Große Koalition war unliebsame "Zwangsehe"
Die Große Koalition sei eine "Zwangsehe" zwischen CDU und SPD gewesen, bei der sich nie ein Gemeinschaftsgefühl eingestellt habe, sagt der Journalist Markus Wehner, Mitautor des Buches "Rosenkrieg".
Joachim Scholl: Übermorgen ist Bundestagswahl und dann wird sich entscheiden, ob sich die Partner trennen, mit Anderen eine Liaison eingehen oder sich eventuell doch wieder zusammenraufen. Das Protokoll dieser Großen Koalition zeichnen Eckart Lohse und Markus Wehner als einen eheähnlichen Rosenkrieg – in einem Buch unter diesem Titel. Beide sind Journalisten bei der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und Markus Wehner ist bei uns im Studio. Guten Morgen, ich grüße Sie!
Markus Wehner: Guten Morgen!
Scholl: Rosenkrieg, Herr Wehner – mit dieser Bezeichnung erinnern Sie an einen uralten, historischen Konflikt, den War of the Roses, die Zerfleischung zweier britischer Adelshäuser im 15. Jahrhundert. Heute hat sich der Begriff eingebürgert als Eheschlacht. Diese Metaphorik nun auf die Große Koalition übertragen, könnte man ja sagen, dass Liebe eigentlich nie im Spiel war, sondern nur der Zwang der politischen Verhältnisse. Aber Vernunftehen der Mächtigen – auch das zeigt die Geschichte – halten besser als Liebesheiraten. Trifft das nicht für Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auch zu?
Wehner: Es war ganzjährlich eine Zwangsehe, also eine Verbindung von Partnern, die nie zueinander wollten. Sie haben recht, Vernunftehen sind per se nicht schlechter als Liebesheiraten, hier kamen aber nicht nur zwei Politiker zusammen, die jetzt gegeneinander antreten, Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, sondern zwei Parteien, die sich über Jahrzehnte als Gegner betrachtet haben, die immer sich selbst auch durch die Gegnerschaft gegenüber dem anderen definiert haben. Und das war natürlich eine Sache, die extrem schwierig war.
Scholl: Was ist das für eine psychologische Konstellation, wenn man zusammen arbeiten muss, sich aber eigentlich gar nicht mag?
Wehner: Ich glaube, im Kabinett hat diese Zusammenarbeit ganz gut funktioniert. Dort war keine herzliche Atmosphäre, das ist auch über die vier Jahre nicht entstanden. Es hat zwischen einzelnen Leuten, zum Beispiel Angela Merkel und Peer Steinbrück, dem Finanzminister, sehr gut funktioniert, da gibt es auch eine Sympathie. Aber so dieses Gemeinschaftsgefühl – wir sind eine Mannschaft, wir sind eine Regierung –, das hat sich da eigentlich nicht eingestellt, aber doch ein Verantwortungsbewusstsein: Wir müssen jetzt das Beste daraus machen.
Scholl: Jeder politische Mensch erinnert sich noch gut, wie furchtbar knirschend das losging am Wahlabend 2005, 18. September, ein polternder Schröder, der sich als Sieger wähnte, eine konsternierte Angela Merkel, und dann Eheverhandlungen, bei denen ein grollender Schröder schließlich das Handtuch warf. Aber als der dann weg war, der Störenfried, war die Luft doch eigentlich klar.
Wehner: Das stimmt, es gab sogar am Anfang, gerade im Kabinett, sehr viele Stimmen, die gesagt haben: Es gibt jetzt eine neue Atmosphäre, es gibt eine Gleichberechtigung, Angela Merkel moderiert das ganz wunderbar, es ist nicht so wie früher, wo der Macho Schröder und dann noch der Macho Schily und der dritte, Joschka Fischer, sprachen und alle anderen zu schweigen hatten. Aber die SPD ist eben als Juniorpartner dann sehr schnell in Schwierigkeiten gekommen und hat dann eben das, was sie am Anfang so auch selber positiv beschrieben hat, dann doch negativ als Führungsschwäche, hier wird zu viel moderiert, hier wird zu wenig geführt und so weiter, besprochen. Das war zum Teil Taktik, zum Teil war es wahrscheinlich auch tatsächliches Erleben.
Scholl: Sie haben als Journalist, Herr Wehner, diese ganze Spanne seit 2005 nun verfolgt. Sie schreiben an einer Stelle, und haben es auch schon erwähnt: Auf Kabinettsebene hat man die Zusammenarbeit ganz vernünftig hinbekommen. Auf der Ebene der Ministerialbürokratie allerdings sei immer Hauen und Stechen gewesen. Da habe ich mich gleich gefragt: Also wie geht das eigentlich zusammen? Dort wird ja eigentlich die Arbeit gemacht, in den Ministerien. Haben die Minister als Chefs ihre eigenen Mitarbeiter, also auf dieser Linie der Großen Koalition, nicht im Griff gehabt?
Wehner: Natürlich haben solche Häuser auch immer ein Eigenleben, nicht alles wird sozusagen von dem jeweiligen Minister oder der jeweiligen Ministerin bestimmt. Das hängt auch davon ab, wie stark der Minister sein Haus im Griff hat. Ich habe aber doch den Eindruck … Nehmen wir zum Beispiel das Beispiel innere Sicherheit, Innen- und Justizministerium – was man sich dort an gegenseitigen Beinstellereien, an gegenseitigem Sich-nicht-Gönnen, den anderen doch noch irgendwie über den Tisch ziehen, geleistet hat, das war schon aller Ehren wert. Und da hatte man schon das Gefühl, hier spielt einer Regierung und der andere spielt Opposition, und nicht, hier sitzen zwei Ministerien zusammen, die über das, sagen wir, normale Maß an Konkurrenz, was zwischen solchen Häusern immer existiert, versuchen, doch Dinge hinzukriegen.
Scholl: Szenen einer Vernunftehe, die Große Koalition in der Rückschau von Markus Wehner, der zusammen mit einem Kollegen das Buch "Rosenkrieg" geschrieben hat. Wir haben in der Bundesrepublik, Herr Wehner, nur einen historischen Vorläufer einer Großen Koalition, 1969. Kann man hier eigentlich irgendeine Parallele ziehen?
Wehner: Gut, es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Parallelen. Damals war auch der Kanzlerkandidat des kleineren Partners, der SPD, Willy Brandt, Außenminister. Was sicherlich anders war, war, dass Kurt Georg Kiesinger glaubte, er könne mit der Union die absolute Mehrheit erringen. Das glaubt Angela Merkel heute nicht. Was aber auch ähnlich war, dass man auch dem Kiesinger vorgeworfen hat, er würde zu sehr moderieren. Ansonsten sind die Unterschiede wahrscheinlich doch sehr viel größer, denn wir haben ja auch heute ein Fünf-Parteien-Parlament, und allein deswegen sind natürlich die machtpolitischen Optionen ganz andere als damals.
Scholl: Welche Krisenmomente haben Sie eigentlich in diesen Jahren jetzt beobachtet, die wirklich so heikel waren, dass man also, um im Bild zu bleiben, kurz vor der Scheidung stand?
Wehner: Ich glaube, das größte Problem für diese Koalition war, dass die SPD mit ihr sehr große Schwierigkeiten hatte, einfach weil sie sich als kleinerer Partner empfunden hat, obwohl sie ja fast gleich stark war. Das lag zum einen daran, dass die Union das Kanzleramt hatte, die Kanzlerin hatte, und der Kanzler hat halt eine so überragende Bedeutung in unserer Verfassung, dass es schwer ist, das auszugleichen, auch wenn man versucht hat, durch entsprechende Zahl der Ministerien und Auswahl der Ministerien da einen Ausgleich zu schaffen. Und dann kam natürlich dazu die Zerrissenheit der SPD in dem Verhältnis zur Linkspartei. Das war was, womit diese Partei sehr schwer zurechtgekommen ist. Und da gab es natürlich immer mal die Versuchung, zu überlegen: Wie lange können wir diese Koalition eigentlich noch machen und dabei weiter Wahlen verlieren? Auf der anderen Seite hat man gesehen: Da rauszugehen, das wäre nicht verstanden worden. Es gab auch keinen wirklichen Anlass, der das in den Augen der Bürger gerechtfertigt hätte.
Scholl: Nun ist die Parole des Wahlkampfs auf beiden Seiten, wir haben das auch bei jenem Fernsehduell beobachten können: Ja, wir haben schon einiges geschafft zusammen, aber wir wollen die Koalition auf keinen Fall fortsetzen. Was ist aber, wenn es am Sonntag doch wieder darauf hinausläuft? Was würde da so emotional-psychologisch passieren? Also, welche Zumutung würde das doch wieder auch bedeuten für die Partner?
Wehner: Es wäre zunächst ein großer Erfolg für die SPD, wenn sie weiter in der Regierung vertreten wäre, und das ist ja das, was die SPD-Führung auch will, weil sie befürchtet, dass die SPD in der Opposition sich weiter zerlegen würde, nach links gehen würde, dadurch vielleicht noch unattraktiver werden würde. Für die Union wäre es sicherlich eine Niederlage, weil schwarz-gelb als das Wahlziel postuliert ist. Ich glaube aber, dass man im Kabinett und auf der Führungsebene diese große Koalition schon … mit ihr gut zurechtkommen würde. Das Problem wird eher sein, dass noch einmal den Fraktionen und den Parteien zu vermitteln ist, … Es gibt diese Zitate von unzumutbarer Härte und Höchststrafe, und das wird, glaube ich, die große Schwierigkeit sein, sowohl in der Union als auch in der SPD, der Partei und der Fraktion noch einmal zu erklären: Wir müssen das jetzt noch mal machen. Und man wird es nur machen können, indem man sagt: Wir haben eine ganz schwere Krise und dann müssen wir es noch mal tun.
Scholl: Gerade in diesem Kontext einer solchen Jahrhundertkrise – hat sich da die Große Koalition nicht vielleicht sogar doch besser bewährt als eine kleine?
Wehner: Ich glaube, dass in der Krise die Große Koalition sicher Vorteile hatte. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass die Partner sich schon so auseinandergelebt hatten und auch der Scheidungstermin, sage ich jetzt mal, mit dem Wahltag so nah war, dass man auch in der Krise doch versucht hat, immer den eigenen Vorteil zu suchen. Wir haben das zum Beispiel gesehen an der ganzen Diskussion um die Opel-Rettung, wo doch jede Partei versucht hat, sich sozusagen als den Oberretter darzustellen und als den vernünftigeren Teil in dieser Koalition. Man hat das dort trotzdem ganz gut hingekriegt, das muss man schon sagen, aber letztlich hat man den Wahlkampf natürlich nicht raushalten können.
Scholl: Gab es eigentlich auch heitere, lustige Momente in diesen vier Jahren?
Wehner: Es gab sicherlich auch heitere Momente in diesen Jahren, also ich denke an die erste Pressekonferenz von Angela Merkel und dem damaligen Vizekanzler Franz Müntefering, wo sehr viel gelacht wurde und wo man eigentlich den Eindruck hatte, hier präsentiert sich ein frisch verliebtes Paar. Das hat dann nicht wirklich lange gehalten, aber da war es schon sehr lustig und ich erinnere mich daran, wie Angela Merkel sagte: Wir werden uns immer mal eine Runde von Teilwahrheiten leisten, also streiten, aber danach muss auch wieder weitergearbeitet werden. Es war sehr viel Streit, muss man sagen, vielleicht sogar mehr, als man damals schon realistischerweise erwarten konnte.
Scholl: Markus Wehner, danke schön für Ihren Besuch! Ihr Buch "Rosenkrieg", gemeinsam verfasst mit Eckart Lohse, ist im Fackelträger Verlag erschienen, das letzte Kapitel wird nach dem kommenden Sonntag wohl neu zu schreiben sein. Alles Gute dafür!
Wehner: Gerne!
Markus Wehner: Guten Morgen!
Scholl: Rosenkrieg, Herr Wehner – mit dieser Bezeichnung erinnern Sie an einen uralten, historischen Konflikt, den War of the Roses, die Zerfleischung zweier britischer Adelshäuser im 15. Jahrhundert. Heute hat sich der Begriff eingebürgert als Eheschlacht. Diese Metaphorik nun auf die Große Koalition übertragen, könnte man ja sagen, dass Liebe eigentlich nie im Spiel war, sondern nur der Zwang der politischen Verhältnisse. Aber Vernunftehen der Mächtigen – auch das zeigt die Geschichte – halten besser als Liebesheiraten. Trifft das nicht für Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auch zu?
Wehner: Es war ganzjährlich eine Zwangsehe, also eine Verbindung von Partnern, die nie zueinander wollten. Sie haben recht, Vernunftehen sind per se nicht schlechter als Liebesheiraten, hier kamen aber nicht nur zwei Politiker zusammen, die jetzt gegeneinander antreten, Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, sondern zwei Parteien, die sich über Jahrzehnte als Gegner betrachtet haben, die immer sich selbst auch durch die Gegnerschaft gegenüber dem anderen definiert haben. Und das war natürlich eine Sache, die extrem schwierig war.
Scholl: Was ist das für eine psychologische Konstellation, wenn man zusammen arbeiten muss, sich aber eigentlich gar nicht mag?
Wehner: Ich glaube, im Kabinett hat diese Zusammenarbeit ganz gut funktioniert. Dort war keine herzliche Atmosphäre, das ist auch über die vier Jahre nicht entstanden. Es hat zwischen einzelnen Leuten, zum Beispiel Angela Merkel und Peer Steinbrück, dem Finanzminister, sehr gut funktioniert, da gibt es auch eine Sympathie. Aber so dieses Gemeinschaftsgefühl – wir sind eine Mannschaft, wir sind eine Regierung –, das hat sich da eigentlich nicht eingestellt, aber doch ein Verantwortungsbewusstsein: Wir müssen jetzt das Beste daraus machen.
Scholl: Jeder politische Mensch erinnert sich noch gut, wie furchtbar knirschend das losging am Wahlabend 2005, 18. September, ein polternder Schröder, der sich als Sieger wähnte, eine konsternierte Angela Merkel, und dann Eheverhandlungen, bei denen ein grollender Schröder schließlich das Handtuch warf. Aber als der dann weg war, der Störenfried, war die Luft doch eigentlich klar.
Wehner: Das stimmt, es gab sogar am Anfang, gerade im Kabinett, sehr viele Stimmen, die gesagt haben: Es gibt jetzt eine neue Atmosphäre, es gibt eine Gleichberechtigung, Angela Merkel moderiert das ganz wunderbar, es ist nicht so wie früher, wo der Macho Schröder und dann noch der Macho Schily und der dritte, Joschka Fischer, sprachen und alle anderen zu schweigen hatten. Aber die SPD ist eben als Juniorpartner dann sehr schnell in Schwierigkeiten gekommen und hat dann eben das, was sie am Anfang so auch selber positiv beschrieben hat, dann doch negativ als Führungsschwäche, hier wird zu viel moderiert, hier wird zu wenig geführt und so weiter, besprochen. Das war zum Teil Taktik, zum Teil war es wahrscheinlich auch tatsächliches Erleben.
Scholl: Sie haben als Journalist, Herr Wehner, diese ganze Spanne seit 2005 nun verfolgt. Sie schreiben an einer Stelle, und haben es auch schon erwähnt: Auf Kabinettsebene hat man die Zusammenarbeit ganz vernünftig hinbekommen. Auf der Ebene der Ministerialbürokratie allerdings sei immer Hauen und Stechen gewesen. Da habe ich mich gleich gefragt: Also wie geht das eigentlich zusammen? Dort wird ja eigentlich die Arbeit gemacht, in den Ministerien. Haben die Minister als Chefs ihre eigenen Mitarbeiter, also auf dieser Linie der Großen Koalition, nicht im Griff gehabt?
Wehner: Natürlich haben solche Häuser auch immer ein Eigenleben, nicht alles wird sozusagen von dem jeweiligen Minister oder der jeweiligen Ministerin bestimmt. Das hängt auch davon ab, wie stark der Minister sein Haus im Griff hat. Ich habe aber doch den Eindruck … Nehmen wir zum Beispiel das Beispiel innere Sicherheit, Innen- und Justizministerium – was man sich dort an gegenseitigen Beinstellereien, an gegenseitigem Sich-nicht-Gönnen, den anderen doch noch irgendwie über den Tisch ziehen, geleistet hat, das war schon aller Ehren wert. Und da hatte man schon das Gefühl, hier spielt einer Regierung und der andere spielt Opposition, und nicht, hier sitzen zwei Ministerien zusammen, die über das, sagen wir, normale Maß an Konkurrenz, was zwischen solchen Häusern immer existiert, versuchen, doch Dinge hinzukriegen.
Scholl: Szenen einer Vernunftehe, die Große Koalition in der Rückschau von Markus Wehner, der zusammen mit einem Kollegen das Buch "Rosenkrieg" geschrieben hat. Wir haben in der Bundesrepublik, Herr Wehner, nur einen historischen Vorläufer einer Großen Koalition, 1969. Kann man hier eigentlich irgendeine Parallele ziehen?
Wehner: Gut, es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Parallelen. Damals war auch der Kanzlerkandidat des kleineren Partners, der SPD, Willy Brandt, Außenminister. Was sicherlich anders war, war, dass Kurt Georg Kiesinger glaubte, er könne mit der Union die absolute Mehrheit erringen. Das glaubt Angela Merkel heute nicht. Was aber auch ähnlich war, dass man auch dem Kiesinger vorgeworfen hat, er würde zu sehr moderieren. Ansonsten sind die Unterschiede wahrscheinlich doch sehr viel größer, denn wir haben ja auch heute ein Fünf-Parteien-Parlament, und allein deswegen sind natürlich die machtpolitischen Optionen ganz andere als damals.
Scholl: Welche Krisenmomente haben Sie eigentlich in diesen Jahren jetzt beobachtet, die wirklich so heikel waren, dass man also, um im Bild zu bleiben, kurz vor der Scheidung stand?
Wehner: Ich glaube, das größte Problem für diese Koalition war, dass die SPD mit ihr sehr große Schwierigkeiten hatte, einfach weil sie sich als kleinerer Partner empfunden hat, obwohl sie ja fast gleich stark war. Das lag zum einen daran, dass die Union das Kanzleramt hatte, die Kanzlerin hatte, und der Kanzler hat halt eine so überragende Bedeutung in unserer Verfassung, dass es schwer ist, das auszugleichen, auch wenn man versucht hat, durch entsprechende Zahl der Ministerien und Auswahl der Ministerien da einen Ausgleich zu schaffen. Und dann kam natürlich dazu die Zerrissenheit der SPD in dem Verhältnis zur Linkspartei. Das war was, womit diese Partei sehr schwer zurechtgekommen ist. Und da gab es natürlich immer mal die Versuchung, zu überlegen: Wie lange können wir diese Koalition eigentlich noch machen und dabei weiter Wahlen verlieren? Auf der anderen Seite hat man gesehen: Da rauszugehen, das wäre nicht verstanden worden. Es gab auch keinen wirklichen Anlass, der das in den Augen der Bürger gerechtfertigt hätte.
Scholl: Nun ist die Parole des Wahlkampfs auf beiden Seiten, wir haben das auch bei jenem Fernsehduell beobachten können: Ja, wir haben schon einiges geschafft zusammen, aber wir wollen die Koalition auf keinen Fall fortsetzen. Was ist aber, wenn es am Sonntag doch wieder darauf hinausläuft? Was würde da so emotional-psychologisch passieren? Also, welche Zumutung würde das doch wieder auch bedeuten für die Partner?
Wehner: Es wäre zunächst ein großer Erfolg für die SPD, wenn sie weiter in der Regierung vertreten wäre, und das ist ja das, was die SPD-Führung auch will, weil sie befürchtet, dass die SPD in der Opposition sich weiter zerlegen würde, nach links gehen würde, dadurch vielleicht noch unattraktiver werden würde. Für die Union wäre es sicherlich eine Niederlage, weil schwarz-gelb als das Wahlziel postuliert ist. Ich glaube aber, dass man im Kabinett und auf der Führungsebene diese große Koalition schon … mit ihr gut zurechtkommen würde. Das Problem wird eher sein, dass noch einmal den Fraktionen und den Parteien zu vermitteln ist, … Es gibt diese Zitate von unzumutbarer Härte und Höchststrafe, und das wird, glaube ich, die große Schwierigkeit sein, sowohl in der Union als auch in der SPD, der Partei und der Fraktion noch einmal zu erklären: Wir müssen das jetzt noch mal machen. Und man wird es nur machen können, indem man sagt: Wir haben eine ganz schwere Krise und dann müssen wir es noch mal tun.
Scholl: Gerade in diesem Kontext einer solchen Jahrhundertkrise – hat sich da die Große Koalition nicht vielleicht sogar doch besser bewährt als eine kleine?
Wehner: Ich glaube, dass in der Krise die Große Koalition sicher Vorteile hatte. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass die Partner sich schon so auseinandergelebt hatten und auch der Scheidungstermin, sage ich jetzt mal, mit dem Wahltag so nah war, dass man auch in der Krise doch versucht hat, immer den eigenen Vorteil zu suchen. Wir haben das zum Beispiel gesehen an der ganzen Diskussion um die Opel-Rettung, wo doch jede Partei versucht hat, sich sozusagen als den Oberretter darzustellen und als den vernünftigeren Teil in dieser Koalition. Man hat das dort trotzdem ganz gut hingekriegt, das muss man schon sagen, aber letztlich hat man den Wahlkampf natürlich nicht raushalten können.
Scholl: Gab es eigentlich auch heitere, lustige Momente in diesen vier Jahren?
Wehner: Es gab sicherlich auch heitere Momente in diesen Jahren, also ich denke an die erste Pressekonferenz von Angela Merkel und dem damaligen Vizekanzler Franz Müntefering, wo sehr viel gelacht wurde und wo man eigentlich den Eindruck hatte, hier präsentiert sich ein frisch verliebtes Paar. Das hat dann nicht wirklich lange gehalten, aber da war es schon sehr lustig und ich erinnere mich daran, wie Angela Merkel sagte: Wir werden uns immer mal eine Runde von Teilwahrheiten leisten, also streiten, aber danach muss auch wieder weitergearbeitet werden. Es war sehr viel Streit, muss man sagen, vielleicht sogar mehr, als man damals schon realistischerweise erwarten konnte.
Scholl: Markus Wehner, danke schön für Ihren Besuch! Ihr Buch "Rosenkrieg", gemeinsam verfasst mit Eckart Lohse, ist im Fackelträger Verlag erschienen, das letzte Kapitel wird nach dem kommenden Sonntag wohl neu zu schreiben sein. Alles Gute dafür!
Wehner: Gerne!