Noch Wochen hing der Geruch von verkohltem Fleisch in der Luft
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Fast alle 50.000 Schweine in der Zuchtanlage Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern kamen bei einem Großbrand Ende März um. Die Ursache ist noch unklar. Tierschützer kritisieren, es habe bereits zuvor zahlreiche Verstöße gegeben, doch keine Konsequenzen.
Auf dem platten Land zwischen Greifswald und Neubrandenburg liegt das Gelände der einst größten Ferkelzuchtanlage Europas. Was sich dort in den Ställen vor drei Monaten abgespielt hat, lässt sich nur erahnen. Wochen nach dem verheerenden Brand liegt noch immer der Geruch nach verkohltem Fleisch in der Luft. Auch heute sind aus der Region wieder Anwohner, Tierschützer und Gegner der Anlage zur Mahnwache gekommen. Karsten Beer hat sie angemeldet:
"Die Mahnwache ist schon zu einem festen Bestandteil geworden. Seitdem es gebrannt hat, ist es riesig gewachsen. Die erste Veranstaltung hatte 200 Leute und jetzt sind es immer so 50, 30. Das ist für die Gegend sehr, sehr viel."
Seit elf Jahren treffen sich die Gegner der Schweinezuchtanlage hier regelmäßig vor der Einfahrt zum Gelände. Zuerst, weil der Mastbetrieb dort errichtet wurde, dann, weil er abbrannte und dabei fast 50.000 Sauen mit ihren Ferkeln ums Leben kamen. Als Ort des Gedenkens und der neuen Mobilisierung. Denn was bei dem Brand geschah, wissen die Menschen hier nur aus der Presse.
"Wir haben jetzt leider Gottes nicht so einen funktionierenden Gemeinderat, dass wir zum Beispiel einen Bürgermeister hätten, der uns informiert, oder dass man das Gefühl hat, dass er in Kontakt steht mit den Umweltbehörden. Das kann man hier absolut nicht wahrnehmen: informiert zu werden."
Was genau war am 30. März geschehen? Ein Reporter des Nordkuriers ist an dem Tag vor Ort:
"Dramatische Szenen hier in Alt Tellin, eine Schweinemastanlage, mehrere Ställe brennen in voller Ausdehnung", berichtete der Reporter damals.
Die Feuerwehr war früh zur Stelle. Doch die Hallen drohten einzustürzen. Darum konnten die Einsatzkräfte nur von außen löschen. Im Laufe des Tages griff das Feuer nach und nach auf alle 18 dicht an dicht gebauten Ställe über. Nur wenige Sauen konnten nach draußen fliehen. Bewohner der Region berichteten von einer riesigen Rauchwolke und Ascheregen.
Von Beginn an umstritten
Erst in den darauffolgenden Tagen wird das Ausmaß der Tragödie klar. Von mehr als 50.000 Tieren konnten nur etwa 1300 gerettet werden. Alle anderen erstickten am Rauch oder verbrannten zusammen mit Gummimatten, Plastikgittern, Dämmung. Die Ferkelaufzuchtanlage wurde bis auf die Biogasanlage komplett zerstört. Polizei und Staatsanwaltschaft haben Ermittlungen zur Brandursache aufgenommen.
In den folgenden Wochen setzten Anwohner, Tier- und Naturschützer alle Hebel in Bewegung, um die Öffentlichkeit über den Brand und seine Folgen zu informieren. Unter ihnen Susanne Wiest, Abgeordnete der Gemeinde Alt Tellin. Sie hatte eine außerordentliche Sitzung des Gemeinderats beantragt.
"Diese Rauchwolke, fünf, sechs Stunden lang – gigantisch. Das haben Leute bis wirklich weit weg gerochen. Was ist da passiert? Und ich habe Befürchtungen, dass die zuständigen Behörden mit der Aufklärung überfordert sind. Und das ist natürlich auch ein gewichtiger Grund gegen solche Anlagen. Die sind nicht beherrschbar."
Bis heute gibt es keine Auskunft vom zuständigen Landkreis über die Folgen des Brandes. Die Verwaltung sei wegen der Corona-Pandemie überfordert gewesen. Man müsse sich noch gedulden. Auch ob der Betreiber die Anlage wieder aufbauen könnte, wurde bei der Sitzung des Gemeinderats nicht klar.
Die Ferkelaufzuchtanlage in Alt Tellin war von Beginn an umstritten. 2008 wurden erstmals Pläne des niederländischen Großinvestors Adrianus Straathof zum Bau der Großmastanlage bekannt. Tier- und Umweltverbände sowie Anwohner meldeten Kritik an. Sie befürchteten Tierquälerei, Geruchsbelästigung und Umweltauswirkungen. Dennoch erteilte das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt zwei Jahre später die Genehmigung. 2019 dann wurde gegen Straathof ein deutschlandweites Tierhaltungsverbot ausgesprochen. Die Ferkelaufzucht in Alt Tellin wurde verkauft. Seit 2020 gehört sie der schweizerischen Terra Grundwerte Aktiengesellschaft und wird von einer Holding betrieben.
Bei der Gemeinderatssitzung geht es nun auch um eine Positionierung zum neuen Betreiber und um den möglichen Wiederaufbau der Anlage. Damals hatte der Gemeinderat knapp für den Bau gestimmt.
Immerhin kann sich der siebenköpfige Gemeinderat an diesem Abend auf einen Beschluss einigen: eine Stellungnahme, in der er seine Bestürzung ausdrückt und fordert, dass Massentierhaltungsanlagen in diesen Dimensionen weder in Alt Tellin noch andernorts neu gebaut werden.
Fragwürdiges Brandschutzkonzept
Holger Vogel, der Leiter des Veterinäramts Vorpommern-Greifswald, sagt:
"Der Betrieb ist natürlich von der Größenordnung her schon sehr beeindruckend gewesen, weil diese Tierzahlen an einem Standort schon nicht alltäglich sind."
Vogel ist einer der wenigen hier, die die größte Ferkelaufzucht Europas von innen her kannten. In den großen Stallanlagen der Region hatte er schon viel gesehen, was nicht seinem Berufsethos als Tierarzt entspricht. Aber die Dimension dieser Anlage war eine große Herausforderung.
"Über 800 veterinärrechtliche Kontrollen haben wir während des Bestehens des Betriebes dort durchgeführt. Da haben immer auch Fragen des Tierschutzes im Zentrum gestanden. Da wurden jede Woche 6000 Ferkel geboren."
Wie auch in anderen Betrieben von Straathof habe es in Alt Tellin Verstöße gegeben: Überbelegung von Ställen, vernachlässigte Tiere und sogar einen Lüftungsausfall, bei dem 1000 Tiere erstickten. Insgesamt sollen es über 600 Verstöße gegen Tierschutz- und Brandschutz-Bestimmungen sowie Genehmigungsauflagen gewesen sein. Zwangsgelder wurden verhängt. Zweimal erstattete das Veterinäramt sogar Strafanzeige. Sein Fazit: Im Rahmen des Möglichen hatte die Behörde die Ferkelaufzucht hinsichtlich des Tierschutzes unter Kontrolle. Doch wie sah die Lage beim Brandschutz aus?
Corinna Cwielag verfolgt die Geschichte des Megastalls in Alt Tellin von Anfang an. Als Landesgeschäftsführerin des "Bund für Umwelt und Naturschutz Mecklenburg-Vorpommern" betreut sie seit 2012 auch eine Klage gegen die Betriebsgenehmigung der Anlage.
"Die Annahme, dass die Tiere tatsächlich ins Freie gelangen könnten, wenn es brennt, ist von Anfang an nicht gegeben gewesen. Die müssten mit 50 km/h laufen, haben wir damals ausgerechnet. So was haben dann auch die Antragsteller eingesehen und haben später gesagt, dass die Schweine nicht rauslaufen müssen, sondern dass es super Branddetektoren gibt und dann Brände auf einen ganz kleinen Bereich begrenzt werden können und durch eine Sprinkleranlage sichergestellt werden kann, dass es auch keine große Rauchentwicklung gibt." Der Brand jetzt habe ja nun gezeigt, "dass es überall gebrannt hat, denn die Tiere sind da elendiglich umgekommen".
Warum gab es keine Änderungen?
Das Klageverfahren zog sich hin. Erst 2017 kam es zum ersten Verhandlungstag. Doch der Prozess wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Für Corinna Cwielag nicht nachvollziehbar. Denn ein Urteil hätte in diesem Fall womöglich das Schlimmste verhindern können.
"Es hat in den ersten Jahren über 100 dokumentierte Verstöße gegen die zu geringen Brandschutz- und Umweltauflagen gegeben. Und da fragen wir uns: Wie kann es sein, dass diese jahrelang immer wiederholten Verstöße nicht dazu geführt haben, dass es Änderungen gegeben hat?"
In Alt Tellin sind weiterhin viele Fragen offen. Noch immer ist nicht bekannt, wie es zu dem Brand kam. Ermittlungsergebnisse werden Anfang August erwartet. Erst danach will sich der Betreiber dazu äußern, was mit dem Gelände geschieht. Er versichert, dass die Ferkelzuchtanlage stets unter Einhaltung der Genehmigung betrieben worden sei.
Für die Gemeindevertreterin Susanne Wiest haben vor allem die Behörden versagt, was diese mit dem Verweis auf die Komplexität der Sache dementieren.
"Man möchte nicht Bürger zweiter Klasse sein, wo man sagt: Hier leben so wenig Leute, da knallen wir so ein Ding hin – und wenn es hochgeht. Das geht doch nicht. Das ist mit diesen demokratischen Grundsätzen der Gleichheit und der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit einfach nicht vereinbar. Das finde ich erschreckend."