Große Bögen für kleine Winkel
In ihrem Monolog "Marieluise" beschreitet Hanna Schygulla noch einmal den Lebensweg der Schriftstellerin Marieluise Fleißer. Sie erzählt von der Begegnung der jungen Autorin mit Brecht und Lion Feuchtwanger, den zwanziger Jahren in München, den Straßenkämpfen während des Putschversuches Adolf Hitlers.
Erst ist sie nur eine Stimme im Raum, dann ein Schatten hinter einer Wand aus Papier. Marieluise Fleißer spielt den "Untergang der Titanic", improvisiert, mit Puppen. Die ganze Wohnung ihrer Eltern setzt das Mädchen dafür unter Wasser. Dafür hat sie wahrscheinlich Ärger bekommen. Aber davon erzählt Kerstin Spechts Theaterstück "Marieluise" nicht. Ihr geht es um die Hingabe der jungen Frau an die Fantasie, das Spiel.
Mehrere Metamorphosen hat dieser Text über die Schriftstellerin aus Ingolstadt schon hinter sich. Die bayrische Stadt hat schon vor neun Jahren, zum 100. Geburtstag der Fleißerin ein Stück in Auftrag gegeben. Das wurde dann an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt, unter dem Titel "Die Rückseite der Rechnungen". Darauf hatte die Autorin nämlich ganze Romane verfasst. Kerstin Specht verdichtete das Stück aber auch schon damals zu einem Monolog, wünschte sich aber immer Hanna Schygulla als Darstellerin. Dieser Wunsch ging nun bei den Ruhrfestspielen in Erfüllung.
Mit der kubanischen Regisseurin Alicia Bustamante bringt Hanna Schygulla seit einigen Jahren Projekte auf die Bühne, die oft einen biografischen Inhalt haben. Es sind Mischungen aus Chansonabend und Schauspiel mit ausgefeiltem Lichtdesign, die ganz auf die Bühnenpersönlichkeit Hanna Schygullas zugeschnitten sind. Zwischen Sprechen und Singen besteht bei ihr kein großer Unterschied, im Gesicht regt sich wenig. Sie spielt mit den Augen und der Stimme, die oft körperlos im Raum zu schweben scheint. Das muss man mögen. Diese Abende sind immer Gratwanderungen zwischen Kunst und Kitsch, Poesie und Popanz.
Kerstin Spechts dichter, bilderreicher Text bietet viele Chancen. Sie benutzt nur wenige Zitate, vertraut ganz ihrer klaren, unaufdringlich rhythmisierten Sprache. Hinreißend beschreibt sie Bertolt Brecht durch die Augen Marieluise Fleißers: "Scharfe Jochbögen, Vogelgesicht, klein und schmächtig. Seine Stimme hat kein Volumen aber einen Klang wie eine summende Hitze." Das Stück zieht den Zuschauer hinein in die Begegnung der jungen Autorin mit Brecht und Lion Feuchtwanger, die zwanziger Jahre in München, die Straßenkämpfe während des Putschversuches Adolf Hitlers. Kerstin Specht hält sich genau an die biografischen Details, erzählt Fleißers Leben von A bis Z, verdichtet die Fakten immer wieder zum Seelenporträt: "Ich bin einen großen Bogen gelaufen, um zu sehen dass die Weite überall nur einen engen Winkel für mich bereit hält."
Hanna Schygulla ist ihre eigene Kunstfigur. So sehr sie dem Text vertraut und ihn oft auch zum Blühen bringt, bleibt sie stets sie selbst. Das könnte ein spannungsvolles Aufeinandertreffen zweier großer Persönlichkeiten bleiben, aber die Regie hat dafür kein Gespür. Vielleicht war Alicia Bustamante diese Ebene der Aufführung auch gar nicht bewusst. Immer wieder verdoppelt sie das Gesagte noch einmal gestisch, was manche Szene an den Rand unfreiwilliger Komik führt. Drei Papierbahnen flattern durch die Luft, setzen sich immer wieder zu neuen Bildern zusammen. Wenn Marieluise Schygulla am Ende ist, fallen auch die Papierbahnen schlaff zu Boden. Den ganzen Abend über bewegt sich die Schauspielerin weich, fließend und langsam, singt kurze Passagen mit brüchiger, hoher Stimme. Gelegentlich wirkt die Aufführung wie die Eurythmie-Präsentation einer Waldorfschule. Aber wahrscheinlich sind die spannungsvoller.
Doch oft blitzt auch der schlicht schöne Text Kerstin Spechts so kraftvoll durch, dass er für manche Ärgernisse entschädigt. "Marieluise" ist kein schlechter Theaterabend. Aber wenn Hanna Schygulla mit einer stärkeren Regisseurin zusammengearbeitet hätte, hätte er ein richtig guter werden können.
Service:
"Marielusie" bei den Ruhrfestspielen
Weitere Vorstellungen: täglich vom 17. bis 20. Mai um 20 Uhr im kleinen Theater des Ruhrfestspielhauses Recklinghausen.
Mehrere Metamorphosen hat dieser Text über die Schriftstellerin aus Ingolstadt schon hinter sich. Die bayrische Stadt hat schon vor neun Jahren, zum 100. Geburtstag der Fleißerin ein Stück in Auftrag gegeben. Das wurde dann an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt, unter dem Titel "Die Rückseite der Rechnungen". Darauf hatte die Autorin nämlich ganze Romane verfasst. Kerstin Specht verdichtete das Stück aber auch schon damals zu einem Monolog, wünschte sich aber immer Hanna Schygulla als Darstellerin. Dieser Wunsch ging nun bei den Ruhrfestspielen in Erfüllung.
Mit der kubanischen Regisseurin Alicia Bustamante bringt Hanna Schygulla seit einigen Jahren Projekte auf die Bühne, die oft einen biografischen Inhalt haben. Es sind Mischungen aus Chansonabend und Schauspiel mit ausgefeiltem Lichtdesign, die ganz auf die Bühnenpersönlichkeit Hanna Schygullas zugeschnitten sind. Zwischen Sprechen und Singen besteht bei ihr kein großer Unterschied, im Gesicht regt sich wenig. Sie spielt mit den Augen und der Stimme, die oft körperlos im Raum zu schweben scheint. Das muss man mögen. Diese Abende sind immer Gratwanderungen zwischen Kunst und Kitsch, Poesie und Popanz.
Kerstin Spechts dichter, bilderreicher Text bietet viele Chancen. Sie benutzt nur wenige Zitate, vertraut ganz ihrer klaren, unaufdringlich rhythmisierten Sprache. Hinreißend beschreibt sie Bertolt Brecht durch die Augen Marieluise Fleißers: "Scharfe Jochbögen, Vogelgesicht, klein und schmächtig. Seine Stimme hat kein Volumen aber einen Klang wie eine summende Hitze." Das Stück zieht den Zuschauer hinein in die Begegnung der jungen Autorin mit Brecht und Lion Feuchtwanger, die zwanziger Jahre in München, die Straßenkämpfe während des Putschversuches Adolf Hitlers. Kerstin Specht hält sich genau an die biografischen Details, erzählt Fleißers Leben von A bis Z, verdichtet die Fakten immer wieder zum Seelenporträt: "Ich bin einen großen Bogen gelaufen, um zu sehen dass die Weite überall nur einen engen Winkel für mich bereit hält."
Hanna Schygulla ist ihre eigene Kunstfigur. So sehr sie dem Text vertraut und ihn oft auch zum Blühen bringt, bleibt sie stets sie selbst. Das könnte ein spannungsvolles Aufeinandertreffen zweier großer Persönlichkeiten bleiben, aber die Regie hat dafür kein Gespür. Vielleicht war Alicia Bustamante diese Ebene der Aufführung auch gar nicht bewusst. Immer wieder verdoppelt sie das Gesagte noch einmal gestisch, was manche Szene an den Rand unfreiwilliger Komik führt. Drei Papierbahnen flattern durch die Luft, setzen sich immer wieder zu neuen Bildern zusammen. Wenn Marieluise Schygulla am Ende ist, fallen auch die Papierbahnen schlaff zu Boden. Den ganzen Abend über bewegt sich die Schauspielerin weich, fließend und langsam, singt kurze Passagen mit brüchiger, hoher Stimme. Gelegentlich wirkt die Aufführung wie die Eurythmie-Präsentation einer Waldorfschule. Aber wahrscheinlich sind die spannungsvoller.
Doch oft blitzt auch der schlicht schöne Text Kerstin Spechts so kraftvoll durch, dass er für manche Ärgernisse entschädigt. "Marieluise" ist kein schlechter Theaterabend. Aber wenn Hanna Schygulla mit einer stärkeren Regisseurin zusammengearbeitet hätte, hätte er ein richtig guter werden können.
Service:
"Marielusie" bei den Ruhrfestspielen
Weitere Vorstellungen: täglich vom 17. bis 20. Mai um 20 Uhr im kleinen Theater des Ruhrfestspielhauses Recklinghausen.