"Es ist wirklich ein guter Koalitionsvertrag für die Kultur"
Gestärkter Kulturhaushalt, Erhalt der Künstlersozialkasse: Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, ist mit dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sehr zufrieden. Allerdings hätte er sich gewünscht, dass mit dem "Thema NS-Raubkunst ein bisschen intensiver umgegangen wäre".
Klaus Pokatzky: Wenn denn ein kleiner Parteitag der CDU am 9. Dezember zustimmt und wenn der Mitgliederentscheid der SPD positiv ausgeht, der am 14. Dezember bekannt gegeben werden soll, dann bekommen wir also mal wieder eine große Koalition. Der Koalitionsvertrag wurde jetzt in Nachtarbeit fertiggestellt. Was bringt er der Kultur und was bringt er ihr nicht? Am Telefon ist nun Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Guten Tag!
Olaf Zimmermann: Einen schönen guten Tag!
Pokatzky: Herr Zimmermann, geben Sie dem Koalitionsvertrag in Sachen Kultur doch bitte mal eine Schulnote von 1 bis 6. Wie beurteilen Sie ihn?
Zimmermann: Ach, ich glaube schon, dass er im positiven Bereich ist, na, eine 2, würde ich sagen. Es ist wirklich ein guter Koalitionsvertrag für die Kultur. Natürlich gibt es einige Punkte, bei denen uns auch ein wenig mulmig ums Herz wird, wo wir auch traurig sind, dass sie nicht im Koalitionsvertrag stehen, aber wenn man sich den gesamten Vertrag anschaut, muss man feststellen: So viel ist noch nie über Kultur auf der Bundesebene in einem Koalitionsvertrag vereinbart worden.
Pokatzky: Obwohl das doch, ich sage jetzt mal, in Anführungsstrichen, "nur" zehn Seiten von insgesamt 185 sind?
Zimmermann: Na ja, gut, aber schauen Sie mal: Bereiche, die noch vor wenigen Jahren viel stärkere Beachtung gefunden haben, zum Beispiel der Sport – der hat eine Seite in dem Koalitionsvertrag. Und der Kulturbereich hat zehn Seiten. Und dann müssen Sie noch mal die Seiten im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik und in der Bildungspolitik dazuschlagen, dann sehen Sie schon, dass die Koalitionäre sich sehr intensiv mit dem Kulturbereich beschäftigt haben.
Pokatzky: Also da lacht das Herz des Kulturschaffenden. Was sind denn für Sie die wichtigsten Beschlüsse, die Sie nun dazu bringen, gleich die Note 2 zu geben?
Zimmermann: Also ich finde, es gibt eine ganze Reihe von guten Beschlüssen. Das fängt dabei an, dass letztendlich der Kulturhaushalt des Bundes weiterhin auf einem hohen Niveau weiterentwickelt werden soll. Das ist ja mal ganz positiv, das soll eben nicht abgesenkt werden, wie es ja in vielen anderen Bereichen ist, sondern der soll weiterentwickelt werden. Dann wird ein bisschen am Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern letztendlich gearbeitet, dass nämlich in der Zukunft intensiver und systematischer Bund und Länder in kulturpolitischen Fragen zusammenarbeiten sollen. Das finde ich sehr gut. Aber richtig super finde ich, dass man sich der Künstlersozialversicherung annimmt, die will man nämlich wirklich erhalten, dauerhaft stabilisieren, und man will dafür sorgen, dass auch in der Zukunft die Künstlersozialabgabe, die Unternehmen bezahlen müssen, nicht aus dem Ruder läuft.
Pokatzky: So, jetzt haben Sie angesprochen das Thema Bund und Länder. Da kommt natürlich sofort die Frage auf: Was ist denn mit dem Bundeskulturministerium, das immer wieder gefordert wird?
Es ist "fast zwingend, dass es ein Bundeskulturministerium gibt"
Zimmermann: Also wir fordern das ja auch ganz stark, und wenn man, ich sage mal, die ganzen Aufgaben sieht, die jetzt gerade in diesem Koalitionsvertrag festgelegt wurden, die also in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden sollen, dann ist es fast zwingend, dass es ein Bundeskulturministerium gibt und nicht eine Abteilung im Bundeskanzleramt, so wie es ja heute noch ist. Aber wir wissen einfach noch nicht, wie es denn sein wird, weil die Ressortverteilung ist ja mit diesem Koalitionsvertrag noch nicht bekannt gegeben worden. Man will ja jetzt erst die Entscheidung der SPD-Mitglieder abwarten. Erst danach soll ja entschieden werden, wer welches Ressort auch mit welchem Zuschnitt übernimmt. Also in dieser Frage ist letztendlich noch nicht alles entschieden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir am Schluss doch noch ein Bundeskulturministerium bekommen werden.
Pokatzky: Sie haben angesprochen das Thema Künstlersozialkasse, also Künstlersozialversicherung, das ja für ganz viele Menschen von existenzieller Bedeutung ist, weil auch Journalisten zum Beispiel darüber versichert sein können, krankenversichert, altersversichert, pflegeversichert. Einen anderen sozialen Aspekt können wir unter dem Stichwort Urheberrecht – da geht es ja auch um Geld für viele freischaffende Künstler – zusammenfassen. Was sagt der Koalitionsvertrag dazu aus?
Zimmermann: Also er sagt, glaube ich, zwei wichtige Sachen, also einmal, dass es endlich eine Reform des Urheberrechtes geben soll. Wir müssen ja einfach sehen: Die letzten vier Jahre sind ja, wenn man so will, verlorene vier Jahre gewesen, da hat sich ja so gut wie gar nichts im Urheberrecht getan. Aber wir müssen das Urheberrecht an die digitale Zeit einfach anpassen, weil sonst können Künstler, aber auch Verwerter von künstlerischen Leistungen einfach kein Geld im Netz verdienen. Deswegen haben wir dort einen Reformstau. Und jetzt hat man versprochen, dass man diesen Reformstau auflösen will. Und das zweite Wichtige ist, dass man endlich, wir fordern das seit vielen Jahren, sich durchgerungen hat und gesagt hat, man möchte das Urhebervertragsrecht – also das ist das Recht, wo quasi zwischen den Künstlern und den Verwertern verhandelt wird und unter welchen Bedingungen sie letztendlich verhandeln –, … dass das endlich überarbeitet wird. Das ist vor zwölf Jahren quasi gesetzt worden, funktioniert aber nicht richtig, und es ist gut, dass jetzt die neue Bundesregierung sagt: Das wollen wir jetzt einfach verändern.
Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD und was er zur Kultur sagt ist unser Thema. Ein wichtiges Stichwort noch, Herr Zimmermann: der demografische Wandel, der sich im Koalitionsvertrag niederschlägt. Was sagt er dazu aus und was steckt dahinter?
Zimmermann: Also erst mal sagt er dazu aus, das sich die Bundesregierung überhaupt mit diesem wichtigen Thema beschäftigen will. Das heißt, wir haben ja in vielen Bundesländern dramatischen Rückgang an Bewohnern.
Pokatzky: Städte sterben aus, kann man wirklich sagen.
Zimmermann: Ja, also die Städte ja weniger, aber das Land stirbt aus, wenn man so will. Das heißt also, besonders im flachen Land wohnen immer weniger Menschen, auch in den Kleinstädten haben wir Probleme. Und das hat natürlich direkte Auswirkungen auf die kulturelle Infrastruktur. Und so, wie ich das jetzt im Koalitionsvertrag verstehe, versucht die zukünftige Bundesregierung, dieses zu einem Schwerpunktthema zu entwickeln und gerade auch bei der Frage, welche Wirkung der demografische Wandel auf Kunst und Kultur hat, Antworten zu geben, und ich hoffe natürlich auch Finanzierung sicherzustellen, weil es geht letztendlich auch darum: Wie soll denn der Umbau gemacht werden?
Also wenn ich eine Stadt habe, die also sehr stark vom Wegzug von Bürgerinnen und Bürgern betroffen ist, habe aber eine Kultureinrichtung, die eigentlich mal eingerichtet wurde, ein Theater zum Beispiel, wie noch viel mehr Menschen dort lebten, dann muss man sich überlegen: Wie gehe ich eigentlich damit um? Die radikale, aber vollkommen falsche Form wäre, zu sagen, ich schließe einfach das Theater. Das kann ich aber nicht wirklich wollen, weil das ein wichtiger Punkt in der Kommune ist. Aber ich muss es umbauen, dieses Theater, ich muss vielleicht einen Zuschauerraum verkleinern, ich muss Bühnen vielleicht auch ausgliedern und Ähnliches. Und wenn der Bund ein solches Programm auflegen würde und bereit wäre, dann auch den Ländern und den Kommunen finanziell unter die Arme zu greifen – das wäre eine tolle Sache.
Pokatzky: Wenn nun in einem Koalitionsvertrag zehn Mal so viel, mehr als zehn Mal so viel Platz für die Kultur eingeräumt wird wie für den Sport, wessen Erfolg ist das? Wer hat dafür gesorgt?
Zimmermann: Na ja, als allererstes einmal die Kulturpolitik und Kulturpolitiker, die diesen Vertrag mit verhandelt haben. Das waren ja Arbeitsgruppen aus diesen drei Parteien, die diese Koalition stellen wollen. Ich glaube, dass die einen guten Job gemacht haben und ich hoffe, dass auch wir als Deutscher Kulturrat bei der einen oder anderen Frage hilfreich sein konnten, weil wir ja die Informationen auch versucht haben, über die ganz lange Zeit, nicht nur in den letzten Wochen, sondern in den letzten Jahren immer zur Verfügung zu stellen, wo es im Kulturbereich ganz besonders uns allen auf den Nägeln brennt.
Pokatzky: Aber ich vermute jetzt mal: Alles haben Sie nicht einbringen können.
Zimmermann: Leider nicht, nein.
Pokatzky: Also – was fehlt Ihnen noch, damit Sie die Note 1 geben könnten?
Das Thema NS-Raubkunst hätte aufgegriffen werden können, so Zimmermann
Zimmermann: Es gibt drei Sachen, die ich traurig finde, dass man dort nicht einen Schritt weiter gegangen ist, einmal natürlich bei dem im Moment ja uns alle doch auch stellenweise sprachlos machenden Schwabinger Kunstfund, da hätte man doch jetzt sich gewünscht, dass wir mit dem Thema NS-Raubkunst ein bisschen intensiver umgegangen wären und dass das auch seinen Niederschlag deutlicher als jetzt im Koalitionsvertrag gefunden hat. Das heißt, wir brauche eine gesetzliche Regelung, wie mit der Verjährungsfrist bei Raubkunst umgegangen wird. Das findet man leider nicht im Koalitionsvertrag.
Man findet nach meiner Ansicht auch viel zu wenig, wenn es um die Finanzierung der UNESCO-Welterbestätten geht. Das sind ja letztendlich international bedeutende, kulturelle Strukturen, die wir in Deutschland sehr, sehr viele haben glücklicherweise, aber die Kommunen und die Länder sind vollständig damit überfordert, die letztendlich zu finanzieren. Wir hätten uns gewünscht, in dem Koalitionsvertrag hätte klar gestanden, wie der Bund sich in der Zukunft an der Finanzierung dieser UNESCO-Welterbestätten beteiligen will.
Und vielleicht das Schmerzhafteste und das, was mich vielleicht sogar stellenweise ein bisschen fassungslos macht, weil ich gar nicht verstehen kann, warum man das nicht aufgenommen hat, ist das Staatsziel Kultur im Grundgesetz: Eine große Koalition hätte ohne Probleme dieses Staatsziel Kultur ins Grundgesetz schreiben können, und es ist ein bisschen unverständlich, warum ihnen der Mut gerade dazu gefehlt hat.
Pokatzky: Mit welcher Koalition wäre denn eine solche Grundgesetzänderung, also mit dem Staatsziel Kultur im Grundgesetz, denkbar?
Zimmermann: Na ja, also sie ist mit einer Koalition denkbar, die letztendlich nachher eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Grundgesetzänderung hinbekommt. Das heißt also, mit dieser wäre es denkbar, CDU, CSU und SPD könnten sie machen, aber ich denke, andere Parteien hätten sie auch aus der Opposition dabei unterstützt. Es sieht so aus, als hätte die Union kein Interesse daran gehabt, das Staatsziel Kultur jetzt ins Grundgesetz hineinzuschreiben. Also es scheitert letztendlich dann an einem Veto der Union. Das ist bedauerlich, und da die Union eine so große Fraktion ist, muss man ganz realistisch sein: Die anderen können, also auch die SPD mit den anderen Oppositionsparteien gemeinsam - kann das Staatsziel Kultur dann in dieser Legislaturperiode nicht ins Grundgesetz schreiben, weil ihnen einfach die notwendigen Mehrheiten fehlen.
Pokatzky: Danke, Olaf Zimmermann, an den Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Einen schönen Tag noch!
Zimmermann: Ich bedanke mich!
Pokatzky: Tschüss!
Zimmermann: Tschüss!
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