Zur Geschichte der Treuhandanstalt
Für die Umwandlung von einem Wirtschaftssystem in ein anderes beauftragte der Ministerrat der DDR am 22. Februar 1990 den Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Wolfram Krause, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten: zur Gründung einer "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt)". Am 1. März 1990 beschloss die letzte SED/PDS-Regierung unter Hans Modrow, dass eine solche Anstalt gegründet werden sollte. Mitte Juni 1990 beschloss die DDR-Volkskammer ein Treuhand-Gesetz mit dem Auftrag zur Privatisierung des Vermögens. Am 1. Januar 1991 trat der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Stahlunternehmens Hoesch, Detlev Karsten Rohwedder sein Amt als Chef der Treuhandanstalt an.
Die Treuhandanstalt übernahm bis zum 31. Dezember 1994 die Aufgabe, die mehr als 8000 bisher staatlichen DDR-Betriebe in die Privatwirtschaft zu überführen. Die Reste der Treuhand wurden ab 1995 von einer Nachfolgebehörde abgewickelt, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS). Zum 1. Januar 2001 stellte auch die BvS ihre operative Tätigkeit ein, den Großteil ihrer Aufgaben hat sie an Dienstleister übertragen. Bis zum Ende ihrer operativen Tätigkeit Ende 1994 schloss die Treuhand 85 000 Verträge ab. Rund 3500 Firmen wurden abgewickelt.
"Im Nachhinein ein Riesenfehler"
Vor 25 Jahren wurde das DDR-Vermögen durch die Treuhandanstalt verkauft, anstatt es über Aktienanteile an die ostdeutsche Bevölkerung zu verteilen. Das sei falsch gewesen, bilanziert der Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn.
Der Präsident des Münchner Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, hat 25 Jahre nach Gründung der Treuhandanstalt eine kritische Bilanz gezogen.
"Im Ökonomischen hat man es nicht richtig gemacht, davon bin ich bis heute felsenfest überzeugt", sagte der Wirtschaftsforscher am Samstag im Deutschlandradio Kultur. "Und wir sehen ja, dass es nicht wirklich funktioniert hat." Die Wirtschaft im Osten habe seit 1995 bis heute kein Wachstum mehr zu verzeichnen, das höher liege als im Westen. Eine "Riesenchance" sei mit dem Verkauf des volkseigenen Vermögens lediglich an private Unternehmen aus dem Westen vertan worden. "Diese Abblockstrategie, die man damals hatte, dass man keine ausländischen Firmen reinlassen wollte, (...) das erweist sich im Nachhinein als Riesenfehler dieser Politik, sagte Sinn rückblickend auf die Arbeit der Treuhandanstalt, deren Gründung sich am 1. März zum 25. Mal jährt.
Missachtung des Einigungsvertrages
Die Entscheidung, das volkseigenen Vermögen zu verkaufen, anstatt es alternativ über Aktienanteile an die ostdeutsche Bevölkerung zu verteilen, kritisierte Sinn als Missachtung des Einigungsvertrages. Der Auftrag nach Artikel 23, "das volkseigene Vermögen in verbriefter Form dem Volk zuzuführen, dieser Auftrag wurde nicht durchgeführt." Als Alternative zum direkten Verkauf hätte ostdeutsche Bevölkerung über Aktienanteile mit in die Entwicklung der Betriebe eingebunden werden sollen, erklärte Sinn weiter. Auch "um das Unternehmertum aus dem Osten zu entwickeln" und die Möglichkeiten einer anderen Lohnpolitik zu nutzen, erklärte Sinn, der bereits 1991 in seinem Buch "Kaltstart. Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung", die Art und Weise, wie die Treuhand das Volksvermögen der ehemaligen DDR privatisierte, als "Schleuderaktionen" kritisiert hatte.
Die unglaubliche Chance vertan, mit einem Vorsprung den EU-Markt zu erobern
Die Chance, vor den osteuropäischen Ländern den EU-Markt zu erobern "diese Chance wurde verpasst." Der Ankauf volkseigener Betriebe sei durch westdeutsche Betriebe oft auch lediglich erfolgt, um "die potenzielle Konkurrenz aus dem Ausland gar nicht ranzulassen", kritisierte Sinn. Anschließend seien auch Firmen "einfach dichtgemacht" worden. "Die Industrien, die es gab, die sind verschwunden. (...) und die Investoren springen häufig über die neuen Bundesländer hinweg. Das ist die bittere Wahrheit", bilanzierte der Präsident des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. (ifo).
Reihe: Vor 25 Jahren - auf dem Weg zur Einheit
Am 3. Oktober feiert Deutschland den 25. Jahrestag der Einheit. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten knapp ein Jahr nach dem Mauerfall markierte 1990 das Ende eines rasanten, teils dramatischen Prozesses, dessen Ausgang anfangs nicht absehbar war.
Die Monate bis zum 3. Oktober 1990 waren geprägt von Reformvorschlägen, Unsicherheiten und einem politischen Vakuum. Zunächst existierte noch der Wunsch, eine andere, eine demokratische DDR zu gestalten. Später hofften viele, einer geeinten und veränderten Bundesrepublik neue Impulse geben zu können.
Deutschlandradio Kultur dokumentiert diese Entwicklung in diesem Jahr anhand wichtiger Daten in Gesprächen mit Zeitzeugen.
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Das Interview im Wortlaut:
Miriam Rossius: Der richtige Weg, welcher ist das? Die Frage stellte sich 1990 in Deutschland wohl so ziemlich jeder.
Einspielung O-Töne; Sprecherin: Vor 25 Jahren – auf dem Weg zur deutschen Einheit.
Miriam Rossius:Unsere Serie im Deutschlandradio Kultur über die rasanten Entwicklungen damals. Wohin sie führen würden, war oft nicht absehbar, aber natürlich haben Fachleute aus allen Bereichen trotzdem Prognosen geliefert. Eine sehr ausführliche Analyse zu den volkswirtschaftlichen Aspekten der deutschen Wiedervereinigung legte damals Hans-Werner Sinn vor, heute Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. 1991 erschien sein Buch "Kaltstart", und das enthielt grundlegende Kritik an der Treuhand, der bei der Systemumstellung ja die Schlüsselrolle zukam. Morgen vor genau 25 Jahren wurde sie gegründet, am ersten März, und seine Kritik an der Arbeit der Treuhand, die formulierte einige Zeit später Hans-Werner Sinn dann so:
Hans-Werner Sinn: Von der ganzen Anlage her gibt es den Grundfehler meines Erachtens, dass man überhaupt versucht, eine Volkswirtschaft am Markt für Unternehmen zu verkaufen. Das unterstellt, es gäbe einen solchen Markt, wo man also solche Massenangebote absetzen kann, ohne dass es zu einem Preisverfall kommt und insgesamt in eine Schleuderaktion ausartet. Man verteilt hier "volkseigenes", in Anführungsstrichen, Vermögen, man verkauft es nicht. Was da als Verkauf bezeichnet wird, ist ökonomisch nicht ein Verkauf. Man kann es vielleicht juristisch noch so bezeichnen, aber von der Sache her läuft es doch auf eine Verschenkungs- und Verteilungsaktion hinaus. Und ich glaube, beim Untergang des Kommunismus hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben. Man hätte die ostdeutsche Bevölkerung in diese Verteilungs- und Verschenkungsaktion doch irgendwie mit einbinden können. Man kann nicht hoffen, dass der Osten gesundet, indem nun nur aus dem Westen Manager kommen. Es muss auch das Unternehmertum im Osten irgendwie entwickelt werden.
Rossius: Ein Standpunkt, den Hans-Werner Sinn vor 25 Jahren bei uns im Programm erörtert hat. Heute erreichen wir ihn in München am Telefon. Einen schönen guten Morgen!
Sinn: Ja, schönen guten Morgen!
Rossius: Wir haben es gerade gehört: Sie haben damals dafür plädiert, die ostdeutsche Bevölkerung bei der Verteilung, bei der Privatisierung mit einzubeziehen. Wie hätte das denn praktisch geschehen sollen?
Sinn: Ja, also erst mal, nach dem Einigungsvertrag – ich glaube, es war Artikel 23 – gab es den Auftrag für den Gesetzgeber tatsächlich, das volkseigene Vermögen in verbriefter Form zuzuführen. Und dieser Auftrag wurde nicht durchgeführt. Man hat geguckt mal, was das wert ist, und wenn wir Überschüsse haben, dann verteilen wir die Überschüsse. Das war eine Missachtung des Vereinigungsvertrages, denn man hätte nicht gucken müssen, was das wert ist, sondern hätte gleich verbriefte Anteilsrechte vergeben können, nämlich hätte Aktiengesellschaften gründen können und Aktien vergeben können. Man kann auch Aktienanteile an Schrott haben. Also, die Frage, wie wertvoll das ist, die stellte sich gar nicht. Man hat sich da rausgeredet. Es wäre, glaube ich, kein Schrott gewesen, wenn man eine ganz andere Lohnpolitik gemacht hätte und wenn man zugelassen hätte, dass Investoren aus dem Ausland sich hinzugesellen, dass man Joint Ventures macht, also gemeinsame Veranstaltungen. Die ostdeutsche Bevölkerung als Eigentümer des ehemals volkseigenen Vermögens hätte die Belegschaft und den Betrieb als solchen eingebracht. Ein Investor, sagen wir mal aus Japan, hätte sein Know-how, neues Eigenkapital, neue Produkte, neue Maschinen und all diese Dinge eingebracht, und jeder hätte dafür Aktienanteile gekriegt, die dem entsprechen, was er eingebracht hat. Und dann hätte man gemeinsam gewirtschaftet, und es wäre entweder was geworden oder nicht geworden. Und dann hätte man die Dividenden haben können.
Rossius: Ein Stichwort, ein wichtiges, war ein Sozialpakt. Das beinhaltet ja so was wie Leistung und Gegenleistung. Wie hätte das ausgesehen, die Gegenleistung für Anteile?
Sinn: Die Gegenleistung für die Anteile ist die Hergabe der Betriebe. Das war ja volkseigenes Vermögen im Kommunismus, und wenn man in die Marktwirtschaft übergeht, dann muss man doch irgendwie sehen, dass dieses allgemeine Eigentumsrecht, wo jeder alles besitzt anteilig, zu einem privaten Eigentumsrecht wird, indem man eben tatsächlich Aktien verschenkt an die Bevölkerung. Das wäre der sinnvolle Weg gewesen, und ich glaube bestimmt, dass mit den Belegschaften was hätte gemacht werden können. Ein Betrieb besteht ja doch nicht nur aus Maschinen, sondern vor allem aus Menschen, die ein Gefüge miteinander haben, die sich kennen, die anpacken wollen, die Wissen haben. Und das ist der eigentliche Wert, und diese Menschen hätte man jetzt verbinden können mit neuem Kapital, das Investoren hereingebracht hätten. Das Kapital hätte verwendet werden können, um diese Betriebe zu modernisieren, um neue Produkte dann auch anzubieten. Die neuen Bundesländer hatten damals die unglaubliche Chance, 15 Jahre vor den anderen Ländern des Ex-COMECON in die EU reinzukommen. Und damit hatten sie einen Markt von 300 Millionen Menschen, die sie hätten bedienen können. Und diese Chance wurde verpasst, indem also solch eine Renovierungsstrategie nicht gemacht wurde. Die westdeutschen Firmen kauften die ostdeutschen Firmen häufig auch nur, um potenzielle Konkurrenten aus dem Ausland gar nicht ranzulassen. Häufig wurden die Firmen einfach dicht gemacht anschließend. Das war ein großes Versäumnis der deutschen Vereinigungspolitik.
Rossius: Hat die Politik auch irgendetwas richtig gemacht?
Sinn: Sie hat natürlich die Zwei-plus-vier-Verträge als solche richtig hingekriegt. Das war also politisch, glaube ich, sehr richtig, dass überhaupt diese Chance genutzt wurde. Das Fenster der Möglichkeiten stand temporär nur auf. Wir haben ja 1991 im August dann schon den Putsch gehabt in Russland, und der hätte ja auch schief gehen können. Und da hat Kohl weise gehandelt, dass er jetzt das vorangebracht hat. Das ist gar keine Frage. Aber im Ökonomischen hat man es, da bin ich heute noch felsenfest überzeugt, nicht richtig gemacht. Und wir sehen ja auch, dass es nicht wirklich funktioniert hat. Schauen Sie, von 1995 bis heute ist die Konvergenz zwischen Ost und West quasi zum Stoppen gekommen. Wir haben kein Wachstum mehr in den neuen Bundesländern seitdem, das höher ist als im Westen, sogar leicht geringer.
Rossius: Wagen Sie denn angesichts dieser Bilanz eine Prognose für die nächsten 25 Jahre? Haben wir 2040 die blühenden Landschaften?
Sinn: Das ist ja schwer zu prognostizieren. Diese Anfangsschwierigkeiten, die sind ja nun überwunden, aber vieles ist doch pfadabhängig. Die Industrien, die es gab, die sind verschwunden, und inzwischen gibt es in Osteuropa viele neue Standpunkte, die mit Niedriglohnkonkurrenz sich hier anbieten, und Investoren springen häufig einfach über die neuen Bundesländer hinweg. Das ist die bittere Wahrheit. Ja, es wird sich so einigermaßen in Deutschland verschmieren, aber diese Riesenchance, diese gut ausgebildeten Menschen im Industriesektor in den neuen Bundesländern – häufig hatten sie ja mehr Ausbildung als im Westen – zu verbinden mit wirklich potenten Investoren, diese Abblockstrategie, die man damals hatte, dass man keine ausländischen Firmen rein lassen wollte, um sich der Treuhand-Firmen zu bemächtigen, das erweist sich im Nachhinein als Riesenfehler dieser Politik.
Rossius: Was war und was möglicherweise noch kommt. Hans-Werner Sinn war das, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Einen herzlichen Dank nach München!
Sinn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.