Große Kirche, große Schwierigkeiten

Von Michael Hollenbach |
Es gibt viel zu tun für Papst Franziskus, und es gibt viele Wünsche an ihn. Etwa dass die Ortskirchen in Rom eine Stimme bekommen und dass der Konzilsgeist der 1960er-Jahre wiederbelebt wird.
Die Kardinäle im Konklave haben einen der Ihren zum Papst gewählt, der vom anderen Ende der Welt kommt. Das sagt der neuen Papst Franziskus selbst. Und vielleicht ist diese Distanz zu Rom eine große Chance, um die Herausforderungen in der Kurie selbst anzugehen. Der Deutsch-Italiener Marco Politi ist als Publizist einer der besten Kenner des Vatikans:

"Das Problem ist, dass heute die Kirche nicht mehr nach dem tridentinischen Modell gelenkt sein kann. Denn in einer globalisierten Welt, in der die Kirche nicht mehr nur europäisch ist, kann dieses absolutistische Modell nicht mehr arbeiten. Das Problem hatte schon das Zweite Vatikanische Konzil angetastet, in dem man von der Kollegialität sprach, also von einem Mitarbeiten und Mitlenken der Bischöfe in der Weltkirche. Das kann nicht nur ein Mann an der Spitze entscheiden."

Das sieht Katharina Bosl von Papp ganz ähnlich. Sie ist Direktorin des Päpstlichen Missionswerks im Bistum Hildesheim. Und sie verweist auf eine Idee des jungen Joseph Ratzinger, der in den 60er-Jahren eine neue Kollegialität der Bischöfe gefordert hatte:

"Wir bräuchten patriarchale Zentren auf der Welt. Das könnten die kontinentalen Ortskirchen sein. Er machte den Vorschlag: Wieso ist nicht der Vorsitzende der jeweiligen Bischofskonferenz aus Afrika, Asien, Lateinamerika ein Repräsentant, der in einem bischöflichen Rat den Papst berät? Dann könnte man auch den Apparat der Kurie zurückfahren und man wäre näher am Puls der Menschen. Das hat er als Papst nicht umgesetzt, aber das wäre die Chance eines neuen Papstes."

Mit einem derartigen kollegialen Konsultationsgremium könnte man – so Marco Politi- differenzierter auf die unterschiedlichen Probleme einer Weltkirche reagieren:

"Und andererseits kann man sich auch nicht vorstellen, dass man zu einer Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen kommt, wenn in Rom ein absolutistischer Papst herrscht."

Der römische Publizist erwartet von Papst Franziskus vor allem mehr Kommunikation, mehr Zuhören, mehr Austausch:
"Wenn man die Probleme noch nicht mal diskutiert, dann werden sie immer schlimmer und es wird immer schwieriger, sie zu lösen."

Zu den Baustellen, die Benedikt, der 16., hinterlassen hat, gehört die Pius-Bruderschaft. Hier müsse eine klare Entscheidung getroffen werden, sagt Marco Politi. Die konservative Splittergruppe müsse zentrale Positionen des Zweiten Vatikanischen Konzils wie Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Ökumene und die Beziehungen zu den Juden endlich anerkennen.

"Viele Bischöfe sind verbittert, dass man so viel Energie diesem Problem gewidmet hat, wo es doch nicht um die lateinische Messe geht, sondern um die Grundsätze des Konzils, und die große Mehrheit der Bischöfe sind doch im Konzilsgeist aufgewachsen."

Dass der neue Papst aus Südamerika kommt, freut besonders Bernd Klaschka. Er ist Geschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Und er hat jahrelang als Priester in Mexiko gearbeitet. Klaschka hofft, dass Papst Franziskus vor allem die Arbeit der Laien stärken wird. Denn die Gemeinden in Lateinamerika umfassen manchmal bis zu 100.000 Menschen:

"Da kann ein Priester nicht immer präsent sein, sondern die Gläubigen selbst versammeln sich selber, hören das Wort Gottes, lesen es und fragen, was können wir für unser Leben daraus mitnehmen, auch für das gesellschaftliche Leben."

Katharina Bosl von Papp, die in Hildesheim auch Leiterin der Abteilung Weltkirche ist und die jahrelang in Peru gelebt hat, erwartet vom neuen Papst, dass Franziskus vom römischen Zentralismus abrückt, damit die Kirchen vor Ort ihre Probleme eigenständig angehen können.

"In Lateinamerika würde man sich wünschen, dass die Entscheidungen der Ortskirchen wieder stärker auch respektiert werden."

Zum Beispiel die Entscheidung, Wortgottesdienste ohne Priester zu feiern.
Früher fanden selbst die Kontinentalsynoden in Rom statt. Dass sich beim letzten Mal die lateinamerikanischen Bischöfe im brasilianischen Aparecida getroffen haben, wertet die 46-Jährige Theologin als positives Zeichen.

"Also es ist ein Signal zu sagen: Lass die Kirche im Kontinent im Dorf, wertet die Ortskirchen wieder auf, Rom muss nicht alles regeln."

Eine der wesentlichen Aufgaben für den neuen Papst aus Buenos Aires sieht Katharina Bosl von Papp darin, dem starken Anwachsen evangelikaler Bewegungen entgegenzutreten.

"Eine der großen Herausforderungen in Lateinamerika ist sicher der Erfolg der Pfingstkirchen, auf die die Menschen Antworten erwarten. Sie erwarten sich einen Papst, der nah bei den Menschen ist, vielleicht auch ein etwas herzlicherer Typ, der der Volksfrömmigkeit nahe steht und der sehr nahe ist an der Situation der Menschen, die doch immer noch geprägt ist von großer Armut."

Das starke Anwachsen vor allem der amerikanisch geprägten Pfingstkirchen beschäftigt auch die Katholiken in Afrika. Doch in dem so unterschiedlich geprägten Kontinent erwarten die Katholiken ebenfalls Antworten des neuen Papstes auf die Bedrohung des Friedens durch Bürgerkriege, auf die Auseinandersetzung mit dem Islam und auf den Kampf gegen Aids. Auch hier setzt Katharina Bosl von Papp auf die Erfahrungen der Kirchen vor Ort, die beispielsweise in der Frage der Verwendung von Kondomen weitaus undogmatischer sind als der Vatikan. Das gilt übrigens auch für den Zölibat. Der wird nicht so heftig kritisiert wie zum Beispiel in Europa, weil er vielen Afrikaner vollkommen fremd ist.

"Das ist ein Teil eines Katholizismus, der sehr eurozentristisch daherkam über Jahrhunderte und wo die Frage der Inkulturation des Christentums in lokale Kulturen und lokale Traditionen immer noch etwas ist, was noch nicht abgeschlossen ist."

Statt offen gegen den Zölibat zu rebellieren, werden Beziehungen von Priestern oft stillschweigend akzeptiert. Und in Asien benötigt der neue Papst hohe Glaubwürdigkeit und ein diplomatisches Geschick. Denn bis auf die Philippinen sind die Katholiken in allen größeren asiatischen Staaten in einer Minderheitensituation. Besonders schwierig ist die Situation in China, wo es neben der staatlich protegierten katholischen Kirche eine von Rom unterstützte Untergrundkirche gibt.

"Da ist zuletzt das sino-vatikanische Verhältnis Richtung Gefrierpunkt gegangen durch diese Bischofsernennungen, die Rom nicht anerkennt, da sind die Diplomaten gefragt."

Es gibt also viel zu tun für den Neuen. Schon bei seinem ersten Auftritt unmittelbar nach seiner Wahl am Mittwochabend hat Papst Franziskus die Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom gebeten, für ihn zu beten.
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