Großer kleiner Abend
Was hat Kleist mit dem Ruhrgebiet zu tun? Viel, wenn es nach Regisseur Oliver Bukowski geht. Sein Stück "Wenn Ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen" hatte bei den Ruhrfestspielen 2010 Premiere und zeigt einen Kleist unserer Zeit.
Die Ruhrfestspiele Recklinghausen sind das einzige bundesdeutsche Festival, das den Deutschen Gewerkschaftsbund – neben der Stadt Recklinghausen – zum Träger hat. Das geht auf eine lange Tradition zurück. In der Nachkriegszeit halfen Bergleute Künstlern, ihre Theater und Konzertsäle zu heizen und sich die Künstler mit Gastspielen bei den Kumpels bedankten. Eine Konstante in der Geschichte der Ruhrfestspiele war, dass die verschiedenen Intendanten das Volkstheater besonders förderten – gegen die Kunst der Eliten setzten sie das Prinzip: Kultur für alle.
Dieses Konzept liegt auch den Programmen des derzeitigen Leiters zugrunde, von Frank Hoffmann. Es ist deshalb alles andere als ein Zufall, dass die Ruhrfestspiele, zusammen mit dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, Oliver Bukowski einen Stückauftrag gaben. Bukowski, ein namhafter Vertreter des deutschen Volkstheaters heute, steht in der Tradition von Brecht, Fleißer und Kroetz – er schreibt mit Vorliebe Farcen. Sein neuestes Stück, die Auftragsarbeit, nennt Bukowski: "Wenn ihr euch totschlagt ist es ein Versehen".
Im Mittelpunkt steht Bernd Getskard, eine Nervensäge. Obwohl Getskard mitunter himmelhoch jauchzt, dann wieder zu Tode betrübt ist, halten seine Freunde zu ihm. Sie meinen, Getskard sei ein Jahrhundertgenie. Je länger Oliver Bukowskis elf Szenen dauern, desto klarer wird, dass Getskard nicht nur schwer krank ist, manisch-depressiv, sondern einem preußischen Junker aus dem 19. Jahrhundert ähnelt. Da die Ruhrfestspiele in diesem Jahr als Motto "Kontinent Kleist im romantischen Meer" gewählt haben, liegt es nahe, in der Kunstfigur einen genialen aber verkannten Dichter, einen Kleist in unserer Zeit zu erkennen.
Bukowski hat statt einer Tragödie eine Farce geschrieben und verstößt auch sonst lustvoll gegen eherne Grundsätze: Man lacht nicht über Kranke! – Der Dramatiker entdeckt, dass Kleists manische Stimmungsschwankungen, mögen sie im Leben tragisch gewesen sein, auf der Bühne komisch wirken – ein Quell seines Witzes. Geskards Verkennungen der Realität bringen seine Freunde an den Rand der Verzweiflung, sie befähigen den Dichter aber zu einem geistigen Aufschwung, der ihn unnachahmlich macht. Kleist scheiterte am Alltag, war aber zu Hause in den elysischen Gefilden.
Markus Heinzelmann arbeitet in seiner Uraufführungsinszenierung konsequent den Farcencharakter des Spiels heraus: die Körpersprache Gescards lehnt sich an die von Popidolen bei Massenkonzerten an wie an die von Clowns in der Manege. Neben gröberen Witzen stehen Subtilitäten: Heinzelmanns Inszenierung spielt wie Bukowskis Szenen virtuos mit dem verblüffend triftigen Ineinander von Vergangenheit und Gegenwart. In einer Schlüsselszene rechnet Bukowski (auch) mit dem Theater und der Kritik (unserer Zeit) ab. Weder der Regisseur noch die Kritiker waren zu Kleists Lebzeiten in der Lage, den Rang des "Der Zerbrochenen Krugs", zu erkennen - heute als Spitzenprodukt der Weltliteratur unumstritten.
Mitunter erzeugt das Ensemble den Eindruck, dass Bukowski sich auch selbst in Geskard mit porträtiert hat und darüber klagt, wie seine Stücke auf dem Theater misshandelt wurden und werden (stimmt!) und dass die zeitgenössische Kritik, wie einst bei Kleist, auch bei ihm nicht in der Lage ist, den Wert seines Dramenschaffens angemessen zu bestimmen (stimmt auch!). Am Pranger stehen gemeinsam Regisseure und wir Kritiker, das Publikum lacht - die Rache des Dramatikers an willkürlichen Spielleitern und stumpfen Kritikern.
Am Ende steht der Freitod Geskards; Stefan Haschke (virtuos, konzentriert, diszipliniert, eben noch komisch, gleich darauf tief tragisch) hat Geskard inzwischen fast vollständig in Kleist verwandelt. Wie ist es möglich, eine Komödie zu schreiben, wenn am Ende der Tod steht? Bukowski weist durch die Form geistreich darauf hin, dass Kleist nicht tot ist, sondern unsterblich. Komisch ist die Verkennung zu Lebzeiten, sie kann nur angemessen in der verzerrendsten aller Theatergattungen gespiegelt werden, in der Farce.
Oliver Bukowski ist ein Meisterwerk gelungen: die Form stimmt, inhaltlich durchdringen sich kunstvoll Gegenwart und Vergangenheit – und die große Frage wird aufgeworfen, woher der Funke des Genies kommt. Hat er etwas zu tun mit der Krankheit – oder sind wir Durchschnittlichen krank, weil wir uns bei der Bewältigung des Alltags um die Euphorie des geistigen und seelischen Aufschwungs gebracht haben?
Oliver Bukowski erweist sich als Kenner Kleists, des 19. Jahrhunderts und der Psychopathologie; er weiß mit den schwierigsten Topoi in einem Ton, der niemanden ausschließt, zu unterhalten - ein Volksstück in des Wortes verwegenster Bedeutung. Mutmaßlich ist "Wenn ihr euch totschlagt…" kein "Zerbrochener Krug" und Bukowski kein Kleist. Aber wie Kleist ist Bukowski seiner Zeit voraus – und er hat Courage: der Angriff auf Regiewillkür und Kritikerdummheit sitzt.
Obwohl nur drei Darsteller abseits vom Großen Haus anderthalb Stunden Spielzeit bestreiten, kein kleiner Abend: ein kleiner großer Abend.
Dieses Konzept liegt auch den Programmen des derzeitigen Leiters zugrunde, von Frank Hoffmann. Es ist deshalb alles andere als ein Zufall, dass die Ruhrfestspiele, zusammen mit dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, Oliver Bukowski einen Stückauftrag gaben. Bukowski, ein namhafter Vertreter des deutschen Volkstheaters heute, steht in der Tradition von Brecht, Fleißer und Kroetz – er schreibt mit Vorliebe Farcen. Sein neuestes Stück, die Auftragsarbeit, nennt Bukowski: "Wenn ihr euch totschlagt ist es ein Versehen".
Im Mittelpunkt steht Bernd Getskard, eine Nervensäge. Obwohl Getskard mitunter himmelhoch jauchzt, dann wieder zu Tode betrübt ist, halten seine Freunde zu ihm. Sie meinen, Getskard sei ein Jahrhundertgenie. Je länger Oliver Bukowskis elf Szenen dauern, desto klarer wird, dass Getskard nicht nur schwer krank ist, manisch-depressiv, sondern einem preußischen Junker aus dem 19. Jahrhundert ähnelt. Da die Ruhrfestspiele in diesem Jahr als Motto "Kontinent Kleist im romantischen Meer" gewählt haben, liegt es nahe, in der Kunstfigur einen genialen aber verkannten Dichter, einen Kleist in unserer Zeit zu erkennen.
Bukowski hat statt einer Tragödie eine Farce geschrieben und verstößt auch sonst lustvoll gegen eherne Grundsätze: Man lacht nicht über Kranke! – Der Dramatiker entdeckt, dass Kleists manische Stimmungsschwankungen, mögen sie im Leben tragisch gewesen sein, auf der Bühne komisch wirken – ein Quell seines Witzes. Geskards Verkennungen der Realität bringen seine Freunde an den Rand der Verzweiflung, sie befähigen den Dichter aber zu einem geistigen Aufschwung, der ihn unnachahmlich macht. Kleist scheiterte am Alltag, war aber zu Hause in den elysischen Gefilden.
Markus Heinzelmann arbeitet in seiner Uraufführungsinszenierung konsequent den Farcencharakter des Spiels heraus: die Körpersprache Gescards lehnt sich an die von Popidolen bei Massenkonzerten an wie an die von Clowns in der Manege. Neben gröberen Witzen stehen Subtilitäten: Heinzelmanns Inszenierung spielt wie Bukowskis Szenen virtuos mit dem verblüffend triftigen Ineinander von Vergangenheit und Gegenwart. In einer Schlüsselszene rechnet Bukowski (auch) mit dem Theater und der Kritik (unserer Zeit) ab. Weder der Regisseur noch die Kritiker waren zu Kleists Lebzeiten in der Lage, den Rang des "Der Zerbrochenen Krugs", zu erkennen - heute als Spitzenprodukt der Weltliteratur unumstritten.
Mitunter erzeugt das Ensemble den Eindruck, dass Bukowski sich auch selbst in Geskard mit porträtiert hat und darüber klagt, wie seine Stücke auf dem Theater misshandelt wurden und werden (stimmt!) und dass die zeitgenössische Kritik, wie einst bei Kleist, auch bei ihm nicht in der Lage ist, den Wert seines Dramenschaffens angemessen zu bestimmen (stimmt auch!). Am Pranger stehen gemeinsam Regisseure und wir Kritiker, das Publikum lacht - die Rache des Dramatikers an willkürlichen Spielleitern und stumpfen Kritikern.
Am Ende steht der Freitod Geskards; Stefan Haschke (virtuos, konzentriert, diszipliniert, eben noch komisch, gleich darauf tief tragisch) hat Geskard inzwischen fast vollständig in Kleist verwandelt. Wie ist es möglich, eine Komödie zu schreiben, wenn am Ende der Tod steht? Bukowski weist durch die Form geistreich darauf hin, dass Kleist nicht tot ist, sondern unsterblich. Komisch ist die Verkennung zu Lebzeiten, sie kann nur angemessen in der verzerrendsten aller Theatergattungen gespiegelt werden, in der Farce.
Oliver Bukowski ist ein Meisterwerk gelungen: die Form stimmt, inhaltlich durchdringen sich kunstvoll Gegenwart und Vergangenheit – und die große Frage wird aufgeworfen, woher der Funke des Genies kommt. Hat er etwas zu tun mit der Krankheit – oder sind wir Durchschnittlichen krank, weil wir uns bei der Bewältigung des Alltags um die Euphorie des geistigen und seelischen Aufschwungs gebracht haben?
Oliver Bukowski erweist sich als Kenner Kleists, des 19. Jahrhunderts und der Psychopathologie; er weiß mit den schwierigsten Topoi in einem Ton, der niemanden ausschließt, zu unterhalten - ein Volksstück in des Wortes verwegenster Bedeutung. Mutmaßlich ist "Wenn ihr euch totschlagt…" kein "Zerbrochener Krug" und Bukowski kein Kleist. Aber wie Kleist ist Bukowski seiner Zeit voraus – und er hat Courage: der Angriff auf Regiewillkür und Kritikerdummheit sitzt.
Obwohl nur drei Darsteller abseits vom Großen Haus anderthalb Stunden Spielzeit bestreiten, kein kleiner Abend: ein kleiner großer Abend.