Große Liebe

Schöne Erinnerungen - detailreich erzählt

Von Gabriele von Arnim |
Die einen sind begeistert vom neuen Roman des irischen Autors John Banville, die anderen finden ihn zu kompliziert. Im Zentrum steht ein schon älterer Schauspieler, der sich an seine erste große Liebe erinnert.
Unweigerlich kommt im Alter der Moment, da die Vergangenheit nicht nur mehr Platz einnimmt im eigenen Leben als die noch mögliche Zukunft, sondern zudem verlockender winkt.
So schaut auch Alex Cleave zurück und nicht nach vorn. Sitzt in seinem Dachstübchen und schreibt über seine erste Liebe: die Mutter seines besten Freundes. Sie war 35, er 15 Jahre alt. Eine unmögliche Liebe – und vielleicht die einzige, die er je hatte. Wenn denn überhaupt stimmt, worin er schwelgt - schließlich sei Madame Erinnerung eine große und raffinierte Simulantin. Doch ob er sich nun an die Wahrheit erinnert oder sie sich erfindet, was tut’s, wenn es doch so schön ist, sich in die süße Sehnsucht hineinzuschreiben, die im Rückblick vielleicht noch wonnevoller schmerzt als im Moment des Erlebens.
Artifiziell verrätselte Verstrickungen
Alex Cleave braucht schöne Erinnerungen. Seine Tochter hat sich vor zehn Jahren umgebracht. Und noch immer streicht seine Frau nachts somnambul durchs Haus, weil sie glaubt, die Tote existiere noch - irgendwo gefangen im Land der Schatten.
John Banville, irischer Schriftsteller mit großem Werk und nun auf die 70 zugehend, liebt das detailreiche Erzählen. Folgt ausführlich den verschlungenen Wegen der Erinnerung, der Fantasie und der Gegenwart. Es ist diese schöne Mischung aus behaglichem Verweilen und bedrohtem Dasein, aus lichter Betrachtung und finsterem Traumgespinst, die seine Romane ausmachen. In die er, als gebildeter Mensch, Anspielungen auf große Gemälde hineinwebt, auf literarische Szenen oder Gestalten, auch auf Figuren aus seinen eigenen früheren Werken.
Der Autor John Banville beim Literatur Festival in Rom
Der Autor John Banville beim Literatur Festival in Rom© picture alliance / dpa / Donatella Giagnori
Eines Tages bricht die Gegenwart ein in Alex Cleaves Schreibstube. Hollywood ruft. Ausgerechnet er, der zwar Schauspieler war aber noch nie vor einer Kamera gestanden hat, soll die Hauptrolle in einem Film mit dem Titel „Die Erfindung der Vergangenheit“ bekommen - an der Seite einer berühmten Diva, die gerade ihren Vater verloren hat. Das Konstrukt ist ein bisschen sehr durchschaubar, denn natürlich sieht Cleave in ihr seine Tochter, und es ergeben sich im Leben wie im Film artifiziell verrätselte Verstrickungen, die Gegenwart und Vergangenheit ineinander verweben.
Das sind verschlungen mäandernde Szenen, in denen Banville auch dem Leser das Gefühl für Gewissheiten nimmt und uns die Unberechenbarkeit des Lebens und der Poesie filigran geformt vor Augen führt.
Schillernd sich zerstreuendes Ich
Die Erinnerung an die einstige Geliebte allerdings und die beschworene Pracht ihres Fleisches will dem Autor nicht so recht gelingen. Denn er beschreibt die Frau mit dem Blick des damaligen Knaben, was sich - zum Missvergnügen des Lesers – auf die Kraft seiner Sprache auswirkt. Pubertär unerotisch wirkt diese, wenn Banville von der Wollust erzählt, dem Schweiß der Liebe, dem Versteckspiel und der darin flimmernden Angstlust. Da gerät manches Liebesspiel zur wimmernden und zuckenden Herumturnerei.
Und so tröstet man sich als Leser flugs mit den sanften oder bitteren Rätseln des Lebens und der Kunst, dem zitronigen Element des Sonnenlichts und dem schillernd sich zerstreuenden Ich des Erzählers.

John Banville: Im Lichte der Vergangenheit
Roman, aus dem Englischen von Christa Schuenke
Kiepenheuer und Witsch, Köln 2014
336 Seiten, 19,99 Euro