Stadt zu etwas gedrängt. Sondern umgekehrt: Wir haben - auch mit Beschlussfassung des Gemeinderats - formuliert, dass wir uns ein solches Haus wünschen, dass das kulturpolitisch die richtige Antwort ist auf die Bedarfe des Museums. Wir hatten ja festgestellt, dass wir internationale Kooperationen gar nicht mehr eingehen können, weil das Haus dazu nicht die technischen Voraussetzungen bietet, dass die Sammlung nicht angemessen präsentiert werden kann. Insofern ganz klar: Das war der Wunsch der Stadt. Das war der öffentliche Bedarf."
Den Mannheim aus eigener Kraft nicht hätte decken können, bedauert der OB.
"Das ist aus meiner Sicht ein einmaliger Vorgang, und das ist in besonderer Weise eben zu würdigen, dass keine kulturpolitische Ambition eines Privatgönners hier Auslöser war, sondern der Wunsch der Stadt. Und dass dafür privates Geld zu Verfügung gestellt worden ist."
Manfred Fuchs als Chef eines Schmierstoff-Unternehmens ist einer von denen, der den Grundstock der Stiftung mit aufbaute. Soeben hat der Senior einen Stifterkreis gegründet, der zusätzlich Ausstellungen und Ankäufe mit finanzieren soll. Aus Freude über den neuen Leuchtturm, bekräftigt der Stiftungsrats-Vorsitzende. Ohne Einfluss zu nehmen.
"Da reden wir nicht rein, und die Leitung des Hauses würde es auch nie akzeptieren, das ist auch gut so."
Kunsthallen-Chefin mit erneuerbarer Energie
Die Frau, die den umstrittenen Leuchtturm von 2009 an mit durchboxte und sich nicht reinreden lässt, ist klein, zierlich und drahtig. Nicht anzumerken sind der Kunsthallen-Chefin die Strapazen, die mit Altbau-Sanierung, Neubau und damit verbundener Totalrevision des Museumsbetriebs einhergehen. Höchste Ansprüche an Bau, Sammlung, Konzeption und Verträge verficht die promovierte Kunsthistorikerin mit unerschöpflicher Energie, so wirkt es jedenfalls. Zuvor hatte die Thüringerin erfolgreich die Kunstsammlung Gera und das Otto-Dix-Haus in ihrer Geburtsstadt profiliert. Später modernisierte sie das Kunstforum ostdeutsche Geschichte im bayrischen Regensburg, verdoppelte dort die Besucherzahlen. Nun soll Lorenz die Öffentlichkeit für den 'Hector-Bau' gewinnen. So wird der neue Trakt der Mannheimer Kunsthalle nach dem Gönner-Ehepaar genannt.
Ein Ort für Diskurse, kein Elfenbeinturm
Im riesigen Atrium macht die resolute Mittfünfzigerin klar, was das neue Ensemble aus Hector- und Billing-Bau unter ihrer Regie nicht sein will.
"Kein abgeschlossener Elfenbeinturm. Kein Archiv. Kein kategorischer Wissens-Ort. Sondern ein Schutzraum in der Mitte der Gesellschaft, in dem sich die Gesellschaft mit sich selbst verständigen kann. Und dabei Kunst in Anspruch nimmt. Wir wollen keine weihevolle Stimmung in diesen Räumen, wir möchten eher Diskurse haben, Auseinandersetzungen, Offenheit."
Und keine Meistererzählung der Kunstgeschichte, legt Lorenz nach. Bei jedem ihrer nachdrücklichen Worte federt sie leicht in den Knien.
"Wir sind keine Nationalgalerie. Das künftige Museumskonzept ist ein Museum in Bewegung, das heißt, wir hängen nicht mehr für die Ewigkeit."
Doch das Hauptwerk dürfte kraft seiner Größe und Masse lange dort bleiben, wo es soeben platziert wurde - auf der 17 Meter hohen Wand des luftigen Atriums. Für einen Moment schauen die Kunsthallen-Chefin und der Stiftungsratsvorsitzende nach oben. Ulrike Lorenz und Manfred Fuchs:
Lorenz: "Erstaunlich ist, wie klein es am Ende wirkt, in diesem Raum."
Fuchs: "Es ist ja 9,50 Meter."
Lorenz: "Und es füllt natürlich formatmäßig die Wand."
Als sei es dafür gemacht, das fast zehn Meter hohe und fast drei Tonnen schwere Opus von Anselm Kiefer, einem der einflussreichsten Künstler der Welt. Der 72-Jährige gilt als Gratwanderer zwischen Malerei und Bildhauerei. Für die Kunsthalle Mannheim, deren Sammlung bedeutende Werke aus beiden Genres besitzt, fungiert er damit als programmatischer Brückenbauer.
Ein Kran allein reicht nicht für ein Kiefer-Opus
Mit der komplexen Massivität seiner Materialien fordert der Meister gigantischer Blei-Stein-Stroh-Lehm-Kompositionen Restauratoren und Ausstellungsmacher heraus. Ein Kran allein reichte in Mannheim nicht.
"Das sind zwei große Scherenkräne gewesen, die hier wie Spinnen ... – das ganze Atrium war voller technischer Geräten - dann haben die das nach und nach nach oben gebracht, mit Prüfstatiker und Stahlrahmen vorbereitet. Jeder einzelne Stein wurde noch mal einzeln befestigt, denn es darf ja nichts abfallen, das ist ja ganz klar."
"Sefiroth" heißt der Zwitter aus Gemälde und Skulptur. Der Titel nimmt Bezug auf jüdische Mystik, erläutert Ulrike Lorenz.
"'Sefiroth' ist ein kabbalistischer Begriff und spielt auf den Lebensbaum in der Kabbala an. Das ist ja ein typischer Titel für Kiefer, für die neueren Werke, die so kosmologischen Hintergrund haben. Es ist, glaube ich, eine Landschaft."
Die Direktorin der Kunsthalle Mannheim erkennt einen Weg oder einen Fluss, der in das Bildformat einführt und dann von einem Vorhang kaskadenartiger Bleibleche verdeckt wird. Die gigantische Landschaft hat soeben erst die Mannheimer Anselm-Kiefer-Sammlung des ehemaligen Duisburger Bauunternehmers und Multimillionärs Hans Grothe auf 39 Werke vergrößert.
"Und er hat dieses Werk spezifisch noch mal neu erworben für diesen Platz."
Als Teil der wohl weltgrößten Kiefer-Kollektion stellt es der durchaus umstrittene Groß-Sammler der Kunsthalle Mannheim als Dauerleihgabe zur Verfügung. Von einem Vertrag auf Augenhöhe spricht Ulrike Lorenz:
"Es ist ein maßgeschneiderter Dauerleihvertrag, der vor allen Dingen dafür sorgt, dass wir als große öffentliche museale Institution nicht einen konzeptionellen Schwerpunkt, den wir mit dieser großer Kiefersammlung erhalten, schnell verlustig gehen können."
Sollte es dazu kommen, dass der Sammler Werke abziehen wolle, sei das nur langfristig und auf Raten möglich. Ulrike Lorenz betont:
"Herr Grothe hat mit diesem Vertrag auch eine Schenkung verbunden, denn der Anspruch war natürlich, für die Arbeit, die wir mit dieser Sammlung auch langfristig haben werden, eine Art von Ausgleich zu bekommen. Er hat eine große Spende in die Neubau-Investition getan."
300.000 gab Grothe für den Neubau. Der ist fertig, aber das Einfahren von Sicherheits- und Klimatechnik dauert gemeinsam mit dem kuratorischen Feinschliff noch bis Mitte 2018. Kritiker argwöhnen schon, es gebe grundsätzliche Probleme mit Klimaschwankungen in der Schachtel-Architektur. Der Oberbürgermeister als Stiftungsrats-Vize dementiert. Fest steht aber: Außer einigen Installationen von Zeitgenossen wie Rebecca Horn, Rita McBride und natürlich Anselm Kiefer bleiben die Kuben zur feierlichen Schlüsselübergabe leer. Das Atrium belebt neben Kiefers "Sefiroth" eine kinetische Installation von Alicia Kwade. Eine Bahnhofsuhr und ein Gesteinsbrocken pendeln von der Decke. Der Titel vorerst programmatisch für den neuen Mega-Bau der Kunst: "Die bewegte Leere des Moments."