Gründer der Aktion "Freiwillige Helfen"

Warum die Flüchtlingshilfe mehr Geld benötigt

Philipp Bertram ist Gründer und Koordinator der Aktion "Freiwillige helfen", einer Flüchtlingshilfe in Wilmersdorf
Philipp Bertram ist Gründer und Koordinator der Aktion "Freiwillige helfen" © Deutschlandradio Kultur
Philipp Bertram im Gespräch mit Ute Welty |
Ohne Freiwillige würde in der Flüchtlingshilfe gar nichts gehen. Damit nicht bald der letzte Helfer erschöpft nach Hause geht, muss die Politik die professionellen Träger finanziell besser ausstatten, sagt Philipp Bertram von der Berliner Aktion „Freiwillige Helfen“.
Der Gründer und Koordinator der Berliner Flüchtlingshilfe-Aktion "Freiwillige Helfen", Philipp Bertram, fordert, die professionelle Flüchtlingshilfe finanziell besser auszustatten, um damit auch einen angemessenen Rahmen für den andauernden Einsatz der vielen Freiwilligen aus den Willkommensinitiativen und Helferkreisen für Flüchtlinge zu schaffen.
Damit die Kraft der Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen lange reicht, müsse "der Rahmen passend gemacht werden, weil (...) viele ein stückweit anfangen zu resignieren", sagte Bertram, der mittlerweile stellvertretender Leiter der seit August genutzten Flüchtlingsnotunterkunft im ehemaligen Rathaus Berlin-Wilmersdorf ist, im Deutschlandradio Kultur.
Der Staat stiehlt sich teilweise aus der Verantwortung
Dem Staat warf Bertram vor, sich aus der finanziellen Verantwortung für bessere Rahmenbedingungen in der Flüchtlingshilfe zu stehlen. So müssten die hauptamtlichen Träger finanziell besser ausgestattet werden, damit diese den Rahmen für das ehrenamtliche Engagement absichern könnten.
Dies betreffe beispielsweise das Dolmetschen oder die medizinische Versorgung der Flüchtlinge, sagte der 24-Jährige, der als Freiwilliger ab August die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe für die Erstaufnahme-Notunterkunft in Berlin-Wilmersdorf initiiert hatte und weiter koordinierte. In dem Heim im ehemaligen Verwaltungssitz am Fehrbelliner Platz leben mittlerweile 950 Flüchtlinge. Träger ist der Arbeitersamariterbund ASB.
Hauptamtliche und Ehrenamtliche Hilfe muss auf Augenhöhe agieren
Als Angestellter des ASB koordiniere er jetzt die Arbeit der Ehrenamtlichen "etwas sorgenloser" weiter, dazu kämen Verwaltungsaufgaben und die Kommunikation mit den für die Registrierung und Unterbringung zuständigen Behörden. Grundsätzlich halte er ein Verhältnis, bei dem den Hauptamtlichen wesentlich mehr Ehrenamtler gegenüberstehen, für normal. "Ich glaube (...) dass Hauptamt und Ehrenamt nicht zu trennen ist. Beide sind bei der Stützung der Unterkünfte enorm wichtig. Aber nur wenn man auf Augenhöhe agiert und als Team funktioniert, kann die Zusammenarbeit klappen und auch auf Dauer angelegt werden."Personell gesehen ließen sich aktuell auch gar nicht so hauptamtliche Kräfte finden, wie benötigt würden", erklärte Bertram.
Personell und finanziell besser ausgestattet werden
Damit auch das Ehrenamt funktionieren könne, müsse die Politik dennoch die hauptamtlichen Träger der Flüchtlingsunterkünfte finanziell wie personell besser ausstatten.
Erst dann könnten diese auch angemessen planen und das Vertrauen, dass die Hilfe funktionieren kann, an die Ehrenamtlichen weitergeben: "Und erst wenn diese Basis geschaffen ist, kann darauf das Ehrenamt basieren."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Was tun gegen Terrorismus, was tun für Flüchtlinge? Es sind diese beiden Fragen, die Christsoziale und Grüne bewegen auf ihren jeweiligen Parteitagen über dieses Wochenende. Und nein, man will die beiden Fragen natürlich nicht miteinander vermischen. Und trotzdem entstehen Zusammenhänge: Wie zum Beispiel sollen Personen kontrolliert werden, die über keinerlei Ausweispapiere verfügen? Es geht aber auch um die Menschen, die sich kümmern müssen, die sich kümmern müssen um die Flüchtlinge vor Ort wie zum Beispiel Philipp Bertram. Ich habe mit ihm darüber gesprochen. Zunächst hat er im Ehrenamt geholfen und inzwischen ist er beim Arbeiter-Samariter-Bund angestellt. Philipp Bertram beschreibt seine Aufgabe in Berlin-Wilmersdorf so:
Philipp Bertram: Die generelle Aufgabe ist die Koordination der Freiwilligenarbeit für den Arbeiter-Samariter-Bund, aber auch alles, was als Stellvertreter da anfällt. Also, das fängt an von Verwaltungsaufgaben, die Kommunikation mit der LaGeSo, mit anderen Behörden, mit dem Bezirksamt ...
Welty: LaGeSo?
Bertram: Das ist das Landesamt für Gesundheit und Soziales, das zuständige Amt in unserer Stadt Berlin, die die Registrierung und Unterbringung der Flüchtlinge koordiniert.
Welty: Das klingt nicht nach einem Tag, wo unbedingt Routine auftaucht.
Bertram: Das ist es nie. Niemals Routine, jeden Tag etwas Neues. Das macht es aber auch sehr interessant und macht die Arbeit auch sehr schön.
Welty: Warum schön?
"Jeder muss anders durch das System Asyl im Moment gelotst werden"
Bertram: Man muss sich auf die Menschen einstellen. Die Menschen, die zu uns kommen, haben ganz unterschiedliche Probleme, haben ganz eigene Geschichten. Jeder steht für sich und jeder muss anders durch das System Asyl im Moment gelotst werden. Der eine hat Sorgen zwecks Familie, der andere Sorgen der Unterbringung und, und, und. Ich habe eine Familie, die leider zurück muss, wo aber der Sohn Angst hat, zurückzugehen. Da geht es darum, die Familie muss zurück nach Afghanistan und der Junge ist 14 Jahre alt und hat Angst, Teil der Taliban werden zu müssen. Und der saß dann bei mir im Zimmer und lag dann am Ende auf meinem Schoß, weil er nicht mehr konnte.
Welty: Wie geht man damit um, wie nimmt man das mit nach Hause, wie verarbeiten Sie selber das?
Bertram: In den Situationen suche ich immer Rat nach diesen Gesprächen bei meinen Kollegen, entweder direkt im Büro oder bei unseren ganzen freiwilligen Helfern. Wir versuchen, darüber zu sprechen. Ich versuche, das immer direkt danach zu schaffen, und wenn es nicht geht, dann auch mal am nächsten Tag. Aber das Gespräch darüber, habe ich richtig reagiert, ist es vielleicht falsch, was ich da gemacht habe, oder kann man da noch mehr machen, hast du noch eine Idee, das Gespräch darüber ist wichtig.
Welty: Sie kennen diese Notunterkunft in Berlin-Wilmersdorf vom ersten Tag an, denn Sie haben sie als freiwilliger Helfer mit aufgebaut. Was hat sich verändert, seitdem Sie für Ihr Engagement bezahlt werden?
Bertram: Ich kann mich voll und ganz darauf konzentrieren und bin etwas sorgenloser. Dafür bin ich auch sehr dankbar, weil ich jetzt zu 100 Prozent und eigentlich zu 120 Prozent im Rathaus tätig sein kann, für die Menschen da sein kann. Und von der Art und Weise der Arbeit hat sich eigentlich nichts verändert, ich bin immer noch für unsere Bewohner da und mache aber ein bisschen Verwaltung noch mit dazu.
Welty: Wie beurteilen Sie das Verhältnis von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfern, und wie muss sich dieses Verhältnis in Zukunft verändern?
Ehrenamt und Hauptamt müssen als Team funktionieren
Bertram: Gut, das reine Zahlenverhältnis ist offensichtlich, es sind meistens mehr freiwillige Helfer da als hauptamtliche Mitarbeiter. Ich glaube, das ist auch ganz normal, weil das Hauptamt die Aufgabe hat, die Verwaltungen, das Haus abzusichern, den Rahmen quasi für das Haus oder die Unterkünfte zu bilden. Ich glaube aber – und das versuchen wir –, dass Hauptamt und Ehrenamt nicht zu trennen ist. Beide stützen diese Unterkünfte, beide sind enorm wichtig. Und nur, wenn man da auf Augenhöhe agiert und als Team funktioniert, dann kann die Zusammenarbeit klappen und auch auf Dauer angelegt werden.
Welty: Aber ist das nicht eine Aufgabe, die eigentlich vor allen Dingen hauptamtliche Helfer übernehmen müssten? Stiehlt sich der Staat aus der Verantwortung?
Hauptamtliche Träger in der Flüchtlingshilfe brauchen mehr Geld
Bertram: Ich glaube, ein Stück weit ja. Aber es geht im Moment nicht, Sie kriegen auch gar nicht so viele hauptamtliche Kräfte zusammen. Und wo sich vielleicht der Staat ein Stück weit rausstiehlt, ist einfach, diese Mittel dafür nicht zur Verfügung zu stellen. Es heißt nicht immer, man muss nicht immer jemanden anstellen, aber man muss auch für ehrenamtliche Tätigkeiten den Rahmen schaffen, dass sie ehrenamtlich funktionieren kann. Das heißt, ich muss bei mir im Rathaus zumindest die Grundlage geben, worauf Ehrenamt basieren kann, sei es bei Dolmetschern, sei es in der medizinischen Versorgung und, und, und. Wenn wir da den Rahmen besser auch stricken könnten, finanziell wie personell, worin sich ein freiwilliges Engagement bewegen kann, ich glaube, damit wäre uns geholfen.
Welty: Wie lange reicht die Kraft noch, der Ehrenamtlichen wie der Hauptamtlichen?
Bertram: Ich hoffe, sehr lang. Aber damit sie lange reicht, muss dieser Rahmen passend gemacht werden. Weil viele auch ein Stück weit anfangen zu resignieren, weil sie sagen, Mensch, da müsste mehr passieren, da müsste auch in der Art der Notunterkünfte mehr passieren, wo der hauptamtliche Träger unterstützt wird auch von der politischen Seite, auch finanziell, dass sie besser ausgestattet werden, dass sie auch mehr planen können. Und dann kann ich dieses Vertrauen, was ein Träger ausstrahlen kann, auch gegenüber Ehrenamtlichen weitergeben. Und erst wenn die Basis funktioniert, kann darauf das Ehrenamt basieren.
Welty: Philipp Bertram ist in Berlin-Wilmersdorf für den Arbeiter-Samariter-Bund tätig, um Flüchtlinge zu versorgen. Danke für Ihr Engagement und danke für den Besuch in "Studio 9"!
Bertram: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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