Groteske Situationen
Die Absurdität scheinbar normaler Alltagssituationen entlarvt der Videokünstler Aernout Mik in seinen Werken. Der 1962 geborene Niederländer war auch auf der Biennale in Venedig dabei und hat am Freitag im Aachener Ludwigforum für Internationale Kunst den Kunstpreis Aachen erhalten, wo auch neuere Werke von ihm gezeigt werden.
Artig stehen sie Schlange. Jeder hat einen durchsichtigen Plastikbeutel in der Hand, in dem sich bunte Tuben und Fläschchen befinden. Einer nach dem anderen tritt an einen Tisch, legt seine kleine Wundertüte ab und sie fährt in einen dunklen Kasten, der sie auf der anderen Seite wieder ausspuckt. Das kennt man: Anstehen beim Sicherheitscheck im Flughafen.
Wenn man die Szene auf dem Video "Touch, Rise and Fall", der jüngsten Arbeit von Arnout Mik sieht, betrachtet man sie plötzlich mit den Augen eines Außerirdischen, beobachtet eine absurde Situation, ein unverständliches Ritual.
Der Künstler zeigt auf zwei über Eck gestellten Leinwänden verschiedene Sequenzen der Vorgänge, aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Distanzen: Wir sehen das Geschehen in einem zeitlich-räumlichen Zusammenhang, wie eine Fernsehkamera es einfangen würde, gleichzeitig führt er unseren Blick ganz nah heran an Hände, Objekte, Blicke, tief hinein in Koffer und Taschen, hält die Zeit an und zeigt uns die Akteure in slow motion als ratlose, verlorene Subjekte, die versonnen ihre Tüten betrachten, als hätten sie vergessen, was man mit dem Inhalt eigentlich macht.
Aernout Mik: "Jeder kennt diese Sache im Flughafen, und wir machen das alles mit, aber es ist unglaublich komisch, es ist eine total absurde Situation, dass wir jeder mit einer Plastiktüte mit Zahnpasta in einer Reihe stehen. Es ist total Theater, von Sicherheit ist es auch total bekloppt, und wir machen alles mit, das ist tragisch, aber richtig tragisch ist auch oft komisch."
Diese Absurdität wächst sich aus zu grotesken Situationen. Irgendwann beginnen die Kontrolleure mit waidmännischer Akribie Stofftiere auszuweiden und ihre Felle wie Bettvorleger auszubreiten. Schließlich legen sie sich selbst auf das Band und fahren durch den Scanner.
Aber dieser Verlauf ist schon eine Interpretation, denn Aernout Mik gestattet uns keine exakte zeitliche Orientierung. Das Video läuft - wie die meisten seiner Arbeiten - als stummer endlos-loop. Was "vorher" und was "nachher" ist, hängt davon ab, wann und wie lange ein Betrachter davor stehen bleibt.
"Ich erzähle Geschichten, aber nicht im traditionellen Sinne, meine Arbeiten sind eigentlich immer kleine Geschichten, aber nicht eine Geschichte mit Anfang und Ende. Es sind Bruchstücke von Geschichten. Es ist Vermischung von realen und fiktionalen Bildern."
Mik arbeitet mit dokumentarischem, vorgefundenem Material. Er inszeniert Szenen mit Schauspielern und Laien, er dreht an real existierenden Orten und er baut seine eigenen, synthetischen Kulissenwelten. Im Endergebnis fügt sich das zu Bildern, die den Betrachter ständig hin- und herwechseln lassen zwischen banalen, bekannten, alltäglichen Situationen und verstörenden, bedrohlichen Erfahrungen, in denen das Verständnis der Realität plötzlich zerfällt.
So sieht man auf dem Video "Glutinosity" eine Auseinandersetzung zwischen Polizisten und Demonstranten als ein verzweifeltes Ringen, in dem gar nicht mehr zu erkennen ist, welche Hände, Arme, Füße, Beine eigentlich zu welcher Person gehören. Die Masse und die latente oder offen ausbrechende Gewalt - das ist ein konstantes Thema der Arbeit von Aernout Mik.
"Gibt’s eine piktorale Qualität da drin, es ist auch eine formelle Sache, aber immer gibt es diese politische Dimension dazu. Nicht in einem dogmatisch-politischen Sinne, Themen kommen da von Grenzproblematik und Emigration, viele Sachen von dieser Zeit sind präsent in den Arbeiten, und deswegen hat es eine politische Dimension."
Aernout Mik beherrscht mit dialektischer Meisterschaft die Kunst, Geschichten aufzubauen und gleichzeitig Verständniszusammenhänge wieder zu zerstören; er begibt sich damit auf eine spannende Gratwanderung zwischen narrativer und abstrakter Videoarbeit. Und dann tritt noch im wahrsten Sinne des Wortes eine dritte Dimension hinzu.
Mik kommt von der Bildhauerei und Installationskunst und hat immer auch den Bezug zwischen Raum, Objekt und Betrachter im Blick. Seine Videos sind nicht für die Vorführung in einer neutralen "Black Box" entworfen, sondern die Projektionen treten in einen Dialog mit ihrer Umgebung: auf über Eck gestellten, transparenten Leinwänden zum Beispiel, oder als extreme Breitwandformate, die das Bild quasi aus einer Wand in die andere laufen lassen und dem Raum mitsamt dem Betrachter den festen Boden entziehen.
Auf einen Blick kann man Aernout Miks Videos nie wahrnehmen, aus einem Blickwinkel auch nicht. Immer geschieht da etwas, das dem Betrachter entgehen wird, und im Medium der Kunst erfährt er so die Komplexität der Wirklichkeit.
"Ich finde es interessant, dass man das Bild nicht ganz kontrollieren kann, man muss das Bild lesen, und wenn es um zwei Schirme geht, man muss immer sich bewegen von einem Schirm zum andern, und man verliert den Kontakt mit dem einen, man kommt in eine ständige Aktivität, man kann nicht nur sagen, das ist einfach das Bild, man muss richtig aktiv sein als Anschauer. Die Wahrnehmung ist eine komplizierte Sache, ja."
Wenn man die Szene auf dem Video "Touch, Rise and Fall", der jüngsten Arbeit von Arnout Mik sieht, betrachtet man sie plötzlich mit den Augen eines Außerirdischen, beobachtet eine absurde Situation, ein unverständliches Ritual.
Der Künstler zeigt auf zwei über Eck gestellten Leinwänden verschiedene Sequenzen der Vorgänge, aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Distanzen: Wir sehen das Geschehen in einem zeitlich-räumlichen Zusammenhang, wie eine Fernsehkamera es einfangen würde, gleichzeitig führt er unseren Blick ganz nah heran an Hände, Objekte, Blicke, tief hinein in Koffer und Taschen, hält die Zeit an und zeigt uns die Akteure in slow motion als ratlose, verlorene Subjekte, die versonnen ihre Tüten betrachten, als hätten sie vergessen, was man mit dem Inhalt eigentlich macht.
Aernout Mik: "Jeder kennt diese Sache im Flughafen, und wir machen das alles mit, aber es ist unglaublich komisch, es ist eine total absurde Situation, dass wir jeder mit einer Plastiktüte mit Zahnpasta in einer Reihe stehen. Es ist total Theater, von Sicherheit ist es auch total bekloppt, und wir machen alles mit, das ist tragisch, aber richtig tragisch ist auch oft komisch."
Diese Absurdität wächst sich aus zu grotesken Situationen. Irgendwann beginnen die Kontrolleure mit waidmännischer Akribie Stofftiere auszuweiden und ihre Felle wie Bettvorleger auszubreiten. Schließlich legen sie sich selbst auf das Band und fahren durch den Scanner.
Aber dieser Verlauf ist schon eine Interpretation, denn Aernout Mik gestattet uns keine exakte zeitliche Orientierung. Das Video läuft - wie die meisten seiner Arbeiten - als stummer endlos-loop. Was "vorher" und was "nachher" ist, hängt davon ab, wann und wie lange ein Betrachter davor stehen bleibt.
"Ich erzähle Geschichten, aber nicht im traditionellen Sinne, meine Arbeiten sind eigentlich immer kleine Geschichten, aber nicht eine Geschichte mit Anfang und Ende. Es sind Bruchstücke von Geschichten. Es ist Vermischung von realen und fiktionalen Bildern."
Mik arbeitet mit dokumentarischem, vorgefundenem Material. Er inszeniert Szenen mit Schauspielern und Laien, er dreht an real existierenden Orten und er baut seine eigenen, synthetischen Kulissenwelten. Im Endergebnis fügt sich das zu Bildern, die den Betrachter ständig hin- und herwechseln lassen zwischen banalen, bekannten, alltäglichen Situationen und verstörenden, bedrohlichen Erfahrungen, in denen das Verständnis der Realität plötzlich zerfällt.
So sieht man auf dem Video "Glutinosity" eine Auseinandersetzung zwischen Polizisten und Demonstranten als ein verzweifeltes Ringen, in dem gar nicht mehr zu erkennen ist, welche Hände, Arme, Füße, Beine eigentlich zu welcher Person gehören. Die Masse und die latente oder offen ausbrechende Gewalt - das ist ein konstantes Thema der Arbeit von Aernout Mik.
"Gibt’s eine piktorale Qualität da drin, es ist auch eine formelle Sache, aber immer gibt es diese politische Dimension dazu. Nicht in einem dogmatisch-politischen Sinne, Themen kommen da von Grenzproblematik und Emigration, viele Sachen von dieser Zeit sind präsent in den Arbeiten, und deswegen hat es eine politische Dimension."
Aernout Mik beherrscht mit dialektischer Meisterschaft die Kunst, Geschichten aufzubauen und gleichzeitig Verständniszusammenhänge wieder zu zerstören; er begibt sich damit auf eine spannende Gratwanderung zwischen narrativer und abstrakter Videoarbeit. Und dann tritt noch im wahrsten Sinne des Wortes eine dritte Dimension hinzu.
Mik kommt von der Bildhauerei und Installationskunst und hat immer auch den Bezug zwischen Raum, Objekt und Betrachter im Blick. Seine Videos sind nicht für die Vorführung in einer neutralen "Black Box" entworfen, sondern die Projektionen treten in einen Dialog mit ihrer Umgebung: auf über Eck gestellten, transparenten Leinwänden zum Beispiel, oder als extreme Breitwandformate, die das Bild quasi aus einer Wand in die andere laufen lassen und dem Raum mitsamt dem Betrachter den festen Boden entziehen.
Auf einen Blick kann man Aernout Miks Videos nie wahrnehmen, aus einem Blickwinkel auch nicht. Immer geschieht da etwas, das dem Betrachter entgehen wird, und im Medium der Kunst erfährt er so die Komplexität der Wirklichkeit.
"Ich finde es interessant, dass man das Bild nicht ganz kontrollieren kann, man muss das Bild lesen, und wenn es um zwei Schirme geht, man muss immer sich bewegen von einem Schirm zum andern, und man verliert den Kontakt mit dem einen, man kommt in eine ständige Aktivität, man kann nicht nur sagen, das ist einfach das Bild, man muss richtig aktiv sein als Anschauer. Die Wahrnehmung ist eine komplizierte Sache, ja."