Große Koalition für immer und ewig?

Luhmann hat's geahnt!

Niklas Luhmann im Dezember 1984.
Der Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann im Dezember 1984 © imago/teutopress
Von Mathias Greffrath |
Niklas Luhmann sah schon in den 90er-Jahren eine quasi monopolistische "Partei für Industrie und Arbeit" voraus, verfestigt in einer ewigen großen Koalition. Für die SPD gäbe es aber bessere Ziele, meint Mathias Greffrath.
Mit der Globalisierung und dem verschärften Druck der internationalen Konkurrenz, angesichts der ökologischen Grenzen des Wachstums, der nachlassenden Zuwachsraten, der anschwellenden Macht des Finanzkapitals zerfiel die "Illusion der ewigen Prosperität". Die aber war die Grundlage gewesen, auf der die Sozialdemokratie operierte, seit sie auf dem Godesberger Parteitag von 1959 den Sozialismus gegen die gesicherte Teilhabe am "stetig wachsenden Wohlstand" eingetauscht hat.
Damals, in Godesberg, fragten nur ein paar linke Sozialdemokraten: "Und was wird sein, wenn das Wachstum einmal nachlässt?"

Die Globalisierung machte alle Großparteien gleich

Ein Vierteljahrhundert später, nach der diskreten Umrüstung der Sozialen Marktwirtschaft für die Schlachten auf den Weltmärkten während der vier Kohl-Regierungen, gab der Soziologe Niklas Luhmann die Antwort: Dann "müsste sich (...) eine Partei für Industrie und Arbeit bilden". Eine solche Partei hätte die Aufgabe, einerseits durch Steuersenkungen und Infrastrukturen die Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt zu sichern. Und gleichzeitig die Massenkaufkraft zu stabilisieren, die ebenso wichtig ist für Wachstum und politische Stabilität.
Eine solche Partei, schrieb Luhmann, sei aber nur "als große Koalition denkbar – ob nun in der Form einer gemeinsamen Regierung oder in der Form von aufgezwungenen Verständigungen". Faktisch haben wir nun diese große Koalition, wie auch immer die Regierung zusammengesetzt ist, spätestens seit der Jahrhundertwende, als die Schröder-Regierung die Einsicht aus ihrem Berliner Programm von 1989, dass "Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen", sondern eine "neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft anstehe", endgültig schredderte.

Wie soll die Opposition dagegen aussehen?

Angesichts einer permanenten großen Koalition fragte Niklas Luhmann nach den "Möglichkeiten einer politischen Opposition gegen ein solches Regime"?
Die nämlich sei nötig, denn es gäbe "Sorgen genug. Solche, die in den neuen sozialen Bewegungen zum Ausdruck kommen, Sorgen um Technikfolgen oder ökologische Probleme oder Sorgen, die mit Migrationsproblemen, mit zunehmender Gewaltbereitschaft, mit Ghettobildung in den Städten zu tun haben. Und es gehört", so Luhmanns Prognose, "nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass diese Probleme in absehbarer Zukunft an Dringlichkeit zunehmen werden".
Diese Analyse, wohlgemerkt, ist 23 Jahren alt. Damals formulierte der Systemdenker Luhmann die Notwendigkeit einer "organisatorisch gefestigten Mitgliederpartei", die die Zukunftsinteressen der Gesellschaft mit langem Atem an der Blaupause einer wenn schon nicht postkapitalistischen, so doch zukunftsfähigen Gesellschaft ausrichtet.
Luhmann war pessimistisch, was ihre Entstehung angeht: "Wenn es uns weiterhin so gut gehen wird wie bisher", so schrieb er, "ist kaum zu erwarten, dass aus diesen Ansatzpunkten eine Oppositionspartei" mit einem konsistenten Alternativprogramm entstehen" könnte.

Riss geht mitten durch die Parteien

Bis heute klafft denn auch die fatalste Kluft nicht zwischen den Parteien, sondern zwischen der wachstumsbeschwörenden parlamentarischen Klasse und den zivilgesellschaftlichen Initiativen. Ich glaube, die meisten Bürger haben zumindest eine Ahnung, dass die alten Strukturen nicht mehr tragen, dass die fetten Jahre vorbei sind. Und gerade angesichts rechter und liberalcharismatischer Parteien mit Bewegungscharakter wird eine Partei dringlich, die zur politischen Speerspitze der sozialen Bewegungen würde. Für eine solche Partei fällt mir nach wie vor kein besserer Name ein als: Sozialdemokratie.
Es müsste allerdings eine konservative Sozialdemokratie sein – konservativ im Sinne jenes sizilianischen Grafen Tomasi di Lampedusa, der wusste: Wenn wir wollen, dass wir weiterhin ungefähr so leben können wie bisher, müssen wir einiges radikal ändern. Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert: Das wäre der Versuch, die Erfahrung zu widerlegen, dass Institutionen und Mentalitäten sich nur nach Katastrophen oder Kriegen ab- oder umbauen lassen.
Dagegen allerdings steht die fatalistische Einsicht von Bertolt Brecht: Umwälzungen geschehen nur in Sackgassen.

Mathias Greffrath, Soziologe und Journalist, Jahrgang 1945, arbeitet für "Die Zeit", die taz und ARD-Anstalten über die kulturellen und sozialen Folgen der Globalisierung, die Zukunft der Aufklärung und über Theater. Letzte Veröffentlichungen unter anderem: "Montaigne – Leben in Zwischenzeiten" und das Theaterstück "Windows – oder müssen wir uns Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen?".

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© imago/Horst Galuschka
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