Große Politik auf der Opernbühne

Von Bernhard Doppler |
Der Komponist Giacomo Meyerbeer war dafür bekannt, gesellschaftliche Konflikte in die Oper zu bringen und in effektvollen Tableaus auszubreiten. Die Inszenierung seines Stücks "Die Afrikanerin" von Georg Horres überzeugt durch die musikalische, aber nicht durch die szenische Ausarbeitung.
Noch bis in die 30er-Jahre - bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten - konnte man die Opern Giacomo Meyerbeers an fast allen Opernhäusern im Repertoire finden, und im 19. Jahrhundert war er sogar einer der meist gespielten Opernkomponisten überhaupt, auch wenn schon damals heftig - oft verbunden mit antisemitischen Vorurteilen (Richard Wagner: "Das Jüdische in der Musik") - gegen Meyerbeers angeblich oberflächlichen, nur billige Effekte suchende Kompositionen polemisiert wurde.

Doch die Grand opéra, deren wichtigster Vertreter er war, ist durchaus wieder entdeckenswert: Politische, gesellschaftliche Konflikte auf der Opernbühne, in effektvollen Tableaus voll überraschender Wendungen ausgebreitet; Faustische Charaktere, die von unterschiedlichen Wünschen zwischen Himmel und Hölle getrieben werden. Meyerbeers Musik enthält dabei nicht nur eine Reihe von Ohrwürmern. Zu dem verzierungsreichen Belcanto des frühen 19. Jahrhunderts und der expressiven Musiktheatersprache Wagners und des späten Verdis bietet sie – mehr als nur ein Zwischenglied in der Mitte des 19. Jahrhunderts - eine effektvolle Alternative.

Die Wiederbelebungsversuche blieben bis jetzt dennoch vereinzelt, und meist sind es gerade kleinere oder mittlere Häuser, die sich der Herausforderung stellen, eine Grand opéra von Meyerbeer wieder ins Repertoire zu nehmen. Zu Beginn der Spielzeit 2011/2012 war es nun nach dem Theater Erfurt mit "Robert der Teufel" das Main-Franken-Theater Würzburg mit Meyerbeers letztem, erst kurz nach seinem Tod in Paris uraufgeführtem Werk "Die Afrikanerin".

Das Würzburger Theater hat, zumindest was den musikalischen Teil betrifft, dabei auf sehr beeindruckende Weise eine beachtenswerte Kompetenz unter Beweis stellen können. Für die Würzburger Aufführung stellte man eine immer noch knapp vier Stunden dauernde Strichfassung her, die zwar das Ballett eliminierte, dafür aber Frauenchören als Gegenpol zu Männerchören mehr Gewicht verlieh. Der neue Generalmusikdirektor Enrico Calesso dirigiert durchsichtig und spannungsreich, baut geschickt - bisweilen sogar fast impressionistische - Stimmungen auf, manchmal voll zarter Traurigkeit, manchmal balladeske Erzählungen, manchmal akzentuiert er heftige Auseinandersetzungen. Calesso stehen vor allem Sänger zur Verfügung, die auch in jedem größeren Haus Aufsehen erregen könnten: Paul McNamara als lyrischer und gleichzeitig heldischer Vasco da Gama, Karen Leiber, geradezu betörend, in der Titelrolle Selica und der Adam Kim als böse funkelnder Sklave Nelusco.

Meyerbeers "Afrikanerin" spielt vor 500 Jahren: zur Zeit der Entdeckungen am portugiesischen Hof, auf einem Schiff im Meer und schließlich auf einer Insel im Indischen Ozean. Es geht um die engstirnige Inquisition - besonders eindrucksvoll ist in Meyerbeers Oper der erste Akt: eine Art Parlamentsdebatte - und Fortschritt, um die Kolonisation eines "wunderbaren Landes", das voll heimtückischer Brutalität und Hass gegenüber den europäischen Eindringlingen ist, und es geht um einen hinterlistigen, auch ein wenig feigen Helden und Entdecker, der sich zwischen zwei Frauen, der Königstochter Ines und der Sklavin Selica, nicht entscheiden kann, beide für seine Karriere benützt, sie schließlich betrügt und fallen lässt.

Natürlich hat auch Meyerbeer mit seiner Grand opéra auf die Kolonisation im 19. Jahrhundert angespielt, aber die Inszenierung von Georg Horres macht es sich einfach, wenn sie die Figuren in eine leicht stilisierte Gegenwart versetzt. In der "Parlamentsdebatte" mit den Bischöfen ist das noch durchaus effektvoll, doch wenn die "Wilden" auf der Insel im Indischen Ozean in denselben schwarzen Anzügen stecken, höchstens durch ein paar Tattoos von den Europäern unterschieden, fehlt ein zentraler Kontrast. Die Erdölbohranlage, die dabei die Bühne im Tropen-Akt beherrscht, weist allzu platt auf aktuelle Kolonialisierung hin. Szenisch hat das deutsche Stadttheater Meyerbeers Grand opéra wohl noch nicht in den Griff bekommen, musikalisch konnte man - ohne Einschränkungen - einen eindrucksvollen Abend erleben.