Großbritannien und die EU

Nicht mit - und nicht ohne einander

Straße in London, geschmückt mit britischen Fahnen
EU-Fahnen sieht man selten bis gar nicht in London. Die britische um so mehr. © dpa / Marco Hadem
Von Annette Riedel |
Die britischen Wahlkämpfer versuchen, mit Anti-EU-Slogans zu punkten. Doch auch im EU-Parlament gehören Skepsis und eine Blockadehaltung anscheinend zur Grundausstattung britischer Abgeordneter.
Viele sehen es in der EU so wie die Bundeskanzlerin:
"Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Großbritannien nicht zu Europa gehört. Und ich glaube, dass es gut ist auch für Großbritannien zu Europa zu gehören. Wenn sie heute in einer Welt von sieben Milliarden irgendwo alleine sind – ich glaube nicht, dass das gut für Großbritannien ist."
Das wagt in Großbritannien bekanntlich mancher zu bezweifeln. In Brüssel empfindet andererseits die Briten mancher als – im wahrsten Sinne des Wortes – sperrig, als Bremsklotz für das Projekt Europa. Beispielsweise der CDU-Europaparlamentarier Herbert Reul:
"Im Europäischen Parlament gibt es eine extrem kritische Haltung gegenüber den Briten, weil wir überhaupt nicht mehr verstehen können, dass sie ständig Neues fordern und sich ständig in Sachen einmischen, die gar nicht ihre Zuständigkeit sind und uns daran hindern, im Grunde ein Stück weiter zu kommen bei der Bewältigung der Probleme, die wir hier haben."
Großbritannien fast immer in der Opposition
Die Nichtregierungsorganisation Vote Watch Europe in Brüssel hat gerade errechnet, dass Großbritannien erheblich häufiger als jedes andere EU-Land gegen die Mehrheit gestimmt hat, wenn es um politische Entscheidungen bei EU-Gipfeln oder Ministerräten ging. Häufig dann, wenn es um die Landwirtschaft ging, aber auch bei traditionell eigentlich meist einhellig getroffenen Entscheidungen zur Außen- und Sicherheitspolitik.
Großbritannien ist nur selektiv bei der gemeinsamen Innen- und Justizpolitik dabei. Und natürlich ist Großbritannien bei Entscheidungen zum EU-Haushalt – jenseits vom berühmten Briten-Rabatt – fast immer in der Opposition.
"Es gibt einige sinnvolle Dinge, die aus dem EU-Haushalt bezahlt werden, das unterstützen wir: Forschung und einige der besten britischen Universitäten. Aber es kann nicht sein, dass die EU in Krisenzeiten mehr Geld ausgeben will, wenn viele EU-Länder zu Hause mit Schulden und Defiziten ringen. Wir wollen einen Fokus auf Wachstum im Budget und nicht auf Wachstum des Budgets."
Der britische Premier Cameron ist in Brüssel dafür bekannt, dass er - wie gerade gehört - in Wort und Tat, möglichst Abstand zur EU hält. Spätestens seit er im letzten Herbst in den Wahlkampfmodus geschaltet hat, noch einmal demonstrativer.
Cameron als Getriebener der EU-Skeptiker?
Das kommt in Brüssel nicht nur bei jemandem wie dem grünen Europaparlamentarier Reinhard Bütikofer nicht gut an.
"Premierminister Cameron ist ein Feiger. Er versucht gut anzukommen beim EU-skeptischen Teil der britischen Bevölkerung. Er ist selber nicht ganz überzeugt von diesem ganzen Austrittsquatsch, traut sich nicht, sich dem entgegen zu stellen. Faktisch macht er sich damit aber zum Getriebenen eigentlich seiner eigenen EU-Skeptiker."
Ob Großbritannien in gut zwei Jahren über den Verbleib oder eben Nicht-Verbleib in der EU abstimmen wird, hängt von einigen "Wenns und Abers" ab – nicht zuletzt davon, ob Cameron die Ergebnisse am Donnerstag eine zweite Amtszeit bescheren. Für den Fall hat er ein Referendum über den EU-Verbleib versprochen. Aber selbst, wenn Cameron nicht bleibt, könnte es dieses Referendum geben, weil sich auch ein neuer britischer Regierungschef einer anderen Parteienfamilie dazu genötigt fühlen könnte. Und das könnte zu einem Austritt Großbritanniens führen.
"Es ist das Recht jedes einzelnen Mitgliedslandes, seine Beziehungen zur Europäischen Union zu definieren, neu zu verhandeln."
Stellt der Vizepräsident des EU-Parlaments, der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, fest und bezieht sich darauf, dass die Europäischen Verträge einen Austritt aus der EU zulassen. Anschließend müssten die Beziehungen zwischen der Union und dem künftigen Nicht-Mehr-Mitgliedsland neu verhandelt werden.
EU-Austritt Großbritanniens hätte lange Verhandlungen zur Folge
"Man darf nicht vergessen, dass eine Neuverhandlung des Verhältnisses Großbritannien zur EU sehr lange dauern würde. Man würde sehr viel verhandeln müssen. Es geht hier auch, zum Beispiel, um mehrere hundert Außenhandelsabkommen, die neu verhandelt werden müssten – also, das ist ein sehr schwieriger Prozess."
Sagt Fabian Zuleeg, Chef der Brüsseler Denkwerkstatt European Policy Center. Und fügt hinzu, dass Großbritannien im Falle des Falles mit erheblichen negativen wirtschaftlichen Konsequenzen zu rechnen hätte. Dass aber auch die EU Schaden nähme.
"Man kann natürlich das Argument machen, dass es einfacher wäre, Entscheidungen zu treffen auf europäischer Ebene – auch, dass man vielleicht Bewegung bekommen würde in bestimmten Bereichen, zum Beispiel bei der Neuverhandlung der Wirtschafts- und Währungsunion. Ich halte das für eine Illusion. Jedenfalls sieht man, dass das Gewicht der EU in der Welt kleiner wäre, sowohl wirtschaftlich als auch politisch."
Das wissen auch alle die, die den Briten nicht unbedingt hinterherweinen würden. Und sie wissen zudem, dass ein Austritt Großbritanniens ein von den meisten in Brüssel nicht gewünschtes politisches Signal wäre: dass die EU nicht nur wachsen, sondern auch schrumpfen könnte.
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