Großer Zapfenstreich

Eine Zeremonie der Menschlichkeit

Großer Zapfenstreich zum Ende des Afghanistan-Einsatzes
Soldaten laufen beim Großen Zapfenstreich in Berlin mit Fackeln, um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu würdigen. © picture alliance/dpa / Christophe Gateau
Ein Kommentar von Konstantin Sakkas |
Der Große Zapfenstreich zum Einsatz in Afghanistan rief Empörung hervor: Zu sehr erinnere die Symbolik an das Dritte Reich. Nun wird Angela Merkel ebenso geehrt. Der Publizist Konstantin Sakkas versteht die Zweifel, verteidigt aber den religiösen Kern.
Ja, ich bin voreingenommen. In die Zeit meines Wehrdienstes 2002 fiel die Außerdienststellung des deutschen KFOR-Kontingentes, das im Kosovo gekämpft hatte. Da sein Kommandeur zugleich auch Kommandeur der Brigade war, in der ich meine Grundausbildung ableistete, konnte ich mich an einem Großen Zapfenstreich beteiligen: bei Fackelschein in einem mitteldeutschen Schlosshof, im Großen Dienstanzug, mit Marschmusik und präsentiertem Gewehr. Das prägt einen, das vergisst man nicht.
Und ja, es stimmt: Bei der Bundeswehr gibt es viel falsche Kameraderie, natürlich sammeln sich dort Rechte und natürlich war der Afghanistan-Einsatz militärisch und auch humanitär fragwürdig. Dennoch sollte die Bundeswehr am Zeremoniell des Großen Zapfenstreichs festhalten, auch wenn die Gründe, die dagegen sprechen, gewichtig sind.

Steifes Gepränge der Heiligen Messe

Seit ich mich im Detail mit dem brutalen Sadismus beschäftigt habe, mit dem Deutsche und ihre Helfer kleine Kinder, Frauen und Greise in den Vernichtungslagern vor ihrem Tod schikanierten, ekelt es mich vor historischen Aufnahmen von Nazi-Zeremonien, auch vor alten UFA-Filmen, mit ihrem süßlichen Kitsch und ihrem abgefeimten, falschen Pathos.
Ich kann mir nicht mehr „Triumph des Willens“ anschauen, ohne an die Terrorisierten in Treblinka, an die höllische Enge in den Gaskammern zu denken, und ich verstehe alle, die ein ähnlich begründeter Ekel beim Anblick präsentierender Bundeswehrsoldaten unter Fackeln am Reichstag ergreift. 
Mit derselben Begründung könnte man sich auch vor kirchlichen und religiösen Zeremonien ekeln. Das steife Gepränge der Heiligen Messe verrät nur zu leicht die Unaufrichtigkeit derer, die sich unter dem Mäntelchen des Zölibats an Schutzbefohlenen vergehen oder Frauen, die über ihren eigenen Körper verfügen wollen, psychisch terrorisieren.

Kultische Handlungen

Auf der anderen Seite aber stehen beide kultische Handlungen, die religiöse und die militärische, für etwas Tieferes und Höheres. Die Frage lautet, ob wir dieses Tiefere und Höhere um den Preis jenes Ekels konservieren wollen?
Der Große Zapfenstreich als Zeremoniell stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert und knüpft an an das Ritual des Zubettgehens bei den Landsknechten in der Frühen Neuzeit; wenn der Zapfhahn am Bierfass gestrichen, das heißt: zugedreht wurde, hieß dies: Schlafenszeit. Der fromme und leider stockreaktionäre König Friedrich Wilhelm III. von Preußen ließ daraus eine Zeremonie machen.

Im Zentrum steht etwas Sakrales

Doch darum geht es mir nicht. Mir geht es um das Menschliche. Im Zentrum der säkularen Liturgie des Zapfenstreichs steht etwas Sakrales: die Melodie des „Niederländischen Dankgebets“.
Dort heißt es: „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart, ich geb mich hin dem freien Triebe, wodurch ich Wurm geliebet ward. Ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken.“
Hier geht es nicht um Gewalt und Härte. Hier beschwört der Mensch, die der Welt ausgelieferte Kreatur, den himmlischen Vater, ihn nicht untergehen zu lassen, ihn zu beschützen in Kampf und Not. Die Werte, die durch dieses Zeremoniell sprechen, sind ewig-menschlich.

„Helm ab zum Gebet“ in mehreren Sprachen

Auf Youtube findet man Videos von Großen Zapfenstreichen unter internationaler Beteiligung. Es rührt mich, wenn das Kommando „Helm ab zum Gebet“ hintereinander in mehreren Sprachen erschallt, und alle anwesenden Offiziere und Soldaten, Frauen und Männer, Christen, Juden, Muslime, Atheisten, folgen dem Kommando.
Aus Respekt vor dem Menschlichen. Nicht aus Gehorsam gegenüber einem System, das zwar dem Guten dienen, das aber genauso zum Schlimmsten missbraucht werden kann. Und deshalb möge der Große Zapfenstreich bleiben.

Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte und schloss sein Studium 2009 an der Freien Universität Berlin mit einer Magisterarbeit über Hannah Arendt ab. Er lebt und arbeitet als Publizist und Kommunikationsberater in Berlin.

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