Große Erwartungen, große Probleme - Welches Land übernimmt Barack Obama?

Die Partys sind vorüber, für Barack Obama hat die Arbeit begonnen. Und es geht Schlag auf Schlag: Nach dem Gefangenenlager Guantanamo sollen auch andere CIA-Gefängnisse im Ausland geschlossen werden, der US-Präsident versprach, sich aktiv in den Friedensbemühungen im Nahen Osten einzuschalten.
Aber auch innenpolitisch steht die neu gewählte US-Regierung vor drängenden Aufgaben, die sie mithilfe eines gigantischen Konjunkturprogramms von 825 Milliarden Dollar lösen will:
- 12, 5 Millionen US-Amerikaner leben laut Statistik für 2006 unter der Armutsgrenze – das ist die höchste Quote unter allen entwickelten Staaten der Welt. Über 31 Millionen sind auf staatliche Lebensmittelhilfe angewiesen. 47 Millionen US-Amerikaner sind derzeit nicht krankenversichert, 32 Millionen sind funktionelle Analphabeten.
- Die Arbeitslosenquote kletterte im Dezember auf 7,2 Prozent, dem höchsten
Wert seit 15 Jahren. Die Wirtschaft im Mutterland des Kapitalismus bröckelt
rasant, der Häusermarkt ist eingebrochen.
- Gleichzeitig wird in keinen Land der Welt so viel Energie verschwendet: Zwar leben nur 5 Prozent der Weltbevölkerung in den USA, sie verbrauchen aber ein Viertel der Weltfördermenge an Öl.

Die USA, die drittgrößte Nation der Welt, sind nach wie vor ein Land der Gegensätze. Das erlebte auch die Journalistin Bettina Gaus, als sie im Jahr 2007 drei Monate lang durch 34 Bundesstaaten reiste. 24.000 Kilometer auf den Spuren John Steinbecks, der 1960 in Zeiten des Wahlkampfs zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon eben diese Reiseroute gewählt hatte. Sein Reisebericht "Meine Reise mit Charley. Auf der Suche nach Amerika" wurde ein Welterfolg. Angelehnt an Steinbecks Route hat Bettina Gaus ihre Erfahrungen in dem Buch "Auf der Suche nach Amerika – Begegnungen mit einem fremden Land" (Eichborn Verlag 2008) zusammengefasst.

Die politische Korrespondentin und ehemalige Afrika-Korrespondentin der "tageszeitung" hat die USA als eine tief gespaltene Gesellschaft kennen gelernt, geprägt von einer einen starke Verunsicherung angesichts der Globalisierung. Viele Menschen hätten Angst vor dem Absturz aus der Mittelschicht, schließlich gebe es kein nennenswertes Sozialsystem. Nach acht Jahren Bush-Regierung hätten sie eine starke Sehnsucht nach einem "Versöhner", nicht nach einem "Polarisierer", wie es Bush gewesen sei. Dies werde auch in Europa oft missverständlich dargestellt, Obama werde hier als der radikale Neuerer gesehen – das sei er nicht, "der Mann ist ein Moderator, er hat etwas Ausgleichendes."

Sie dämpft aber die großen Erwartungen an den neuen Präsidenten:
"Ich verstehe den Jubel, ich verstehe auch die Gefühle, aber ich finde den Hype schwer erträglich. Die Menschen stellen ihn dar, als wäre er eine Mischung aus dem Messias und Gary Cooper. Diese Erwartungen sind nicht erfüllbar. Ich habe mich an diesem Hype auch nicht beteiligt. Jetzt muss man gucken, was über die Symbolik hinaus übrigbleibt."

Für sie ist die Schlüsselfrage ob es Obama schaffen wird, die seit Jahrzehnten bestehende gesellschaftliche Spaltung – die durch Bush vertieft worden sei – zu schließen, "gelingt es Obama, die Gräben zuzuschütten?"

Auch Gary Smith, der Direktor der American Academy in Berlin, sieht auf Obama große innenpolitische Herausforderungen zukommen. Der gebürtige Texaner war während der Bush-Ära und den Hochzeiten des Irakkrieges oft in der Rolle des Vermittlers zwischen den divergierenden Ansichten der USA und Deutschlands.
Welches sind für ihn die dringendsten Probleme?

"Die außer Kontrolle geratene Finanz- und Wirtschaftskrise, über die binnen zwei Monaten mehr als eine Million Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Er hat es mit einem großen Vertrauensverlust zu tun: Man hatte Häuser gekauft, und plötzlich geht es nicht mehr. Man dachte, man hätte sichere Anlagen, und plötzlich sind sie nichts mehr wert. Die Menschen haben Herrn Madoff ihr Geld gegeben und plötzlich haben sie mit 65 nichts mehr. Man hat es mit dem größten Vertrauensverlust in den Grundbedürfnissen zu tun."

Umso erstaunlicher sei, dass die Menschen in den USA dem jüngsten und unerfahrensten Bewerber ihr Vertrauen gegeben haben. Obama sei ein Außenseiter gewesen: schwarz, intellektuell, gerade mal 47 Jahre alt. Aber Vertrauen sei – so Smith – eines der Schlüsselworte des Wahlkampfes gewesen.

Obama glänze zwar mit Eloquenz, aber er blende nicht damit, sie sei keine bloße Rhetorik. Er habe es geschafft, "Sätze für die Realität zu finden, er hat die Fähigkeit, die Wahrheit zu artikulieren – und die Wahrheit ist ernüchternd." Dadurch seien viele Amerikaner bereit, ihm auch in schlechten Zeiten zu folgen.

"Große Erwartungen, große Probleme - Was für ein Land übernimmt Barack Obama?" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Bettina Gaus und Gary Smith. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturhinweis:
Bettina Gaus, "Auf der Suche nach Amerika. Begegnungen mit einem fremden Land", Eicborn Verlag 2008

Informationen im Internet:
[url=http://www.americanacademy.de/ title="American Academy” target="_blank"]American Academy