Groteskes Pathos in Linz
Der Tänzer und Choreograph Waslaw Nijinsky gehört zu den Tanzlegenden des 20. Jahrhunderts, doch mit einem Nervenleiden wurde er 1919 in eine geschlossene Anstalt eingeliefert. Kurz zuvor schrieb er ein Tagebuch, aus dem Detlev Glanert 2008 eine Kammeroper gemacht hat. In Linz wurde sie neu inszeniert.
Die Sommerfestivals 2012 werfen bereits ihre Schatten voraus. Die Bregenzer Festspiele, die neben dem "Spiel auf dem See" immer einen Sommer lang einen Komponisten des 20./21. Jahrhunderts ins Zentrum rücken (in den letzten Jahren: Weir, Weinberg, Krenek) eröffnen mit einem Auftragswerk an Detlef Glanert, "Solaris", einer Oper nach dem Science-Fiction Roman von Stanislaw Lem. Als Begleitprogramm dazu wird unter anderem Glanerts Kammeroper "Nijinskis Tagebuch" gezeigt, eine Neuproduktion des Linzer Landestheaters.
Es ist das Tagebuch Waslaw Nijinskis, das dieser unmittelbar vor seiner Einlieferung in eine Irrenanstalt verfasst hat, ein gespenstisches Dokument, 1919 verfasst und 1995 erstmals im Original veröffentlicht. Nijinski, der die Entwicklung des Balletts als Tänzer, auch als Choreograph revolutionierte – er war etwa Hauptprotagonist in Strawinkijs "Sacre du printemps", sieht sich darin als Gott, banalste Feststellungen und philosophische Grundsatzfragen fühlt er sich gedrängt, niederschreiben zu müssen.
Ein Tagebuch als Oper scheint zunächst ein Widerspruch, keine Handlung, keine dramatische Konfrontation – doch andererseits führt das Tagebuch – und Glanert verwendet nur ihn als Textvorlage, indem er dessen Worte aufnimmt, musikalisch bearbeitet, Silbe und Worte zerhackt, repetiert, zu Grundformen des Musiktheaters, zu Ariadnes Klage zum Beispiel, zu Arnold Schönbergs "Erwartung".
Theatralisch ist vor allem das Experiment der Besetzung durch sechs Akteure, die Nijinski verkörpern, eine Schauspielerin und ein Schauspieler, ein Tänzer und eine Tänzerin, eine Sängerin und ein Sänger, die mit dieser Überschreitung der Sparten aufs äußerste gefordert sind, aber das in Linz präzise lustvoll meistern: Schauspieler also, die sich der musikalischen Vorgabe genau fügen müssen, Sänger und Tänzer, die sprechen.
Rosamund Gilmare, früher selbst Choreographin, hat das immer auf der Bühne präsente Sextett genau in seinen Bewegungen abgestimmt und lässt auch kleine Szenen erzählen. Auch im 14-köpfigen Orchester, einfühlsam von Ingo Ingensand gleitet, gibt es Grenzüberschreitungen. Neben den traditionellen Instrumenten auch Alte Musik, Blockflöte und Gambe, aber auch Instrumente der Rockmusik: E-Gitarre und Syntheziser.
Das abstrakte Bühnenbild, viele weiße Truhen, die hoch gezogen werden können – auch manche Kostüme – zitieren die Avantgarde am Anfang des 20. Jahrhunderts, an der Nijinski mit dem Ballett Rousse einen großen Anteil hatte. Doch im Mittelpunkt bleiben seine Schreibanstrengungen.
Was aber die Aufführung so abgründig macht, ist die Verbindung von Pathos und Banalität, von Kindlichkeit und Tragik, die Überdrehung des exzentrischen grotesken Pathos in Leere und Sinnlosigkeit. Tod und Komik stehen nebeneinander, beängstigende Ausweglosigkeit in trotzigen Regressionen.
Und so ist – obwohl nicht mehr als ein innerer Monolog – Niijinskis Tagebuch Theater pur, verstörend und berührend.
Es ist das Tagebuch Waslaw Nijinskis, das dieser unmittelbar vor seiner Einlieferung in eine Irrenanstalt verfasst hat, ein gespenstisches Dokument, 1919 verfasst und 1995 erstmals im Original veröffentlicht. Nijinski, der die Entwicklung des Balletts als Tänzer, auch als Choreograph revolutionierte – er war etwa Hauptprotagonist in Strawinkijs "Sacre du printemps", sieht sich darin als Gott, banalste Feststellungen und philosophische Grundsatzfragen fühlt er sich gedrängt, niederschreiben zu müssen.
Ein Tagebuch als Oper scheint zunächst ein Widerspruch, keine Handlung, keine dramatische Konfrontation – doch andererseits führt das Tagebuch – und Glanert verwendet nur ihn als Textvorlage, indem er dessen Worte aufnimmt, musikalisch bearbeitet, Silbe und Worte zerhackt, repetiert, zu Grundformen des Musiktheaters, zu Ariadnes Klage zum Beispiel, zu Arnold Schönbergs "Erwartung".
Theatralisch ist vor allem das Experiment der Besetzung durch sechs Akteure, die Nijinski verkörpern, eine Schauspielerin und ein Schauspieler, ein Tänzer und eine Tänzerin, eine Sängerin und ein Sänger, die mit dieser Überschreitung der Sparten aufs äußerste gefordert sind, aber das in Linz präzise lustvoll meistern: Schauspieler also, die sich der musikalischen Vorgabe genau fügen müssen, Sänger und Tänzer, die sprechen.
Rosamund Gilmare, früher selbst Choreographin, hat das immer auf der Bühne präsente Sextett genau in seinen Bewegungen abgestimmt und lässt auch kleine Szenen erzählen. Auch im 14-köpfigen Orchester, einfühlsam von Ingo Ingensand gleitet, gibt es Grenzüberschreitungen. Neben den traditionellen Instrumenten auch Alte Musik, Blockflöte und Gambe, aber auch Instrumente der Rockmusik: E-Gitarre und Syntheziser.
Das abstrakte Bühnenbild, viele weiße Truhen, die hoch gezogen werden können – auch manche Kostüme – zitieren die Avantgarde am Anfang des 20. Jahrhunderts, an der Nijinski mit dem Ballett Rousse einen großen Anteil hatte. Doch im Mittelpunkt bleiben seine Schreibanstrengungen.
Was aber die Aufführung so abgründig macht, ist die Verbindung von Pathos und Banalität, von Kindlichkeit und Tragik, die Überdrehung des exzentrischen grotesken Pathos in Leere und Sinnlosigkeit. Tod und Komik stehen nebeneinander, beängstigende Ausweglosigkeit in trotzigen Regressionen.
Und so ist – obwohl nicht mehr als ein innerer Monolog – Niijinskis Tagebuch Theater pur, verstörend und berührend.